Kredit verspielt (original) (raw)

Der Zeuge Claro Lat, Feldwebel in der philippinischen Armee, erinnerte sich: »Plötzlich hörte ich einen Schuß, gleichzeitig klammerte sich Senator Aquino an mir fest. Mit der linken Hand hielt er meinen Arm, ich fühlte, wie er langsam fiel. Ich versuchte ihn zu halten, aber er war ziemlich schwer. Wir fielen beide, mein Körper lag auf seinem.«

Selten nur, wie etwa bei dieser Schilderung, war Betroffenheit in Manilas Ramon-Magsaysay-Kongreßhalle zu spüren, in der sich eine fünfköpfige Untersuchungskommission seit vergangenem November mühte, den Mord an dem philippinischen Oppositionspolitiker Benigno Aquino aufzuklären.

Aquino war, nach dreijährigem Exil in den USA, am 21. August 1983 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Manila erschossen worden. Obgleich 1119 Soldaten das Flughafengelände hermetisch abgeriegelt hatten, obgleich fünf Soldaten den Ex-Senator aus dem Flugzeug eskortierten, soll er - so die regierungsamtliche Lesart - von einem kommunistischen Killer namens Rolando Galman aus nächster Nähe mit Kopfschuß getötet worden sein. Galman starb im Kugelhagel der Soldaten.

Die Untersuchungskommission, eingesetzt vom philippinischen Diktator Ferdinand Marcos mit der Maßgabe, »die Tatsachen offenzulegen und Spekulationen so weit wie möglich zu vermeiden«, tat sich schwer, der Wahrheit nahezukommen. Vor allem die Kommissions-Vorsitzende, die pensionierte Sozialrichterin Corazon Agrava, 69, sorgte ein ums andere Mal dafür, daß die Zeugenvernehmungen auf das Niveau eines asiatischen Komödienstadls sanken.

Vom Obergefreiten Rogelio Moreno, Aquinos Geleitschutz aus dem Flugzeug, etwa verlangte sie, er solle vorspielen, wie er sich verhielt, als der tödliche Schuß fiel. Moreno stellt sich in Positur. »Peng«, sagt die Vorsitzende; der Soldat dreht sich nach links, blickt dann nach rechts. Frau Agrava ist unzufrieden ("Etwas mehr Dramatik bitte") und ordnet Wiederholung an. Das Protokoll verzeichnet anhaltende Heiterkeit.

Auch Präsidentengattin Imelda Marcos war als Zeugin geladen. Nach der Einvernahme erhebt sich Richterin Agrava. Heute sei zufällig der Geburtstag der First Lady, sagt sie, alle möchten ihr bitte ein Ständchen bringen. Alle singen. Wieder ist Frau Agrava unzufrieden: Noch einmal, lauter und schneller. Die Vorsitzende dirigiert: »Happy birthday to you!«

Das sei der »absolute Tiefpunkt« der gesamten Untersuchung gewesen, klagte ein Kommissionsmitglied. Und Rechtsanwalt Renato Saguisag meinte: »Ich habe von Anfang an meine Zweifel gehabt, doch sollte man der Agrava-Kommission eine Chance geben.« Mit dem Gesang aber »haben sie allen Kredit verspielt«.

Das Urteil war gleichwohl voreilig. Denn die »zerstreute, großmütterliche Art« ("Asiaweek") der Corazon »Rosie« Agrava täuschte über ihre Entschlossenheit hinweg. Sie meinte es ernst mit der Bemerkung: »Egal was passiert, wir werden die Wahrheit herausbringen.«

Nach zehnmonatiger Untersuchung, nach der Einvernahme von 186 Zeugen, nach Würdigung von 458 Beweisstücken und Studium von 20 000 Seiten stenographischer Protokolle wollte Frau Agrava den 300 Seiten starken Abschlußbericht nun vorlegen - gleichzeitig dem Herrn im Malacanang-Palast, Präsident Marcos, und der Öffentlichkeit. Er beweist, daß sich die Kommission in ihrer Arbeit nicht hat einschüchtern lassen.

An Einschüchterungs- und Einmischungsversuchen hatte es wahrlich nicht gemangelt. So hatte Brigadegeneral Baltazar Aguirre den Ex-Senator Aquino am Tag vor dessen Heimkehr in Taipeh angerufen und ihn gewarnt: Er solle bei seiner Ankunft in der philippinischen Hauptstadt ermordet und der angebliche Attentäter ebenfalls erschossen werden. Einen Tag nach Aquinos Tod starb auch der General - zusammen mit seiner Frau - bei einem bis heute ungeklärten nächtlichen Autounfall.

Kurz nach den tödlichen Schüssen auf dem Flugplatz Manila verschwand die Lebensgefährtin des vorgeblichen Mörders Galman. Sie blieb verschollen. Ihre Mutter sei, sagte die 16jährige Tochter vor dem Untersuchungsausschuß aus, damals zum Generalstabschef Fabian Ver beordert worden. Doch Richterin Agrava mochte das nicht als Beweis gelten lassen, da es sich nur um Hörensagen handele. General Ver bestritt energisch, vom Schicksal der Frau Galman Kenntnis zu haben.

»Richterin Agrava ging die Untersuchung sicherlich in der Absicht an«, meint der Anwalt Raul Gonzales, »die Theorie der Regierung zu bestätigen, daß Galman der Mörder war. Aber die Fülle der Beweise hat sie eines anderen belehrt.«

Die übrigen vier Kommissionsmitglieder kamen ebenfalls zu dem Schluß, daß Galman Opfer, nicht Täter war. Mehr _(Ein Aquino-Wächter demonstriert, wie er ) _(den angeblichen Aquino-Attentäter ) _(erschoß. )

noch: »Wir sind uns in drei Punkten einig«, sagte ein Kommissionsmitglied, mochte seinen Namen aber nicht genannt haben, daß der Mord an Aquino »erstens eine Verschwörung im Militär war, zweitens daß das Militär den Mord ausführte und daß das Militär ihn drittens zu vertuschen suchte«.

Doch wer ist hierbei das Militär? Einer der Aquino aus dem Flugzeug führenden Soldaten hat ihn, das steht für die Agrava-Kommission zweifelsfrei fest, erschossen - wer von den fünfen es war, konnte nicht mit letzter Bestimmtheit festgelegt werden.

Aber wie groß war der Kreis der in die Verschwörung eingeweihten Offiziere? Reichte er bis in die Führungsspitze der philippinischen Streitkräfte? Präsident Marcos, das steht für die Kommission gleichfalls fest, war nicht beteiligt und nicht informiert; aber, so ein Agrava-Kollege, »das der Kommission vorliegende Beweismaterial schließt eine Beteiligung von Ver nicht aus«.

Der Generalstabschef, nach Ansicht vieler Filipinos die eigentliche Macht hinter Marcos, hat den Untersuchungsbericht bereits vorab durch seinen Sprecher als »Dreck« abqualifizieren lassen.

Dennoch halten sich in Manila die Gerüchte, General Ver, 64, werde als Haupt der Verschwörung gegen Aquino benannt und angeklagt werden. Das dürften sich die Militärs aber kaum gefallen lassen.

Corazon Agrava sieht schon die Gefahr einer »gewalttätigen Reaktion« auf ihren Bericht. »Wir sind uns dieser Gefahr bewußt«, sagt sie, »das ist die Tragödie« der Philippinen.

Ein Aquino-Wächter demonstriert, wie er den angeblichenAquino-Attentäter erschoß.