Moses Pelham vs Kraftwerk: "Grundrecht auf Sampeln" (original) (raw)
Moses Pelham
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Sebastian Möllmann arbeitet als Rechtsanwalt in Köln. Er ist spezialisiert auf Urheberrecht und berät unter anderem Produzenten, Musiker und Plattenfirmen. In den Neunzigern rappte er selbst unter dem Namen "Schivv" als Mitglied der Kölner Hip-Hop-Crew "Die Coolen Säue".
SPIEGEL ONLINE: Herr Möllmann, wieso entscheidet das Verfassungsgericht über Kunst und Musik? Normalerweise werden da doch Atomausstieg und Eurorettung verhandelt.
Sebastian Möllmann: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet dann, wenn sich Personen in ihren Grundrechten verletzt fühlen. In diesem Fall hat sich Moses Pelham durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) verletzt gefühlt und eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, widerstreitende Grundrechte in Einklang zu bringen.
SPIEGEL ONLINE: Um welche Grundrechte ging es?
Möllmann: Das Gericht musste entscheiden, ob das Grundrecht auf künstlerische Betätigung von Moses Pelham überwiegt, oder die Eigentumsrechte und Verwertungsinteressen von Kraftwerk. Und so auch die Frage, ob das Sampeln schon als künstlerische Betätigung anzusehen ist. Das Verfassungsgericht hat das nun ausdrücklich bejaht. Ich denke, Hip-Hop-Künstler- und Produzenten werden sich im ganzen Land abklatschen.
SPIEGEL ONLINE: Wieso?
Möllmann: Durch dieses Urteil hat die Recycling-Kultur des Hip-Hop, einschließlich die Kunstform des Sampelns - also das Suchen und Auffinden verborgener musikalischer Perlen, das Isolieren oftmals obskurer Sequenzen aus diesen Aufnahmen, das Zerschneiden, das Neuzusammensetzen, das Pitchen, Editieren und Mixen - nun verfassungsrechtliche Anerkennung erlangt. Teil der Rapkunst ist es, durch die Verwendung von bereits existierenden Tonaufnahmen eine künstlerische Auseinandersetzung einzugehen - und die bestehende Kunst in eine andere Kunstform zu überführen. Man schafft also Kunst aus Kunst.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern hat das Urteil diese Art der Kunst bestärkt?
Möllmann: Der BGH hatte geurteilt, dass neben den bereits bestehenden Regeln ein Sample nur dann ohne Einwilligung des Rechteinhabers genutzt werden darf, wenn man dieses Sample nicht selber nachspielen kann. Das Verfassungsgericht hat nun in einer "kunstspezifischen Betrachtung" festgestellt, dass es darauf nicht ankommt und so den speziellen Eigenschaften der Kunstform Hip-Hop Rechnung getragen. Denn darin geht es ja darum, das Original zu verwenden. Das von Pelham verwendete Sample war sehr kurz und für Kraftwerk ist dadurch nach Auffassung der Richter kein Schaden entstanden, so dass Pelhams künstlerische Freiheit im konkreten Fall das Verwertungsinteresse von Kraftwerk überwiegt.
SPIEGEL ONLINE: Pelham hatte nur zwei Sekunden aus dem Track von Kraftwerk übernommen. Heißt das, die Länge des Samples spielt eine Rolle?
Möllmann: Es gab bisher unter vielen Musikern den Irrglauben, dass eine unlizenzierte Sampleverwendung rechtens sei, wenn man beispielweise weniger als vier Sekunden oder nur eine bestimmte Anzahl an Takten einer Aufnahme übernimmt, was so nicht stimmte. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts spielt die Kürze des verwendeten Samples nun doch eine Rolle. Leider beinhaltet es aber keine konkretere Erkenntnis dazu, wie lange ein Sample sein darf und wie lang nicht. Was sich aber aus der Entscheidung ableiten lässt: Ein rechtlich einwandfreies Sample, zu dem man keine Einwilligung des Rechteinhabers eingeholt hat, sollte einen geringen Umfang haben und einen zeitlichen und inhaltlichen Abstand zum Originalwerk aufweisen
SPIEGEL ONLINE: Darf Pelham den Song nun wieder vertreiben?
