Vor drei Jahren begann der erste Corona-Lockdown: So sah es damals auf Hamburgs Straßen aus (original) (raw)
Am 22. März 2020 trat er der erste Corona-Lockdown in Deutschland in Kraft. Wir blicken drei Jahre zurück: Die Fotografen Jörg Gläscher und Tim Oehler zeigen das ausgestorbene Hamburg als coole Stadtlandschaft oder unheimlichen, bedrohlichen Ort.
Mitte der Achtziger Jahre lebte ich in Detroit. Wenn ich spätabends oder nachts mit dem Auto über vielspurige Boulevards fuhr, waren diese meist leer. Polizeiwagen fuhren Streife, nur vereinzelt waren Privatwagen und Taxen unterwegs. Die Menschen mieden nachts die Straßen. Der öffentliche Raum galt als bedrohlich. Zurecht. Denn Detroit war damals die US-Metropole mit der höchsten Mordrate.
Ähnlich sah es im März 2020 während des ersten Corona-bedingten Shutdowns in deutschen Großstädten aus. In Hamburg cruisten nachts hauptsächlich Polizeiwagen und Wachdienstautos über leere Straßen. Das sonst pralle Nachtleben auf St. Pauli und im Schanzenviertel lag brach. Fotografen konservierten diese stillen Nächte mit ihrem eigenen Blick.
© Foto: Tim Oehler
Zur Person: Tim Oehler
Tim Oehler ist Inhaber einer Werbeagentur in Hamburg und ausgebildeter Fotograf. Sein Buch heißt "Corona Nights Hamburg" (130 Fotos, Junius Verlag) und kostet 39,90 Euro.
Der Hamburger Fotograf Tim Oehler stellte sich an Straßen und Plätze in Hamburg, die sonst von Easyjet-Touristen, Puffgängern, Partyvolk, Taxen und LKWs bevölkert werden. Bei Oehler sieht man nichts davon. Nur unverstellte Stadtansichten.
Rotes Neonlicht spiegelt sich Kopfsteinpflaster auf dem Hans-Albers-Platz nahe der Reeperbahn. Die sechs Autobahnspuren hinter dem nördlichen Ende des Elbtunnels sind leer. An der Amsinckstraße nahe den Elbbrücken ist eine McDonalds-Filiale vollständig beleuchtet, obwohl sie leer scheint und kein Auto zum Bestellschalter vorfährt.
© Foto: Andreas Herzau
Zur Person: Jörg Gläscher
Der Hamburger Jörg Gläscher ist ein journalistischer und dokumentarischer Fotograf, der gerne an Langzeitprojekten arbeitet, etwa für den stern. Er hat bereits fünf Bücher veröffentlicht. Seine drei "Corona Diary Magazines" sind für je 10 Euro plus Porto über seine Website erhältlich: www.glaescher.de
"Die absolute Leere" hat Tim Oehler gesucht und gefunden: "Ich habe für die überwiegende Zahl der Aufnahmen keine Wartezeit benötigt." Für die "Nachteule" hat "die Nacht im Vergleich zum Tag eine eigene Erhabenheit. Außerdem finde ich das farbige Licht, in das die Stadt dann getaucht ist, interessanter."
Obwohl die in einem gleichnamigen Coffeetable-Bildband gesammelte Fotoserie "Corona Nights" heißt, ist die Pandemie in den Aufnahmen ironischerweise unsichtbar. Keine einzige weggeworfene Einwegmaske ist zu sehen. Die Stadtansichten glänzen in makelloser Instagram-Opulenz.
Auch der Fotograf Jörg Gläscher zog in Zeiten des Lockdowns durch Hamburg. Seine reduzierten Studien eines Handschuhs und die nächtlichen Fotos mit Flatterband abgesperrter Spielplätze sehen unheimlich aus. Plötzlich ist die abstrakte Bedrohung spürbar, wie in einer Einstellung aus einem David-Lynch-Film oder einem Tatort-Foto.
Selbstbewusste, gestylte Großstadtmenschen porträtierte Gläscher in der Hamburger Innenstadt mit Maske. Das ist auf absehbare Zeit die neue Normalität mit Corona. Jörg Gläscher präsentiert seine abwechslungsreichen Fotos grafisch eingebettet in drei gedruckten Magazinen, die Gesamtkunstwerke sind und beim Wettbewerb der schönsten deutschen Fotobücher ausgezeichnet wurden. Er hat die Fotos als "persönliche und poetische Immunisierungsstrategie" komponiert.