Mickey Rourke, Paul Newman, Geena Davis: Filmstars und ihre Zweitkarrieren (original) (raw)
Der Saal in Fort Lauderdale war am 23. Mai 1991 bis auf den letzten Platz gefüllt: Jeder der 2300 Boxkampfbesucher im War Memorial Auditorium wollte sehen, wie einer der bekanntesten Leinwand-Schönlinge der Welt mal so richtig vermöbelt wird.
Ihr ausgemachtes Opfer: Mickey Rourke. Als Frauenschwarm mit Bad-Boy-Manieren hatte er in Filmen wie "9 ½ Wochen", Yuppie-Erotik mit Fesselgedöns, vor allem weiblichen Fans den Kopf verdreht. Aber konnte sich der "Rebell Hollywoods" auch als Boxer behaupten? Daran glaubte an diesem Abend kaum jemand.
Unter Buhrufen kletterte der Schauspieler mit goldgelben Satin-Shorts und aufgestickten grünen Kleeblättern in den Ring. Sein tänzelnder Gang wirkte für die Zuschauer, darunter viele Vietnam-Veteranen, fast noch aufgesetzter als die weiße Limousine, mit der er vorgefahren war. Klarer Fall: Dieser Maulheld konnte nicht gewinnen, der Kampf nicht lange dauern.
Und doch kürten die Wertungsrichter Mickey Rourke vier Runden später zum Sieger. Es war der erste von acht Kämpfen, die er in den folgenden drei Jahren bestritt. Und kein einziges Mal verließ er den Ring als Verlierer.
Zwar hatte Rourkes erster Gegner, der Mechaniker Steve Powell, ihm gleich zu Beginn mit einem heftigen Schlag eine blutige Platzwunde über dem Auge zugefügt. Doch wie in späteren Kämpfen machte Rourke einfach weiter. Nicht einmal die Pfiffe der Zuschauer hätten ihn aus dem Konzept gebracht, erzählte er später seinem Biografen Sandro Monetti; jede einzelne Minute habe er geliebt.
Zu dieser Zeit war seine Schauspielkarriere ins Stocken geraten. Obwohl er mit Filmen wie "Rumble Fish" oder "Angel Heart" Kassenhits eingefahren hatte, wollten immer weniger Regisseure mit Rourke drehen. Er galt als aufsässig, hielt sich nicht an Regeln. Im strikt durchgetakteten Hollywood, wo jeder Drehaufschub Tausende Dollar kostet, konnte er sich diese Allüren nicht erlauben.
Kampfname "Marielito"
Und so verdiente Rourke, während die Filmangebote rarer wurden, eben als Profiboxer sein Geld. Ursprünglich wollte er unter dem Pseudonym Romeo Florentino antreten - nichts sollte an Hollywood erinnern. Doch die Promoter wollten von Rourkes Bekanntheit profitieren. Ein Schauspieler, der zum Boxer wurde: damit konnte man die Massen erreichen.
Man einigte sich auf einen Mittelnamen. Im Ring trat er als Mickey "Marielito" Rourke auf. Ein kubanischer Spitzname wie bei Gang-Mitgliedern in Miami; Mariel war einer der Seehäfen, von denen viele Kubaner in die USA geflohen waren.
Foto: imago/United Archives
Rourke kannte das aus seiner Kindheit in Miami; schon als Jugendlicher hatte er mit kubanischen Einwanderern in kleinen Boxschulen gekämpft. Später ging er in das Studio, in dem einst Muhammad Ali trainierte. Doch statt fürs Boxen entschied er sich für die Schauspielerei. Nun, da es mit dem Filmgeschäft aus zu sein schien, konnte er seinen Jugendtraum verwirklichen.
In Hamburg ausgepfiffen, in Tokio gefeiert
Mit der Zeit stieg das Preisgeld für Rourkes Kämpfe. Brachte ihm sein erster Sieg 1991 noch mickrige 250 Dollar ein, kam er mit seinen acht Kämpfen schließlich auf eine Summe von mehr als einer Million Dollar.
Vor allem anfangs versuchte er noch, in den Monaten zwischen zwei Kämpfen kleine Kinorollen zu übernehmen. Doch Schauspieler mussten am Set versichert sein. Und keine Versicherung wollte einen Boxer aufnehmen.
