Afrika kämpft mit der Erderwärmung – und wird jetzt selbst zum Klimasünder (original) (raw)
Während andere Staaten die Erde mit dem klimaschädlichen CO2 verpesteten, speicherten Afrikas Ökosysteme Jahrzehnte lang das Treibhausgas. Doch das ist nun vorbei. Wie kommt es dazu?
Als das Wasser ihre Hütte erreichte, verkaufte Nyayiel Kay Nakney eine Kuh für ein Kanu. Damit paddelte sie den eigentlich ausgedörrten Weg nach Bentiu im Südsudan. Vier Jahre mit historischen Regenfällen haben die Region so stark überflutet, dass Tausende Zuflucht in den Flüchtlingscamps der Vereinten Nationen suchen. Auch Nyayiel zählt jetzt zu den schätzungsweise 360.000 Binnenvertriebenen, die auf ein neues Leben hoffen. "Wir hatten alles, was wir brauchten, wir waren wohlhabend", berichtet sie in einem Lager der Uno Flüchtlingshilfe. Doch der Klimawandel hat ihr Dasein als Bauern hinweggespült.
Afrika zählt zu jenen Weltregionen, die bereits länger mit den Folgen der Erderwärmung kämpfen als andere Kontinente. Das liegt allerdings nicht daran, dass der Klimawandel auf dem Kontinent stärker stattfindet als anderswo. Fragile Staatlichkeit, Korruption, teils blutige Konflikte, Armut und ein geringes Bildungsniveau machen die afrikanische Gesellschaft besonders anfällig für Umwelt- und Klimakatastrophen.
12. Mai 2023,06:02
Gesichter des Klimawandels – vom Horn von Afrika bis in die Sahel-Zone
Wie überall auf der Welt steigt die Temperatur auch in Afrika. Niederschläge werden dort seltener, dafür aber intensiver, sagen Klimaforscher wie Heiko Paeth vom Institut für Geographie und Geologie der Universität Würzburg. Trotzdem gibt es regionale Unterschiede: Mancherorts werden Existenzen fortgeschwemmt, andernorts ausgetrocknet.
Zu den Klima-Hotspots des Kontinents zählt das Horn von Afrika. Die Region dörrt seit ungefähr 25 Jahren vor sich hin. Wenn es regnet, dann geschieht das kurz, aber heftig. Der ausgetrocknete Boden kann die Wassermassen nicht mehr aufnehmen – Land- und Ortschaften werden überschwemmt, die Bewohner vertrieben. So geschehen im November 2019 oder 2023. Grund dafür könnten die menschengemachte Erwärmung des und Naturphänomene im Pazifischen und Indischen Ozeans sein, schätzen Klimawissenschaftler. "Wir sehen diese Region als besonders vulnerabel an. Das heißt aber nicht, dass andere Regionen nicht betroffen sind", sagt Andreas Fink vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Deutlich bemerkbarer macht sich der Temperaturanstieg nördlich der Sahara, in den Maghreb-Staaten, aber auch in Teilen der Sahel-Zone. "Dort beobachten wir denselben Mechanismus wie im europäischen Mittelmeerraum", sagt Klimaexperte Paeth – also vermehrt Hochdruckgebiete, die überdurchschnittlich warme Temperaturen in der Region begünstigen. Wie sich die Lage südlich der Sahara weiterentwickelt, ist den Wissenschaftlern noch nicht ganz klar. Der Weltklimarat geht davon aus, dass sich der Monsun im subsaharischen Westafrika künftig verstärkt. Wirbelstürme, wie sie 2023 über Mosambik und Madagaskar hinwegfegten, wären dann wahrscheinlicher.
Das Jahr 2023 war heiß, nass und stürmisch – Wetterextreme werden zum neuen Normal
Januar: Land unter in Kalifornien und Alabama
Merced, USA. Ein Mann watet im Pyjama durch knietiefe Fluten, um seine Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Anfang des Jahres erschütterte ein heftiger Wintersturm den Westen der Vereinigten Staaten. Neben Kalifornien war auch der Bundesstaat Alabama betroffen. Das tödliche Unwetter brachte über mehrere Wochen hinweg heftige Schneefälle, Regen und Sturm. Fast 70.000 Haushalte waren zeitweise ohne Strom. In einigen Regionen regnete es innerhalb von 50 Tagen so viel wie sonst in einem ganzen Jahr. US-Präsident Joe Biden rief den Wetternotstand für Alabama und Kalifornien aus. Mehr als 15 Menschen starben durch das Unwetter.
© Noah Berger / AP / DPA
Afrika ackert sich zum Player im globalen Klimawandel
Klimawissenschaftler Paeth rechnet mit dem Gegenteil. Der Grund: die Landnutzungsänderung. Verglichen mit anderen Kontinenten ist Afrika dünn besiedelt. Migrationsströme, ausgelöst durch Kriege, Konflikte und den Klimawandel, führen aber zu unkontrollierten Besiedelungen und illegaler Landnahme. Forscher sprechen von "shifting cultivation". Werden Wälder abgeholzt, verändert sich auch die Luftzirkulation. Dadurch werden Wirbelstürme abgeschwächt.
