Abtreibungsparagraf 219a: Ein sexistisches Gesetz mit schwieriger Geschichte ist abgewählt (original) (raw)

Meinung

Ein Stück Gerechtigkeit Abtreibungsparagraf 219a: Ein sexistisches Gesetz mit schwieriger Geschichte ist abgewählt

Paragraf 219a Werbeverbot Abtreibungen in Deutschland

Seit Jahren liefern sich Abtreibungs-Gegner und Demonstranten gegen den Paragraf 219a einen Kampf auf den Straßen der Republik − nun ist eine Entscheidung gefallen.

© Alexander Pohl / Picture Alliance

Das Bundeskabinett hat den Weg für die Abschaffung Paragraf 219a freigemacht. Der Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann ist kurz davor einen Jahrzehnte alten Missstand zu beseitigen.

Es war einmal in einer Zeit, als Werbung für Schwangerschaftsabbrüche strafbar war. Diese Zeit ist am 9. März 2022 abgelaufen. Das Bundeskabinett hat den Weg frei gemacht, den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches abzuschaffen. Bundesfrauenministerin Anne Spiegel (Grüne) nannte die Abschaffung am Rande der Abstimmung "überfällig", der Initiator Bundesjustizminister Marco Buschmann selbst beschrieb den Paragrafen als "untragbaren Zustand". Die Geschichte dieses "Zustandes" beginnt 1933 − Zeit für einen Blick zurück.

Paragraf 219a: Ein Gesetz aus einer anderen Zeit

"Im Interesse an der Vermehrung der Bevölkerung verschob sich das Verständnis allmählich zum Schutz der Leibesfrucht." So beschreibt der Deutsche Bundestag die politische Debatte um das Abtreibungsgesetz in der Weimarer Republik. Doch bei der bloßen Debatte blieb es leider nicht. Mit dem Nationalsozialismus verschärfte sich dieser Ton und mündete 1933 in dem §§ 219, 220 des Reichsstrafgesetzbuches. Von der "Erkenntnis der Wichtigkeit des Nachwuchses" getrieben, schufen die Nationalsozialisten ein Werbeverbot für Abtreibungen. Der vorgeschobene Grund: Es sollte kein Markt für Schwangerschaftsabbrüche entstehen, in dem man von nun an "gewerblichen Abtreibungen den Boden entziehe".

Antonia Quell Initiatorin der Petition gegen Catcalling.

Das Paradoxe: Auch 89 Jahre später hallen diese Argumente noch nach. Denn am Ende des Nationalsozialismus blieben die Vorschriften zum Werbeverbot für Schwangerschaften im Wesentlichen bestehen. Karin Prien (CDU) etwa warf der Ampel-Koalition kürzlich vor, das Streichen von Paragraf 219a sei ein leichtfertiger Umgang mit dem ungeborenen Leben, Carolina Trautner (CSU) forderte eine "respektvolle gesellschaftliche Debatte".

Ein erbitterter Kampf gegen die Vergangenheit

Erbittert kämpfen konservative christliche Politiker seit Jahrzehnten gegen den Umsturz des Paragrafen 219a an. Viel zu oft wird dabei verkannt, dass es nicht um das Recht geht, abtreiben zu dürfen, sondern um ein Recht auf Information, im Falle einer gewünschten Schwangerschaft. Entgegen häufig genannter Argumente für den Paragrafen 219a beweisen längst Zahlen, dass ein Verbot an Information zu keinem Rückgang der Schwangerschaftsabbrüche führt bzw. es nach 89 Jahren plötzlich tun wird. Die Formel lautet: Wer abtreiben möchte, der tut dies in Deutschland, auch ohne öffentlich zugängliche Informationen. Warum also verbietet man in Deutschland Ärzten und Ärztinnen weiterhin den Mund?

Dass die ehemalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) es verpasste, den Paragrafen 219a abzuschaffen, spielt nun ihrem Nachfolger Marco Buschmann in die Karten, der seinen Gesetzesentwurf zur Abschaffung ohne Probleme durch die Abstimmung brachte. Damit geht ein Stück Geschichte zu ende, das nie die Jahresgrenze 1945 hätte passieren dürfen. Doch 89 Jahre Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, lassen sich nicht zurückdrehen.

Ein Paragraf und seine Folgen

Manche wollen grundsätzlich keine Kinder, fühlen sich noch nicht bereit, andere sehen eine medizinische Notwendigkeit für einen Abbruch. Hinzu kommt ein Armutsrisiko für Alleinerziehende. Gründe für eine Abtreibung gibt es viele − illegal ist keiner. Paragraf 219a hat die Selbstbestimmung von Personen mit Uterus über viele Jahre erschwert. Warum? Weil es Informationen braucht, um frei entscheiden zu können. Und weil ein Mangel an Informationen das Thema zu einem Tabu werden lässt, das seltener besprochen und häufiger verschwiegen wird.

In alter CDU Manier wird 2022 noch immer das Wohlergehen des Ungeborenen über das Selbstbestimmungsrecht der Mutter gestellt. In den Köpfen vieler Abtreibungs-Gegner lebt die Angst von Werbung auf Instagram und auf Werbetafeln in Fußballstadien, die vielleicht junge Eltern zum Schwangerschaftsabbruch bewege. In der Welt nach Paragraf 219a wird nichts davon passieren. Es geht nicht darum "Werbung" im klassischen Sinne eines Unternehmens zu machen, sondern darum, dort zu informieren, wo Menschen beim Thema Schwangerschaftsabbruch Antworten suchen.

Das Ungleichgewicht kippt

Dass die nackte Information − stand heute − noch strafbar ist, scheint schwer vorstellbar. Am Ende liegt es aber auch daran, dass CDU und AfD der Abschaffung des Paragrafen weiterhin nicht zustimmen. Die Folgen sind schwer begreifbar: 2017 wurde die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf der Website ihrer Praxis erwähnte, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Der Fall gelangte in die Öffentlichkeit, die Verurteilung führte zu Protesten. Daraufhin beschloss der Bundestag am 21. Februar 2019 den Paragrafen 219a um einen "Absatz 4" zu ergänzen, der lautet: "Absatz 1 gilt nicht, bei Ärzten, Krankenhäusern oder Einrichtungen". Hänel legte siegessicher Revision ein − ohne Erfolg, die Ärztin wurde trotz des neuen Absatzes erneut verurteilt.

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2020, ein Jahr später, sprach ein Richter in Kiel einen Mann frei, der nicht abstritt bei einer jungen Frau "Stealthing" (ungefragtes Kondom abziehen) betrieben zu haben. Der Richter entschied, dass zwischen Sex mit oder ohne Kondom keine wesentlichen Unterschiede bestünden. In der Welt einer Frau tut es dies auf jeden Fall. In der eines Mannes auch. Die beiden juristischen Fälle unterstreichen jedoch eine juristische Schieflage in Deutschland: Ein Mann, der mit einer Frau ungefragt unverhüteten Sex hat, ist nicht schuldig. Eine Frau, die andere Frauen über Abtreibungen, z.B. wegen "Stealthing", informiert, ist schuldig. Dieses Ungleichgewicht ist heute ein kleines Stück in die richtige Richtung gekippt.

Quellen: Sueddeutsche Zeitung, Deutscher Bundestag, Deutschlandfunk Kultur

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