Der Bastler (original) (raw)

Wenn die Bremer das erst einmal erkannt haben, werden sie vermutlich den Namen Lloyd völlig von der Arabella nehmen. Die gegenwärtige Praxis jedenfalls, ein und dasselbe Automobil in je einer mehr oder weniger luxuriösen Ausführung einmal als Lloyd und einmal als Borgward anzubieten, ist verkaufspsychologisch widersinnig.

Unstete. Verkaufspolitik und Preisexperimente aber können gerade in der gegenwärtigen Marktsituation gefährlich werden. Die goldenen fünfziger Jahre der Automobilindustrie sind selbst nach dem Urteil des VW-Generaldirektors Nordhoff vorüber, und der »Volkswirt« in Frankfurt konstatierte süffisant: »Der Pkw ist aus einem Verteilerartikel wieder zu einem Verkaufsartikel geworden. Das mitleidige Lächeln, mit dem die Verkäufer die Käufer betrachteten, ist einer lange vermißten Zuvorkommenheit gewichen.«

Aufgrund gestiegener Einkommen zieht es den Wohlstandsbürger zu größeren und komfortableren Fahrzeugen. Für die Kleinwagen-Produzenten wirkte sich der daraus resultierende Absatzrückgang um so fataler aus, als Westdeutschland ohnehin rund die Hälfte aller hergestellten Automobile exportierte, der Weltmarkt aber gleichfalls rückläufig tendiert. Carl Borgward schickt sogar mehr als die Hälfte (63,6 Prozent) seiner Personenwagen außer Landes. Neben dem Mißerfolg seiner Arabella bedrängt ihn deshalb die allgemeine Absatzflaute für Kleinwagen in Deutschland und Übersee sehr hart.

Vor allem aus den USA, aus Venezuela und Südafrika treffen seit April schlechte Nachrichten in Bremen ein. Borgwards Händler in Amerika hatten für 1960 noch optimistisch 15 000 Fabrikate aller drei Werke vorbestellt, 12 000 Stück nahmen die Bremer in ihre Produktionsplanung auf. Nach dem Auftauchen der amerikanischen Compactcars müssen die Verkaufschefs in Bremen nun froh sein, wenn die Amerikaner 6000 abnehmen. Borgwards kleine Typen sind in USA völlig abgemeldet.

Die Folgen dieser Marktschwäche kann in Bremen niemand übersehen: Auf den Werkshöfen stehen, in eine dicke Wachsschicht eingehüllt, bereits mehrere Tausend unverkaufte Fahrzeuge, eine Vielzahl davon Arabellen. Alle drei Werke haben deshalb die Tagesproduktion für Pkw gedrosselt:

- Lloyd von 250 Stück auf 110,

- das Stammwerk Borgward von 180 auf 140 und

- Goliath von 70 auf 35 Stück.

Wie noch nie in der identischen Borgwardschen Firmen- und Familiengeschichte kommt es diesmal für den Konzernherrn darauf an, die Durststrecke bis zum Beginn der neuen Verkaufssaison zu überbrücken. Borgward weiß: »Wir müssen jetzt die schwierige Ecke zum nächsten Frühjahr hinter uns kriegen, und wenn man keine überflüssigen Mittel im eigenen Haus hat, ist das ziemlich schwierig.«

Sein Haus war schon immer knapp bei Kasse. Zum erstenmal aber ist in Frage gestellt, ob es sich überhaupt als Familien-Unternehmen halten kann oder der industriellen Konzentration zum Opfer fällt. Borgwards Unternehmer-Patriarchat und die nach gewerblichen Prinzipien betriebene Wirtschaftsführung wirken im Großraummarkt der EWG ohnehin anachronistisch.

Borgwards gesamte Gruppe stellt am westdeutschen Pkw-Bestand einen Anteil von neun Prozent; daran sind im einzelnen die Werke Lloyd mit 6,1 Stammhaus Borgward mit 1,7 und Goliath mit 1,2 Prozent beteiligt.

Bei den Pkw-Zulassungen während der ersten neun Monate 1960 ergibt sich folgendes Bild: In der Klasse von 500 bis 999 ccm sind die Wagen Lloyd LP/

LT 600 und Arabella insgesamt mit 15 Prozent, in der Klasse von 1000 bis 1499 ccm - in der der VW allein 59 Prozent stellt - die Isabella-Wagen mit drei und die Goliath-Hansa-Wagen mit nur ein Prozent vertreten (siehe Graphik Seite 59).

Immerhin aber ist der mexikanische Honorarkonsul der letzte seit Jahrzehnten selbständige Automobilproduzent in Deutschland. An der Spitze seiner Firmengruppe steht die Einzelgesellschaft »Dr. Carl F. W. Borgward, Bremen« mit ihm als persönlich haftendem Einzelkaufmann.

Obwohl ihn schon die Geier der amerikanischen Super-Autofirmen umkreisen - die Chrysler-Corporation bot 200 Millionen Mark -, zeigt sich Carl F. W. Borgward entschlossen, seine Sonderstellung zu halten. Zum erstenmal allerdings pfeift der Marktwind so scharf um die Frühjahrsecke, daß er seinen Grundbesitz stärker belasten und mit Staatshilfe Geld aufnehmen mußte.

Die Bremer Landesbank bewilligte ihm 50 Millionen Mark Grundschuld -Darlehen, für das der Bremer Senat bis zur Höhe von zehn Millionen Mark bürgt. Sicherheiten sind genug vorhanden: Allein das Fabrikgelände umfaßt eine Million Quadratmeter, und der Vermögenstatus vom 30. September dieses Jahres ist mit 182 Millionen Mark recht stattlich.

Der gelernte Schlosser Carl Borgward hat sein Leben lang auf die wirtschaftliche Führung seines Unternehmens ein Minimum von Zeit verwendet. Jetzt zwingt ihn die Geschäftslage, sich ökonomnischen Problemen mehr zu widmen, als es seinen Neigungen entspricht. Er klagt, nun könne er sich viel seltener aus den »langweiligen Finanzberatungen« in das Konstruktionsbüro flüchten. Dieser Zeichen- und Modellierraum unmittelbar unter dem Chefzimmer im Stammwerk Bremen-Sebaldsbrück ist sein Lieblingsplatz. Borgward: »Das sine, was man möchte, das andere, was man muß. Hier ist meine Erholung.«

Mehr Bastler und Tüftler als Kaufmann, ist er sein eigener Chefkonstrukteur und Stilist. Im ganzen Konzern wird für die Karosserie-Formgebung kein anderer Mann beschäftigt. Ingenieur Lünsmann, der Leiter des Konstruktionsbüros, gilt in der Firma als verlängerter Zeichenstift des Firmeninhabers. Er setzt die Kohlestriche seines Herrn und Meisters in Zeichnungen und Berechnungen um. Konstrukteur Brandt, ein Motorspezialist, ist ebenso in erster Linie geistiger Handlanger Carl Borgwards.

Der Chef verknetet Unmengen angewärmten Plastilins. Mit einem Brotmesser formt er kleine Modelle, und die Lust am Fabulieren mit der Knetmasse ist letztlich bestimmend für die Vielzahl von Autotypen, die seine Werke produzieren mußten. Selbst daheim hat er sich eine Bastelwerkstatt eingerichtet, wo er an Hobelbank und Schraubstock allerlei Hausgerät und Gartenmöbel bastelt.

Ein freischaffender Spanier mit dem Vornamen Roberto darf ihn allenfalls devot beraten und weniger wichtige Stilfragen beeinflussen. Roberto beispielsweise entwarf das Armaturenbrett für die neueste Kreation des Hauses, den Borgward 2,3. Je nach der Stimmung, in die seine Bastelei den Auto-Modeschöpfer Borgward versetzt, fliegt Roberto wechselweise auf die Straße und wird in Ehren wieder eingestellt.

Die Stellmacherei der Firma muß die Holzteile bereitstellen, die der Konzernherr für die Übertragung seiner Plastikschöpfungen auf Holzmodelle in Naturgröße benötigt. Auch an die Prototypen der Fahrzeuge darf niemand anders als der Prinzipal letzte Hand legen. Borgward bestimmt ihr Aussehen bis auf die letzte Chromleiste.

