Eisenbahn durch die Hölle (original) (raw)

Und doch warnt er: vor einer »jugoslawischen Phase«, die dem Süden bevorstehen könne, vor der »hergelaufenen Soldateska«, die nun zivile Ordnung herstellen solle, und davor, dass Thormählen viel zu wenig weiß von dem wilden Land.

Volker Riehl, groß, kräftig, rosige Wangen, arbeitet für Misereor und hat viele Jahre lang Projekte des Deutschen Aussätzigen-Hilfswerks im Sudan geleitet. Immer wieder war Riehl dort. Er hofft auf einen dauerhaften Frieden, und er glaubt, dass es klappen könnte.

Aber Riehl erzählt von einer »Gesellschaft auf dem Stand der mittleren Steinzeit«, von den Warlords, dem Sklavenhandel und von noch viel mehr Gründen, warum der Sudan der Hölle ähnlicher sei als jeder andere Ort auf der Erde. Und dann sagt er, dass man in der Hölle wirklich nicht als Erstes eine Eisenbahn brauche.

Der Verwalter in Kapoeta hätte Thormählen, den Finanz- und Krupp-Leuten noch einiges erzählen können. Dass es keinen Strom gibt, natürlich nicht, und Wasser nur manchmal, aus dem Brunnen mit Handpumpe. Und kein Krankenhaus, keinen Arzt. Dass die Leute an Durchfall und Malaria sterben und wahrscheinlich auch an Aids, dass das aber niemand wisse. Aber er erzählt auch von der Hoffnung, die so groß sei wie Jahrzehnte nicht: »Mein Großvater ist im Krieg geboren, mein Vater ist im Krieg geboren, ich bin im Krieg geboren. Mein Großvater ist im Krieg gestorben, mein Vater ist im Krieg gestorben. Ich bin jetzt 45. Ich möchte 90 werden und noch älter.«

Thormählen hätte auch mit dem Polizisten von Kapoeta reden können: Francis Logale Lino, ernstes Gesicht, sitzt auf einem Plastikstuhl unter einem Akazienbaum. Das ist sein Büro. Er freut sich über seinen Job, auch wenn niemand ihm Gehalt zahlt. Auf der Stirn trägt er Schmucknarben und darüber noch weitere Narbenwülste, wo gleich zwei Gewehrkugeln seine Stirn streiften.

Der Krieg ist vorbei, aber Ruhe herrsche hier noch lange nicht, sagt er: Banden von Viehdieben überfallen immer wieder fremde Clans, rauben Rinder, schießen um sich und vergewaltigen die Frauen. Soll er die Täter verfolgen, ohne Auto natürlich, also zu Fuß auf seinen blauen Badeschlappen, die Kalaschnikow umgehängt?

Was würde es denn für ihn bedeuten, wenn die Eisenbahn käme? Ein breites Grinsen zieht über Logale Linos Gesicht. »Ding, ding, ding«, ahmt er das Rattern des Zuges nach. Anders als die meisten hier weiß er also, was das ist, ein Zug. »Ich könnte nach Juba fahren zu meiner Familie«, sagt er. Die hat er seit Beginn des Krieges vor 21 Jahren nicht mehr gesehen.

Aber: Was machen die Banden, wenn ein Zug kommt?

Von der Sorge erfahren die Unternehmer aus Deutschland nichts, denn sie sitzen längst wieder im Flugzeug. Und selbst hier könnten sie viel erfahren über den Sudan. Denn mit dabei ist auch Manasa Machar Bol, 26, Major der SPLA und Büroleiter von Garang Ring in Nairobi. Er trägt enge Jeans, Cowboystiefel und Sonnenbrille. Er ist sehr lässig, denn er hat mehr erlebt als die meisten Menschen.

