Zu heiß, zu nass und vor allem extrem: So erlebte Europa das Klimajahr 2023 (original) (raw)

Wetterextreme Zu heiß, zu nass und vor allem extrem: So erlebte Europa das Klimajahr 2023

Hitzestress in Europa: In den vergangenen zwei jahrzehnten ist die Zahl der Hitzetoten um 30 Prozent gestiegen

Hitzestress in Europa: In den vergangene zwei Jahrzehnten ist die Zahl der Hitzetoten um 30 Prozent gestiegen

© DesignIt / Picture Alliance

2023 war wohl das Jahr der Wetter-Superlative in Europa. Welche Regionen waren besonders vom Klimawandel betroffen? Ein Rückblick.

In Europa zeigte der Klimawandel im vergangenen Jahr ganz unterschiedliche Gesichter: Im Süden war es zu trocken, im Norden zu nass und insgesamt auf dem Kontinent zu warm. 2023 war das Jahr, in dem die EU mehr als 13 Milliarden Euro zur Reduzierung der Klimafolgen ausgab und tausende Menschen ihr Zuhause wegen des Klimawandels verloren. Niemals in der Geschichte der europäischen Wetteraufzeichnung folgten so viele Hitzetage aufeinander, niemals gab es so heftige Waldbrände, niemals zuvor war es trotz Trockenheit nasser als sonst. 2023 war nicht nur ein Jahr der Extreme, sondern auch eines der extremen Kontraste, zu diesem Ergebnis kommen zumindest die Weltwetterorganisation (WMO) und der europäische Klimawandeldienst Copernicus in ihrem aktuellen Bericht.

08. November 2023,16:34

2023 mit neuem Hitzerekord

Hitze stresst Menschen und begünstigt Waldbrände

Abgesehen von Skandinavien und Island waren die Temperaturen in allen Teilen des Kontinents zu hoch. Mit einem Plus von ungefähr 2,6 Grad Celsius lag die Durchschnittstemperatur deutlich über dem vorindustriellen Wert – den die Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens eigentlich auf maximal zwei Grad, besser 1,5 Grad, beschränken wollten. Der höchste Temperaturrekord wurde in der europäischen Arktis gemessen.

Verglichen mit dem Rest der Welt erhitzt sich der europäische Kontinent besonders schnell. Das liegt unter anderem an der Verteilung von Land- und Wassermassen auf der Nordhalbkugel, dem langsamer werdenden Jetstream und der schmelzenden Arktis (Weiteres dazu lesen Sie hier).

Für die Menschen in Europa bedeutet die globale Erwärmung vor allem eines: Hitzestress. Tage mit einer gefühlten Temperatur von über 46 Grad gab es mehrere. Laut dem Klimabericht sollen sie auf dem gesamten Kontinent häufiger werden. Die gesundheitlichen Folgen sind besonders für eine alternde Bevölkerung dramatisch: Seit den 1970er Jahren bestimmt auch das Wetter die Todeszahlen einer Gesellschaft. Je älter, desto anfälliger sind Menschen für Hitzestress. Laut WMO- und Copernicus-Klimabericht ist die Zahl der Toten in Europa wegen der globalen Erwärmung in den vergangenen zwei Jahrzehnten um 30 Prozent gestiegen. Allein zwischen 2010 und 2020 sollen schätzungsweise zwischen 55.000 und 72.000 Menschen gestorben sein. Besonders hoch ist das Risiko auf der iberischen Halbinsel, in Italien und Griechenland.

Ein Weckruf für die Regierungen ist das bisher nicht: Weniger als ein Viertel der Pariser Vertragsstaaten hat das Gesundheitsthema in ihre Klimaanpassungsstrategie aufgenommen. In Europa sind es zwölf von 50 Staaten. Womöglich auch deshalb, weil nicht alle Länder gleichermaßen betroffen sind, wie WMO und Klimadienst Copernicus in ihrem Report schreiben.