Mit Recht ist er bei der Versandleitung gefürchtet: Der Hansa 1500 beispielsweise, sein erster Mittelklassewagen nach dem Krieg, sollte bereits für den Genfer Automobilsalon verladen werden, als Borgward eigenhändig noch eine Längsleiste anpappte. Begründung: »Ohne diese Leiste ist der Wagen nackt, und die Lampen sehen winzig aus.«

Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem neuen »Großen Borgward« mit 2,3 Liter Hubraum. Kurz vor der Auslieferung an die Händler signalisierte der Geschmackssinn des Alleininhabers, daß man wiederum noch eine Zierleiste an die Lampen heranführen müsse, so daß der Wagen (Listenpreis: 12 350 Mark, plus 800 Mark für Luftfederung und 980 Mark für »Hansamatic«-Getriebe) mit nicht weniger als vier Chromlinien verziert ist.

Die gesamte Fabrikation ist auf die Person des lebhaften, kleinen Mannes zugeschnitten, worunter die ganze Kundschaft leiden muß. Aus der in 220 000 Exemplaren verkauften Bremer Isabella schauen mittelgroße Fahrer wie Gnome heraus, weil Konstrukteur Carl Borgward zwar nur 1,66 Meter mißt, aber ein sogenannter Sitzriese ist: Er erfreut sich zu kurzen Beinen einer überdurchschnittlichen Rumpfgröße.

Sitzt der Chefkonstrukteur selbst am Steuer der Isabella, so schneidet er jegliche Kritik mit den Worten ab: »Ich weiß nicht, was ihr wollt. Ich sehe prima und bin doch auch nicht groß.«

Überhaupt geht Borgward mit seiner präsumtiven Kundschaft rauhbeinig um. Als er im Frühjahr 1950 den ersten Lloyd aus der Stellmacherei vorfahren ließ, setzten die Techniker zu Versuchszwecken eine lebensgroße Puppe in das neue Gefährt. Da der Wagen überaus klein geraten war, stieß die Puppe mit dem Kopf an die Decke. Carl F. W. Borgward löste das Problem der Proportionen durch einen kräftigen Schlag ins Genick, der die Versuchsperson zusammensacken ließt und mit dem Ausspruch: »So stolz brauchst du da auch nicht zu sitzen.«

So dient die Fabrikation in Bremen neben normalem Erwerbsstreben nicht zuletzt dem Hobby des Betriebsinhabers. Aus reiner Lust am Basteln entwickelt und baut der Fabrikant Autos wie beispielsweise einen anonym gebliebenen Vorläufer des neuen 2,3. Das Fahrzeug schafft mehr als 260 Stundenkilometer und hat das erstaunlich geringe Gewicht von weniger als 600 Kilogramm. An ihm kann sich sein Schöpfers in kindlicher Freude begeistern. Daß der Wagen wegen astronomischer Herstellungskosten niemals in Serie hergestellt und verkauft werden wird, stört ihn wenig.

Bis in den Bierkeller seines Landhauses in Bremen (6000 Flaschen jeglicher Provenienz lagern dort) ist Borgward von Zeichenblöcken und Knetgummi umgeben. Er meditiert über seine Schöpfungsmethode: »Also zuerst kommen die Eingeweide, das heißt, der Motor und das Getriebe, und man muß natürlich wissen, ob es ein Sechssitzer oder Viersitzer, werden soll. Ich baue von innen nach außen. Sie glauben nicht; was da alles rein muß. Das ist Wie bei einer Ziege, die sieht auch so schmal aus. Erst wenn man sie aufschneidet, merkt man, wieviel drin ist.«

Käufer des neuen 2,3-Liter-Wagens würden staunen, wenn sie wüßten, daß ihr Fahrzeug mehr oder weniger aus Versehen entstanden ist. Ursprünglich hatte Borgward nur vor, einen größeren Wagen als die traditionelle Isabella zu bauen. Denn den Bremern war klargeworden, daß viele ihrer arrivierten Kunden zum Mercedes oder Opel -Kapitän aufsteigen. Bastler Borgward und Konstrukteur Brandt hantierten deshalb in der Werkstatt mit Motor, Getriebe, Federn und Achsen des 1,5 -Liter-Typs herum und visierten einen Zwei-Liter-Wagen an.

Sie fanden, daß dafür ein völlig neuer Motor entwickelt werden müsse. Weil sie sich die Zeit dafür nicht nehmen wollten, nahmen sie den Motor der Isabella TS, ließen Hub und Bohrung unverändert und stockten lediglich den Motor um zwei Zylindereinheiten auf. Einmal im Zuge, versah Borgward das auf diese Weise entstehende Modell mit einem automatischen Getriebe und Luftfederung, an die sich selbst die kapitalkräftigsten amerikanischen Automobilbauer nach einigen mißglückten Versuchen nicht mehr heranwagen.

Darüber wurde eine neue Carl-Borgward-Karosserie gestülpt, und der Erfinder strahlte: »Jetzt ist das ein ganz anderer Wagen geworden, als wir dachten.«

Borgward ist ein ideenreicher Konstrukteur und Stilist, der bei jedem Automobilwerk der Welt eine hochdotierte Stellung verdienen würde. An der Spitze seines 20 000-Mann-Unternehmens aber fehlt das Korrelat einer auf Marktchancen und Wirtschaftlichkeit achtenden kaufmännischen Betriebsführung.

Eine Aktiengesellschaft mit Vorstand und Aufsichtsrat zum Beispiel würde von Borgwards sprudelnden Ideen unter dem Gesichtspunkt moderner Absatzwirtschaft nur die tragenden weiterentwickeln, dem sprunghaften Experimentieren jedoch Einhalt gebieten. In den Bremer Automobilwerken kann niemand verhindern, daß auch weniger aussichtsreiche Modelle in die Serienfertigung gehen.

Mit ausgeprägtem, aber zumindest betriebswirtschaftlich fehlgehendem Stolz sagt der Konsul: »Das ist ja das Gute in meinem Fall. Wenn ich heute etwas entwerfe, dann sage ich morgen: 'Deutsche Arbeiter fanget an', und niemand kann dazwischenquatschen.«

Daß er dabei möglicherweise Vermögen einbüßt oder Gewinnchancen verspielt, liegt tatsächlich jenseits seiner Überlegungen ("Mehr als zwei Koteletts am Tage sind ungesund, und mehrere Anzüge kann man auch nicht gleichzeitig tragen"). So ist Borgwards völlige Unabhängigkeit ebenso seine Stärke wie seine Schwäche.

Anstatt nach Anfangserfolgen das zugkräftige Modell weiterzuentwickeln und mit ihm eine starke Position auf dem Markt zu erringen, richtet er seine Gedanken schon wieder auf neue Autoschöpfungen und verärgert durch die sprunghafte Entwicklung neuer, oft unausgereifter Modelle die Käufer. Modernes Marketing ist nicht sein Fall, und seine Mitarbeiter sind zu sehr Angestellte, als daß sie ihn vom Experimentieren zum Konsolidieren bringen könnten.

Der Firmengründer ist absoluter Herr im Hause. Als Lloyd-Geschäftsführer Tegtmeier im Zusammenhang mit dem Arabella-Modell seinen Zorn erregte,

mußte er ohne langwierige Debatten und ohne Abfindung aus Bremen scheiden. Trotz seiner leitenden Position war ihm im Anstellungsvertrag nur die übliche Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende eingeräumt worden.

Arbeitgeber Borgward faßt seine Beschlüsse in Einsamkeit. So passierte es, daß fünf leitende Mitarbeiter die Frage nach einer erneuten Teilnahme der Firma am Autorennsport einstimmig verneinten und der Prinzipal eine Stunde später verkündete: »Jawohl, wir steigen wieder in den Rennsport ein.«

Die liebgewordene Souveränität ist es auch, die den Konsul nur widerstrebend auf die allmählich unumgängliche Neugestaltung des Unternehmens eingehen läßt. Aus Gründen einer besseren Kapitalversorgung aber bietet sich die Überlegung an, die Borgward -Gruppe in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, um dadurch eine der modernen Produktion angemessene Kapitalbeschaffung, insbesondere den Zugang zur Börse, zu gewährleisten.

