AfD und der Fall Kalbitz: Bühne für den Machtkampf (original) (raw)
AfD-Politiker Kalbitz (l.), Meuthen (M.), Gauland
Foto: Carsten Koall / Getty Images
In der AfD wird in diesen Tagen viel telefoniert und sondiert, die Lager in der Partei formieren sich.
Hier die für AfD-Verhältnisse gemäßigten Kräfte um Co-Chef Jörg Meuthen und Parteivize Beatrix von Storch, die im Bundesvorstand durchsetzten, dass der Brandenburger AfD-Politiker Andreas Kalbitz seine Parteimitgliedschaft verlor. Auf der anderen Seite vor allem die Exponenten des formal aufgelösten, ultrarechten "Flügel"-Netzwerks, die ihren Strippenzieher in der Partei halten wollen.
Dazwischen steht ein Block, der den Machtkampf beobachtet und schweigt. Es gehe ja, sagt ein führender AfD-Politiker, bald um die Listenplätze für die nächste Bundestagswahl: "Da schnuppert jeder erst mal, woher der Wind weht."
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Die Stürmer
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In der Tat ist die Gemengelage bei den Rechtspopulisten nicht eindeutig. Die Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber, so viel ist klar. Aber welches Lager ist stärker, wer bestimmt künftig den Kurs der AfD? Steht die Partei womöglich vor der Spaltung? Nicht ausgeschlossen, dass diese Fragen auf einem Parteitag geklärt werden müssen - mit ungewissem Ausgang.
Schon juristisch ist der Fall Kalbitz komplex: Ob die vom Vorstand mit knapper Mehrheit beschlossene "Nichtigkeit" der Kalbitz-Mitgliedschaft vor einem AfD-Schiedsgericht oder einem ordentlichen Gericht Bestand haben wird, gilt als offen. Parteienforscher haben daran Zweifel. Und Kalbitz will alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen.
Dem 47-Jährigen wird in dem Vorstandsbeschluss unter anderem vorgeworfen, seine Mitgliedschaft in der rechtsextremen und 2009 verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) verschwiegen zu haben. Kalbitz, der zweimal ein HDJ-Lager besuchte, bestreitet eine Mitgliedschaft, der Verfassungsschutz wiederum verweist auf eine HDJ-Mitgliederliste mit einem Eintrag "Familie Andreas Kalbitz" unter der Nummer "01330".
An der Basis werden die Rufe nach einem Sonderparteitag lauter, der den Machtkampf politisch entscheiden soll. Doch weder Meuthen noch seine Gegner wollen das wirklich. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der den Rauswurf von Kalbitz politisch und juristisch für falsch hält, sagte dem SPIEGEL, er sei "gegen einen Sonderparteitag", ein solcher sei schon wegen Corona organisatorisch kaum möglich: "Wir sollten die weitere rechtliche Klärung abwarten und nicht Parteitage planen, solange überhaupt nicht klar ist, ob das überhaupt möglich ist."
Diese Linie hatte der Co-Fraktionschef kürzlich auch bei einem Treffen in einer kleinen Runde hochrangiger AfD-Politiker einvernehmlich besprochen. Dabei war auch Kalbitz' Rechtsaußen-Mitstreiter Björn Höcke, auch er ist gegen einen Parteitag - allerdings nicht wegen möglicher organisatorischer Probleme in der Coronakrise: "Wir brauchen keinen Sonderparteitag, um festzustellen, dass der bisherige Bundessprecher nicht mehr in der Lage oder willens ist, die AfD in ihrer Gesamtheit zu vertreten."
"Flügel"-Gegner Meuthen hatte bereits erklärt, keinen Sonderparteitag anzustreben. Zugleich betonte er aber, er habe kein Problem damit, sich dem Votum der Delegierten zu stellen - er fürchte das "in keiner Weise".
Mitgliederentscheid für Mitgliederparteitag
Gemäß ihrer Satzung muss die Partei bis Ende des Jahres ohnehin noch einen regulären Parteitag abhalten. Das ist die Chance für andere Akteure, die im Hintergrund des Kalbitz-Streits ihre Chance wittern. Hansjörg Müller etwa, Bundestagsabgeordneter aus Bayern, ficht seit dem vergangenen Sommer einen Kampf gegen die Führung aus.
