Der Raubüberfall auf die Sammlung Bührle hallt noch immer nach | NZZ (original) (raw)
Vier Männer wurden verurteilt und die vier 2008 in Zürich geraubten Gemälde sind längst wieder zurück. Auf die Rückgabe von 1,4 Millionen Euro, die zur Überlistung der Kunsträuber eingesetzt worden waren, wartet die Stiftung Bührle aber bis heute.
Präsentation der in die Schweiz zurückgebrachten Bilder von Cézanne und Degas am 27. April 2012 im Zürcher Kunsthaus. (Bild: Adrian Baer / NZZ)
An diesem Samstag jährt sich der Raubüberfall auf die Sammlung E. G. Bührle an der Zollikerstrasse im Zürcher Seefeld zum zehnten Mal. Vier Männer wurden im Januar 2014 bzw. im Februar 2015 in Belgrad in Zusammenhang mit dem Kunstraub vom 10. Februar 2008 zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die gestohlenen Gemälde im Wert von rund 180 Millionen Franken sind längst zurück bei den Besitzern. Zwei Werke wurden bereits nach acht Tagen in einem Opel auf einem Parkplatz der psychiatrischen Klinik Burghölzli sichergestellt. Die beiden anderen Bilder wurden rund vier Jahre später aus Serbien zurückgeholt und am 26. April 2012 den Medien präsentiert.
Wie in einem Thriller
Die Rückführung war das Ergebnis einer raffinierten verdeckten Ermittlung, in deren Verlauf den Räubern 1,4 Millionen Euro als Lösegeldanzahlung übergeben worden waren. Diese Summe stammte aus dem Umfeld des Bührle-Museums. Die serbische Justiz beschlagnahmte das Vorzeigegeld bei der Festnahme von drei Serben und einem Mazedonier in Belgrad. Seither bemühen sich die Stiftung Sammlung E. G. Bührle und die Schweizer Behörden auf verschiedenen Ebenen um dessen Rückgabe, wie der für diesen Fall zuständige Staatsanwalt Roland Wolter am Donnerstag auf Anfrage erklärte.
Damit bleibt das letzte Kapitel einer Kriminalgeschichte, die gut als Vorlage für einen Kinothriller dienen könnte, vorerst noch ungeschrieben. Wie in einem Film müssen sich die fünfzehn Ausstellungsbesucher und das Museumspersonal auch gefühlt haben, als an jenem frühlingshaft milden Sonntagnachmittag kurz vor 16 Uhr 30 drei dunkel gekleidete, mit Sturmhauben vermummte Männer ins Foyer der Sammlung Bührle stürmten. Allerdings handelte es sich bei den rabiaten Eindringlingen nicht um Leinwandhelden aus Hollywood, sondern um reale Räuber aus dem Balkan.
Einer der Gangster bedrohte die Ausstellungsbesucher und die Museumsangestellten im Erdgeschoss mit einer Faustfeuerwaffe und zwang sie, sich auf den Boden zu legen. Seine Komplizen stürmten in den grossen Saal und zerrten und schnitten vier Gemälde von der Wand, nämlich Claude Monets «Mohnfeld bei Vétheuil», Edgar Degas’ «Ludovic Lepic und seine Töchter», Vincent van Goghs «Blühende Kastanienzweige» sowie Paul Cézannes «Der Knabe mit der roten Weste». Die Einzelbildsicherungen waren erst zwei Jahre zuvor erneuert worden und entsprachen dem aktuellen Stand der Technik. Sie schützten die Bilder jedoch nur gegen Einbrüche, nicht aber vor einem Überfall.
Medientermin zwei Tage nach dem Raubüberfall in der Villa der Sammlung Bührle. An der leeren Wand hingen die geraubten Gemälde. (Bild: Christain Beutler / NZZ)
Wie Lukas Gloor, Direktor der Bührle-Stiftung, einige Tage nach dem Überfall bei einem Medientermin am Tatort erklärte, dürften die Räuber ziellos die am einfachsten zugänglichen Gemälde an sich gerissen haben. Cézannes für mehr als 100 Millionen Franken versicherter «Knabe», das Signetbild der Sammlung, habe sich wohl nur zufällig unter dem Diebesgut befunden. Im selben Raum hing auch Renoirs 60 Millionen Franken teures Gemälde «Irène Cahen d'Anvers», und in der ersten Etage stellte das Museum van Goghs gleichfalls auf 100 Millionen Franken geschätzten «Sämann» aus.
