Gemeinschaftsrausch mit Glow-Sticks (original) (raw)

Klaxons-Konzert Gemeinschaftsrausch mit Glow-Sticks

New Rave, ohne Drogen, dafür mit viel Party-Spaß: die englische Band Klaxons ist derzeit auf Deutschland-Tour, präsentiert von stern.de. Das Konzert im Hambuger Grünspan als wärmender Gemeinschaftsrausch - und der Platz auf der Bühne wurde für die Bandmitglieder auf einmal eng.

Hamburg, Montag 12. November. 21.10 Uhr. Der Kosmos tanzt. Wer glaubt, die seligen Happening-Zeiten seien seit den 60er-Jahren für immer vorbei, der irrt. Seit 2006 betört die "New Rave"-Bewegung mit flotten Rhythmen und elektronisch aufgepeppten Sounds die Jugend in ganz Europa. Mindestens ebenso wichtig wie die Musik ist dabei ein neues Gemeinschaftsgefühl. Ein guter Geist, der im Gegensatz zu den distanziert und lieblos heruntergeschrammelten Sets so vieler Rockbands menschliche Nähe schafft.

stern.de präsentiert:

Die Klaxons auf Deutschlandtour
Weitere Termine:
15.11. Köln
18.11. München

Und das da oben sind nun also die Helden der Bewegung. Beinahe fürsorglich angesichts ihres blutjungen Publikums schlagen die Klaxons pünktlich um kurz nach 21 Uhr bei ihrem Konzert im Hamburger Grünspan auf. Mit diesen unfrisierten Blumentopffrisuren auf dem Kopf und den übergroßen Schlabbershirts erinnert das Trio, das sich live um Schlagzeuger Steffan Halperin zu den selbst ernannten "4 Horsemen Of 2012" erweitert, eher an eine sympathische Clique von der Kunstakademie. Profilierungskämpfe so vieler anderer Bands scheinen den Klaxons gänzlich fremd. Sänger und Bassist Jamie Reynolds, Gitarrist Simon Taylor - Künstlername Captain Strobe - und Multiinstrumentalist James Righton aka The Cat an Gesang, Keyboards und Bass brüllen meist synchron in ihre drei Mikrofone.

Deutlich stylisher präsentieren sich da die überwiegend heftig pubertierenden Fans. Neonfarbene Glow-Sticks an Armen und Fingern zählen zur Mindestausstattung. Neben Röhrenjeans und Converse-Sneakers. Die ersten Takte des treibenden B-Seiten-Hits "The Bouncer" schallen durch den Saal. Ein euphorisches Quietschen und Fiepen, ein nebeliges Dance-Punk-Klanggebräu, das direkt auf die Füße zielt. Und sofort für unverschämt gute Laune sorgt. Jeder Ton ein Treffer. Gleich danach schießen die Jungs noch "Atlantis To Interzone" in den Orbit. Und schon bricht im Graben die Ekstase aus.

Glowsticks und Converse-Sneakers

Anders als Auftritte von Bands wie Sunshine Underground, Shitdisco oder The New Young Pony Club, mit denen sich die Klaxons ihre ungeliebte "New-Rave"-Genreschublade mittlerweile teilen müssen, sind Klaxons-Konzerte ein kollektiver, bekümmerte Großstadtherzen wärmender Gemeinschaftsrausch. Und dieser Rausch kommt ganz ohne Drogen aus. Damals zu den Rave-Zeiten der 80er-Jahre, die ausgehend von Bands wie den Charlatans und den Stone Roses irgendwann in seelenlosem Acid und Techno versandeten, war das anders. Die bunten Pillen gehörten zum Gig dazu, wie die grellen Klamotten. Die Klaxons haben Drogen schlicht nicht nötig, denn sie wissen nicht nur um die begehrte Kunst der Masseneuphorie - sie beherrschen auch ihre Instrumente. Und liefern an diesem Abend in Hamburg nicht einen einzigen Durchhänger ab. Allerdings sind die Londoner mittlerweile wohl europaweit der Alptraum jeden Ordnungspersonals.

In lockerer Reihenfolge feuern die Klaxons die Hits ihres Debütalbums "Myths Of The Near Future" in die Menge, für das sie gerade den diesjährigen Mercury Music Prize als Album des Jahres abgeräumt haben. Zuletzt wurden schon visionäre Bands wie Franz Ferdinand oder die Arctic Monkeys derart geadelt. Vom romantisch-verklärten "Golden Scans" bis zu ihrem Smash-Hit "Atlantis To Interzone" steigt die Partystimmung unaufhaltsam. Vereinzelt gelingt es Fans, die Bühne an den missmutigen Ordnern vorbei zu erklimmen, wo sie mehr oder weniger sanft zurückgeschoben werden. Beim ekstatischen "Magick" gibt es schließlich kein Halten mehr. Nach wenigen Minuten quillt die Bühne über vor hüpfenden Teenagern im Verbrüderungstaumel. Mitten drin die Band, die auf ihrer derzeitigen Endlostournee gelernt hat, bei dem Chaos einfach weiterzuspielen. Anschließend verziehen sich die entfesselten Tänzer auch wieder brav zurück in den Saal.

Sound-Kosmos deckt alle Dekaden ab

Was die Klaxons musikalisch so alles in einen Topf werfen, hinterlässt den Besucher ja durchaus ratlos bis stutzig. Neben einer satten Portion David Bowie und Madonna finden sich deutliche Spuren so fieser 80er-Jahre-Synthie-Kreisch-Popper wie The KLF. Doch der Mix macht's. Vor allem die herrlich sinnfreien Texte von Kyklopen, ewigen Strömen, Himmelsflammen und einem wogenden Kosmos zaubern ein Lächeln auf die Zuschauergesichter. Wer hier neben der Schullektüre nicht noch die Sekundärliteratur von Thomas Pynchon, William S. Burroughs oder dem Okkultisten Aleister Crowley beherrscht, ist verloren. Höchstwahrscheinlich haben die Klaxons selbst von all dem gar keinen Dunst. Ist auch völlig egal.

Die der Pubertät entwachsenen Konzertbesucher freut's, dass hier endlich mal wieder eine Band das Wagnis eingeht, über mehr als Alltagsfrust und Herzensleid zu singen. Und für diese nonchalante Überhöhung in entlegene Galaxien und ihre Traumwesen auch noch so einfallsreich schmissige Sounds erfindet. Nach einer guten Stunde ist der Spuk vorbei. Mehr Songs haben die Jungs nicht. Und ob sie während der Kräfte zehrenden Tour zum Schreiben gekommen sind, darf bezweifelt werden. Aber die Klaxons sind definitiv keine One-Hit-Wonder-Band. Wie singen sie am Schluss: "It’s Not Over Yet". Nein, das ist es ganz sicher nicht.