Der 52-Jährige, einst Parlamentarischer Geschäftsführer in der Bundestagsfraktion und "Flügel"-Anhänger, startete bereits im August vergangenen Jahres einen Mitgliederentscheid. Ziel: Die Parteigänger sollten entscheiden, dass der nächste Bundesparteitag nicht als Delegierten- sondern als Mitgliederparteitag abgehalten wird, also offen für alle mit AfD-Parteibuch sein. Und dieser Mitgliederparteitag, so stellt es sich Müller vor, möge dann auch gleich beschließen, dass die Bundestreffen künftig nur noch in diesem Format stattfinden.
Müllers Vorstoß birgt Gefahr für Meuthen. Schon einmal wurde auf einem Parteitag mit rund 3400 teilnehmenden Mitgliedern eine Führung gestürzt: Im Juli 2015 in Essen musste Bernd Lucke gehen – an seine Stelle trat das damalige Duo Jörg Meuthen und Frauke Petry.
Mittlerweile bezweifeln allerdings viele in der AfD-Spitze, unabhängig vom Lager, den Sinn solcher Massenversammlungen. Der Bundesvorstand hat Müllers Plan bereits abgelehnt mit Verweis auf die hohen Kosten. Auch seien solche großen Hallen "rar und meist auf Jahre ausgebucht".
In der Ost-AfD hat Meuthen kaum noch Freunde
Müller macht indes unverdrossen weiter, bis zum 12. Juni läuft die Abstimmung unter den Mitgliedern. "Aufgrund der großen Unzufriedenheit mit unseren Führungsorganen laufe ich aktuell in eine Situation hinein, die ich mir gar nicht hätte träumen lassen", sagte Müller dem SPIEGEL. Mindestens ein Fünftel der rund 35.000 AfD-Mitglieder müssen sich beteiligen, eine einfache Mehrheit reicht für die Durchsetzung eines solchen Mitgliederparteitags. Sollte er Erfolg haben, hat Müller noch ein weiteres Ziel: Eine "neue AfD- Führung zu wählen, obwohl das ursprünglich nicht geplant war".
Ein wichtiges Kriterium für ein solches Massentreffen dürfte auch der Ort sein. Kalbitz etwa hält zwar einen Mitgliederparteitag prinzipiell für "richtig", nennt ihn aber auch "eine zweischneidige Sache". Mit Blick auf die Mobilisierung von Mitgliedern aus dem Osten sagte er dem SPIEGEL: "Wo findet er statt - wie bislang immer nur im Westen?"
Ein anderer "Flügel"-Mann, der zu Kalbitz hält, aber nicht genannt werden will, sagt: Ein Mitgliederparteitag sei "völlig unrealistisch", die Befürworter würden nie so eine große Halle bekommen. Tatsächlich ist es für die Partei schon seit Längerem schwierig, überhaupt Örtlichkeiten für Zusammenkünfte zu finden.
Ob nun auf einem Sonderparteitag, einem Mitgliederparteitag oder einem regulären Delegiertenparteitag - auf jeden Fall wird mit einem Machtkampf auf offener Bühne gerechnet. In der Ost-AfD sind Kritiker der "Flügelianer" kaum noch vorhanden. Der sächsische Landtagsabgeordnete und kommissarische Bundesschatzmeister Carsten Hütter, der sich im Vorstand im Fall Kalbitz der Stimme enthielt, musste sich in seiner Fraktion rechtfertigen. Er begründete seine Abstimmung mit seiner Funktion, zudem hätte er auch an den Mehrheitsverhältnissen im Vorstand nichts ändern können.
Selbst manche der letzten sogenannten Gemäßigten im Osten stellen sich nun gegen Meuthen. Dieter Laudenbach, Landtagsabgeordneter in Thüringen, lud Meuthen vergangenes Jahr noch zu sich in den Wahlkreis. "Wir hatten eine volle Halle, gute Stimmung", sagte er dem SPIEGEL. Jetzt erkenne er Meuthen nicht wieder. Er habe große Stücke auf diesen gehalten, aber die Entscheidung zu Kalbitz finde er nicht richtig.
Lars Herrmann hat den ganzen Konflikt schon einmal durch. Der Bundestagsabgeordnete aus Sachsen wollte den Kampf mit dem "Flügel" schon beim Parteitag im Dezember in Braunschweig entscheiden. Er forderte Höcke auf, für den Vorstand zu kandidieren, damit dieser sich "eine Klatsche" abhole. Höcke trat nicht an, die sächsische AfD-Landesgruppe im Bundestag warf Herrmann raus, er verließ die AfD. Er wünsche Storch und Meuthen "viel Glück und Kraft", sagt er. Aber im Osten werde es keine Unterstützung mehr für sie geben. "Das", sagt er, "wird die größte Schlammschlacht bei der AfD in den nächsten Wochen".