Mit acht Jahren wurde er im Chaos des Krieges von der Rebellenarmee aufgelesen. Er hat Menschen erschossen, als er noch nicht groß genug war, um sein Gewehr über längere Strecken zu tragen. Worum es eigentlich ging, wusste Machar Bol lange nicht: Begonnen hatte der Krieg 1983, als der arabische Norden die Scharia, das islamische Gesetz, für das ganze Land einführte - was die meist christlichen Schwarzen nicht wollten. Aber zu Grunde lag dem Krieg eine jahrhundertealte Unterdrückung der Schwarzen durch die Araber, unterstützt von den Kolonialmächten. Der Norden fing Sklaven im Süden und nahm auch das Öl. Das Geld ging nach Khartum.

Davon erfuhr Machar Bol im Rebellenlager. Und deshalb sagt er heute, wenn man ihn fragt, wie viele Menschen er erschossen hat: »Ich bedaure, dass sie tot sind, aber es gab einen Grund dafür.«

Auch für den Frieden gibt es einen Grund. In den neunziger Jahren ist Costello Garang Ring immer wieder von Deutschland aus nach Washington gereist und hat gewarnt: vor Osama Bin Laden, der im Norden lange Unterschlupf fand, vor den anderen Islamisten. Ernst genommen hat man ihn erst nach den Terroranschlägen von New York und Washington. George W. Bush schickte einen Sonderbevollmächtigten, und der nötigte den Norden zu Friedensverhandlungen.

Aber ohne Frieden im Südsudan hätte es wohl auch nicht den Krieg in der anderen Unruheregion, in Darfur, gegeben. Jedenfalls nicht so, denn die Kämpfe entbrannten erst mit voller Gewalt, als die Darfur-Rebellen sahen, was der Süden erreichte.

Im kenianischen Lokichokio, gleich hinter der sudanesischen Grenze, landet Thormählens Pilot zwischen. Zweimal täglich heben hier schwere Hercules-Maschinen der Uno Richtung Sudan ab. In den weißen Blechbäuchen 18 Paletten mit Säcken aus weißem Plastik. Darin: gelbe Bohnen, Mais oder Reis. Am Ziel öffnen die Piloten einfach die großen Luken. Der Südsudan hängt am Tropf des Welternährungsprogramms. Seit 1989 füttert die Weltgemeinschaft rund die Hälfte der jetzt rund 6,5 Millionen Menschen hier. Für eine Million Dollar pro Tag.

Darf ein solches Land Milliarden Dollar für eine Eisenbahn ausgeben? Oder ist das die falsche Frage? Muss es das?

Der Südsudan gilt als Kornkammer des Kontinents. Das Land könnte Hirse, Maniok, Früchte exportieren. Eigentlich. Es fehlen aber einfachste Geräte, die Bauern haben sich daran gewöhnt, dass Mais vom Himmel fällt. Und es gibt eben keine Möglichkeit, irgendetwas aus diesem Land abzutransportieren.

Am Abend im Konferenzsaal des Serena Hotels in Nairobi präsentieren Thormählen und seine Leute den Rebellenführern der SPLA, die bald Minister sein sollen, ihre Machbarkeitsstudie der Bahnlinie. Die Männer hantieren mit Laptop, Infrarotmaus und silberfarbenen Memory Sticks, die sie an Bändern um den Hals tragen.

Thormählens Partner Flachsbarth zeigt Karten mit roten, grünen und blauen Linien quer durch den Südsudan. »Im Sudan hat das ganze Netz 4000 Kilometer, mit Verbindungen nach Kenia und Uganda 5000 Kilometer.« Nächste Folie: »Für den ersten Bauabschnitt Juba-Nimule müssen zahlreiche Brücken gebaut werden und drei Tunnel, bis zu zweieinhalb Kilometer lang.« Flachsbarth hat die Strecken mit einem Helikopter abgeflogen.

Nächste Folie: »Die Nil-Brücke bei Juba ist 700 Meter lang.« Und gesteuert werden können die Züge automatisch - »die Datengeschwindigkeit ist bis zu 622 Megabit pro Sekunde«. Flachsbarth präsentiert Geschwindigkeiten, Fahrpläne, Skizzen von Bahnhöfen. Die letzte Folie ist das Preisschild: 1,6 Milliarden Euro, für den ersten Bauabschnitt.

