Neues von der Front: Clustermunition in XXL, Sprengtunnel und Frauen in der ersten Linie (original) (raw)

Ukrainischer Schütze im Training

Ukrainischer Schütze im Training

© Livier Chassignole / AFP

Trotz harter Kämpfe kann keine Seite wirkliche Erfolge am Boden verkünden. Doch Ukrainer und Russen arbeiten an ihrer Taktik und Technik. Das ist neu auf den Schlachtfeldern der Ukraine.

In der Ukraine gehen die Kämpfe mit unverminderter Härte weiter. Durchbrüche gibt es nicht. Seit Wochen versuchen die Russen, die Festungsstadt Awdijiwka abzuschnüren, die Ukrainer wollen dagegen ihre Brückenköpfe am östlichen Ufer des Dnjepr verbinden und vertiefen. Beide Seiten erreichen nur geringe Fortschritte. In diesem schrecklichen Abnutzungskrieg gilt ein Vormarsch von 400 Metern schon als großer Erfolg. Doch während der Frontverlauf fast unverändert bleibt, verbessern beide Seiten ihre Technik und Taktik.

Clustermunition in XXL

Im Juli wurde die Lieferung von Clustermunition aus den USA beschlossen. Diese Munition wird von normalen Haubitzen verschossen. Weil der Kopf über dem Ziel in eine Vielzahl von Sprengköpfen zerfällt, ist der Zerstörungsradius weit größer als bei einer einfachen Granate. Die Bomblets wirken gegen leicht gepanzerte Fahrzeuge, vor allem aber gegen Infanterie auf offenem Feld und in Gräben. In den letzten Wochen haben die Russen nachgelegt. Ihnen ist gelungen, ihre alten Streubomben vom Typ RBK-500 in Gleitbomben zu verwandeln. Mit Hilfe eines einfachen Rüstsatzes fällt die Bombe dann nicht nach unten, sie gleitet viele Kilometer auf kleinen Flügeln ihrem Ziel entgegen und kann dank einer Satelliten-Navigation präzise einschlagen.

Im Prinzip wirkt die RBK-500 wie eine Cluster-Artilleriemunition. Es gibt nur zwei Unterschiede: Feuernde Artillerie läuft immer in Gefahr, vom Gegner erkannt und bekämpft zu werden, sei es mit Drohnen oder mit Artillerie. Die Gleitbombe hingegen wird außerhalb der Reichweite der ukrainischen Luftverteidigung ausgelöst. Von der RBK-500 gibt es abhängig von der verwendeten Submunition verschiedene Varianten – selbst Modelle mit panzerbrechenden Hohlladungen oder zielsuchenden Sprengkörpern wurden gebaut. Die Bombe ist wesentlich schwerer als eine Granate, eine Bombe setzt bis zu 500 Bomblets frei. Die Wirkung ist verheerend. Mit nur einer Bombe können weiträumige Grabensysteme etwa an Baumreihen ausgeräumt werden.

Roboter-Maschinengewehr

Der Einsatz von ferngesteuerten Maschinengewehren ist aus dem Syrienkrieg bekannt. Nun stießen die Russen südlich von Awdijiwka auf so eine Waffe. Offenbar wurde das MG in einem Mini-Bunker aufgestellt. Die russischen Sturmtruppen waren nicht in der Lage, das MG auszuschalten, schließlich setzten sie Artillerie und Bomben ein, um den Roboter zu zerstören. Roboter-MGs eignen sich dazu, verlorenen Stellungen zu verteidigen und den eigenen Rückzug zu decken. Von Nachteil ist, dass die Waffe nicht nachgeladen werden kann und auch der Lauf nicht überhitzen darf, weil niemand ihn austauschen kann. Dafür kann die Stellung sehr klein sein, weil sie keine Menschen schützen muss. Hier kam wohl auch ein Überraschungsmoment hinzu. Hat der Gegner erkannt, dass es sich um eine Waffe ohne Bedienung handelt, kann sie ausgeschaltet werden, wenn der Feuer- und Schwenkbereich des Gewehrs umgangen wird.

13. November 2023,19:01

Ein ukranischer Soldat in einem improvisierten Graben.

Minen-Tunnel

Im Donbass haben die Russen eine Technik aus dem Ersten Weltkrieg reaktiviert. Dort legen sie Tunnel anstatt von Gräben an, um eigene Truppen unbemerkt bewegen und versorgen zu können. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auch Minentunnel anlegen. Das haben sie getan. Diese Tunnel werden durch das Niemandsland unter eine beherrschende ukrainische Stellung gegraben, dann wird dort eine gewaltige Sprengladung – die Mine – deponiert. Ihre Explosion jagt die gesamte Stellung des Gegners in die Luft. Wegen der Stärke der Explosion stehen die angrenzenden Truppen unter Schock. Unmittelbar nach der Explosion erfolgt ein Sturm auf die Position. Versuche, mit Sprengfahrzeugen die ukrainischen Stellungen zu zerstören, misslangen, weil die Sprengpanzer auf eine Mine liefen und liegenblieben. Die Tunneltechnik ist vielversprechenden. Zumal der Donbass eine Bergbauregion ist und derartige Tunnel heute weitaus schneller errichtet werden können als im Ersten Weltkrieg.

