Unnützes Schleichen oder Sieg der Vernunft? Das würde ein Tempolimit in Deutschland bringen (original) (raw)

Ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen? Diese Idee ist für Verkehrsminister Andreas Scheuer "Gegen jeden Menschenverstand". Mal ganz sachlich: Was würde das bringen? Und macht Tempo 30 in der Stadt wirklich Sinn? Das sagen Experten.

Ein generelles Tempolimit für Autobahnen? Sobald das jemand hierzulande fordert, folgen heftigste Abwehrreaktionen. Auf manches in Deutschland eben Verlass. Dass eine Arbeitsgruppe über eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde überhaupt nur nachdenkt, reicht schon. Kein Wunder, dass die Emotionen hochkochen, nachdem eben jene Regierungskommission, die an Vorschlägen für mehr Klimaschutz arbeitet, die Idee jetzt wieder ins Spiel gebracht hat.

Die Debatte kommt zudem ausgerechnet zu einer Zeit, in der deutsche Autofahrer ohnehin mit Problemen zu kämpfen haben - Stichwort: Dieselfahrverbote. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nannte Gedankenspiele um ein Tempolimit "gegen jeden Menschenverstand".

10. November 2017,16:13

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Doch auf dem auf dem 57. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar wird diese Woche darüber debattiert: Was also spricht für Tempolimits, was dagegen? Und was sagen Experten?

Pro: Weniger Verkehrstote, bessere Luft? Argumente für ein generelles Tempolimit

Das spricht für Tempo 30 in der Stadt: Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Ortschaften, weil die Zahl der Verkehrstoten seit Jahren kaum noch sinkt. "Wenn wir uns nicht damit abfinden wollen, dass jedes Jahr rund 3200 Menschen im Straßenverkehr ums Leben kommen, müssen wir uns etwas einfallen lassen", sagt der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens. "Dabei spielt die Begrenzung der Geschwindigkeit eine wichtige Rolle." Denn: "Je schneller Fahrzeuge bei einem Zusammenstoß sind, desto größer sind auch die Kräfte, die auf die Insassen wirken", sagt Mertens. Viele innerörtliche Straßen seien für Tempo 50 objektiv ungeeignet. Deswegen sei Tempo 30 als Regel dort angebracht. Nur für ausgebaute Hauptverkehrsstraßen sollte aus Sicht des GdP-Vize weiter Tempo 50 gelten.

Der Allgemeine Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) unterstützt die Idee. "Wir setzen uns dafür ein, dass Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit in Städten wird", sagt Sprecherin Stephanie Krone. "Wo höhere Geschwindigkeiten erlaubt werden sollen, muss das begründet werden. Bisher ist es andersherum."

Das spricht für striktere Tempolimits auf Landstraßen: Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat plädiert für Tempo 80 auf schmalen Landstraßen. "Dort passieren mit Abstand die meisten Unfälle aufgrund von nicht angepasster Geschwindigkeit", sagt Sprecherin Julia Fohmann. Der Automobilclub ACE unterstützt die Idee: Zuletzt seien auf Landstraßen jährlich rund 1900 Menschen gestorben, das seien knapp 60 Prozent aller Verkehrstoten gewesen, sagt eine Sprecherin des ACE. "Es besteht Handlungsbedarf." Eine Senkung der Höchstgeschwindigkeit für Autos habe zudem den Vorteil, dass die Zahl der gefährlichen Überholmanöver von Autofahrern sinken werde, die langsamere Lastwagen hinter sich lassen wollen. Aus Sicht des ADFC sollte auf Landstraßen ohne gut befahrbaren Radweg sogar nur Tempo 70 gelten.

Das spricht für ein Tempolimit auf Autobahnen: Die Unfallforscher der Versicherer (UDV) fordern eine Diskussion über ein Tempolimit auf Autobahnen. "Die Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen den Fahrspuren nehmen immer mehr zu", sagt Leiter Siegfried Brockmann. Auch die Gewerkschaft der Polizei sieht hier Handlungsbedarf. "Wenn jemand mit Tempo 180 unterwegs ist und vor ihm schert ein Fahrzeug mit Tempo 90 auf die Überholspur aus, geht das schnell schief", sagt der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens.

