30 Jahre Afghanistan-Invasion (original) (raw)
Es gibt eine Anekdote, die man sich damals, 1964, in Afghanistan erzählte, als eine Autobahn eingeweiht wurde, die von der sowjetisch-afghanischen Grenze durch die Gebirgsketten des Hindukusch bis nach Kabul führte: Das großartige Sowjetvolk habe den Afghanen diese breite, stark asphaltierte Straße nicht einfach geschenkt, um dem bitterarmen Land zu einer besseren Infrastruktur zu verhelfen - sondern um darauf eines Tages mit Panzern bis in die Hauptstadt zu rollen.
15 Jahre später wurde aus der düsteren Vorahnung bittere Realität. Russische Panzerkolonnen donnerten am 26. Dezember 1979 die 400 Kilometer lange Strecke von der Grenze bei Termez bis nach Kabul. Nach nur einer Woche hatten fünf sowjetische Divisionen - rund 40.000 Rotarmisten - das Land unter Kontrolle. Später sollten insgesamt 140.000 sowjetische Soldaten in Afghanistan kämpfen.
Kurz vor Beginn der Invasion hatten russische Luftlandetruppen heimlich das Land infiltriert und Widerständler beseitigt. Die Sowjets installierten nach ihrem Durchmarsch einen neuen Regierungschef in Kabul: Babrak Karmal bat die Sowjetunion nachträglich um "brüderliche Hilfe" - damit sollte der Einmarsch in das formell neutrale Afghanistan im Nachhinein legitimiert werden. "Die Sowjetunion wollte vor allem Ruhe in das Land bringen", sagt Rifaat Hussain, Politikprofessor an der Qaid-i-Azam-Universität im pakistanischen Islamabad, der über die afghanisch-sowjetischen Beziehungen promoviert hat.
Mord an den Mullahs
Schon eineinhalb Jahre vor der Invasion, im April 1978, hatten sowjethörige Offiziere der afghanischen Armee den nichtkommunistischen Präsidenten Mohammed Daud getötet, weil er versucht hatte, die engen Bindungen seines Landes an die Machthaber in Moskau zu lockern. Aber auch Dauds kommunistische Nachfolger, Mohammed Taraki und Hafisullah Amin wurden von der Sowjetunion nur ein Jahr später fallengelassen, als der Widerstand der Mullahs und antisowjetischen Rebellen zunahm. Beide überlebten ihren Sturz nicht.
Im Frühjahr 1979 herrschte in Afghanistan Bürgerkrieg. Viele Anhänger Dauds aus Armee, Polizei und Verwaltung wurden schon vor dem russischen Einmarsch von prosowjetischen Afghanen liquidiert. Beinahe 250.000 Mullahs, Muezzins und andere moslimische Geistliche sowie deren Angehörige kamen nach damaligen Angaben religiöser Vereinigungen ums Leben.
In Kabuls Foltergefängnis wurden Mullahs umgebracht, die sich weigerten, Allah und den Koran zu verleugnen. "Man trennte ihnen eine Hautschicht nach der anderen ab, hackte dann ihre Ohren und Genitalien ab und exekutierte sie schließlich im Innenhof des Gefängnisses", schrieb SPIEGEL-Südasienkorrespondent Sri Prakash Sinha 1980 rückblickend in seinem Buch "Afghanistan im Aufruhr".
Trotz der explosiven Lage glaubte der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew, binnen drei bis sechs Monaten Ruhe schaffen zu können: Moskau würde ein sowjettreues Regime einsetzen und sich dann wieder zurückziehen. Den Sowjets seien oft andere Motive für ihren Einmarsch unterstellt worden, sagt Historiker Rifaat Hussain - dass sie bis ans Arabische Meer vorrücken wollten, um dort endlich einen Hafen zu haben, oder dass sie letztlich auf das Öl der Golfregion abzielten. Der Experte hält das für wenig plausibel: "Es ging eher darum, den russischen Einfluss nach Süden hin zu festigen."
Moskaus Angst vor einem Flächenbrand
Doch was auch immer Moskau plante - es ging gründlich schief. Die einflussreichen Mullahs organisierten Kampfeinheiten, die mit ihren veralteten Gewehren den "gottlosen Kommunisten" jedoch hoffnungslos unterlegen waren. Die Verluste unter den islamischen Kriegern waren zunächst beträchtlich - doch die Wende brachte Amerikas indirektes Eingreifen: US-Präsident Jimmy Carter strich den Sowjets kurzerhand die dringend benötigte und bereits zugesagte Weizenlieferung im Wert von zwei Milliarden Dollar. Er reduzierte den Luftverkehr mit Russland, stoppte den Export von Erdöltechnologie und schränkte die Fischereirechte für russische Boote in US-Gewässern drastisch ein. Die kurze Phase der Annäherung zwischen West und Ost war vorbei, der Kalte Krieg bestimmte wieder die politische Agenda.
"Die Sowjets hatten damit gerechnet, dass die Welt ihr Vorgehen als präventiven Akt akzeptiert", erklärt Forscher Hussain. " Immerhin ein Viertel der Bevölkerung der Sowjetunion war muslimisch, und Moskau hatte Sorge, dass dieser Brand über Afghanistan auf die Sowjetunion übergreift." Und das nicht ohne Grund. In Iran war es zu einer islamischen Revolution gekommen, am 4. November 1979 hatten religiöse Studenten die US-Botschaft in Teheran gestürmt und amerikanische Diplomaten als Geiseln genommen - ein Drama, das mehr als ein Jahr andauern sollte.
Aber die Welt hatte noch mehr Angst vor dem Hegemoniestreben der Sowjetunion als vor einem aggressiven Islam. Insgesamt 34 Länder beschlossen, gegen die sowjetische Aggression vorzugehen. In den Augen der USA war jeder "Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen", als "Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet und mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer" zu beantworten. Zwar mischten sich die USA nicht direkt in den Krieg ein. Doch Pakistan, Afghanistans östlicher Nachbar, sollte Geld und Waffen erhalten, um den Widerstand gegen die Sowjets zu dirigieren.
"Der einzige Ort, an dem Amerikaner Russen töten können"
Mehr als sechs Milliarden US-Dollar flossen allein im Rahmen einer Geheimoperation der CIA nach Pakistan, noch einmal so viel aus Saudi-Arabien. Im Alleingang setzte der US-Kongressabgeordnete Charlie Wilson aus Texas eine Verdopplung der amerikanischen Hilfe für die afghanischen Widerstandskämpfer von fünf auf zehn Millionen Dollar durch. Sein Argument: Schließlich sei Afghanistan "der einzige Ort auf der Welt, an dem Amerikaner Russen töten können". Damit die Finanzhilfe nicht allzu offensichtlich wurde, versteckten eingeweihte Politiker die Zahlungen über Jahre geschickt im US-Haushalt.
Der pakistanische Geheimdienst ISI steuerte den Fluss der Mittel an die Mudschahidin, die "Heiligen Kämpfer". Die Pakistaner waren dankbar, den Kampf unterstützen zu können, denn sie hatten selbst noch eine Rechnung mit den sowjetischen Ungläubigen offen, seit Stalin das muslimische Pakistan als "primitiven Staat" abgetan hatte. Nun plötzlich kämpften die bärtigen Turbanträger statt mit Steinzeitflinten mit modernen Hightech-Waffen und holten mit amerikanischen Stinger-Raketen die bis dahin praktisch unverwundbaren Kampfhubschrauber der Sowjets vom Himmel.
Aus den zeitweise vier Millionen afghanischen Flüchtlingen in Pakistan rekrutierten die in sieben Parteien organisierten Mudschahidin neue Kämpfer. "All diese Gruppen hatten ihre Zentralen im pakistanischen Peschawar", weiß Rifaat Hussain. Die Kinder an den Schulen in den Flüchtlingslagern Pakistans erhielten Lehrbücher aus den USA, gedruckt im Bundesstaat Nebraska. Das Alphabet wurde ihnen fortan mit "i" für "infidel", der Ungläubige, "j" für "jihad", der Heilige Krieg, und "k" für "Kalaschnikow" beigebracht. In Mathematik wurde berechnet, wie viele Sowjets in Afghanistan sind, wie viele getötet wurden und wie viele noch übrig waren.
Verheerende Bilanz
Die Intervention in Afghanistan wurde zu einer Schmach für die Sowjetunion. In einer Rede beschrieb Michail Gorbatschow, der gerade angetretene Generalsekretär der KPdSU, 1986 in Wladiwostok das Engagement in Afghanistan als "blutige Wunde", die geschlossen werden müsse. Drei Jahre später zog sich die Rote Armee geschlagen und zermürbt aus Afghanistan zurück. Das eingeschlossene Kabul war zum Schluss nur noch über eine Luftbrücke versorgt worden. Knapp 15.000 Soldaten der Roten Armee waren tot, Moskau hatte in zehn Jahren mehr als 85 Milliarden Dollar für den verlorenen Krieg ausgegeben. Zwei Jahre darauf begann sich die Sowjetunion aufzulösen.
Die USA wandten sich ebenfalls von Afghanistan ab - Mission erfüllt. Doch was das für das Land am Hindukusch und die Welt zur Folge hatte, ist noch heute zu spüren.