Einer für alle (original) (raw)

Zwei Markteinführungen (Golf drei und vier) musste ich als Zivilist und stiller Leser von Automagazinen ertragen. Nun also, der Start der nächsten Generation; "des besten Golfs aller Zeiten" (Zitat VW-Pressetext).

Als junger 78er ist der Golf für mich gleichbedeutend mit Helmut Kohl. Er war einfach immer da. Papis erstes Auto, an das ich mich bewusst erinnern kann, war ein Golf 2 GT mit sagenhaften 90 PS. Unverzeihlich eigentlich, dass ich mit 18 auf einen gebrauchten Opel Astra wechselte. Der Kosten wegen. Es war eben schon immer etwas teurer, einen Golf zu fahren.

27. Februar 2015,13:23

Zwei Markteinführungen (Golf drei und vier) musste ich als Zivilist und stiller Leser von Automagazinen ertragen. Nun also, der Start der nächsten Generation; "des besten Golfs aller Zeiten" (Zitat VW-Pressetext). Und ich mittendrin. Das ist so, als hätte der Altkanzler zum Kaffeekränzchen gebeten.

Der Golf soll für sich selbst sprechen

Nach Hannover haben sie bei Volkswagen eingeladen. Und nach Goslar. Und Wolfsburg. Ausdruck eines neuen Traditionsbewusstseins. Andere Hersteller schicken die internationale Journalistenmeute ins Ausland. Wer über den Golf V berichten will, muss auf spektakuläre Serpentinen und staubtrockene Wüsten verzichten. Der Neue soll für sich selbst sprechen, auf heimischen Autobahnen und rumpeligen Landstraßen. Glamour? Fehlanzeige. Von den Zwischenstopps mal abgesehen.

Erster Anlaufpunkt für die schreibende Zunft: der Flughafen Hannover. Dort hat Volkswagen ein überdimensionales Messe-Zelt zur provisorischen Journalisten-Auffangstation aufgerüscht. Adrette Hostessen, plüschige Pastelltöne, bequeme Polstersessel und leckere Häppchen. Alles sehr modern und absolut unspektakulär. Wie der Golf.

Ein Golf ist ein Golf

Wenig später rollt der erste Testwagen vor. Ein mausgrauer Viertürer mit Zweiliter-Motor und 150 PS. Otto Normalbürger muss auf die vorläufige Top-Motorisierung noch warten. Die günstigeren Versionen haben zur Markteinführung Vorrang. Es ist ein unspektakulärer Auftritt. Abgesehen davon, dass der neue Golf so aussieht, wie ein Golf eben aussieht, sorgt sein neues Blechkleid bei keinem Journalisten für überraschte Blicke. Die PR-Strategen des Volkswagen-Konzerns haben bereits vor Monaten damit begonnen, Redaktionen und Kunden mit kleinen Golf-Häppchen zu versorgen. Die meisten haben ihn außerdem bei der so genannten statischen Präsentation in Wolfsburg oder auf der IAA in Frankfurt gesehen.

Böser Blick

Bemerkenswert ist allenfalls der für einen Golf erstaunlich böse "Blick". Die oberen Kanten der Kotflügel sind höher als die eigentliche Motorhaube, so bekommt der Wagen links und rechts einen Höcker. Die großen Scheinwerfer verjüngen sich zum VW-Logo hin, die Motorhaube steht einige Millimeter über. Eine bauliche Veränderung, mit der einschlägige Tuner und Bastler seit jeher versuchen, biederen Alltagsautos das nötige Überholprestige anzuerziehen.

Alles wie gehabt

Viel Zeit, sich allen Neuerungen zu widmen, bleibt allerdings vorerst nicht. Schließlich wollen noch mehr Kollegen "ihren" Golf übernehmen und drängen zur Abfahrt. Also, einsteigen. Mit einem satten "Plopp" schließt sich die Fahrertür. Kein Klappern, kein Knarzen, kein Knistern. Geräuschdisziplin, die man vom Vorgänger kennt. Ansonsten ist alles anders. Und doch auch wieder nicht. Die VW-Designer haben den kompletten Innenraum neu gestaltet. Das Armaturenbrett wirkt nicht mehr so dominant, irgendwie luftiger. Alle Bedienelemente der Mittelkonsole sind nach oben gewandert und werden endlich nicht mehr vom Schalthebel verdeckt. Das Lenkrad musste ebenfalls abspecken. Drei Speichen müssen reichen. Trotzdem ist alles noch ungefähr da, wo man es beim Golf IV schon gefunden hat. Radio, Lüftung, Lichtschalter geben kaum Rätsel auf.