Bisher bildete der afrikanische Kontinent eine Art Kohlenstoffsenke für den Planeten. Ökosysteme müssen aber zunehmend dem Ackerbau weichen. Damit wechselt Afrika langsam, aber stetig auf die Seite der Klimasünder, zeigt eine aktuelle Studie: Denn durch Waldrodung für die Landwirtschaft stößt der Kontinent seit ungefähr zehn Jahren mehr CO2 aus, als er mit seinen Ökosystemen kompensieren kann.
"Von Satellitendaten und unseren Klimamodellen wissen wir, dass solche Landnutzungsänderungen einen dramatischen Effekt haben", sagt Paeth. Besonders deutlich zeige sich das in Afrikas Tropenregionen: Zwischen dem Kongobecken und der Savanne im Norden und Süden des Kontinents könnte die Temperatur Mitte des 21. Jahrhunderts verglichen mit dem vorindustriellen Vergleichszeitraum um teilweise 2,5 bis vier Grad ansteigen. Derzeit erhitzt sich Europa im weltweiten Vergleich am schnellsten (mehr dazu lesen Sie hier), Afrika könnte den Kontinent aber bald ablösen, schätzt Paeth.
08. April 2024,19:10
Das bietet politischen Sprengstoff: Als Nehmerland profitiert Afrika vom Klimafonds. Die Gelder darin stammen überwiegend aus westlichen Industriestaaten. Die Grundlage bildet die Annahme, dass der Globale Norden für den Klimawandel verantwortlich ist und deshalb den besonders betroffenen Globalen Süden unterstützen muss. Wenn nun herauskommt, dass die unkontrollierte Besiedlung in Afrika den regionalen Klimawandel verstärkt, könnte der Geldhahn aus dem Klimafonds zugedreht werden, so die Befürchtung. "Was im Übrigen nicht gerechtfertigt wäre, weil wir uns insgesamt in Afrika nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen", betont Paeth.
Die Sache mit der Aufforstung
Wie ließe sich das Problem lösen? Mit Bäumen – vielleicht. Von Fluggesellschaften über Suchmaschinen werben verschiedene Unternehmen und Organisationen für die Aufforstung. Nur bringt das nicht immer so viel wie gedacht und erhofft – schon gar nicht in Afrika. Die Afrikanische Union will zusammen mit der African Forest Landscape Restoration Initiative 100 Millionen Hektar geschädigtes Land in Afrika bis zum Jahr 2030 bewalden. Angestoßen wurde das Projekt 2007, um die Ausbreitung der Sahara zu verhindern, die heute so aber gar nicht mehr stattfindet, wie Klimaforscher Fink einräumt. "Das Projekt war insgesamt stark politisch motiviert und wissenschaftlich kaum belegt."
14. Juli 2021,14:50
"Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, der Entwaldung entgegenzuwirken. Fragt sich nur: Tun wir das an der richtigen Stelle?", pflichtet Paeth ihm bei. Für die Great Green Wall, die sich durch die Sahelzone winden soll, wurden Setzlinge in der Savanne gepflanzt, wo sie nichts zu suchen haben und das Ökosystem eher schädigen, zeigt eine Studie aus dem Fachblatt "Science".
Afrikanisches Energie-Potenzial
Bäume dürften demnach wohl kaum als Dauerlösung im Kampf gegen den Klimawandel herhalten. Schon gar nicht, wenn die Setzlinge aufgrund von Massenabwanderung ohnehin bald wieder abgeholzt werden. Welche Alternativen gibt es dann?
"Besser wäre es, den afrikanischen Bauern Anbaumöglichkeiten zu zeigen, um den Wassergehalt im Boden zu erhöhen und dort auch CO2 zu speichern", sagt Klimawissenschaftler Fink. Auch mit vom Tourismus finanzierten Nationalparks könnten Ökosysteme geschützt werden.
Für die Energiewende bietet der Kontinent aber viel Potenzial, meint Klimawissenschaftler Paeth. Von Wind über Sonne bis Wasser sei alles vorhanden. "Schon ein kleiner Teil der Sahara könnte die Energieprobleme der gesamten Welt lösen". Würde Afrika die Flächen dafür freigeben, könnten westliche Staaten und Unternehmen dort in erneuerbare Energien investieren, statt wie bisher Rohstoffe abzubauen und das Feld ansonsten China zu überlassen, das den Platz möglicherweise für Kohlekraftwerke nutzt.
Neue Wirtschaftsabkommen mit den afrikanischen Staaten könnten zudem an den Aufbau von Sozialsystemen geknüpft werden. Hätte man das schon früher bedacht, gebe es in Afrika heute womöglich einen Mittelstand, schätzt Paeth. Das würde mehr Wohlstand und ein höheres Bildungssystem bedeuten. Womöglich wäre das Land dann auch gegen die Folgen des Klimawandels besser ausgestattet. Statt Kühe für Kanus zu verkaufen, könnten dann etwa die Menschen am Horn von Afrika weiter von der Landwirtschaft leben.