Das Selbstbewusstsein der Autoindustrie kehrt zurück (original) (raw)

Viele deutsche Autobauer stehen derzeit unter Druck, doch bei der Autoschau IAA in München versucht die Industrie eine Demonstration von Stolz und Zuversicht – fast als wollte sie die alten, guten Zeiten reanimieren

Es begann – natürlich – gleich mit einer Blockade jener freien Fahrt, die doch hier eigentlich endlich wieder gefeiert werden soll. Am Freitagabend veranstaltete die BMW-Tochter Mini am Münchner Karlsplatz ihren Auftakt zur Automesse IAA, doch die letzten 150 Meter mussten die Besucher laufen. Aktivisten der Letzten Generation hatten sich auf die Straße geklebt. "Schöne heile Welt hier – wie lange noch?", stand auf einem ihrer Transparente. Abgesehen von einzelnen aggressiven Autofahren blieben die Proteste friedlich und die Demonstranten länger als eine Stunde auf der Straße – wenngleich andernorts die Polizei 27 Protestler vorübergehend festgenommen hat.

Auch bei Mini in einem stillgelegten Kaufhaus ging die Party unbeeindruckt voran. Schon vor der offiziellen Eröffnung der Autoschau in dieser Woche versuchten mehrere Hersteller über das Wochenende mit Shows, Feiern, Präsentationen und Diskussionen die Welt für ihre Produkte zu begeistern, jedenfalls Multiplikatoren wie Presse, Influencer oder Vertreter von Politik und Behörden. Die Botschaft dieser IAA soll allem Anschein nach sein: Die schöne heile Welt der Autoindustrie – also das, was die Klimaschutzbewegung anprangert – ist wieder intakt.

Noch vor zwei Jahren, als die Messe erstmals nach der Coronakrise stattfand, und erstmals in München, war sie zumindest in Teilen eine Demonstration der Verunsicherung. Brauchte man überhaupt noch Automessen? Die anderen großen Schauen sind schließlich in Europa im Zuge der Pandemie weitgehend verschwunden. Sollte die Autoindustrie weiter wie ehedem auf Petrolheads und andere Autobegeisterte als Zielgruppe setzen, die seit langem alle zwei Jahre in stark schwindender Zahl in die Messehallen strömten? Was war denn überhaupt das Produkt der Autobauer – glänzende Karren, schöner, schneller, weiter fahrend, so wie all die Jahre? Oder Mobilität für die Gesellschaft? Wäre das nicht die richtige Antwort der Industrie auf die Herausforderung durch Fridays for Futures (FFF) und andere Wortführer der Klimaschutzbewegung?

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Rückkehr zur Autoschau der alten Art

Die IAA wurde folglich umbenannt in IAA Mobility, keine Auto- sondern eine Mobilitätsschau sollte es sein. Also wurden Fahrradhersteller, Busbetreiber, Flugtaxifirmen und andere Start-ups für digitale Fortbewegung eingeladen. Die alle dürfen zwar dieses Mal immer noch kommen, aber sie spielen auf den Ausstellungsflächen praktisch keine große Rolle mehr. Auch die Umarmungsstrategie gegenüber der Umweltbewegung hat so nicht funktioniert. Vor zwei Jahren, trotz einer Einladung an FFF, kam der Dialog kaum zustande.

Dieses Jahr hat der veranstaltende deutsche Autoherstellerverband VDA es mit einem Diskussionsangebot an die Letzte Generation versucht. Zu durchsichtig schien vielleicht die beabsichtigte Botschaft: Dass doch alle im Grunde das gleiche Ziel verfolgen, die VDA-Mitglieder mit ihren E-Autos und die Protestbewegung mit ihren Blockaden. Das Angebot, sich auf der IAA mit einem Stand zu präsentieren haben die Vertreter der Letzten Generation dankend abgelehnt. Immerhin fand am Samstag – auf Einladung von Greenpeace – auf dem Stachus eine Diskussion statt, bei der neben den Umweltverbänden Greenpeace und BUND auch die Letzte Generation und der VDA vertreten waren.

Dennoch ist die diesjährige IAA größtenteils wieder eine Autoschau der alten Art, die einzige in Europa, die überlebt hat – immerhin. Ein paar Mobilitätsmessen-Feigenblätter der ersten Münchner IAA bleiben zwar, aber sie fallen kaum mehr ins Gewicht. Was auch bleibt, ist, dass die Messe nicht auf ein paar Ausstellungshallen beschränkt bleibt, sondern dass sie hinausgeht in die Stadt (wo die Konfrontation mit der Protestbewegung entsprechend weiter ein Thema bleibt). Dennoch predigt die Autoindustrie dieses Jahr eher wie früher zu den Bekehrten, anstatt zu versuchen, eine skeptischer gewordene Öffentlichkeit für ihre Angebote zu gewinnen.