Möllmann: Zuerst wird der BGH unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts neu entscheiden müssen. Das wird sicher noch ein paar Jahre dauern.
SPIEGEL ONLINE: Es war also nur ein symbolischer Sieg für Pelham?
Möllmann: Darum ging es ja auch. Pelham wollte Sampling als Kunstform akzeptierbar machen, es als künstlerische Leistung würdigen lassen. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ist das Sampling jetzt offiziell eine künstlerische Betätigung. Das ist bedeutsam, denn bisher wurde Sampling eher als Diebstahl oder Kopie angesehen. Jetzt gibt es ein Grundrecht auf Sampeln. Das Bundesverfassungsgericht hat wörtlich geurteilt, dass die Kunstfreiheit eben auch das Recht auf künstlerische Auseinandersetzung mit vorhandenen Tonträgern umfasse.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist das Sampling gerade im Hip-Hop so wichtig?
Möllmann: Hip-Hop entstand in den afro-amerikanischen Ghettos, dort, wo es an vielem fehlte. Es war eine Kultur der Unterprivilegierten. Also nahm man sich, was schon da war, den Jazz, den Funk, man setzte sich mit der eigenen Musikhistorie auseinander und transformierte sie in einen urbanen, zeitgemäßen Kontext. Im Hip-Hop wurde recycelt, um eine eigene Identität zu schaffen. Einer der ersten relevanten Hip-Hop-Songs war ja "Planet Rock" von Afrika Bambaataa. Und der bestand ironischerweise aus einem Mash-up von zwei Kraftwerk-Songs. Kraftwerk gehört also zur Geschichte des Samplens dazu.
SPIEGEL ONLINE: Aber eben darum hätte Pelham doch einfach fragen können?
Möllmann: Hätte er. Das Verfassungsgericht hat jedoch - recht künstlerfreundlich - gesagt, es würde ihn in seiner Kunstfreiheit beschränken, wenn er erst fragen müsste. Der Moment des Komponierens ist also nach Auffassung des Verfassungsgerichtes keiner, den man mit juristischen Vorfragen belasten will, das stört den Fluss. Pelham hat damals nach eigener Aussage ja einfach in seiner Sample-Datenbank nach einer kalten Rhythmussequenz gesucht. Hätte er erst bei Kraftwerks Anwälten anrufen müssen, wäre er nach Einschätzung des Gerichts in seiner künstlerischen Betätigung gehemmt gewesen.
SPIEGEL ONLINE: Sie waren vor Ihrer Karriere als Anwalt selbst Rapper, als Teil der Kölner Crew Die Coolen Säue. Haben Sie damals auch ohne Erlaubnis gesampelt?
Möllmann: Damals war alles noch nicht so verrechtlicht wie jetzt durch das Kraftwerk- und auch das Bushido-Verfahren. Denn bis auf die beiden gab es noch keine gerichtlich ausgetragenen Sample-Streitfragen in Deutschland. Es gab damals schon größere Freiheit beim Sampeln, es war eine Kunstform, die geduldet wurde. Aber heute ist jeder Künstler, der ein breiteres Publikum erreichen will, gut beraten, sich vorher die Einwilligung des Rechteinhabers einzuholen.
SPIEGEL ONLINE: Droht nach dem Pelham-Urteil nicht eher das Gegenteil? Dass sich Künstler eben nicht mehr die Erlaubnis einholen?
Möllmann: Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Produzenten und Künstler in Zukunft mehr trauen werden. Aus meiner Sicht trifft die Entscheidung des Gerichts aber nur die Kleinstverwendung mit zeitlichem und inhaltlichem Abstand zum Original, also so gesehen der Überführung in ein anderes Genre. Und weiterhin bleibt die zustimmungsfreie Übernahme von Melodien urheberrechtsgesetzlich ausgeschlossen. Weil das Verfassungsgericht aber keine Aussage zum Umfang von Samples gemacht hat, lässt sich keine abschließende Rechtssicherheit entnehmen. Es wird auch weiterhin Einzelfallentscheidungen geben.