"Elisabeth Heller - Die Jahrhundertfrau" im Porträt: ORF-"dok.film"-Premiere am 2. Dezember 2012 (original) (raw)

Utl.: Eine außergewöhnliche Frau, ein spannendes Leben =

Wien (OTS) - Das Ende des österreichischen Kaiserreiches, zwei
Weltkriege, die Geburt zweier Kinder, den Siegeszug des Computers und
ihren eigenen, stillen Weg zur Unabhängigkeit: All das und noch viel
mehr hat Elisabeth Heller in ihren 98 bewegten Jahren erlebt. Als
"Die Jahrhundertfrau" bezeichnet sie ein neuer Dokumentarfilm, der am
Sonntag, dem 2. Dezember 2012, im "dok.film" um 23.05 Uhr in ORF 2
seine TV-Premiere feiert und eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit
einer dramatischen Lebensgeschichte porträtiert. Als "beste
Gelassenheitslehrerin der Welt" bezeichnete sie ihr Sohn, der
Künstler André Heller einst in einer Weihnachtskarte. "Sie hat mir
erzählt, mit 90 war das Leben schön, und ab 90 ist alles nur mehr
Disziplin", erzählt André Heller im Film über seine Mutter,
"Disziplin aufzustehen, sich zu waschen, zu schminken, ins
Philharmonische zu gehen, auf Reisen, Handke, Bernhard, Jelinek zu
lesen, was sie alles tut, Filme vom Haneke anzuschauen. So geht sie
jeden Tag auf die Barrikaden gegen das Alter." Elisabeth Heller denkt
nicht ans Sterben. "Der Abschied von meinen Kindern, davor fürchte
ich mich. Aber nicht vorm Sterben."

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Diese wahre Anekdote ist typisch für das aktuelle Leben der
reisefreudigen Elisabeth Heller: Als sie gerade wieder einmal
unterwegs war, in Dubai, wurde sie auf dem Flughafen festgehalten.
Der Vorwurf: ein gefälschter Pass. Dass eine überaus gut aussehende,
schlanke Dame ohne Stock und Brille behaupte, sie sei im Jahr 1914
geboren, das glaubte ihr niemand. Doch bis zu diesem unabhängigen
Leben war es ein langer Weg.

Elisabeth wächst in einem großbürgerlichen Haus auf. In der
elterlichen Villa in Wien-Hietzing geht die Künstler-Bohème ein und
aus: Karl Kraus, Peter Altenberg, Hermann Bahr, Alma Mahler. Ihre
Mutter Lotte führte ein unstetes, aufregendes Leben. Elisabeth hat
größte finanzielle, kaum aber emotionale Sicherheit. Sie hat
wechselnde Väter, wenig Nähe zur Mutter.

Mit 19 heiratet die betörende Schönheit Elisabeth einen doppelt so
alten Mann. Mit ihm wiederholt sie ihre Kindheitstraumata. "Eine
Heller arbeitet nicht", antwortet der Zuckerlfabrikant seiner Gattin,
als diese einen Beruf ergreifen will. Sie fügt sich, bekommt einen
Sohn - Fritz. Wieder lebt sie in Reichtum mit Personal. Wieder hat
sie eine starke Persönlichkeit an ihrer Seite, für ihre
Individualität ist in den vielen Zimmern der Wohnung kein Platz.
Ihr Mann bleibt ihr fremd: Er ist jüdischer Herkunft und glühender
Katholik, er ist gebildet und Austrofaschist. Wie schon als Kind
flüchtet sie in die Welt der Geschichten, ins Theater und in die
Literatur. Noch heute liest Elisabeth Heller jeden Tag; sie ist die
älteste Burgtheater-Abonnentin. Ihre musikalischen Vorlieben sind
breitgefächert: von Richard Strauss bis Michael Jackson. "Na und die
Beatles und die Stones", ergänzt die 98-Jährige im Interview.

1938 werden die Zuckerlfabrik und das gesamte Privatvermögen der
Hellers beschlagnahmt. Mit Hilfe Mussolinis flieht Elisabeths Mann
nach London. "Dass wir vielleicht mitkommen, davon war nie die Red'",
regt sie sich noch heute auf. Elisabeth bleibt mit Sohn Fritz in
Österreich. Sie ist Sekretärin für Hitlers Armee, später arbeitet sie
in einem Lazarett für Gehirnverletzte. 1945 kehrt ihr Mann als
Offizier mit der amerikanischen Befreiungsarmee zurück.
Bald wird ihr Jüngster, Franz André, geboren. Doch die Ehe geht
endgültig in die Brüche. Ihr Mann führt ein zweites Leben in Paris
und ist nur drei Wochen im Jahr in Wien. Mit fast 50 probt Elisabeth
Heller den Aufstand. Sie hat einen Geliebten und geht arbeiten: im
noblen Modeatelier der Höchsmanns.
Mit 80 verpfändet sie ihr Haus und ihren Schmuck, denn Sohn Franz
André hat eine gute Idee, die er auf die Bühne bringen will. Sie
fiebert mit jedem seiner Projekte mit und reist zu allen Premieren.

Immer wieder kehrt der Film zu einem aufschlussreichen, bürgerlichen
Ritual zurück, einer "Familienaufstellung" zu einem gemeinsamen Foto.
Elisabeths Söhne und Enkelkinder gruppieren sich um die Mutter und
Großmutter. Wer nimmt welchen Platz ein, wer drängt nach vorn, wer
hält sich im Hintergrund?

Fritz Heller, der älteste Sohn, eröffnet unerwartete Einblicke in das
Familienleben. Als Unternehmer, hat er die Geschäfte der
Zuckerlfabrik noch geführt. Er hat auch den Krieg und die Verfolgung
seines Vaters erlebt. Seine tiefe Liebe zur Mutter ist spürbar. Aber
ebenso einiger Sprengstoff in der "Familien-Chemie".
Während André Heller den Tod seines Vaters wie "das Verschwinden
eines Albs" erlebte, war Fritz "erschüttert. Ich war wohl der Einzige
in der Familie, der wirklich um ihn getrauert hat." Über die
Beziehung zu seiner Mutter und zu seinem Bruder sagt Fritz Heller
offen: "Es geht nur um ihn. Für mich hat sie sich nie so
interessiert."

Elisabeth Heller, eine Jahrhundertfrau, streitbare Persönlichkeit,
bewunderte Grande Dame und Mutter, weicht derart heftigen Konflikten
bis heute nicht aus.

"Elisabeth Heller - Die Jahrhundertfrau" ist eine Produktion des ORF,
hergestellt von wrfilm.
Idee und Interviews: Isolde von Mersi; Interviews, Schnittkonzept,
Dramaturgie: Beate Thalberg

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