Auch Ex-Grünenchef Cem Özdemir hält ein Tempolimit auf Autobahnen für ein "Gebot der Vernunft", wie er am Dienstag im ARD-Morgenmagazin sagte. "Das ist so ein bisschen, wie wenn Sie mit Amerikanern über das Recht, Waffen zu tragen, diskutieren", sagte er. "Diese Debatte in Deutschland wird leider sehr irrational geführt." Die meisten Länder der Welt haben Tempolimits auf Autobahnen (hier eine Übersicht über Tempolimits im Ausland).

Und das bringt ein Tempolimit für den Klimaschutz: Das Umweltbundesamt (UBA) hat das konkret für Tempo 120 ausgerechnet - allerdings auf Basis von Daten von 1996, neuere hat die Behörde nach eigenen Angaben nicht. Demnach sinken bei einen Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde die CO2-Emissionen der Pkw auf Autobahnen um neun Prozent, wenn 80 Prozent der Autofahrer sich daran halten. Im Jahr könnten so rund drei Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Insgesamt stieß der Bereich Verkehr 2017 fast 168 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus, eine Einheit, in die andere Treibhausgase umgerechnet werden. Ein weiteres Argument von Umweltschützern: Ein Tempolimit könnte dazu führen, dass Autobauer weniger auf schnelle Autos setzen, die viel Sprit fressen.

Contra: Das spricht gegen generelle Tempolimits

Tempolimits an Gefahrenstellen reichen aus: Der Automobilclub AvD hält einen Einfluss genereller Tempobegrenzungen auf die Unfallzahlen für nicht erwiesen. Stattdessen plädiert der Verband für Geschwindigkeitsbegrenzungen an Gefahrenstellen und Unfallschwerpunkten. Dies gebe es im Übrigen schon jetzt auf vielen Autobahnen, Land- und innerörtlichen Straßen, sagte ein Sprecher.

Diese Ansicht vertritt auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Der SPD-Politiker hält ein gesetzliches Tempolimit von 130 Kilometern in der Stunde auf Autobahnen in Deutschland für überflüssig. Der Grund: Eine solche Begrenzung sei faktisch längst Realität. "Ich fahre viel auf deutschen Autobahnen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Nach seinen Erfahrungen gebe es de facto fast bei keiner Fahrt mehr eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 130 km/h. "Die Realität auf unseren vollen Straßen hat diese Diskussion nicht nur eingeholt, sondern überholt."

Umbauen, wo es gefährlich werden kann: Der ADAC hält statt genereller Tempolimits Beschränkungen auf unfallträchtigen Strecken sowie bauliche Maßnahmen für sinnvoll. So sollten gefährliche Kreuzungen auf Landstraßen zu Kreisverkehren ausgebaut werden. Außerdem müssten mehr Überholstreifen angelegt werden, um Unfälle mit dem Gegenverkehr zu vermeiden. In den Städten sollten mehr Fahrstreifen- und -wege angelegt und zusätzliche Ampeln für Fußgänger installiert werden.

Zweifel an Klimaschutz-Argument: Der ADAC hat untersucht, wie sich Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 auf Pkw-Emissionen auswirkt. Sein Ergebnis: Tempo 30 führt aus Sicht des ADAC weder zur Reduzierung der Stickoxid- noch der CO2-Emissionen. Auch der AvD sagt, es habe bisher nicht nachgewiesen werden können, dass sich der Schadstoffausstoß durch Tempolimits verringern könnte.

Zweifel an der Argumentation mit der Zahl der Verkehrstoten: Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein kann generellen Tempolimits nichts abgewinnen. "Ich bin fest überzeugt, dass eine signifikante Senkung der Zahl der Verkehrstoten dadurch nicht erzielt würde", sagte der Vorsitzende Jörg Elsner.

Hintergrund: Das sind die Geschwindigkeitsregeln auf deutschen Autobahnen

Auf dem Großteil der Autobahnen gilt nach wie vor freie Fahrt – also zumindest so schnell, wie es die Verhältnisse zulassen. Komplett ohne Tempolimits sind 70 Prozent der Fahrbahnkilometer, Baustellen nicht mitgezählt. Bei weiteren sechs Prozent zeigen elektronische Schilder bei entspannter Lage nichts dergleichen an. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Blechschildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuellste Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2015 zeigen - am häufigsten Tempo 120 (7,8 Prozent) und Tempo 100 (5,6 Prozent). Unabhängig von beschilderten Abschnitten gilt seit mehr als 40 Jahren eine empfohlene Richtgeschwindigkeit" von 130.

DPA

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