Einige der künftigen Minister des Südsudan grinsen. Kuol Manyang Juuk, der Wirtschaftsminister in spe, nickt. Auch John Garang, der zukünftige Regierungschef, nickt, als er die Präsentation am nächsten Tag sieht. Thormählen weiß, mit wem er es zu tun hat. Garang ließ politische Gegner ermorden, und Kuol Manyang Juuk ist besser als »Schlächter von Äquatoria« bekannt.

Jetzt gehe es aber darum, wie positiv die SPLA am Wiederaufbau arbeite, sagt Thormählen: »Garang hat es geschafft, 21 Jahre lang Widerstand zu leisten« - und »im Blick zeigt er nichts Böses. Ich bin nie im Krieg gewesen. Soll ich dann ein Urteil fällen?«

Nein, die Hauptfrage ist: Kann die SPLA die Bahn bezahlen? Die Rebellen hoffen. Demnächst findet eine Geberkonferenz statt, in Oslo. Aber wenn die reichen Länder diese Hilfe nicht geben wollen, möchte John Garang die Bahn über Kredite finanzieren, mit dem Erdöl als Sicherheit.

Das ist in Kenia, das immerhin 1,3 Milliarden für seinen Teil der Strecke zahlen soll, schon etwas schwieriger. Die Minister dort loben das Projekt zwar »als das beste seit der Schöpfung«, aber Kenia hat fast fünf Milliarden Euro Schulden. »Können wir nicht innovativer sein?«, fragt ein Fachmann Thormählen, »Öl haben wir nicht. Aber Fisch - vielleicht Fisch gegen die Bahn?« Jetzt lachen selbst die anderen Kenianer.

Der Mann von ThyssenKrupp schaut grimmig.

Das ist der Konflikt: Kenia will, dass Firmen eigenes Geld im Land investieren. Thormählen will erst mal einen Auftrag, bezahlt aus der klammen kenianischen Staatskasse. Erst später würde er dann investieren, indem er die Bahn betreibt. Doch von diesem Modell muss er die Regierung erst überzeugen.

Aber dann ruft über einen Mittelsmann auf einmal der Aga Khan an, der Jet-Setter, der millionenschwere Chef der Glaubensgruppe der Ismailiten. »Hello, how are you?«, fragt Thormählen in das Handy. Der Aga Khan antwortet, dass er sich mit Thormählen treffen wolle, möglichst bald. Um festzustellen, ob man bei dem Eisenbahngeschäft zusammenkommen könnte. »Kapital hat er«, sagt Thormählen, nachdem er aufgelegt hat.

Auch in Uganda läuft es nicht schlecht für Thormählen. »Umsonst gibt''s nix«, sagt der zuständige Minister und lacht. »Glücklicherweise ist der Teil in Uganda der kleinste.« Es geht um 260 Millionen Euro. Der Minister sagt, er hoffe auf die Weltbank, wolle Entwicklungshilfegelder lockermachen, einen Teil müsse das Land selbst bezahlen. Die Bahn soll durch den Norden Ugandas bis zur Stadt Gulu führen. Flachsbarth zeigt ein schönes Bild: »So könnte der Bahnhof in Gulu aussehen.«

Die ugandischen Minister nicken, die deutschen Unternehmer nicken.

Ein paar Tage zuvor sendete die BBC einen Film über Gulu: Jeden Abend kommen Kinder in die Stadt, manche nach stundenlangem Marsch. Es sollen Zehntausende sein. Sie fliehen vor einer marodierenden Rebellenbewegung, die sich »Widerstandsarmee des Herrn« nennt und die nachts die Kinder aus den Dörfern verschleppt und sie zwingt, mit zu töten und

zu plündern. Die Reporter zeigten Bilder im Mondschein, Kinderleiber dicht an dicht. Sie schlafen auf der Erde, auf der Veranda von Häusern und einfach auf der Straße. Die Uno nennt den Konflikt »die weltweit größte verdrängte menschliche Katastrophe«.

