"Es war für uns alle beklemmend" (original) (raw)
Ulrich Matthes "Es war für uns alle beklemmend"
Ulrich Matthes war der Goebbels aus dem "Untergang". Jetzt spielt er in dem Film "Der Neunte Tag" einen von den Nazis inhaftierten Priester.
Herr Matthes, nach Joseph Goebbels im "Untergang" verkörpern Sie jetzt in Volker Schlöndorffs neuem Film einen im KZ internierten Priester, der sich mit einem SS-Mann ein Psychoduell liefert. Haben Sie keine Angst, dass das Publikum dieser Thematik überdrüssig werden könnte?
Ein Opfer zu zeigen scheint ja auf den ersten Blick nicht so "sexy" zu sein, wie die Täter zu zeigen. Weil viele Leute sagen: Wir wissen um die Opfer und wollen sie uns nicht zum 150. Mal angucken. Umso mehr hat mich gefreut, dass mir nach einer Vorführung des "Neunten Tags" auf dem Filmfest in München eine 23-jährige Studentin schrieb, sie sei fast nicht reingegangen, weil sie gedacht hat: Schon wieder so ein Nazi-Film! Aber dann sei sie froh gewesen, einen spannenden Film gesehen zu haben über einen normalen Typen, der sein Gewissen befragen muss und dann so etwas wie Mut, Zivilcourage entwickelt. Deswegen habe sie sich sehr angesprochen gefühlt, weil das ein Thema sei, das sie allgemein gültig findet.
Sie haben in Interviews Ihre moralischen Bedenken gegenüber der Goebbels-Rolle geschildert. Hätten Sie die Täterrolle auch angenommen, wenn Sie nicht gewusst hätten, dass Sie unmittelbar danach die Rolle des Priesters Henri Kremer spielen würden?
Ja, weil ich das Projekt seriös fand. Trotzdem war es wunderbar, dass ich wusste, ich kann anschließend noch bei Schlöndorff den Kremer spielen. Solche zwei extremen Gegensätze hintereinander: Das ist vom schauspielerischen Aspekt her sehr reizvoll. Und auch menschlich gut, sich ein Dreivierteljahr mit dieser Zeit so intensiv beschäftigen zu können. Ich habe wahnsinnig viel Literatur von den Opfern gelesen beziehungsweise wieder gelesen: Primo Levi, Imre Kertész oder Jorge Semprún oder die Klemperer-Tagebücher. Denn ich bin auch ein politisches Wesen und nicht nur ein Schauspieler.
Hat Sie der Filmset des KZ Dachau psychisch belastet?
Eigentlich ist ein Drehort ein Drehort, hier aber auf eine seltsame Weise dann eben doch nicht. In Prag diese nachgebauten Baracken, mit den ganzen Komparsen in ihren zebragestreiften Sträflingskostümen, das war schon heavy. Obwohl es sich um eine fiktive Kulisse handelte, hatte sie etwas Ehrfurchtgebietendes, und wir waren dann am Set wirklich berührt davon. Auch wenn ein Film gedreht wird und es dann heißt: "Komm mal, der Scheinwerfer stimmt nicht!" Es war für uns alle beklemmend, weil jeder von uns die Bilder von den Dokumentationen im Kopf hat, etwa von der Befreiung von Buchenwald.
Hatten Sie davor schon mal ein KZ besucht?
Vor einigen Jahren habe ich in Krakau gedreht. Das ist ja ganz in der Nähe von Auschwitz. Eines Morgens hörte ich vor dem Krakauer Hotel eine Megafonstimme: "The bus to Auschwitz is ready!" Da standen zwitschernde Touristen, Japanerinnen mit ihren Fotoapparaten, eine Schülergruppe, die sich über irgendetwas amüsierte, und noch ein paar versprengte Einzelwesen. Da habe ich gedacht: Das machst du nicht, so eine touristische Exkursion.
Filme, die in KZs spielen, sind eine heikle Angelegenheit. Bis wohin kann man in der Darstellung gehen?
Bis zur Tür einer Gaskammer. Ohne hineinzusehen. Das muss für alle Zeiten ein Tabu bleiben. Man könnte auch aus durchaus respektablen Gründen sagen, man soll überhaupt nicht mit den Mitteln des Spielfilms in ein KZ schauen. Ich glaube aber, dass sehr viele Menschen den Spielfilm brauchen, um eine Art von Empathie für die Opfer zu entwickeln. Das war ja bei der "Holocaust"-Serie in den 70er Jahren eine Riesendebatte. Es haben damals wahnsinnig viele Leute, angeregt durch diesen ja eher sentimentalen Film, überhaupt mal angefangen, über dies Thema zu reden. Da sind wir jetzt weiter. In seiner Schmucklosigkeit und seinem Verzicht auf Spektakuläres ist auch unser Film ein kleiner Beitrag zu diesem großen, zum Scheitern verurteilten Versuch, zu begreifen, was da war in der Nazi-Zeit.
Interview: Kira Taszman