Extrabreit-Sänger Kai Havaii: »Erfolg war der Punk-Polizei höchst verdächtig« (original) (raw)

SPIEGEL: »Kai Havaii, die Sirene aus Übersee« – Ihren Künstlernamen verdanken Sie, Kay Schlasse, dem Extrabreit-Gründer und Gitarristen Stefan Klein alias Kleinkrieg. Gab's in über 40 Jahren Kleinkrieg?

Kai Havaii: Heftigst sogar. Wir sind uns auch mal backstage an die Gurgel, als wir über Zugaben stritten. Lange her, wir haben uns immer zusammengerauft, und dann kam was Gutes raus. Manchmal fliegen zwischen uns die Fetzen, aber am Ende des Tages sind wir die besten Freunde. Weil wir uns gegenseitig sehr respektieren. Wir haben auch einen ähnlichen Humor.

SPIEGEL: Nach zwölf Jahren überraschen Sie die Fans mit dem neuen Album »Auf Ex«. Wie kommt's?

Havaii: Wir haben immer wieder mal Songs geschrieben, waren aber auch mit anderen Projekten beschäftigt, ich mit meinem ersten Roman »Rubicon«, einem Mafia-Thriller, und Stefan mit Soloplatten. Unser Album hat auch mit Corona zu tun: Wir können jetzt nicht live spielen und wollten die Zeit trotzdem nutzen.

SPIEGEL: »Die Fressen aus dem Pott« heißt Ihre neue Single. Eine Liebeserklärung ans Ruhrgebiet?

Havaii: Ja, hier lebt ein angenehmer Menschenschlag, geradeaus, unaufgeregt, mit unverblümter Sprache. So sind wir. Das Ruhrgebiet ist im Prinzip eine einzige große Stadt. Mit Industrieanlagen und grauen Mauern, aber auch mit vielen Grünflächen und schönen Landschaften. Hagen ist unsere Heimat. Wir haben seit unserer Jugend immer Richtung Pott geblickt, nie in die düsteren, verregneten Täler des Sauerlandes, und uns immer als stolze Söhne der Ruhrgebietskultur begriffen.

SPIEGEL: »Komm nach Hagen, werde Popstar, mach dein Glück«, heißt der Titel eines früheren Extrabreit-Songs.

Havaii: Eine ironische Beschreibung des Hagen-Hypes: Grobschnitt waren die erste Band mit überregionalem Erfolg, dann kamen Nena und wir. In der Stadt war 'ne Menge los. Die »Bravo« hat das kleine Hagen als »deutsches Liverpool« bezeichnet. Wir haben das genossen, machen uns im Song aber auch ein bisschen darüber lustig, weil wir es übertrieben fanden, wie der Ort damals gehypt wurde.

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SPIEGEL: Wie kamen Sie zur Musik?

Havaii: Wenn meine Eltern ihre Ruhe wollten, haben sie mich Steppke vor die Musiktruhe gesetzt. Ich bin mit Schlagern der Fünfziger- und Sechzigerjahre sozialisiert worden, zum Teil gar nicht so unwitzig, Nummern wie »Kriminaltango«. Später kam Rock, Creedence Clearwater Revival, die Beatles, die Stones. So entdeckte ich auch Chuck Berry, und Ende der Siebziger war David Bowie mein größter Held.

SPIEGEL: Mit »Hurra, hurra, die Schule brennt« lieferten Sie die Jugendhymne der Achtziger. War da Alice Coopers »School's out« Vorbild, oder »Rock'n'Roll High School« von den Ramones?

»Tatü tataa, tatü tataa, die Feuerwehr ist auch bald da. Es brennt so gut, bald sieht man nur noch Glut, wo eben noch die Schule war.«

»Hurra, hurra, die Schule brennt«

Havaii: Nicht wirklich. Unser Drummer kam mit den ersten Akkorden, die nach Kinderlied klangen. Das brachte mich auf die Idee, ein Lied für Kids zu schreiben, aber subversiv, aufmüpfig. Mir fiel ein passender Text ein, Stefan die unsterbliche Melodie. Die Nummer landete 1980 auf unserer ersten Scheibe, dann passierte... gar nichts. Erst zwei Jahre später wollte unsere Plattenfirma den Song als Single auskoppeln, das würde super zur Neuen Deutschen Welle passen. Und so wurde er unser größter Hit. Dennoch ein komisches Gefühl, vor allem weil wir auf der zweiten Platte eine andere, etwas düstere New-Wave-Richtung eingeschlagen hatten.

SPIEGEL: Kann man das mit 63 noch singen?