Mickey Rourke war's egal: Nun tourte er halt als Kämpfer durch die Welt. In Spanien siegte er 1992 nach vier Runden, in Hamburg gelang ihm 1993 ein technischer K.o. Auch hier pfiffen ihn die Zuschauer aus - weshalb Rourke bis heute in Interviews unterkühlt über die Hansestadt spricht. Besonders gefeiert wurde er bei einem Kampf in Tokio, da er in Japan auch in Werbefilmen aufgetreten und sehr beliebt war.
Als Quentin Tarantino ihm 1993 die Rolle des Boxers Butch Coolidge in "Pulp Fiction" antrug, lehnte Rourke ab. Der Film siegte bei den Filmfestspielen in Cannes und ist bis heute Kult - mit Bruce Willis in der Boxer-Rolle. "Es war ein Fehler, das Angebot abzulehnen", sagte Rourke später seinem Biografen. Doch damals zählte für ihn nur der nächste Kampf in Kansas: Er besiegte seinen Gegner Tom Bentley in der ersten Runde.
"Sie werden nicht in der Lage sein, das Geld zu zählen"
Auch wenn er weiter gelegentlich als "größter Schwindler Floridas seit Vanilla Ice" verspottet wurde, kamen bis zu 15.000 Menschen zu seinen Kämpfen. Langsam glaubte man Rourke, wenn er von dem großen Traum sprach, ein Turnier der World Boxing Organization zu bestreiten, also bei einem der rivalisierenden Boxverbände, die Weltmeistertitel vergeben.
Doch gerade als er das erste Angebot für einen WBO-Kampf erhielt, begannen die Gedächtnislücken: Rourke konnte sich nicht mehr erinnern, was er am Tag zuvor gemacht hatte. Gleichgewichtsstörungen kamen dazu. Bei einem neurologischen Test aus Sicherheitsgründen fiel er glatt durch. Sein Arzt warnte ihn: "Sie müssen sofort mit dem Boxen aufhören."
Als Rourke dem Neurologen erzählte, wie viel er für seinen WBO-Kampf bekommen würde, war dessen trockene Antwort: "Sie werden nicht mehr in der Lage sein, das Geld zu zählen." Ein ärztlicher Wirkungstreffer, 1994 gab Rourke seinen Box-Ausstieg bekannt. Die Bilanz dieser Zeit: zwei Nasenbrüche, eine gespaltene Zunge, ein verschobener Wangenknochen.
Erst vier Jahre und zahlreiche plastische Operationen später war er wieder "leinwandtauglich" - verbeult und wieder ausgebeult, von Schönling konnte keine Rede mehr sein.
Dennoch - oder gerade deswegen - bekam Rourke 2008 die Rolle seines Lebens: "The Wrestler", die Geschichte eines gealterten Wrestling-Haudegens, der noch einmal in den Ring steigt, um es allen zu zeigen. Als Rourke dafür einen Golden Globe erhielt und für den Oscar nominiert wurde, punktete er in seinem eigenen Kampf um Anerkennung in Hollywood. Ein später Triumph.
Die Fitness-Queen und der Schuster
Trotzdem kehrte er 2014 noch einmal in den Ring zurück. In Moskau gewann der ergraute Rourke, mittlerweile 62 Jahre alt, in der zweiten Runde gegen Elliot Seymour. Es war allerdings leicht erkennbar ein Schaukampf und sein Gegner als "Fallobst" angeheuert: dafür bezahlt, zu Boden zu sinken, bevor er Schaden anrichten könnte.
Mickey Rourke ist vielleicht der extremste Fall eines Schauspielers, der es mit einer Zweitkarriere probierte. Aber beileibe nicht der einzige: So machte Oscar-Preisträgerin Geena Davis als Bogenschützin von sich reden, kam sogar bei der US-Qualifikation für Olympia 2000 ins Halbfinale. Der knorrige Paul Newman versuchte sich auf seine alten Tage als Rennfahrer - er gewann als 70-Jähriger mit seinem Team das 24-Stunden-Rennen in Daytona. Und Daniel Day-Lewis, dreifacher Oscar-Gewinner, verkündete bereits in den Neunzigerjahren sein Karriereende, weil er sich endlich praktischeren Dingen widmen wollte: als Schuster.
Ob Obstzüchter, Vortunerin oder Wodka-Verkäufer, US-Botschafterin oder sogar Präsident: Sehen Sie in der einestages-Fotostrecke , welche überraschenden Zweitjobs berühmte Schauspieler noch aufnahmen.