Wohl oder übel muß sich der Konzernherr jetzt, da die Lage prekär zu werden droht, mit solchen Vorschlägen seiner Juristen auseinandersetzen. Er stöhnt: »Man macht ja manchmal etwas, was man vor einem Jahr noch für unmöglich und unnötig gehalten hat.«

So wie die Dinge heute liegen, kann ihn dieses versäumte Jahr mehrere Millionen Mark kosten. Er hat nämlich günstige Umwandlungsmöglichkeiten verpaßt, die ein Gesetz der Bundesregierung noch bis zum 31. Dezember 1959 bereithielt. Umwandler wie Flick und Quandt brauchten nach den Bestimmungen dieses Gesetzes den Erwerb eingebrachten Grundbesitzes überhaupt nicht, sonstige stille Reserven*, die in Wahrheit einen höheren als den bilanzierten Wert repräsentieren, nur mit 20 Prozent zu versteuern.

Auf die verpaßte Gelegenheit hingewiesen, jammerte Borgward: »Jaja, das schöne Geld.« Der Lapsus, nach dem in einer Aktiengesellschaft die Köpfe rollen würden, fällt auf ihn allein zurück.

Die bei Übernahme fällige Grunderwerbssteuer war schon zum Zeitpunkt der Gründung der Holding Dr. Carl F. W. Borgward« bestimmend dafür gewesen, daß die Grundstücke nicht auf die Spitzenfirma übertragen wurden. Nun verhandelt der Konsul mit Bremens Finanzsenat darüber, ob ihm als dem größten Arbeitgeber der Hansestadt die Übernahme der Grundstücke auf eine AG doch noch zu den verpaßten kulanten Bedingungen erlaubt werden kann.

Gründet man in Bremen die Aktiengesellschaft, so kann deren Kapital auf ein Vielfaches der bisher rund 15 Millionen Mark Kapital aller Borgward -Firmen festgesetzt werden, und Borgward kann einen Teil der Aktien zum Tageskurs dem Börsenpublikum zum Kauf anbieten. Er hat sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß er dann nicht mehr allein das Sagen haben, dafür aber neue Finanzierungsmöglichkeiten gewinnen würde. 51 Prozent würde er »natürlich auf jeden Fall behalten«. Zweifellos aber würde es ihm schwerfallen, seine quicklebendigen Entschlüsse zunächst einem Vorstand und einem Aufsichtsrat anheimgeben zu müssen.

Außer der großen Lösung - alle Firmen auf eine AG zu konzentrieren und Kapital an der Börse aufzunehmen - berät die Geschäftsleitung in Bremen noch eine kleinere und eine mittlere Lösung.

Bei der kleineren soll die Konzentration juristisch so vor sich gehen, daß die Firma Lloyd Motoren Werke GmbH bestehenbleibt, aber nicht im eigenen Namen produziert, sondern nur noch Grundstücke besitzt und verwaltet. Alle sonstigen Aktiven und Passiven der Unternehmen seiner Gruppe würde Borgward dann auf das Stammhaus Borgward übertragen (die Grundstücke des Goliath-Werks gehören ohnehin zur Borgward GmbH und sind von Goliath nur gepachtet). Die mittlere Lösung wäre eine Fusion aller Firmen mit dem Stammwerk »Carl F. W. Borgward GmbH«.

Einstweilen betreibt Selfmademan Borgward sein Metier immer noch wie 1919, als er nach der Schlosserlehre an der Werkbank seines ersten 20-Mann-Betriebes selbst Hand anlegte. Schon unter den 13 Kindern der Kohlenhändler-Familie in Hamburg-Altona hatte es geheißen: »Carl ist ein Tüftler«, und sein erstes (Spielzeug-)Auto hatte er um die Jahrhundertwende als Zehnjähriger ausalten Schrauben, Rädchen und einer Uhrfeder als Antriebsaggregat gebaut.

Lediglich in Mathematik und Physik erzielte auch der Schüler Borgward überdurchschnittliche Resultate. Mit dem Einjährigen-Zeugnis verließ er 1906 die Schule, absolvierte in Hamburg seine Lehrzeit als Schlosser und anschließend an der Höheren Maschinenbauschule in Hamburg ein viersemestriges Studium.

Seine Hoffnung, an der Polytechnischen Schule Karlsruhe studieren zu können (Borgward: »Karlsruhe war die einzige TH, die Ingenieure ohne Abitur aufnahm"), scheiterte am Geld. Carl Borgward ging nach Hannover, weil er dort seine erste Stelle bei der Stahlbaufirma Louis Eilers bekam und gleichzeitig - nach Feierabend - an der TH Hannover Vorlesungen hören konnte. Später trat er eine Stelle in Berlin an. Borgward: »Das Gehalt war für einen Dreiundzwanzigjährigen fürstlich - 410 Mark.«

Sein Fürstensalär bezog er indes nur einige Male, dann wurde er Soldat. Erst nach Kriegsdienst, Verwundung und Entlassung konnte er sich am 1. April 1919 selbständig machen. Mit tausend Mark Einlage trat er als Teilhaber in die Firma »Reifenindustrie GmbH« ein. Das in Bremen-Hastedt ansässige Unternehmen hatte wenig mit Industrie zu tun, seine 20 Arbeiter stellten ein lärmendes Ersatzprodukt her: Spiralfelgen mit Sprungfedern; sie wurden anstelle der knappen Gummireifen verwendet. Borgward weitete das Programm auf Haushaltsgeräte aus.

Zugleich nahm er Verbindung mit der am Platze residierenden Automobilfirma »Hansa-Lloyd Werke AG« auf, deren Erzeugnisse - vor allem repräsentative Personenwagen mit Acht-Zylinder-Motoren - in Norddeutschland gut eingeführt waren. Borgward bekam fortan Aufträge für die Herstellung der Kühler und Kotflügel. Den Gründer seiner »Reifenindustrie« fand er bald ab - Carl Borgward war Herr im ersten eigenen Haus und nutzte das auf die ihm eigene Weise aus.

Eingehendes Geld verwendete er kaum zur Konsolidierung, sondern stets zu Neu-Investitionen. Borgwards alte Buchhalterin Wilhelmine Bick, die jahrzehntelang seine Finanzen betreute, erinnerte sich später: »Geld war das, was wir niemals hatten.« Borgward sagt noch heute: »Geld gebe ich stets fünf Minuten bevor ich es habe, wieder aus.«

Je erfreulicher die Aufträge für Autozubehörteile eingingen, desto stärker regte sich bei dem jungen Fabrikanten das Verlangen, selbst Fahrzeuge zu konstruieren und zu bauen. Der erste Versuch - ein Motorrad - scheiterte. Das nächste Projekt war ambitiöser: Borgward konstruierte seinen ersten kleinen Personenwagen. Der Zweisitzer sollte einen Zweizylinder-Zweitakt-Motor erhalten und mit seinem Preis von 4000 Mark eine neue Käuferschicht erschließen. Zwei Wagen wurden gebaut.

Das Unternehmen wuchs dennoch weiter; wöchentlich entlohnte Borgward bereits 60 Arbeiter. Die Kotflügel- und Kühlererzeugnisse mußten in Handkarren von den Werkstätten zum Lager transportiert werden. Der Ärger über diese zeitraubende Beförderungsart inspirierte Borgward zur Konstruktion des ersten verkaufsfähigen Autos, des »Blitzkarrens«, einem Vorläufer des Dreiradtransporters Goliath, mit dem Borgward Auto-Geschichte machte.

Der »Blitzkarren« kam 1924 für den Preis von 980 Mark auf den Markt. Durch ihn wurde in Deutschland nach dem Adel, der Geld-Aristokratie und den Ärzten eine neue Volksschicht motorisiert: Gemüse- und Milchhändler, Bauern und Kleingewerbetreibende kauften den 120-Kubikzentimeter-Wagen, den 2,2 PS trieben und der fünf Zentner schleppen konnte. Daß man den Karren anschieben und dann aufspringen mußte, tat dem Wunder der Motorisierung keinen Abbruch.

Ein Teilhaber namens Tecklenborg brachte 10 000 Mark in das aufblühende Unternehmen ein, und unter seiner kaufmännischen Leitung konsolidierten sich die Verhältnisse so, daß Borgward in Ruhe eine größere Ausgabe seines »Blitzkarrens« entwerfen konnte. Er erhöhte die Tragfähigkeit des Dreirads auf zehn Zentner und stattete es mit einem 200 oder 250-Kubikzentimeter -Motor aus. Die Mitarbeiter schlugen als Bezeichnung »Liliput« vor. Der kleine Borgward konterte: »Im Gegenteil, 'Goliath' muß er heißen.«

Bald hatten Borgward und Tecklenborg mit ihrem Glücksdreirad so viel verdient, daß sie die Kapitalmehrheit der finanzschwachen Bremer Karosseriefabrik Louis Gaertner AG übernehmen konnten. Borgwards neuer und alter Besitz wurde am 10. Januar 1928 in eine neu gegründete Firma, die Goliath Werke Borgward & Co. GmbH, eingebracht.

