Jahrestag der Reichspogromnacht: Warnungen vor zunehmendem Antisemitismus (original) (raw)

Jahrestag der Reichspogromnacht: Warnungen vor zunehmendem Antisemitismus

Scholz bei Gedenkveranstaltung in Berlin

Scholz bei Gedenkveranstaltung in Berlin

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Zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht und unter dem Eindruck des Kriegs im Nahen Osten haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und weitere führende Politiker vor zunehmendem Antisemitismus gewarnt. Deutschland müsse sein Versprechen des "Nie wieder" nach dem Holocaust im Nationalsozialismus "gerade jetzt einlösen", sagte Scholz am Donnerstag bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Berlin. Die Union forderte "harte Antworten" auf antisemitische Straftaten, Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte weitere Verbote an.

Scholz nannte das Beschmieren von Türen und Wänden mit Davidsternen und Jubelfeiern des Hamas-Großangriffes hierzulande eine "Schande". Mit dem vom Kabinett beschlossenen neuen Staatsangehörigkeitsrecht regele die Bundesregierung deshalb "ganz klar, dass Antisemitismus einer Einbürgerung entgegensteht", sagte Scholz in der Beth Zion Synagoge.

Die sich aus der Geschichte Deutschlands ergebende Verantwortung "müssen alle, die hier in unserem Land leben und alle, die in diesem Land leben wollen, annehmen". Diese Einsicht müsse in Schulen, Universitäten, der Ausbildung, Integrationskursen und im tagtäglichen Leben weitergegeben werden. Scholz mahnte zugleich, nicht denen auf den Leim zu gehen, "die jetzt ihre Chance wittern, über fünf Millionen muslimische Bürgerinnen und Bürgern pauschal den Platz in unserer Gesellschaft abzusprechen".

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, warnte bei der Gedenkveranstaltung vor einem "in Deutschland bis in die Mitte der Gesellschaft" reichenden Antisemitismus. "Es ist etwas aus den Fugen geraten in diesem Land", sagte Schuster.

In der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zerstörten von den Nationalsozialisten organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, steckten Synagogen in Brand und misshandelten tausende Jüdinnen und Juden. Die damaligen Ereignisse gelten als Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums unter dem NS-Regime.

Der Bundestag widmete sich am Donnerstagmorgen ebenfalls dem Jahrestag: Vertreterinnen und Vertreter aller sechs Fraktionen kritisierten Anfeindungen und Hass gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland.

"Diese Demokratie duldet keinerlei Judenhass", sagte Faeser. Die Ministerin bekräftigte, nach dem Betätigungsverbot für die radikalislamische Hamas und dem Verbot des propalästinensischen Vereins Samidoun "an weiteren Verboten" zu arbeiten.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte in seiner Bundestagsrede "harte politische Antworten" auf antisemitische Straftaten. Er sprach sich unter anderem für die Einstufung von Antisemitismus als besonders schweren Fall von Volksverhetzung und für Ausweisungen nach antisemitischen Straftaten aus.

Er erwarte von jedem Bürger, dass er sich dem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland verpflichtet fühle, betonte FDP-Fraktionschef Christian Dürr. "Zuwanderer, die diese Grundwerte nicht teilen, sind in unserem Land nicht willkommen." Diese riskierten ihren Aufenthaltsstatus.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) forderte im Sender "Welt", "mit der ganzen Härte des Rechtsstaates" gegen Bedrohungen des jüdischen Lebens in Deutschland vorzugehen. Sein Kabinetts- und Parteikollege Cem Özdemir (Grüne) hob im Bundestag die Bedeutung einer "konsequenten Erziehung zur Demokratie" in Schulen und Bildungseinrichtungen hervor. Hier entscheide sich, "ob wir unserer Verantwortung zum Schutz von Jüdinnen und Juden gerecht werden", ergänzte der Landwirtschaftsminister.

Während AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch im Parlament vor allem muslimischen Judenhass kritisierte, nannte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch es eine "Schande", nur von importiertem Antisemitismus zu reden. Deutschland habe "genug eigenen Antisemitismus", betonte Bartsch. Dieser sei hierzulande nie weg gewesen, weder im Osten noch im Westen.

Die Anzahl antisemitischer Straftaten hierzulande stieg nach dem Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober stark an. Hamas-Kämpfer waren damals vom Gazastreifen aus nach Südisrael eingedrungen und hatten nach israelischen Angaben 1400 Menschen getötet sowie 240 verschleppt. Israel erklärte daraufhin der Hamas den Krieg und griff seitdem hunderte Ziele im Gazastreifen an. Nach Hamas-Angaben wurden über 10.000 Menschen getötet.

AFP

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