Havaii: Live auf der Bühne habe ich damit überhaupt kein Problem, alles cool. Diesen Klassiker mit dem Publikum zu zelebrieren, macht einfach Spaß. Klar, heute könnte ich so einen Song nicht mehr schreiben. Das wäre albern.

SPIEGEL: Kein Extrabreit-Interview ohne die drei Buchstaben...

Havaii: ...N-D-W, klar. Das Problem mit diesem Etikett ist, dass ihm etwas Unseriöses anhaftet, so eine kurze Zeiterscheinung, die man künstlerisch nicht ganz ernst nehmen muss. Dabei war das Spektrum dieser kulturellen Bewegung sehr breit: DAF, Abwärts, Fehlfarben auf der einen Seite – und Markus, Ixi oder Hubert Kah auf der anderen. Die kann man nun wirklich kaum in einen Topf werfen. Aber eine Gemeinsamkeit gab es eben doch: Plötzlich wurde nur noch deutsch gesungen, es gab einen ganz neuen Umgang mit der eigenen Sprache in der populären Musik. Das war ein kreativer Schub, bei uns inspiriert von Punk und New Wave aus England. Aber statt internationale Acts zu kopieren, wollten wir eine eigene Ausdrucksform finden und über die eigene Alltagswelt singen.

SPIEGEL: Plötzlich waren Sie mittendrin, in dieser knallbunten Bewegung.

Havaii: Das hat uns nicht nur gutgetan. Unter der Neuen Deutschen Welle wird oft nur diese bonbonbunte Spaß-Abteilung verstanden. Waren wir nie. So hatten wir Erfolg, aber nach dem Hype das Problem, als eigenständige Rock'n'Roll-Band wahrgenommen zu werden. Jemand hat uns mal als die »unfreiwilligen Helden der NDW« bezeichnet, das passt. Und die »Bravo« nannte uns »die Bad Boys«, auch nicht schlecht.

SPIEGEL: Die Punk-Avantgarde blickte damals etwas verächtlich auf Extrabreit.

Havaii: Klar. Kommerzieller Erfolg war den Puristen und der Punk-Polizei höchst verdächtig. Oder dass Bands bei großen Labels unterschrieben. Es gab manche Anwürfe, über die ich richtig beleidigt war, als man uns etwa unterstellte, wir würden nur posen und hätten uns einem Trend angehängt. Das war Unsinn. Als die Band 1978 begann, gab es die Deutsche Welle noch überhaupt nicht. Punk war unser größter Einfluss. Stefan kaufte sich seine erste Gitarre, nachdem er »Holidays In The Sun« von den Sex Pistols gehört hatte. Auch The Clash haben uns elektrisiert.

SPIEGEL: 1981 sorgten Sie für Trubel mit dem Song "Polizisten" ...

Havaii: Damals lief eine Aufrüstung der Polizei, personell wie auch bei den Ermittlungsmethoden, elektronische Datenerfassung etwa. Sicher Nachwehen des RAF-Terrors, aber ich fand das überzogen. Es gab Sprüche wie »Haut die Bullen platt wie Stullen« – in diese Richtung wollte ich mit dem Song definitiv nicht! Ich habe die Leute, die Staatsautorität verkörpern, immer noch als Menschen gesehen. Und Polizisten als Menschen mal deftig auf den Arm zu nehmen, hat mich gereizt. Gerade wegen der wachsenden, auch einschüchternden Polizeipräsenz. Wir bekamen das zu spüren, als die Hagener Polizei uns regelrecht Alkoholkontroll-Fallen stellte. Es kam vor, dass Beamte abends vor der Haustür auf uns warteten und eine Alkkontrolle durchführten, zweimal sogar erfolgreich (lacht). Auf der Wache interessierte die Beamten, was ich mit »dem Scheißlied« denn so verdient hätte. Heute fragen uns Polizisten bei Festivals nach Selfies.

»Polizisten speichern, was sie wissen, elektronisch ein. Alles kann ja irgendwann und irgendwie mal wichtig sein. Polizisten wissen, was zu tun ist, denn sie haben Funkverkehr.«

»Polizisten«

SPIEGEL: Wie ist Ihr Verhältnis zu den Toten Hosen und den Ärzten?

Havaii: Gut. Wir haben ihre Wege verfolgt und gestaunt, wie beide Bands nach oben kamen und blieben. Da ist Bewunderung, vielleicht auch mal ein bisschen Neid, wo ich mir sage: Mensch, das hätten wir auch so haben können. Dass unsere Karriere dagegen eher einer Achterbahn glich, hatte viele Gründe, und wir hadern nicht damit. Fest steht, dass die Ärzte und die Hosen tolle Songs gemacht haben und ihren Weg sehr konsequent gegangen sind. Da kann ich nur sagen: Chapeau!