Diese Mine wurde unterhalb einer ukrainischen Stellung gezündet.

Diese Mine wurde unterhalb einer ukrainischen Stellung gezündet.

© Telegram

Drohnentechnik I – "Baba Yaga Drohnen"

Kleinere Quadcopter dominieren die Kämpfe in der Ukraine. Größere Quadcopter hat man bislang selten gesehen, obwohl solche Fluggeräte in der Landwirtschaft weit verbreitet sind. Die Nutzlast liegt dann über 20 Kilogramm, manche Modelle heben 40 oder sogar 60 Kilogramm. Je höher die Nutzlast, umso größer und unhandlicher wird aber auch die Drohne. Ukrainer und Russen haben die größeren Lastendrohnen nun militarisiert. Kiew zeigt ein Video mit einer Mutterdrohne, die wiederum kleine Kamikazedrohnen trägt. Die Absicht ist dabei, die Flug- beziehungsweise die Lauerzeit der Kamikazedrohnen zu verlängern. Die Annäherung an das Einsatzgebiet und das grobe Ausspähen des Gegners geschieht durch die Mutterdrohne, die kleine Angriffsdrohne startet dann mit frischen Akkus.

Beinahe zeitgleich haben die Russen eine eigene Lastendrohne gezeigt, sie wurde dafür genutzt, eine ganze Gruppe von Sprengladungen abzuwerfen. "Baba Yaga" ist der Name einer slawischen Märchenfigur ähnlich der Hexe in den westeuropäischen Märchen. Zur Namensgeberin der größeren Drohnen wurde die unheimliche Alte, weil sie in einem hölzernen Stampffass durch die Lüfte reitet

Drohnentechnik II – Nachtsicht für Einwegdrohnen

Nachtsichttechnik beherrscht den Kampf in der Dunkelheit. Zeitweise hatte die Ukraine hier einen Vorteil, weil die Sanktionen des Westens zu einem Mangel auf russischer Seite geführt haben. Bisher waren beide Seiten zurückhaltend damit, diese aufwändige Technik in den billigen Einwegdrohnen zu verbauen. Bei einer Kamikazedrohne wird die Drohne mit in die Luft gesprengt. Mehrere russische Videos zeigen nun den Einsatz von Kamikazedrohnen mit Nachtsichttechnik. Das ist in zweierlei Hinsicht bedeutend. Zum einen scheint Moskau den Mangel an Nachtsichttechnik komplett überwunden zu haben. Zum anderen stärkt dieser Einsatz die Bedeutung der Drohnen weiter. Nun werden Bewegungen am Boden auch in der Nacht riskant, das gläserne Schlachtfeld dauert 24 Stunden an.

14. Dezember 2021,16:38

Alexandra G. Samusenko befehligte einen T-34 in der Schlacht um Kursk. Kurz vor Ende des Krieges fiel Samusenko - 70 Kilometer vor Berlin.

Frauen an die Front

Vereinzelt wurden während des ganzen Konfliktes seit dem russischen Überfall Frauen an der Front oder in Frontnähe gesehen. Unterstützerinnen, Sanitäterinnen und unter den Kampfgruppen auch einzelne Freiwillige. Doch nun scheint Kiew Frauen als reguläre Soldaten unmittelbar an die Front zu schicken. Das legen zwei Videos nahe. Eines zeigt eine Grabenstellung innerhalb einer Baumreihe, die in diesem Abschnitt ausschließlich von Frauen besetzt wird. Offenbar ist der Gegner unmittelbar vor der Stellung, denn eine Soldatin wirft eine Granate. Ein weiteres nun russisches Video zeigt einen eroberten ukrainischen Graben, angeblich sollen mehrere der Toten am Boden Frauen sein, gezeigt wird aber nur eine gefallene Soldatin. Der Einsatz von Frauen direkt an der Kontaktlinie ist ungewöhnlich und deutet auf die Personalknappheit Kiews hin. Viele Armeen, die Frauen einsetzen, vermeiden diese Art von Einsatz, weil weibliche Verluste die Moral der Truppe besonders drücken sollen.

Die Frauen in diesem Abschnitt wehren einen russischen Angriff auf ihren Graben ab.

Die Frauen in diesem Abschnitt wehren einen russischen Angriff auf ihren Graben ab.

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