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"Wir schreiben lieber ein ganz neues Buch, als ein weiteres Kapitel"

Die einheimischen Hersteller haben aber – unübersehbar – dieses Jahr das Bedürfnis, wieder stärker Stolz und Zuversicht nach außen zu tragen. Das wird zum Beispiel am Samstag bei BMW sichtbar. Der Münchner Platzhirsch zeigt in einer Veranstaltungshalle vor hunderten Gästen ein Auto, das ein Teil seines künftigen Fahrzeugprogramms repräsentieren soll, elektrisch natürlich, die "Neue Klasse", der Name und das Design nehmen Anleihen an jene Modellgeneration die BMW in den 1960er-Jahren zum modernen und zeitweise wegweisenden Hersteller gemacht hat. "Wir schreiben lieber ein ganz neues Buch, als ein weiteres Kapitel", ruft Vorstandschef Oliver Zipse. Später wird er erzählen, dass auch der Erfolg der jüngsten großen Automesse in China im Frühjahr in Shanghai ihn bestärkt habe, am Format der großen Autoschau festzuhalten. Am Ende gilt für alle Hersteller: Es soll hier wieder der Zauber und die Faszination des glänzend ausgestellten Produkts wirken – und nicht Mobilitätssysteme und die nüchterne Frage, wie man es schafft, sich als nachhaltig darzustellen.

Das alles beantwortet natürlich noch nicht die Frage, wie es um die schöne heile Welt der hiesigen Autoindustrie, um ihren Stolz, ihre Zuversicht, in Wahrheit bestellt ist. Schließlich lag die Autoproduktion in Deutschland im vergangenen Jahr auf dem Niveau von 1970 und rund ein Drittel unter dem Wert der letzten guten Jahre 2017 und 2018 bevor erst Probleme mit der Anpassung an neue Emissionsmess-Verfahren, dann die Lieferkettenprobleme im Zuge der Coronakrise und die folgende Nachfrageschwäche die Werke hierzulande leerlaufen ließen. VW hat in den letzten Monaten ein einschneidendes Sparprogramm angekündigt und hat schon jetzt wegen sinkender Nachfrage Produktionsschichten in einigen deutschen Werken gekürzt. Mercedes streitet mit seinen Händlern.

Auf den Herstellern insgesamt lasten die Kosten für die Umstellung auf E-Antriebe und die Digitalisierung von Betriebssystemen. Dazu kommt, dass der Hauptmarkt China nur noch mit gebremstem Tempo wächst und dort politische Unsicherheiten und die wachsende lokale Konkurrenz die Frage aufwerfen, wie sehr die Hersteller in den kommenden Jahren noch auf China setzen können. Die Aktien von VW und Mercedes (nicht aber die von BMW) haben in den vergangenen eineinhalb Jahren deutlich an Wert verloren. Die auf der Messe nach außen getragene Zuversicht mag also auch die Aufgabe haben, das Geschäft wieder nach oben zu ziehen. Und vielleicht auch die skeptisch gewordenen Investoren zurückzuholen.

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Chinesische Autohersteller wollen die IAA als Sprungbrett nutzen

Ein reizvolles Paradox weist die Leistungsschau der – vor allem deutschen – Autoindustrie dieses Jahr zudem auf. Was die Messe groß macht, ist auch etwas, das die hiesigen Hersteller zusätzlich unter Druck setzt. Über 30 Aussteller aus China zeigen sich in München. Die chinesische Autoindustrie nutzt die Messe als große Rampe, um ihren Markteintritt in Europa anzuschieben. Potente Hersteller sind vertreten, der Tesla-Verfolger BYD etwa oder die Marke MG des Staatskonzerns und VW-Partners SAIC, die schon im vergangenen Jahr fast 50.000 Elektroautos in Europa verkauft hat, mehr als BMW, Audi und Mercedes.

Die chinesischen Hersteller haben im rasant wachsenden E-Auto-Geschäft auf ihrem Heimatmarkt bereits die westlichen Hersteller herausgefordert, die hier – mit Ausnahme von Tesla – fürchten müssen, dass sie an den Rand gedrängt werden. Jetzt wollen sie sich in München als ebenbürtig präsentieren. "China ist der größte Automarkt der Welt", mahnt BMW-Chef Zipse zur Gelassenheit. "Wer erwartet, dass der größte Automarkt der Welt keine eigene Industrie aufbaut, liegt falsch." Aber eine erfolgreiche Automarke entstehe nicht über Nacht.

Die deutschen Hersteller haben die technologische Kompetenz der Chinesen allerdings bereits anerkannt: VW ist – um wettbewerbsfähige Autos in China anbieten zu können – jüngst einen kostspieligen Pakt mit dem dortigen Hersteller Xpeng eingegangen, der die Technik für zwei Fahrzeuge liefern soll – ebenso erhält ein neuer Audi eine Plattform von SAIC. Mercedes hat die Verantwortung für die jüngsten Smart-Modelle bereits früher dem chinesischen Großaktionär Geely übertragen. Und der künftige Mini Cooper, den BMW am Wochenende am Münchner Stachus gezeigt hat, ist ebenfalls ein Auto aus China, dessen Elektroantriebsplattform maßgeblich von BMWs chinesischem Partner Great Wall entwickelt wurde.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Capital.de.

mkb

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