Enttäuscht werden all jene sein, die sich an den wuchtigen Innenraum des "Alten" gewöhnt haben. Nicht ganz an alte Tugenden anknüpfen kann auch die Materialanmutung. Außerhalb des direkten Blickfelds fühlt sich der verbaute Kunststoff nicht unbedingt so an, als sei er für die Ewigkeit gemacht.

Wachstum

Eine angenehme Sitzposition zu finden, ist nicht schwer. Die Sportsitze passen perfekt, durch die üppigen Verstellbereiche sollten auch groß gewachsene Golfer unterzubringen sein. Sonderlob verdienen hier die sehr langen Einstellwege des horizontal und vertikal beweglichen Lenkrads. Man merkt deutlich, dass der Wagen in Länge (+ 55 Millimeter), Breite (+ 24 Millimeter) und Höhe (+ 41 Millimeter) zugelegt hat.

Blinker links und ab auf die Autobahn. Natürlich nicht ohne Schulterblick, weil die dicke Dachsäule am Heck den freien Blick nach hinten versperrt. Das hat Tradition und wurde von Volkswagen inzwischen zum Qualitätsmerkmal erhoben.

Schlagloch-Schluckspecht

Die Autobahn zeigt schnell, worauf man bei der Entwicklung der fünften Golf-Generation großen Wert gelegt hat: Fahrkomfort. Bodenwellen bügelt das Fahrwerk glatt, kurze Schläge dringen kaum in den Innenraum durch. Verantwortlich dafür ist die neu entwickelte Vierlenker-Hinterachse, die in diesem Segment Maßstäbe setzten dürfte. Selbst bei über 200 Sachen liegt der Wolfsburger satt auf der Fahrbahn und vermittelt ein beinahe beunruhigendes Gefühl der Sicherheit.

Flott unterwegs

Kurz vor Goslar berichtet die freundliche Dame aus dem Navigationssystem (2.340 Euro Aufpreis) von einem angeblich vor uns liegenden Stau und rät zum Verlassen der Autobahn. Auch schön, so kann der 150-PS Golf sich auf der Landstraße austoben. Der positive Eindruck des Fahrwerks bestätigt sich. Trotz einer komfortabel ausgelegten Abstimmung lässt sich er sich flott um die Kurven zirkeln. Lastwechsel-Reaktionen nach übertriebenen Lenkbewegungen sind kaum feststellbar, die neue elektromechanische Lenkung vermittelt einen guten Kontakt zur Fahrbahn, zu schnell angegangene Kurven quittiert der Wagen mit einfach abzufangendem Untersteuern. Im Notfall lenkt der serienmäßige Schleuderverhinderer ESP die Fuhre wieder in geregelte Bahnen.

In Goslar sammelt sich die Testwagen-Flotte direkt vor der Kaiserpfalz. Allerweltsauto trifft Weltkulturerbe. Eine nette Idee. Und eine schöne Gelegenheit, den Golf unter die Lupe zu nehmen. Der erste Blick gilt dem Bordcomputer. Das kleine Display zwischen Tacho und Drehzahmesser zeigt einen Durchschnittsverbrauch von über elf Litern an. Trotz satter Motorleistung und teilweise forscher Fahrweise: Das ist happig.

Nette Details

Der zweite und dritte Blick gelten wieder dem Innenraum. Inmitten den unspannenden Einerleis haben die Entwickler kleine Überraschungen versteckt. So wird der Dosenhalter in der Mittelkonsole von einem schicken Aluteil in zwei Hälften geteilt. Nach einem kurzen Ruck löst sich das kleine Silberding aus seiner Verankerung und offenbart seine wahre Bestimmung als Flaschenöffner. Ungewöhnlich ist auch die Idee, den optionalen CD-Wechsler (mindestens 335 Euro Aufpreis) in die Armlehne der Sitze zu integrieren. Das spart Platz in Handschuhfach. Der Kofferraum macht den Eindruck, als könne man einen Golf der ersten Generation darin verstauen. 350 Liter - kein schlechter Wert in dieser Klasse.

"Darf ich mal reinschauen?"

Die Kaiserpfalz ist touristisches Frontgebiet. Eine Tatsache, die auch die emsige VW-Organisation nicht verhindern kann. Und so wird man schon vom Journalisten zum Autoverkäufer. "Ist das der neue Golf?". "Darf ich mal reinschauen?" "Ach wie nett. Hans schau doch mal, der helle Innenraum... " Ganz schlimm sind Schulklassen. Die fackeln nicht lange und fangen sofort an zu fummeln. Ein Albtraum für alle, die den Wagen anschließend noch fotografieren müssen.

Flotter Diesel

Da hilft nur die sofortige Abreise. Das Fluchtauto: ein Golf Comfortline mit dem bewährten 105-PS-Diesel. Eine gute Wahl. Wenn nicht die Beste. Der Selbstzünder hat kaum Probleme mit dem 1.251 Kilo schweren Wagen. Etwas rau in der Aussprache, aber nach wie vor ein Musterbeispiel an Spritzigkeit. Ein Triebwerk wie geschaffen für die engen Landstraßen rund um die kleinen Harz-Kaffs außerhalb Goslars. Und dabei recht genügsam. Trotz rüder Fahrmanöver gibt sich der TDI im Schnitt mit weniger als sieben Litern Kraftstoff zufrieden.

Lahmer FSI

Nach einer kurzen Nacht in Wolfsburg dann die Rückfahrt nach Hannover. Diesmal unter der Haube: der neue Benzin-Direkteinspritzer (FSI) mit 115 PS. Damit lässt sich leben, sollte man meinen. Der Vierzylinder entpuppt sich allerdings schnell als Schreihals ohne viel Stehvermögen. Vor allem in unteren Drehzahlregionen reagiert das Triebwerk auf versuchten Leistungsabruf mit lautem Gebrumm und wenig Vortrieb. Im Gegenzug enttäuscht auch ein Blick auf die Verbrauchsanzeige. 8,6 Liter sind für so ein High-Tech-Triebwerk einfach zu viel.

Technischen Daten zur Markteinführung

Motorisierung 1.4 1.6 FSI 1.9 TDI 2.0 TDI
Triebwerk Vierzyl. Benzinmotor Vierzyl. Benzin-Direkteinspritzer Vierzyl. Turbodiesel-Direkteinspritzer Vierzyl. Turbodiesel-Direkteinspritzer
Hubraum 1.390 ccm 1.598 ccm 1.896 ccm 1.968
Leistung 75 PS 115 PS 105 PS 140 PS
Länge/ Breite/ Höhe 4.204/ 1.759/ 1.485 Millimeter 4.204/ 1.759/ 1.485 Millimeter 4.204/ 1.759/ 1.485 Millimeter 4.204/ 1.759/ 1.485 Millimeter
Leergewicht 1.154 kg 1.184 kg 1.251 kg 1.281 kg
Bremsen Scheiben- bremsen rundum, ABS, ESP serienmäßig Scheiben- bremsen rundum, ABS, ESP serienmäßig Scheiben- bremsen rundum, ABS, ESP serienmäßig Scheiben- bremsen rundum, ABS, ESP serienmäßig
0-100 km/h 14,7 Sekunden 10,8 Sekunden 11,3 Sekunden 9,3 Sekunden
Höchstgeschw. 164 km/h 192 km/h 187 km/h 203 km/h
Durchschnitts- verbr. 6,8 Liter 6,4 Liter 5,0 Liter 5,4 Liter
Grundpreis 15.220 Euro 17.995 Euro 18.650 Euro

Fazit

Vom Ur-Modell mal abgesehen ist der neue Golf der beste aller Zeiten. Weil er ein Golf ist. Das Gesamtpaket stimmt. Egal ob rüstiger Rentner, verwöhnter Yuppie oder knauseriger Bürohengst. Ein Golf passt immer. Keine Illusionen sollte man sich über den scheinbar günstigen Einstiegspreis machen. Für 15.220 Euro bekommt man nicht mehr als eine Straßensperre mit vier Airbags und einem beleuchteten Handschuhfach. Für den spritzigen 1,9-Liter-Diesel mit 105 PS werden schon 18.650 Euro fällig. Inklusive Extras ist die 20.000 Euro-Hürde kein Problem. Es war eben schon immer etwas teurer, einen Golf zu fahren...

Jochen Knecht