Das unermüdlich verkaufte Dreirad

- auch während der Wirtschaftskrisenjahre mußte Gemüse zum Markt, mußten Kohlen zum Verbraucher gekarrt werden - gab dem damals noch kleinen Unternehmer Borgward sogar die Mittel in die Hand, die große Hansa AG überzuschlucken. Als es im Sommer 1931 in den deutschen Banken krachte - die Bremer Banken wurden besonders von dem Zusammenbruch des Nordwollekonzerns betroffen - und sie ihre Kredite stoppten, war die schlecht florierende Firma billig zu haben. Borgward und Tecklenborg griffen zu.

Sie zahlten den Aktionären 4,5 Millionen Mark, wovon sie einen Teil bei dem Bremer Kaufmann Stapelfeld geliehen bekamen. Borgward schmunzelt heute noch: »Das war ein Geschäft. Allein das Ersatzteillager des Werkes war 8,5 Millionen Mark wert.«

Einige der nicht schlecht beleumdeten Hansa-Modelle wurden weitergebaut und verkauft. Das Hauptgeschäft des Unternehmers Borgward und seines Kompagnons bildete indes weiterhin das immer wieder verbesserte Dreirad -Lastfahrzeug des Stammhauses Goliath. 1931 gab dann der Erfinder Borgward seinen ersten Personenwagen in eine kleine Serie: Dieser »Goliath-Pionier« war seinem dreirädrigen Vorbild sehr ähnlich und wiederum ganz auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet.

Den Kunden im Reich ging es damals schlecht, aber nicht so schlecht, daß der primitive Goliath-P (ein Rad vorn, zwei hinten) mit seinem 200 -Kubikzentimeter-Zweitakt-Heckmotor ein Verkaufsschlager geworden wäre. Zu gleicher Zeit bot nämlich DKW längst ein Fahrzeug an, das auch nicht viel mehr als 1900 Mark kostete, aber mit seinen vier Rädern doch weit mehr an ein Auto erinnerte.

Dem nächsten selbstentworfenen Modell paßte der junge Konstrukteur deshalb vier Räder an. Er nannte den Wagen Hansa 500 und brachte ihn 1934 für 1680 Mark auf den Markt. In den Prospekten verkündete er, das Modell werde »der Wagen der Millionen«. Mit einer Selbstkritik, die Borgward bei jüngeren Kreationen vermissen läßt, amüsiert er sich heute: »Der Wagen wurde die größte Pleite des Jahrhunderts.«

Das Werk jedoch blieb von diesem Mißerfolg unerschüttert. Sein Schwergewicht lag bei der Produktion von Goliath-Transportern und Lastwagen. In der Klasse der Eintonner nahm Borgward damals in Deutschland den ersten Platz ein, bei den Dreitonnern den zweiten. Sein Bestreben aber blieb der Bau von Personenautos.

Mit dem formschönen Hansa 1100 für 2950 und wenig später dem Sechszylinder Hansa 1700 für 3450 Reichsmark gelang ihm dann ein beachtlicher Wurf. Kurze Zeit darauf kam ein Hansa-Wagen mit einer 3,5-Liter-Sechszylinder-Maschine und 90 PS dazu. 1937 wurden diese Typen durch die Modelle Hansa 1,5 Liter (Vierzylinder) und Hansa 2000 (Sechszylinder) verdrängt oder ergänzt. Borgward baute sie schon in dem neuerrichteten modernen Werk Bremen-Sebaldsbrück.

Dem Partner Tecklenborg war um diese Zeit das Expansionstempo längst unheimlich geworden. Er, der im Jahre 1925 mit einer Einlage von 10 000 Mark Borgwards Kompagnon geworden und sein kaufmännischer Ideenbremser gewesen war, kassierte deshalb 1937 4,4 Millionen Mark Abfindung und schied aus. Borgward: »Tecklenborg wollte konsolidieren, ich ausdehnen. Mein Tempo ging über seine Nerven.« Von dieser Zeit an war Borgward Besitzer der neugegründeten »Carl F. W. Borgward Automobil- und Motoren-Werke«, das heißt Alleininhaber der größten deutschen Autofabrik in einer Hand.

Seine Personenautos konnten sich bis zum Kriegsausbruch in Deutschland einen geachteten, wenn auch niemals hervorragenden Namen erwerben. Ihr Verkauf blieb vorwiegend auf Norddeutschland, zwischen Elbe und Ems, beschränkt.

In der Klasse um 1100 Kubikzentimeter herrschten damals Opel, Hanomag und Adler, zwischen 1,5 und 2 Liter kaufte man wiederum Adler, Wanderer, Opel oder einen kleinen Mercedes. Jenseits der 2-Liter-Grenze dominierten die Marken Audi, Horch, Mercedes und Maybach. Auch Fahrzeuge wie BMW und Steyr genossen zu jener Zeit einen besseren Ruf als Borgwards Personenwagen. Das Transport-Dreirad allerdings war und blieb sein Dukatenesel.

Er hatte es in einer Sternstunde erfunden. Der anhaltende Verkaufserfolg

gestattete ihm, sein Steckenpferd zu reiten, ohne in Konkurs, zu schlittern. Dem Carl F. W. Borgward schlug eine solche Erfinderstunde sogar ein zweites Mal in seinem Leben: nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als er ein ebenso unscheinbares Vehikel verfertigte, das unter dem Namen »Leukoplastbomber« in die Geschichte der deutschen Volksmotorisierung einging.

Die amerikanischen Besatzungstruppen (Borgward: »Meine goldene Uhr hab ich nie wiedergesehen") hatten den verhafteten ehemaligen Wehrwirtschaftsführer zwei Jahre im Lager Ludwigsburg eingesperrt. Auch in Unfreiheit beschäftigten ihn nur Automodelle. Als er im Sommer 1949 wieder seine zu 80 Prozent zerstörten Werke betrat, brachte er die Konstruktionszeichnungen aus dem Gefangenen-Lager mit.

Den Mitarbeitern, die im Kriege Kettenfahrzeuge und Torpedos produziert und sich während der Reichsmark-Zeit mit dem Zusammenstoppeln von Lastwagen durchgeholfen hatten, verkündete der Heimkehrer: »Wir bauen wieder Pkws.«

Nach einigen Klausurtagen in der Stellmacherei führte er ein Automobil vor, das alle entsetzte. Was der Schöpfer des immerhin als vorbildlich geformt anerkannten Hansa 1700 gebaut hatte, glich mit Holzkarosserie und Kunststoffüberzug mehr einem Pappkarton als einem Automobil. Sein Motor heulte in den höchsten Tönen, die Bodenplatte bestand aus dünnem Abfallblech, und die

Federung gab bereitwillig jeden Stoß an die Insassen weiter. Der unbestreitbare Eindruck, der Wagen könne jederzeit auseinanderfallen, so daß die Mitnahme von Flickzeug angeraten schien, inspirierte die Betrachter zu seinem Spitznamen.

Trotzdem ging von diesem Lloyd LP 300, dessen Karosserie Mädchen und Frauen in Bremen-Neustadt zusammenpappten, die Motorisierung breitester Volksschichten Westdeutschlands aus. In diesem Falle hatten, ähnlich wie beim Dreirad, Borgwards Phantasie und die Wirklichkeit genau zueinander gepaßt. Der bremische Lloyd wurde die Nachkriegs-Limousine des kleinen Mannes, dem der VW noch unerschwinglich und wegen der Lieferfristen kaum erreichbar schien.

Er war das erste richtige Kleinauto nach dem Krieg, und sein hochgeschätzter Vorteil lag darin, daß es für alle Reparaturarbeiten und Austauschteile genormte Preise gab. Ein Ersatzmotor beispielsweise kostete 98 Mark. Das war in der deutschen Automobilindustrie damals ohne Beispiel.

