Mehr Depressionen, mehr Suizide – so schlägt die Erderwärmung auf die Psyche (original) (raw)

Eine Frau stützt ihren Kopf in die Hände

Hohe Temperaturen sorgen dafür, dass der Körper mehr Stresshormone produziert

© Daniel Scharinger / DPA

Der Klimawandel macht krank. In Deutschland befürchten Mediziner zahlreiche Hitzetote. Nun schlagen aber auch Psychologen und Psychiater Alarm.

Wer zu Margit Wrobel in die Praxis kommt, hat psychische Beschwerden. Depressionen stehen bei der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie auf der Tagesordnung, die Gründe dafür sind unterschiedlich. Ein Schlagwort hört Wrobel bei den Gesprächen in ihrer Praxis in Wien aber immer häufiger: Die globale Erderwärmung schlägt vielen zusätzlich aufs Gemüt. "Ungefähr 70 Prozent meiner Patient:innen sprechen den Klimawandel in den Sitzungen an", schätzt die Psychiaterin im Gespräch mit dem stern.

Junge Patienten beklagten oft fehlende Zukunftsperspektiven, ältere Menschen betrauerten verlorene Naturgebiete durch Umweltschäden, erzählt sie aus ihrem Praxisalltag. Mancherorts ist es in Österreich schon so trocken, dass sich etwa der Weinanbau gar nicht mehr lohnt. Für Landwirte ist das ein wirtschaftliches Desaster. Manche entwickelten deshalb eine Depression und müssten deshalb psychiatrisch behandelt werden.

10. November 2020,10:08

Nerze in Dänemark

Dass der Klimawandel Krankheiten begünstigt, ist schon länger bewiesen. Meist geht es dabei aber um Herz-Kreislauf-, Lungen- und neurologische Krankheiten, seltener um die psychischen Folgen. Dabei sei das Thema schon seit einigen Jahren in den Praxen angekommen, sagt Wrobel. Die Folgen reichten von Depressionen, Aggression, über posttraumatische Belastungsstörungen bis hin zum Suizid. In einem Artikel im Fachblatt "Nature" schätzen Forscher, dass der ungebremste Klimawandel bis 2050 allein in den USA und in Mexiko zu 9000 bis 40.000 zusätzlichen Selbsttötungen führen könnte.

Klimawandel fördert Psychosen und Suizide

Nach dem Hurrikan Kathrina befragten Wissenschaftler die Betroffenen zu dem Unglück. Die Hälfte der Befragten litt demnach unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Die andere Hälfte klagte über Angst und Depressionen. In einer weiteren Untersuchung konnten Forscher zeigen, dass verschiedene Extremwetterereignisse die Psyche unterschiedlich belasten können. Dafür verglichen die Wissenschaftler die Ergebnisse von über 100 Studien zu den Folgen des Klimawandels und befragten zusätzlich ausgewählte Experten. Einen eindeutigen Einfluss der Erderwärmung auf die Psyche konnten die Forscher zwar nicht ableiten. Allerdings weist die Studie darauf hin, dass verschiedene Extremwetterereignisse unterschiedliche psychologische Auswirkungen haben können.

Starkniederschläge und Flutereignisse erhöhen demnach das Risiko für Angsterkrankungen und posttraumatische Belastungsstörungen. "Wenn jemand sein Hab und Gut verliert und vielleicht auch noch Angehörige zu Tode kommen, löst das oftmals nachhaltige Traumata aus", erklärt Wrobel. Dazu komme noch die Gefahr von Infektionskrankheiten durch verunreinigtes Wasser oder Schimmelbildung in Gebäuden.

(Wirbel-)Stürme verursachen laut der Studie vor allem Stress und können auch bei gesunden Menschen psychiatrische Störungen auslösen. Brände steigern demnach vor allem das Risiko für Angstzustände und Depressionen. Selbiges gilt für Dürren, die aber wegen der wirtschaftlichen Existenzbedrohung auch zur Drogensucht führen können. Durch Trockenheit begünstigte Mangelernährung verursacht zudem Müdigkeit und Lethargie. Außerdem erhöht sie das Risiko für Manien und Psychosen.

Hitze wird mit einer erhöhten Sterblichkeit in Verbindung gebracht. Auffällig sei vor allem, dass vermehrt Menschen wegen Psychosen oder Demenz in Krankenhäuser eingeliefert werden müssen, schreiben die Forscher. Wissenschaftlich ist schon länger bewiesen, dass Hitzewellen den Hormonhaushalt im Körper durcheinanderbringen. Dauerhaft hohe Temperaturen kurbeln die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol an, wodurch der Spiegel des Glückshormons Serotonin sinkt. Hitze mindert somit nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern fördern umgekehrt Aggressionen, Depressionen und Angstzustände. Bei jüngeren Menschen stiegen zudem die Risikobereitschaft und das Suchtverhalten, so die Psychiaterin.

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Eine Frau sitzt am Schreibtisch und veruscht sich mit einem Ventilator abzukühlen

Die Angst vor dem Klimawandel

Manche Menschen entwickeln angesichts negativer Schlagzeilen und den spürbaren Folgen des Klimawandels Ängste. Fachleute unterscheiden zwischen "Eco-Anxiety" und "Eco-Grieve". Erstere beschreibt eine Angst, die den Kampfgeist weckt und so zu klimafreundlichem Handeln motiviert. Im anderen Fall lähmt die Angst. Wrobel hört das häufig in ihrer Praxis: "Viele meiner Patient:innen glauben, dass sie nichts mehr gegen den Klimawandel unternehmen können. Sie resignieren." Betroffen seien meist jüngere Menschen.

Weltweit schädigt der Klimawandel vor allem die Bewohner des Globalen Südens. In Mitteleuropa macht die Hitze vor allem Alten, Alleinstehenden, chronisch Kranken, Obdachlosen und Arbeitslosen zu schaffen, sagt Wrobel. Auch Menschen, die im Freien arbeiten, und jene, denen die finanziellen Mittel fehlen, um sich an den Klimawandel anzupassen, seien betroffen.

Ein Patentrezept bei der Behandlung gebe es aber bisher nicht. Derweil bleibt den Ärzten nicht viel mehr, sich selbst über den Klimawandel zu informieren und die Sorgen und Ängste ihrer Patienten ernst zu nehmen, aber auch nicht überzubewerten. "Viele Menschen erzählen, dass sie sich vor Blackouts fürchten, was in den Medien häufig heraufbeschworen wird. Das schafft Panik", sagt Wrobel. In den Praxen versuchen sie und ihre Kollegen den Patienten wieder Mut zu machen und ihnen zu zeigen, dass jeder etwas gegen den Klimawandel unternehmen kann. "Wir versuchen sie unter anderem zu motivieren, sich beispielsweise in Umweltschutzorganisationen zu engagieren." Je nach Symptomen und Krankheitsbild bleibe am Ende aber nur eine medikamentöse Behandlung gegen die Angststörungen und Depressionen.