Der Bahnhof, den die Ingenieure aus Bad Oldesloe für Gulu vorgesehen haben, hat einen schicken Eingang mit Glasdach.

Aber derartige Probleme besprechen die Männer der Delegation nicht, abends an der Hotelbar, bei Gin Tonic und Zigarren. Sie berauschen sich an den Chancen, die ihre Eisenbahn bietet für Ostafrika. Und für sie selbst. »Wer die Eisenbahn betreibt, betreibt das Land«, sagt einer. »Da können solche Profite erzielt werden«, sagt ein anderer. Geht nicht gibt''s nicht, das ist Thormählens Prinzip.

Costello Garang Ring, der Politiker und Königssohn mit der sanften Stimme, hält sich bei diesen Unterhaltungen meist zurück. Er trinkt keinen Alkohol. Nie. Er erzählt von den Traditionen seiner Dinka. Dass die Könige wie sein Urgroßvater früher lebendig begraben wurden, damit der Geist der Herrschaft bewahrt bliebe, und dass man bis heute einen schönen Ochsen braucht, um eine Ehefrau zu gewinnen. Als er 1982 nach Deutschland flog, kam er nicht einmal aus dem Frankfurter Flughafen, weil er noch nie eine Automatiktür gesehen hatte. »Zeitreisender« nennt er sich: »Ich sehe die Schwierigkeiten, wenn man die Probleme des 17. Jahrhunderts mit den Lösungen aus dem 21. Jahrhundert zusammenbringt.«

Aber anders gehe es auch nicht, deshalb müsse das Geld für die Bahn her. Und sollte es mit den Krediten gegen das Öl zu lange dauern, sei da noch die Goldmine. Ein Minenexperte, der zuständige Minister in spe, sagt: »Wenn es geregnet hat, gehen die Leute morgens los und kommen um zwei zurück, mit einem Kilo Gold.«

»Sie meinen, nach einem Monat?«, fragt Thormählen.

»Nein, nein, sie gehen morgens früh los und kommen nachmittags wieder«, sagt der Minister.

Die Mine bei Kapoeta tatsächlich zu besuchen, dazu hat Thormählen keine Zeit. Sonst hätte er sehen können, dass die Mine ein sandiges Flussbett ist, ausgetrocknet, mit Akazienbäumen und stacheligen Büschen. Männer graben mit bloßen Händen und angespitzten Kardanwellen von Armeelastern. Baumstammgroße Löcher buddeln sie so in die Erde, acht, neun Meter tief. Viele sind nackt, die Körper verschmiert mit Sand und Schweiß. In bunten Plastikschüsseln tragen sie den Sand nach oben. Dann waschen sie ihn - mit Wasser, das sie zu Fuß von einer einen Kilometer weit entfernten Quelle geholt haben. Mit beiden Armen fahren sie durch den Schlamm, bis am Rande des Drecks dann Körnchen aufblitzen: Gold.

»Wir wollen keine Firma hier. Wir wollen dies selbst machen, weil das Gold diesem Stamm gehört und keinem sonst«, sagt der Dorfälteste Marko Loruma Achoro.

Wenn Thormählen daran denkt, wie es weitergehen soll mit der Bahn, sagt er, es müsse Stück für Stück gehen.

Wenn Major Machar Bol an die Zukunft seines Landes denkt, denkt er an die vielen Männer mit Waffen im Land. Dann formuliert er präzise, wie jemand, der über eine Sache lange nachgedacht hat.

»Ein solcher Mann ist ein wildes Tier. Zum Frieden passt er wie ein Tier im Zoo. Um etwas zu essen zu bekommen, wird er töten. Er wird nicht an das glauben, was ihm jemand geben will. Sondern er wird mit Gewalt nehmen, was er kriegen kann.«

Der Weg zum »Neuen Sudan« ist noch ziemlich weit. Die gewaltige Strecke von 5000 Kilometern ist für Thormählen und seine Eisenbahn vielleicht noch das geringste Problem.

* Mit einem Foto von sich im Bürgerkrieg.