Ein Schatten auf Präsident Temer | NZZ (original) (raw)

Ein ehemaliger Direktor des Baukonzerns Odebrecht bringt Brasiliens Präsident Temer in die Nähe des Petrobras-Skandals. In Brasilia versucht man sich die Nervosität nicht anmerken zu lassen.

Was zu erwarten war, ist eingetroffen: Der Name von Brasiliens Präsident Michel Temer ist in den Ermittlungen des Petrobras-Skandals aufgetaucht. 43 Mal hat Cláudio Melo Filho, ein ehemaliges Direktionsmitglied des Baukonzerns Odebrecht, das im Skandal eine zentrale Rolle spielt, sich in seiner Zeugenaussage auf den Präsidenten bezogen. Wie schon fast üblich für die Ermittlungen sind Einzelheiten der Zeugenaussage an die Presse durchgesickert.

Der Schatten des Petrobras-Skandals fällt zunehmend auch auf Präsident Temer. (Bild: Eraldo Peres / AP)

Der Schatten des Petrobras-Skandals fällt zunehmend auch auf Präsident Temer. (Bild: Eraldo Peres / AP)

Nachtessen mit Odebrecht

Laut der Zeugenaussage von Melo hat Temer indirekt gehandelt, um Gelder für seine Partei einzutreiben. In einem Fall soll Temer jedoch eine relevante Rolle gespielt haben, indem er Odebrecht um eine Spende von 10 Millionen Reais (3 Millionen Franken) für die Kampagne von 2014 gebeten habe. Zur Zahlung der besagten 10 Millionen ist es laut der Zeugenaussage dann auch tatsächlich gekommen. Melo gibt an, einen Teil des Geldes einem Freund und Berater Temers in dessen Anwaltsbüro in bar ausgehändigt zu haben, was die Vermutung nahelegt, dass es sich dabei um illegale und nichtdeklarierte Spenden handelte.

Der Betrag wurde laut Melo während eines Nachtessens im Palast des Vizepräsidenten in Brasilia ausgehandelt, zu dem er sowie der inzwischen inhaftierte Konzernchef Marcelo Odebrecht eingeladen waren. Temer kümmerte sich laut Melos Aussagen nicht direkt um die Spendengelder, sondern überliess diese Aufgabe Eliseu Padilha, einem seiner engsten Vertrauten und dem heutigen Kabinettschef. Es sei laut Melo jedoch evident gewesen, dass Padilha wie eine Art Stellvertreter für Temer gewesen sei. Melo zitiert weitere Personen aus dem engsten Umfeld von Temer.

Bis der Staub sich legt

Temer streitet die durchgesickerten Aussagen von Melo mit Vehemenz als falsche Beschuldigungen ab. In einer offiziellen Mitteilung betont die Kommunikationsabteilung des Präsidenten, dass es sich bei dem mit Odebrecht ausgehandelten Betrag um legale Spenden gehandelt habe, die dem Wahlgericht deklariert und über Banküberweisungen abgewickelt worden seien. Zu einem Treffen zwischen Melo und Temers Berater sowie einer Zahlung von Bargeld sei es nie gekommen, heisst es weiter. Auch alle anderen in der Aussage erwähnten Politiker streiten alle Vorwürfe ab.

Trotzdem hat die öffentlich gewordene Zeugenaussage eine Menge Staub aufgewirbelt. Sie rückt nicht nur Temer, sondern dessen gesamte Regierung plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit um die Petrobras-Ermittlungen. Die Lage ist heikel. Der Präsident ist noch am Freitag von einem Besuch im Nordosten des Landes nach Brasilia zurückgereist, wo er sich mit diversen Verbündeten getroffen hat, unter ihnen auch die in der Zeugenaussage zitierten Politiker. Dabei ist der Präsident bemüht, nicht den Eindruck von Nervosität zu erwecken. Laut Beratern aus Temers Umfeld gilt die Weisung, keine voreiligen Schritte zu machen, bis der Staub sich wieder etwas gelegt hat.

Die Lage von Temer ist umso heikler, als die neusten Meinungsumfragen zeigen, dass die Zustimmung für die Regierung sich im dramatischen Sinkflug befindet. Laut Datafolha beurteilen 51 Prozent der Befragten die Regierung derzeit als schlecht oder sehr schlecht. Im Juli waren es noch 31 Prozent. Nur 10 Prozent erachten die Regierung als gut oder sehr gut. Zudem wünschen sich mehr als 60 Prozent der Befragten einen Rücktritt des Präsidenten und vorgezogene Neuwahlen.

77 Zeugen

Die Zeugenaussage von Melo bringt nicht nur Temer unter Druck, sondern ganz Brasilia. Melo gibt auch an, dass Odebrecht diverse Abgeordnete und Senatoren mit mehreren Millionen Reais belohnt habe, um den Erfolg eines Gesetzesprojekts zu garantieren, das dem Baukonzern dienlich gewesen sei. Dies sind nur ein paar wenige Details einer einzigen Zeugenaussage. Insgesamt haben sich jedoch 77 höhere Funktionäre von Odebrecht zu einer Zusammenarbeit mit den Untersuchungsbehörden bereit erklärt. Es heisst, dass ihre Aussagen Konsequenzen für mehr als hundert Politiker auf allen Ebenen nach sich ziehen könnten. Die Frage ist immer weniger, wen es trifft, sondern wen es nicht trifft.