Verloren in Versailles (original) (raw)

Sofia Coppolas "Marie Antoinette" ist als Film ein Flop: süß wie ein überdimensionales Erdbeerparfait - seicht wie eine Champagnerschale. Doch als Stil-Bibel sind die zuckrigen Entwürfe wegweisend für die Mode 2007.

Heute würde sie sich wahrscheinlich von Sally Herschberger in New York frisieren lassen, die kein Haar unter 600 Dollar stutzt, ihre Schuhe bei Jimmy Choo kaufen und Kleider von Marc Jacobs tragen. Denn Marie Antoinette war das erste It-Girl des 18. Jahrhunderts, das Fashion-Victim von Versailles. Sie war verrückt nach Schuhen und Kleidern, verschwenderisch, vergnügungssüchtig und hatte schon damals ihre Stylisten: die Modistin Rose Bertin und den Pariser Promi-Friseur Leonard. Der schraubte ihr Haupt mit Puder, Federn und Pferdehaar in so schwindlige Höhen, dass böse Zungen am französischen Hof spotteten, man könne den König gar nicht mehr sehen. Für Frankreichs florierende Luxusindustrie aber war Marie Antoinette eine echte Cash-Cow, ihr wichtigstes Exportprodukt: Was sie trug, wurde sofort kopiert.

Noch heute würde sie weltweit die Mode- und Klatschseiten der Magazine füllen, nicht nur, weil sie Geld und Geschmack hatte, sondern auch, weil ihr Leben die richtige Mischung aus Glamour und Tragik besaß: Als 14-jährige zwangsverheiratet mit dem dicklichen, sexuell verklemmten Ludwig XVI., der wenig sprach, Metallschlösser baute und wie ein Besessener jagte, hieß ihre einzige Aufgabe: gehorsame Gebärmaschine sein, einen Erben zeugen, um das Bündnis mit Österreich zu festigen. Sieben Jahre gelang ihr das nicht. Öffentlich gedemütigt und sexuell frustriert, flüchtete sie sich in etwas, das sie selbst gestalten konnte: Gärten, Schlösser, Kleider und Feste. Die junge Habsburgerin rebellierte so gegen die strikte Etikette, die lästige Dauer-Beobachtung und das intrigante Geschwätz am französischen Hof, nachzulesen in der faszinierenden Biographie von Lady Antonia Fraser.

Das Pop-Drama einer pubertierenden Partyqueen

An ihr Buch lehnt sich der neue Film von Regisseurin Sofia Coppola "Marie Antoinette", der am 2. November startet, lose an. In ihrem unendlichen Luxus, in dem die junge Königin lebte, der Flüsterpropaganda und den Insiderpartys erkennt Coppola ein "Umfeld wie bei den heutigen Fashionistas". Und deshalb inszeniert sie das Pop-Drama einer pubertierenden Partyqueen in prächtigen Kostümen und elegischen Bildern. Coppolas Film ist so süß wie ein überdimensionales Erdbeerparfait - und seicht wie eine Champagnerschale: 120 Minuten schäumende Langeweile. Historisch-Politisches wird bewusst ausgeblendet.

Vielleicht liegt es daran, dass Sofia Coppola selbst ein It-Girl ihrer Zeit ist. Die 35-jährige ist mit Designern wie Marc Jacobs befreundet, der sogar eine Tasche nach ihr benannt hat, hat Praktika bei Chanel gemacht und die Modefirma Milk Fed gegründet, die heute Japanern gehört. Natürlich besucht sie regelmäßig die Schauen in Paris.

Das 18. Jahrhundert aus Sicht der 80er

Im Dezember erwartet Coppola ihr erstes Kind mit ihrem Mann Thomas Mars, dem Sänger der französischen Elektropop-Band Phoenix. "Mein Zugang zum 18. Jahrhundert war die New Romantic Welle in der Musik der Achtziger, von Bow Wow Wow, New Order bis Adam Ant. Und Vivienne Westwood, die ganze Szene des Post-Punk, die in war, als ich aufgewachsen bin", sagt sie. "All das, Godard, Truffaut, Frankreichs New Wave, erschien mir so cool." Deshalb entwirft Sofia Coppola eben lieber ein Rokoko, das rockt; ein königliches Teenagerdrama, das bei der Premiere in Cannes Buh-Rufe erntete. Dazu sagt sie nur: Franzosen seien eben sensibel, wenn Ausländer ihre Geschichte interpretieren.

Da ist die Vorsitzende der französischen Marie-Antoinette-Stiftung, Michele Lorin, anderer Meinung: "Wir haben Jahre gebraucht, um die Leute zu überzeugen, dass die Königin nicht sexuell ausschweifend lebte und Hungernden vorschlug, Torte zu essen. Und was sieht man in dem Film? Sie isst Torte und liegt nackt auf einer Chaiselongue."

Als Film ein Flop, aber welch' herrliche Stilvorlage

Als Film mag Coppolas "Marie Antoinette" ein Flop sein, als Stil-Bibel aber gilt er jetzt schon als wegweisend für die Mode des nächsten Sommers. Die Rokoko-Pumps, in die Schauspielerin Kirsten Dunst schlüpft, hat Schuh-Papst Manolo Blahnik entworfen. Und auf den Pariser Schauen im Oktober stürzten sich Alexander McQueen und Marc Jacobs bei Louis Vuitton auf den Antoinette-Look. "Das Empire schlägt zurück", titelte das New Yorker Branchenblatt "Women's Wear Daily". Jacobs Schau war die schönste Kollektion in Paris, sehr weiblich, romantisch und modern. Grunge- und Safari-Schnitte kombinierte er mit hauchzarten, üppig drapierten Stoffen. Seine Models trugen Blumen im Haar, Shorts, Röcke und pudrige Kleider. Nach dem dunklen Mode-Winter kommt also Pastell zurück, zartes Pink, Hellgelb, Hellblau, Weiß und Türkis. Das passt perfekt zu Coppolas Filmsong von Bow Wow Wow: "I like Candy!"

Vor Drehbeginn nämlich reichte Coppola ihrer Kostümbildnerin Milena Canonera eine Schachtel bunt gezuckerter, französischer Makronen und sagte: "Dies sind die Farben, die ich mag." Canonera benutzte sie als Vorlage für ihre Kostüme, die schon vor einem halben Jahr die ersten Designer (Elie Saab, Dolce & Gabbana oder Valentino) inspirierten. Der britische "Observer" schrieb treffend, Coppolas Film sei eben "ein historisches Drama für die Wallpaper-Generation, großartige Inneneinrichtung, Kleiderträume und ein ach-so-ironischer Achtziger-Glamourpop-Soundtrack", eine perfekt ausgekleidete "barocke Partyszene".

Der Einzige, der die Party modisch zu Ende gedacht hat, ist Dior-Designer John Galliano. Bei seiner Haute-Couture-Schau in Paris zeigte er schon im Februar seine etwas andere Vision der Marie Antoinette, die 1793 geköpft und in einem Massengrab verscharrt wurde: Mode in triefendem Rot, Weiß und Braun wie aus dem Schlachthaus, mit reichlich Blut am Saum.