Als sein Konstrukteur erkannte, daß der Leukoplastbomber ein enormes Geschäft werden würde, gründete er die Betriebsabteilung Lloyd in die Firma »Lloyd-Motoren Werke GmbH« um. Im Laufe der Zeit wurde der Wagen piekfein: Zunächst schraubte man seitlich an die Karosserie Metallschalen an, danach kam das Auto mit einer Ganzstahlkarosserie auf den Markt. Der Motor wurde auf 400 Kubikzentimeter Zweitakt verbessert. 1955 stellte man außerdem auch einen Viertakter mit 600 Kubikzentimeter her.

Für Käufer mit höheren Ansprüchen bot das Werk Neustadt ab 1957 den besser ausgestatteten Lloyd-Alexander an. Ihm folgte schließlich der mit einem stärkeren Motor ausgerüstete Alexander TS, der eine Spitzengeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern erreichte.

Carl Borgward hat mehr als 350 000 kleine Lloyds verkauft. Er trauert dem Erfolg nach: »Die gingen so schön schnell kaputt.« Im besten Verkaufsjahr brachte der kleine Viersitzer ihm 16 Millionen Mark Reingewinn. Damit lieferte das Fahrzeug den Beweis dafür, was Borgward hätte sein können, wenn man sich in Bremen auf wenige erfolgversprechende Typen beschränkt und sie planmäßig weiterentwickelt hätte.

Beispielsweise in der Zeit Vom 1. Juli 1959 bis zum 30. Juni 1960 aber bot Carl Borgward insgesamt zehn verschiedene Pkw-Typen zum Verkauf an, die Firma Opel in Rüsselsheim vergleichsweise nur halb soviel. Wie stark sich dieser Unterschied infolge der Vielfalt kleiner Serien auf die Kosten auswirken mußte, wird vollends deutlich, wenn man weiß, daß die Bremer während dieser gleichen Zeit insgesamt etwa 107 800, die Opel -Werke aber rund 390 000 Personenwagen herstellten, darunter allein 254 000 vom Typ Opel-Rekord.

Dieser betriebswirtschaftliche Dilettantismus schmälert freilich nicht Borgwards Ruhm, in Deutschland eine neue Automobilform eingeführt zu haben.

Im Lager Ludwigsburg durch amerikanische Magazine angeregt, brachte der Chef nach seiner Entlassung das erste Fahrzeug mit Pontonlinie heraus, während alle übrigen deutschen Fahrzeugfabriken in ihrer Formgebung noch an die hohen Karossen der Vorkriegstypen anknüpften. Als das Bremer Unternehmen auf dem Auto-Salon in Genf 1949 den Hansa 1500 präsentierte, gab es damit die Stilrichtung für ein ganzes Automobil-Jahrzehnt in Deutschland an.

Aus dem 1500 entwickelte Borgward die Isabella. Zuvor freilich hatte das Publikum einige neue Borgward-Vokabeln zu lernen gehabt: Zwischendurch nämlich kam ein Modell 1800 heraus, auf das man eine 1800er-Diesel-Version folgen ließ. Beide verschwanden nach einiger Zeit, und an ihrer Stelle tauchte die Isabella auf.

Dieser Wagen wirkte für seine Zeit sehr elegant. Die äußere Schönheit allerdings täuschte nicht lange über die Tatsache hinweg, daß das Fahrzeug noch nicht völlig durchkonstruiert und erprobt worden war. Vor allem die Karosserien waren anfangs dilettantisch gefertigt. Isabella-Fahrer waren der Nässe und dem Lärm ausgesetzt, den die klappernde Karosserie nach einiger Fahrzeit verursachte.

Die schöne Isabella offenbarte damit einen häßlichen Zug Borgwardscher Geschäftspraxis: Er belastet gern die ersten Käufer seiner Produkte mit Kosten, die normalerweise für Erprobung und Verbesserungen noch die Automobilfabrik zu tragen hat, ehe sie nach der sogenannten Null-Serie die ersten Wagen verkauft. Bezeichnungen wie »Gauner im Frack« oder »Sie tanzt nur einen Sommer« waren im Falle der Isabella dafür die Quittung.

In Bremen kann man nicht leugnen, daß die Isabella unausgereift auf den Markt gebracht wurde. Das Gauner -Zitat allerdings unterschiebt man ebenso wie das böse Wort »Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd« den Werbetextern der Konkurrenz: »Der Volksmund kommt auf so was nicht!«

Heute bemühen sich die Bremer, den nachhaltigen Gaunergeruch durch Veteranentests und die Behauptung zu vertreiben, die Isabella könne man bis zu 200 000 oder sogar 300 000 Kilometer fahren, bevor eine Generalüberholung nötig sei. Tatsächlich wurden im Laufe der vergangenen Jahre die Fehler ausgemerzt.

Der Wagen ist in Normalausführung mit 60 PS, als Touren-Sportwagen mit 75 PS ausgestattet, und die Isabella TS errang im Automobilsport viele Erfolge. Im Testbericht der Fachzeitschrift »Das Auto-Motor und Sport« heißt es: »Die Borgward-Isabella ist technisch ausgereift und sauber gebaut. Ihre guten Fahreigenschaften stempeln sie auch heute noch zu einem sportlichen Gebrauchswagen, wenn auch die Motorleistung jetzt in dieser Klasse nicht mehr ungewöhnlich ist.« Über die Touring-Sport-Version: »Hohe Leistung, ungewöhnliche Sparsamkeit, gute Straßenlage und geräumiges Inneres sind die vier ins Auge fallenden Vorzüge.« Beanstandet werden an den

Fahrzeugen im wesentlichen nur noch Details der Ausstattung und der GeräuschpegeL

Immerhin aber verkauft Borgward den Typ jetzt seit sechs Jahren in einer im wesentlichen unveränderten Form. Nach so langer Zeit hätte die Isabella einige grundsätzliche Verbesserungen verdient.

Aber das Geld, das Borgwards Starmodelle - der kleine Lloyd, die Isabella und das unsterbliche Dreirad - einbrachten, versickerte in vielen Experimenten, nicht zuletzt bei der Goliath GmbH, die der Internierten-Heimkehrer aus ganz bestimmten Gründen als juristisch selbständige Firma eingerichtet hatte.

Im Stammwerk und bei Lloyd nämlich herrschte während der ersten Nachkriegsjahre außer der Geschäftsleitung ein kommunistischer Betriebsrat. Gewissermaßen als Auffangstelle für frühereMitarbeiter, gegen die der Betriebsrat politische Einwände hätte erheben können, entstand die Firma Goliath. Während der Zeit der Rohstoffbewirtschaftung wurde überdies jeder deutschen Automobilfabrik ein Rohstoff-Grundkontingent zuerkannt, so daß drei Firmen mehr Material erhielten als zwei.

Bei Goliath am Osterdeich landete eine Reihe von Autotechnikern, die nach dem Einmarsch der Sowjets aus den Werken der Autounion bei Chemnitz geflüchtet waren.

Sie schworen auf den Zweitakt-Motor, und mit ihnen konzipierte Chefkonstrukteur Borgward ein Automobil nach einem Prinzip, dem eine treu ergebene Käufergemeinde mit fast religiösem Eifer anhängt: Zweitakt-Motor plus Frontantrieb.

Nach diesem ungewöhnlichen Konstruktionsschema waren die DKW-Automobile gefertigt, die sich in den dreißiger Jahren wegen ihrer Robustheit und wegen ihrer guten Fahreigenschaften legendären Ruf verschafft hatten. Der Zweitakt -Motor mit nur drei beweglichen Teilen je Zylinder erwies sich als überaus langlebig. Der Antrieb über die Vorderräder ("Frontantrieb") verschaffte dem DKW überlegene Fahrqualitäten besonders beim Durchfahren von Kurven, aber auch auf Straßen mit holpriger Oberfläche und bei Schneeglätte.

DKW hatte die Produktion seiner Zweitakt-Frontantrieb-Autos noch nicht wiederaufgenommen, als Borgward das Ergebnis seiner Tüfteleien mit den Zweitakt-Enthusiasten herausbrachte: den Goliath GP 700 mit 700-ccm-Zweitakt-Motor und Frontantrieb.

Borgward bot damit den Zweitakt -Fanatikern einen DKW-Ersatz. Aber schon bald trieb die Experimentierlust den Firmenchef, das klare Konzept aufzugeben, und in den folgenden Jahren erschien der Goliath in immer neuen Zweitakt-Versionen auf dem Markt:

- mit einem 700-ccm-Einspritz-Motor,

- mit einem 900-ccm-Einspritz-Motor

und

- mit einem 900-ccm-Vergaser-Motor.

Schließlich schien es, als habe Bastler Borgward vor den äußerst schwierigen Konstruktionsproblemen des Zweitakters resigniert: Der Goliath erschien plötzlich mit einem 1100-ccm-Viertakt -Motor. Das Frontantriebs-Prinzip aber hatte Borgward beibehalten. Damit war vom ursprünglichen Konzept nur noch die Hälfte übriggeblieben. Die Führung des Viertakt-Goliath unter dem vorher, für Borgward-Wagen verwendeten Markennamen »Hansa« (Hansa 1100) machte den Wirrwarr komplett.

Die Chance, mit einem robusten und anspruchslosen Zweitakt-Frontantrieb -Wagen die ehemalige DKW-Stammkundschaft zu erobern, war verexperimentiert.

Borgwards ständige Auseinandersetzung mit der technischen Zukunft brachte ihm unter den Experten Anerkennung ein. Mit Recht aber bezweifelte man, ob ein Unternehmen von der Größe Borgwards zur Entwicklung etwa der Benzineinspritzung genügend Geld bereitstellen kann, und mehr noch, ob es die Käufergruppe zu Kunden hat, die das Aufgeld dafür zahlen würde.

Auch Daimler-Benz und Bosch haben gemeinsam an dem Problem der direkten Benzineinspritzung anstelle der Vergaser-Methode gearbeitet. Immerhin waren damit zwei Weltfirmen am Werke, die mit wissenschaftlicher Akribie und großen finanziellen Reserven arbeiten konnten. Daimler und Bosch könnten in ihren Versuchsabteilungen nahezu ebenso viele Leute auf die Beine bringen wie die Firma Goliath überhaupt Belegschaftsmitglieder hat.

Die Experimente in Bremen mußten deshalb mehr empirischen als wissenschaftlichen Charakter haben. Überdies war die Aussicht, der Kundschaft gegen Aufpreis eine teure Einspritzanlage verkaufen zu können, bei den Interessenten für einen Mercedes 220 S naturgemäß vielversprechender als unter Käufern, die sich nur einen Wagen der unteren Mittelklasse leisten können.

Das Herumdoktern hat dem Markennamen Hansa schwer geschadet. Ebenso wie die Kunden wandten sich manche Händler von den Goliath-Produkten ab. Dabei hätten die heutigen Hansa-Fahrzeuge, nachdem sie ausgereift sind, ein besseres Schicksal verdient. Autotester Alexander Spoerl urteilt: »Die Gänge gehen butterweich hinein ... sie sind hervorragend abgestuft ... Die Federung ist gesund ... Wo Hundertpferdige scheuen und sich vor engen Kurven niederbremsen lassen, kann man im Hansa vollen Dampf stehen lassen.«

Über Probleme des Verkaufsgeschäftes ist allerdings schlecht mit einem Mann zu diskutieren, der auf die Frage, warum er neuerdings sogar Hubschrauber bauen will, antwortet: »Weil es Spaß macht.« Die für das Renommee der Produkte ruinöse Praxis, unausgereifte Typen auf den Markt zu werfen, schiebt er »der Produktion« in die Schuhe. Er empfindet die produktionstechnische und ökonomische Verwertung als sekundär und als eine Sache seiner Heloten.

Ideenträger Borgward: »Bei den ersten Isabellen war das Ganze nur ein Problem der Verarbeitung. Wir mußten damals viele untaugliche Arbeitskräfte beschäftigen.« Daß sich bei der ersten Arabella-Serie ähnliche Pannen ergaben, ficht wiederum ihren Konstrukteur nicht an: »Warten Sie mal ab, die ist das beste Pferd im Stall.«

Carl Borgward ist ein anachronistischer Karl Benz mit Fabrik. Ähnlich wie der verstorbene Konstrukteur Porsche nennt auch er seine Fabrikationsanlagen die »Werkstatt«. Seinem aufs Praktische gerichteten Denken entspricht die Tendenz, möglichst viel im eigenen Hause anfertigen zu lassen. Im Gegensatz zu anderen deutschen Werken hat die Borgward-Gruppe ihre eigene Gesenkschmiede, Gießerei, Leichtmetallgießerei und drei Zahnradwerke.

Ein verunglücktes Arabella-Getriebe beispielsweise war Hausmacherart. Borgward laborierte lieber mit seinen Helfern selbst daran herum, als daß er die Dienste der spezialisierten und deshalb erfahreneren Zahnradfabrik Friedrichshafen AG in Anspruch nahm, die einen großen Teil der westdeutschen Automobilbranche beliefert.

Daß er für die Arabella zunächst alle möglichen Teile selbst bauen wollte und dann doch auf Zulieferer zurückgreifen mußte, hat sich als falsche Sparsamkeit erwiesen. Da die Zeit drängte und er wohl oder übel die geforderten Preise akzeptieren mußte, entstanden pro Fahrzeug 587 Mark mehr Kosten, als ursprünglich kalkuliert waren.

Auch daß Borgward nicht schon früher seine Firmen zusammengefaßt hat, liegt an seiner Unternehmensführung. Obwohl spätestens im Jahre 1954, als es längst wieder Rohstoffe frei zu kaufen gab, die Konzentration ratsam gewesen wäre, ließ Borgward alles beim alten. Lediglich aus Steuergründen errichtete der Konzernherr damals an der Konzernspitze die Einzelgesellschaft »Dr. Carl F. W. Borgward«. (Inzwischen war der hohe Einkommensteuertarif der Militärregierung wieder gefallen.)

Verkauf, Werbung und Kundendienst der drei juristisch selbständigen Firmen blieben weiterhin getrennt und verursachten die dreifachen Kosten. Ähnlich unrationell war diese Dreigleisigkeit für die Händlerorganisation. Zwar gab es einige Borgward-Vertreter, die ebenso Erzeugnisse von Lloyd,'wie von Goliath handeln durften. Im Normalfall aber vertrat ein Händler nur eine der drei Bremer Marken.

Logisch wäre gewesen, die Vertretung aller Borgward-Produkte jeweils in eine Hand zu geben. Der dem Lloyd entwachsene Kunde hätte sich vermutlich leichter zum Kauf des größeren Goliath und später, nach entsprechendem sozialen Aufstieg, zum Kauf eines Borgward entschlossen, wenn er mit demselben Händler verhandeln, beim Kundendienst seinen Stamm-Monteur behalten und sein gebrauchtes Borgward-Fahrzeug günstig hätte in Zahlung geben können.

Borgwards Finanzmann Carstens versichert glaubhaft: »Ich rede schon seit fast zehn Jahren für die Konzentration.« In seinem Budget schlagen sich der kostspielige Typenwirrwarr und die mehrgleisige Verwaltung nieder. Da sich aber Borgwards Leidenschaft für das Konstruieren während der vierzig Jahre, in denen er immer wieder glücklich über die Runden kam, nicht im mindesten abgekühlt hat, sind die Sorgen des Otto Carstens die gleichen wie weiland die der Buchhalterin Bick.

Immerhin, außer zwei Millionen Mark Wiederaufbau-Darlehen sind die 50 Millionen Mark Grundschuld-Darlehen die erste fremde Geldspritze, die das Unternehmen in Anspruch nimmt. Borgward ist im wesentlichen durch Lieferantenkredite groß geworden. Mit Ausnahme der Zahlungen für Bleche, die jeweils am 15. des auf den Liefertermin folgenden Monats fällig sind, wird in Bremen ein übermäßig langes Zahlungsziel in Anspruch genommen.

Der Firmenchef kennt seinen Ruf, ein schlechter Zahler zu sein. Er betont indes, aus Respekt vor dem letzten Automobilunternehmer und vor seinem Sachvermögen könne er Zahlungsaufschub verlangen.

Bei einem Jahresumsatz von 650 Millionen Mark hat Borgward ständig rund 130 Millionen Mark Lieferantenkredite ausstehen. Das gesamte ausgewiesene Kapital der Gruppe beträgt rund 15 Millionen Mark, wovon 3,18 Prozent für die Ehefrau eingetragen sind.