Über das Jahr hinweg beobachten die Wissenschaftler ein Temperaturgefälle auf dem Kontinent. Überdurchschnittlich warm wurde es im Juni zunächst im Nordwesten Europas, vor allem in Frankreich. Im Juli und August stiegen die Temperaturen dann vor allem in Süd- und Osteuropa, ehe sie schließlich im September auch in Mitteleuropa deutlich über den Durchnschnittswert stiegen.

Entwicklung der Lufttemperatur in Europa im von Juni bis Spetember 2023

Temperaturgefälle auf dem europäischen Kontinent: Erst im September wurde es überall richtig heiß

© European State of the Climate 2024

Regendefizite zusammen mit hohen Temperaturen trockneten vor allem den Südwesten Europas so stark aus, dass aus kleinen Funken große Waldbrände wurden. Das größte je gemessene Flammeninferno auf dem Kontinent wütete in Griechenland. 96.000 Hektar machte das Feuer zu einer grauen Aschelandschaft. Auch in Spanien und Portugal tobten die Feuer. Insgesamt verbrannten im vergangenen Jahr 500.000 Hektar in Europa; 36.000 Menschen waren betroffen. 44 starben durch die Brände.

Hochwasser im Süden und Osten Europas

Weit höher war jedoch die Zahl derer, die von Überschwemmungen heimgesucht wurden. Der Report berichtet von 1,6 Millionen Menschen, die von Überflutungen betroffen waren. Die Saison eröffnete Italien, wo im Mai fast zwei Dutzend Flüsse über die Ufer traten, 540 Quadratkilometer unter Wasser setzten 36.000 Menschen vorübergehend vertrieben. Deutlich mehr waren es allerdings im August in Slowenien: Dort waren 1,5 Millionen Menschen von den Wassermassen betroffen. Dass Teile Europas mit heftigen Überschwemmungen zu kämpfen hatten, dürfte unter anderem an den von der Hitze ausgedörrten Böden gelegen haben. Ausgetrocknet können sie Regenwasser nicht mehr aufnehmen. Statt im Boden zu versickern staut sich das Wasser an der Oberfläche und flutet Ortschaften und Städte.

Andernorts sorgte überdurchschnittliche Bodenfeuchte für dasselbe Ergebnis: Während es im Süden Europas zu trocken war, war es im Norden deutlich zu nass, heißt es im Klimareport. Betroffen waren unter anderem die Niederlande, der Nordwesten Deutschlands und Dänemark. Anhand der Daten schlussfolgern die Wissenschaftler, dass das Jahr 2023 zu den Feuchtesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zählt.

04. August 2021,20:44

Boetius leitet das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Diese Regionen spielen eine zentrale Rolle im weltweiten Klimasystem

Warme Gewässer

Zum Rätseln bringen Forscher weltweit derzeit die Meere, denn die erhitzen sich rasant. Laut europäischem Klimareport waren der Atlantik und das Mittelmeer noch nie so warm wie im vergangenen Jahr. Im Durchschnitt lagen die Temperaturen einen halben Grad über den bisher gemessenen Normalwerten.

Oberflächentemperatur der Ozeane im Zeitverlauf

Oberflächentemperatur der Ozeane von Januar bis Dezember 2023. Im Juli und September war der Atlantik ungefähr zwei Grad wärmer als im Vergleichzeitraum zwischen 1991 bis 2020

© Copernicus / Era5 / C35/ECMWF /

"2023 war ein komplexes und vielschichtiges Jahr, was die Klimagefahren in Europa angeht", sagte der Direktor des Copernicus Climate Change Service (C3S), Carlo Buontempo, der Deutschen Presse-Agentur. "Wir wurden Zeuge von weitverbreiteten Überschwemmungen, aber auch von extremen Waldbränden mit hohen Temperaturen und schweren Dürren." Diese Ereignisse hätten nicht nur die natürlichen Ökosysteme belastet, sondern auch die Landwirtschaft, die Wasserwirtschaft und die öffentliche Gesundheit vor große Herausforderungen gestellt.

Die wetter- und klimabedingten Schäden werden auf weit mehr als 10 Milliarden Euro geschätzt. "Leider ist es unwahrscheinlich, dass diese Zahlen in naher Zukunft kleiner werden", sagte Buontempo mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel.