Flagge zeigen? Ja, bitte! (original) (raw)

EM-Auftakt in München: Fans laufen mit Deutschland-Fahne zum Stadion

Da ist sie wieder, die Deutschland-Deko: in Zeiten der EM zeigen viele Menschen ganz gern Flagge

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Das verkrampfte Verhältnis zur Deutschlandflagge ist falsch. Wir müssen uns dieses Symbol zurückholen. Sonst besetzten die Extremisten das Thema.

Ich bin Jahrgang 1965. In der zehnten Klasse stand der Nationalsozialismus das erste Mal und viel zu spät auf dem Lehrplan. Was wir damals erfuhren, erfüllt mich noch heute mit Scham, obwohl es lange vor meiner Geburt geschehen ist: der industrialisierte Massenmord der Nazis. Außerdem haben die Deutschen zwei Weltkriege angezettelt. All das liegt wie ein Schatten über diesem Land.

Als Deutsche darf man nicht stolz sein. Mit dem Stolz fängt der Nationalismus an. Er ist ein Übel, das wurde mir schon in der Schule eingeimpft. Er wertet Menschen ab, führt zu Kriegen. Mit wehenden Fahnen fängt er an. Also: keine Deutschlandflagge, kein Party-Patriotismus, nicht mal beim Fußball.

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Schluss mit der Verklemmtheit

Und genau das ist der Grund, warum ich jetzt, mit fast 60, die erste Deutschlandfahne hissen werde. Deutschland ist mein Land. Das Bedürfnis nach Heimat und Identität ist menschlich. Der verkrampfte Umgang in diesem Land treibt Menschen in die Arme von Rechten.

Ich bin Patriotin, stolz auf diese Demokratie, trotz all ihrer Macken, stolz auf den Rechtsstaat, der keine Selbstverständlichkeit in dieser Welt ist. Ich bin keine Nationalistin, die ihr Land mit anderen Ländern vergleicht, es für besser hält und andere Länder unterwerfen will. "Deutsch, nicht dumpf", hat die Autorin Thea Dorn das in ihrem Buch genannt.

Stimmt, der Grat zwischen Nationalismus und Patriotismus ist schmal. Beide bedeuten die Identifikation mit dem eigenen Land. Aber es gibt einen feinen Unterschied, wie die Uni Marburg herausgefunden hat: Nationalismus ist der Nährboden für Fremdenfeindlichkeit. Patriotismus ist dagegen eine "eher kritische und reflektierte Form der nationalen Bindung".

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Vorsicht sei trotzdem geboten, mahnen die Forscher. Aber wir brauchen ein unverkrampfteres Verhältnis zum eigenen Land und dessen Fahne. Die Deutschlandfahne ist die Flagge des Grundgesetzes, der Demokratie, die eines weltoffenen Landes, auf das man stolz sein darf. Überlassen wir diese Fahne nicht den Extremisten. Ich liebe mein Land. Ich lasse nicht zu, dass Extremisten es kapern. Das fängt mit der Fahne an. Sie ist ein Zeichen für ein anderes, besseres Deutschland. Hissen wir sie. Mit Stolz.

Und dann stehe ich gestern Nachmittag in einem Laden vor all den Flaggen, Ketten und Fähnchen. Und kaufe doch nichts, keine Flagge, nicht mal eine Kette. Geht nicht. Sitzt zu tief. Mein Bauchgefühl sagt: nein! Aber die Europameisterschaft ist ja noch lang.