Lange Zeit mußten sich die Bremer mit dem Gerücht auseinandersetzen, der Bremer Staat habe »so viel Geld bei Borgward drin, daß die Firma gar nicht pleite gehen« könne. An der Version war ebensowenig Wahres wie an der Behauptung, Borgward sei »ein Gewerkschaftsunternehmen«. Diese Vermutung rührte aus den ersten Aufbaujahren her, als Borgward die Hamburger Bank für Gemeinwirtschaft für seine Finanzierung herangezogen hatte. Borgwards Firmenwechsel, die von den Lieferanten - beispielsweise den Kugellagerwerken - ausgestellt waren, wurden von den Bremer Banken immer honoriert. Die Wechsel seiner Autokäufer entgegenzunehmen, auch wenn sie von der konzerneigenen Finanzierungsgesellschaft »Boteck« ausgestellt waren, lehnten die Banken jedoch ab.

Unter anderem verhandelte deshalb der Finanzmann Carstens mit einem Hamburger Bankier namens Schmidt -Leithoff. Dieser erklärte sich für seine Bank bereit, Borgwards massenhafte Kundenwechsel zu diskontieren und dafür Bargeld herauszurücken. Erst nach mehreren Besprechungen decouvrierte sich Schmidt-Leithoff als Vertreter der Gemeinwirtschaftsbank.

Beunruhigt machte Carstens sofort dem Chef Mitteilung. Obwohl ihn die Finanznot plagte, warnte er, im Falle eines Generalstreiks würden die Hamburger Gewerkschaftsbankiers der Firma Borgward möglicherweise den Hals zudrehen. Der Konsul aber erklärte furchtlos, woher das Geld komme, sei egal. Außerdem glaube er nicht an Generalstreiks in der Bundesrepublik, solange Konrad Adenauer regiere.

Laut Carstens platzten damals alle seine Geldschränke vor Kundenwechseln, und die Hamburger Bank für Gemeinwirtschaft spielte die Rolle eines Retters in der Not. Sie nahm die gebündelten Wechsel entgegen und schrieb, nach Abzug von Zinsen und Spesen, fortlaufend bis zu 15 Millionen Mark einem Borgward-Konto gut, auf das Carstens in Bremen Schecks ziehen konnte. Im Frühjahr 1951 platzte das Wechselgeschäft auf, nachdem die Notenbank in Frankfurt scharfe Kreditrestriktionen angeordnet hatte.

Damals entstand eine von mehreren Situationen, in denen die Bremer unter ihrer kurzen Kapitaldecke kalte Füße bekamen. Carstens flehte die Hamburger an, wenigstens noch ein bereits versandfertiges Wechselpaket über 600 000 Mark anzunehmen. Die Bankiers ließen sich erweichen. Anschließend mobilisierte Carstens den Gerling-Konzern, der alle Versicherungen der Bremer betreute.

Unter der Drohung, Borgward werde das ganze Assekuranzgeschäft einer anderen Firma übertragen, tummelten sich die Versicherer: Sie vermittelten ein Düsseldorfer Hausinstitut der Banken und Versicherungen, das Wechselgeschäfte betreibt und auf Restriktionen aus Frankfurt nicht überempfindlich reagiert. Das Institut brachte die Bremer Autobauer über die Geldklippe hinweg. Später bürgerte es sich wie bei anderen Autofabriken ein, daß örtliche Geldinstitute die von Händlern ausgestellten Kundenwechsel honorierten.

Private Entnahmen des Inhabers waren zu keiner Zeit die Ursache von finanziellen Schwierigkeiten. Verdiente Gewinne und Abschreibungen hat Borgward regelmäßig wieder investiert. Sein Lebensstil hält sich in einem hausbacken-bürgerlichen Rahmen. In zehn Jahren fuhr der Konzernherr nur einmal zur Erholung auf Auslandsurlaub, an die Costa Brava. Nach zwei Tagen Spanienfahrt schon ranzte er den Chauffeur an: »Sie fahren in der falschen Richtung; nicht Tarragona - nach Bremen!«

Derselbe Mann, der Millionen am Reißbrett wagt, ist sonst auf äußerste Sparsamkeit bedacht.

An jedem Arbeitstag marschiert er morgens eine Dreiviertelstunde bis zu einem vorher vereinbarten Punkt, wo ihn ein Chauffeur aufpickt und dann in die Werke bringt. Immer geht es zuerst zu Goliath, anschließend ins Stammwerk, wo alle Geschäftsführer antreten müssen. Der Mittwoch ist regelmäßig dem Lloyd-Werk gewidmet. Am Nachmittag fährt dort ein Auto vor, das ihn und seine Frau ins Kino fährt, gleichgültig welcher Film gespielt wird.

Die Söhne aus zweiter Ehe studieren: Carl F. W., genannt Peter, 23, Volkswirtschaft in Darmstadt; Claus, 22, Allgemeinen Maschinenbau in Karlsruhe, wo der Vater wegen fehlender Geldmittel nicht hatte studieren können. Tochter Monica, 19, geht zum Gymnasium. Von Nachfolge ist noch keine Rede. Selbst der mit 47 Jahren schon etwas betagte Sohn Kurt aus erster Ehe wird keineswegs in Bremen auf die Übernahme vorbereitet. Er leitet lediglich eine Verkaufsniederlassung seines Vaters in Hannover.

Bevor mithin die Söhne einmal die Firma übernehmen können, droht dem Familienunternehmen heute die Gefahr, seine Selbständigkeit zu verlieren. Nach den Goldenen Fünfzigern, während der Borgwards kostspieliges Hobby von den Erträgen einer glänzenden Konjunktur ohne Schaden mitfinanziert werden konnte, muß die Firma befürchten, sich eines Tages mit einem Großunternehmen liieren zu müssen.

Außer an dem Zug zum großen europäischen Markt würde das, falls es so weit käme, nicht zuletzt auch an Carl Borgwards Vorliebe für den Zeichen- anstatt für den Rechenstift liegen. Das Aufgehen der mittleren Automobilfabrik DKW in der größeren Firma Daimler-Benz und die Schwierigkeiten um BMW werden jedenfalls nicht die letzten Folgen der Absatzverschärfung im Automobilgeschäft sein.

»Das Auto - Motor und Sport« prophezeit: »Die deutsche Automobilindustrie, die gemessen an der Einwohnerzahl den Produktionsstand der Vereinigten Staaten fast erreicht hat, nähert sich also auch in der Struktur den Verhältnissen in den USA, wo nach den 'Ausscheidungskämpfen' praktisch nur General Motors, Ford, Chrysler und mit Abstand American Motors ... übriggeblieben sind ... Der Autoboom neigt sich dem Ende zu.«

Die innere Konzentration, mit der sich das Bremer Unternehmen auf schwerere Zeiten vorbereitet, wird auch in der Verwaltung Kräfte freisetzen, die allerdings an anderer Stelle im Hause weiterarbeiten sollen. Der Finanzexperte Carstens vom Stammwerk wird die kaufmännischen Geschäftsführer der Schwesterfirmen, sein Kollege, Verkaufsleiter Dietrich, die drei Absatzabteilungen und Stammhaus-Werksdirektor Gieschen alle technischen Abteilungen unter die Fuchtel bekommen. Mithin ist es für die Zukunft ausgeschlossen, daß beispielsweise eines der drei Zahnradwerke nur mit halber Kraft arbeitet, während das der Schwesterfirma wegen Überbeanspruchung seine Liefertermine überschreiten muß.

Carl F. W. Borgward hat dabei einigen Kummer mit den Geschäftsführern von Lloyd, knapp 50jährigen Herren, die er »die Jünglinge« nennt. Sie wehren

sich gegen eine Beschneidung ihrer Kompetenzen und opponieren deshalb gegen die Konzentration. Mit ihrem Leukoplastbomber haben sie der Gruppe jahrelang den relativ größten Geschäftserfolg gebracht, und nur die Schwierigkeiten mit der Arabella dämpfen ihr Selbstbewußtsein etwas.

Beim Stammwerk sollen auch die drei Konstruktionsabteilungen zu einer zusammengefaßt werden, wovon Borgward sich verspricht: »Wir können dann auch teurere Leute einkaufen.«

Die Rationalisierung in der Händlerorganisation erweist sich als das Schwierigste der ganzen Operation. In mühsamen Einzelgesprächen mit manchmal drei verschiedenen Händlern einer Stadt muß herausgefunden werden, ob eine Zusammenlegung möglich ist.

Nach abgeschlossener Konzentration glauben die Borgward-Leute »durchaus lebensfähig« zu sein. Widerstrebend murmelt sogar der Hausherr etwas von einer Typenbereinigung in der Zukunft. Er nährt die Hoffnung auf das Überleben seiner Firmen mit Hinweisen auf das Beispiel der Automobilwerke Lancia und Alfa Romeo in Italien. Sie seien trotz höherer Preise und trotz der Marktmacht des Fiat-Konzerns »wie Phönix aus der Asche aufgestiegen«.