Nach rund drei Minuten war der Spuk bereits vorbei. Die Räuber hetzten aus der zum Museum von Weltrang umgebauten einstigen Industriellenvilla zu einem weissen Auto, verstauten die Bilder und rasten davon. Als die dank der Einbruchsicherung automatisch alarmierte Polizei kurz darauf am Tatort eintraf, fehlte von den Gangstern und ihrer Beute im geschätzten Wert von 180 Millionen Franken jede Spur.
Zwei der Gemälde, nämlich Monets «Mohnfeld» und van Goghs «Kastanienzweige», wurden bereits acht Tage nach dem Raub in einem weissen Opel auf einem Parkplatz der psychiatrischen Klinik Burghölzli sichergestellt. Beide Bilder waren unversehrt; einzig an den Rahmen gab es einige Kerben. Die Kontrollschilder des Wagens, der offenbar schon mehrere Tage dort gestanden hatte, waren vier Tage vor dem Überfall in Zürich Wipkingen gestohlen worden.
Operation «Europe Prsluk»
Nach diesem frühen Erfolg sollte es mehr als vier Jahre dauern, bis auch die beiden anderen Werke wieder auftauchten. Am 27. April 2012 informierte die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft im Kunsthaus die Medien, dass nun sämtliche geraubten Bilder der Bührle-Sammlung wieder zurück in Zürich seien. Auf einer abgesperrten Bühne und in sicherem Abstand zu den Teilnehmern der Pressekonferenz standen Cézannes «Knabe mit der roten Weste» und Degas’ «Ludovic Lepic und seine Töchter». Die Bilder waren behelfsmässig in Rahmen gefasst und nicht wie sonst bei Ölgemälden üblich aufgespannt. Der Degas wies einige Schnitte an der Kante und Verletzungen der Leinwand auf. Auch eine Ecke des Cézanne war leicht beschädigt.
Auch die Suche nach dem Cézanne und dem Degas war nach dem Muster eines Thrillers verlaufen. Der Degas sei schon seit einigen Monaten zurück in Zürich, erfuhren die Medienleute von Staatsanwalt Wolter, aber um die Ermittlungen zum Cézanne nicht zu gefährden, habe man diese Information zurückgehalten. Die Rückführung des 100-Millionen-Franken-Bildes verlief auf höchst abenteuerliche Weise. Im Zuge der mehrjährigen Operation «Europe Prsluk» – Prsluk heisst Weste – standen zeitweise bis dreissig Fahnder aus sechs Ländern im Einsatz.
Eine DNA-Spur aus dem weissen Opel hatte die Polizei auf eine Fährte nach Serbien zu einem wegen Juwelendiebstählen bereits polizeilich bekannten Mann und von diesem weiter ins Milieu des organisierten Verbrechens geführt. In der Folge flochten die Ermittler ein kompliziertes Konstrukt von Scheinfirmen und falschen Identitäten, das schliesslich so glaubwürdig wirkte, dass die Fahnder das Vertrauen der Gangster gewinnen und das Geschäft mit dem Cézanne einfädeln konnten.
Die angeblichen Käufer wollten 2,8 Millionen Euro für das Gemälde bezahlen. Nach der Anzahlung von 1,4 Millionen Euro – jener Summe, welche die Bührle-Stiftung organisiert hatte – an das Bild schnappte die Falle zu. Die serbische Polizei nahm drei Serben und einen Mazedonier fest. Jener Mann, dessen DNA-Spur im Fluchtauto gefunden worden war, gestand die Beteiligung am Überfall. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die drei weiteren Festgenommenen erhielten wegen Hehlerei sechs, vier und drei Jahre Gefängnis. Die beiden anderen Kunsträuber von Zürich wurden bisher nicht gefasst.
Das Vorzeigegeld wurde als unrechtmässig erlangter Vermögensvorteil zugunsten der serbischen Staatskasse eingezogen. Dort befindet es sich noch immer, und ob und wann es zurückbezahlt wird, steht in den Sternen. Fest steht dagegen, dass der seit der Schliessung des Bührle-Museums Ende Mai 2015 heimatlose «Knabe mit der roten Weste» und die anderen Gemälde dieser Sammlung von Weltrang im Jahr 2020 in den Neubau des Kunsthauses Zürich ziehen und dort zum neuen Highlight der Ausstellung werden sollen.