SPIEGEL: Die Ärzte spielten kürzlich in den »Tagesthemen« das Intro und sprachen über die Corona-gebeutelte Musikszene. Gute Aktion für eine Rebellen-Band?

Havaii: Ein schöner Marketing-Coup für ihr neues Album, geschickt kombiniert mit einer unangreifbaren Message. Why not? Wir hätten das sicher auch gemacht. So was Ähnliches gab es bei Extrabreit sogar schon: 1983 eröffnete Nachrichtensprecher Werner Veigel per Video im »Tagesschau«-Look unsere Liveshows.

SPIEGEL: Udo Jürgens soll 1982 für Ihren Rauswurf aus einer Hotelbar gesorgt haben. Was war da los?

Havaii: Im Park Hilton in München haute unser Gitarrist Uli Ruhwedel ihm an der Bar von hinten auf die Schulter: »Na, Bockelmann, du olles Arschloch, wie geht's denn so…« Udo war angepisst, das war ja auch ein bisschen out of order. Wir wurden höflich gebeten, die Bar zu verlassen. Alberne Geschichte. 1996 habe ich dann Udo Jürgens bei Harald Juhnkes Silvestershow getroffen. Er kam mir mit ausgebreiteten Armen entgegen und meinte: »Schön, dass wir uns auch mal kennenlernen.« An den Münchner Vorfall konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Wir haben an der Bar einen Gin Tonic getrunken, er schnorrte eine Zigarette mit den Worten »Ich rauch ja eigentlich nicht, aber wo wir gerade so schön zusammensitzen...« Ein wirklich netter Mensch, ein absoluter Könner mit tollem Gespür für Songs, die den Zeitgeist transportieren.

SPIEGEL: Apropos Entertainment-Legenden – mit Harald Juhnke sangen Sie 1996 in »Nichts ist für immer«: »Die einen lecken Ärsche, die andern zählen Geld, noch andre trinken heimlich, das ist nicht unsre Welt...«

Havaii: Genau. Damals wohnte ich in Berlin, Stefan und ich hatten den Song bereits geschrieben mit Harald Juhnke im Kopf. Er hat sich das Demo angehört und zugesagt. Bewundernswert, wie Harald in seinen Videoszenen mit einem kleinen Augenbrauen-Hochziehen ganz viel ausdrücken konnte. Er hatte etwas Geniales.

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SPIEGEL: Wie war Juhnke drauf?

Havaii: Gut. Es gab kein Gelage. Als wir ins Studio gingen, hatte er gerade eine »trockene Phase«. Aber kurz darauf ist er komplett abgestürzt, tagelang in einem Berliner Hotel mit einem blutjungen Mädchen aus der Provinz, einem Fan. Die Boulevardpresse saß damals quasi mit im Bett. Das war ihm nachher furchtbar peinlich. Der flapsige Text unseres Duetts passte nicht mehr so gut zu seiner Situation, wir haben die Videoveröffentlichung verschoben. Heute ist das Geschichte und immer noch ein schöner Song.

SPIEGEL: Zuvor hatten Sie bereits mit Hildegard Knef »Für mich soll's rote Rosen regnen« aufgenommen. Wie haben Sie die Superdiva erlebt?

Havaii: Wir verabredeten uns in einem Wiesbadener Nobelhotel und wateten durch knöcheltiefe Teppiche zu einem Salon. Da saß Hilde am Tisch, voll aufgebretzelt. Wir stellten uns artig vor: »Guten Abend, Frau Knef!« Und sie ganz cool, mit dieser unnachahmlichen Raucherstimme: »Hallo, Juuuungs…« Die Stimme allein, dazu ihre Scheinwerferaugen, sehr beeindruckend. Die Chemie zwischen uns stimmte. Hilde verkörperte den Typus einer Diva aus einer anderen Zeit. Dabei war sie im Umgang unheimlich locker und liebte schwarzen Humor. Sie hat auch gern mal eine Zote erzählt, Geschichten von Marlene Dietrich oder Marilyn Monroe. Das war immer eine super Märchenstunde, bei Rotwein an der Bar. Bis sie sagte: »Jetzt wird's aber Zeit für mich, Jungs.« Wir konnten gar nicht genug kriegen von ihr und ihren Storys: »Komm, Hilde, einen haste noch!« War eine schöne Zeit.