Eine solide Grundlage ihrer Hoffnungen sehen die Bremer in dem gut florierenden Lastwagengeschäft. Obwohl Borgwards Faible für den Bau schnittiger Personenwagen den Anteil der Lkw-Produktion am Gesamtumsatz von 50 Prozent vor dem Kriege auf heute 25 Prozent herabgedrückt hat, zählen die Lastwagen mit zu den guten Verdienern. Ihr Absatz hat sich gegenüber dem vergangenen Jahr sogar um 65 Prozent erhöht. Mit dem Lkw-Geschäft im Rücken, so meinen die Bremer, müßte es trotz kleinerer Serien und demzufolge höherer Preise für sie eine Chance geben, »wenn wir uns mit unseren Pkw durch Leistung und Fahreigenschaften von den Wagen anderer Firmen unterscheiden«.

Nach Borgwards und seiner Mitarbeiter Ansicht ist diese Voraussetzung bei dem neuen 2,3-Liter-Wagen gegeben. Der Sechszylinder mit 100 PS und Luftfederung - Techniker Gieschen: »Die haben wir zwei Jahre lang über 300 000 Kilometer in Isabella-Typen erprobt« bietet auf Wunsch ein automatisches Borgward-Getriebe, obwohl eine frühere Version noch in unangenehmer Erinnerung ist.

Praktisch nimmt das Unternehmen, mit dem 2,3 seinen zweiten Anlauf, sich in die Hersteller großer Fahrzeuge einzureihen. Dabei wirkt sich hindernd aus, daß dem buckligen 2,4 Liter-Wagen, mit dem der erste Versuch unternommen wurde, jeglicher Erfolg versagt bliebin erster Linie allerdings wegen seiner extremen äußeren Form.

Auch der Versuch, das gleiche Modell als Pullman-Version herauszubringen, die an die schweren Horch- und Maybach-Modelle längst verpuffter Automobiltage anknüpfte, ist damals fehlgeschlagen. Von beiden mit Aplomb angekündigten großen Typen wurden nur 741 Bucklige und 656 Pullman gebaut; eine überaus geringe Stückzahl, die allen auf reibungslose Ersatzteillieferungen und zukunftssicheren Service bedachten Käufern in Westdeutschland nachhaltigen Grund zum Ärger verursachte.

Demgegenüber weisen die traditionellen Hersteller schwerer Fahrzeuge für ihre Produktion von Wagen mit mehr als zwei Liter Hubraum andere Quoten vor. Allein im Jahre 1959 bauten

- Daimler-Benz 29 933,

- Opel 24 748

Wagen dieser Klasse. Schon mit seinem Normalpreis (ohne Luftfederung und »Hansamatic«-Getriebe) von 12 350. Mark kostet der neue 2,3-Liter-Borgward zudem 850 Mark mehr als der Hauptkonkurrent, die billigste Ausführung des Mercedes 220: Auch der Kapitän von Opel ist trotz eingewurzelter Bedenken gegen seine Straßenlage mit einem um rund zweieinhalbtausend Mark niedrigeren Preis (9975 Mark) ein aussichtsreicher Klassenfeind des neuen Borgward. Carl F. W. Borgward versichert, der 2,3-Liter sei kein Schnellschuß, auch nicht, was das automatische Getriebe anbetrifft, das ebenso wie die Luftfederung zwei Jahre erprobt worden sei. Das Getriebe ist eine Gemeinschaftsentwicklung von Borgward und der britischen Firma Hobbs.

Borgward will von dem Typ 30 000 Stück verkaufen. Die gegenwärtige Fertigung von täglich 14 Wagen soll schon bald Verdoppelt werden. Auf die Frage, in weiche Käuferkreise - außer den arrivierten Borgward-Kunden - man mit dem Fahrzeug vorstoßen will, antwortet Verkaufschef Dietrich ohne Zögern: »In die Daimler -Benz-Kreise«.

Borgward wagt sich damit auf ein Gebiet vor, das der Mercedes 220 beherrscht und wo allenfalls noch der blau-weiße BMW als salonfähig gilt. Dietrich begründet die Chancen so: »Wir wenden uns mit dem 2,3-Liter -Fahrzeug an den sportlichen Automobilisten, dem das Autofahren noch Freude macht. Und da liegt unser Vorteil; der Wagen ist keine Chauffeur -Limousine, sondern er hat sportlichen Charakter, und sportliche Fahrer werden an ihm mehr Freude haben als am Mercedes.«

Nicht zuletzt wollen die Borgward -Verkäufer überall dort einfallen, wo Interessenten für den Mercedes 220 der fast zweijährigen Wartezeit für den Wagen aus Untertürkheim und der herablassenden Art der Mercedes-Verkäufer überdrüssig sind.

Dietrich meint, er komme mit dem 2,3 schon jetzt in Käuferschichten hinein, die es früher als unter ihrem Niveau angesehen haben, einen Borgward zu fahren. Er raschelt mit Namen von Filmschauspielern, Diplomaten und Fabrikanten auf seiner Bestell-Liste. Dietrich war es, der in der Firma erklärt hatte, Borgward könne sich mit diesem Fahrzeug und in dieser Situation den Käufern gegenüber keine Experimente leisten. Auf sein Drängen legte man zwischen die Null-Serie und den Verkauf der ersten Wagen sechs Monate Erprobungszeit.

Ob freilich diese Vorsichtsmaßnahmen die Gefühlsbarriere von Mercedes 220-Kandidaten gegenüber dem Reputationswert des Rhombus überwinden helfen, und ob der Wagen technisch hält, was die Bremer von ihm versprechen, steht dahin. Nur ein durchschlagender Erfolg könnte Carl F. W. Borgward die für das neue Modell investierten Gelder zurückbringen und mithelfen, den aufziehenden Gewittersturm in der Branche heil - das heißt schlimmstenfalls als Großaktionär einer umgewandelten Borgward AG - zu überstehen.

Angesichts der Sorge, dem neuen Sechszylinder einen breiten Markt zu erobern, brachen Carl F. W. Borgwards Mitarbeiter sogar das auf den Hausherrn und Chefkonstrukteur bezogene Tabu:

Nachdem Probefahrer von mehr als 1,80 Meter Größe das Gaspedal nur mit weit abgewinkeltem rechten Knie hatten bedienen können und dem Fahrzeug mit schmerzender Kniescheibe entstiegen waren, weil ihnen im vierten Gang der vibrierende Schalthebel auf dem Knie herumgetrommelt hatte, wurden die Frontsitze des »Großen Borgward« um vier Zentimeter tiefer gelegt.

* Daimler-Benz erzielte einen Jahresumsatz in Höhe von 3,4 Milliarden Mark, das VW -Werk von 3,0 Milliarden, Opel von 2,1 Milliarden und Ford von 0,9 Milliarden Mark.

* Die Differenz zwischen dem Buch- und dem Tageswert. Wenn zum Beispiel ein Grundstück mit 100 000 Mark Einheitswert zu Buch steht, heute aber 400 000 Mark wert ist, so beträgt die stille Reserve 300 000 Mark.

Einzelkaufmann Borgward

Weil es Spaß macht

Gratulation zum 70. Geburtstag: Schnaps und blaue Briefe

Dietrich

Borgward-Lagerplätze in Bremen: Hoffnungen auf das Frühjahrsgeschäft

Heimarbeiter Borgward

Aus Versehen ein neues Modell

Firmengründer Borgward

Am Anfang war ...

... das Dreirad: Goliath-Vorläufer »Blitzkarren«

Carstens

Hansa 2,4 (oben), Pullman 2,4, Großer Borgward 2,3: Im zweiten Anlauf

Lloyd LP 300 (1950)

Lloyd Alexander TS (1960)

Hansa 1500 (1949)

Isabella TS (1960)

Goliath GP 700 (1950)

Goliath Hansa 1100 (1960)

Konstrukteur Borgward, Helfer Lünsmann: Irgendein Typ geht immer

Unternehmer-Familie Borgward*: Von Nachfolge keine Rede

* Von links nach rechts: Kurt, Monica,

Carl F. W., Klaus, Peter, Ehefrau Elisabeth.