Sie wollten die Sowjets vor dem Nazi-Angriff warnen – vor 80 Jahren wurden die Anführer der "Roten Kapelle" getötet (original) (raw)

Arvid Harnack, Rote Kapelle

Arvid Harnack (l.) und seine Frau Mildred

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Die "Rote Kapelle" war eine lose organisierte Widerstandsgruppe im Dritten Reich. Ihre führenden Persönlichkeiten unterhielten Kontakte in die Sowjetunion – dafür wurden sie vor 80 Jahren hingerichtet.

Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack standen dem Nationalsozialismus schon sehr früh kritisch gegenüber, auch wenn sie rein formal Teil des Nazi-Systems waren. Harnack, Jahrgang 1901, arbeitete im Reichswirtschaftsministerium, war aber heimlich Mitglied der verbotenen kommunistischen Partei KPD. Schulze-Boysen stieg sogar zum Offizier der Luftwaffe auf, obwohl er sich schon vor der Machtergreifung der Nazis gegen Hitler gestellt hatte.

Beide Männer kannten sich lange gar nicht, arbeiteten dann aber im Kampf gegen das Regime als "Rote Kapelle", wie die Nazis ihre Gruppe von Widerstandsorganisationen nannten, zusammen. Vor 80 Jahren, am 22. Dezember 1942, wurden sie mit anderen Mitstreitern hingerichtet.

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Sowohl Schulze-Boysen als auch Harnack gründeten schon Mitte der Dreißiger Jahre kleine Gruppen, in denen kritisch über die Nazi-Diktatur gesprochen wurde. Diese bestanden nur aus engen Freunden, um nicht Gefahr zu laufen, von der Gestapo verhaftet zu werden. Harnack baute zusammen mit seiner Frau Mildred sowie dem Schriftsteller Adam Kuckhoff und dessen Frau einen Zirkel auf, in dem sich die Mitglieder auf den Neuanfang nach dem Sturz der Nazis vorbereiteten. Zur Tarnung wurde der kommunistisch eingestellte Jurist Harnack sogar NSDAP-Mitglied, im Wirtschaftsministerium arbeitete er sich bis zum Oberregierungsrat hoch. In Wirklichkeit aber pflegte er Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst sowie zu den USA.

Schulze-Boysen war vor der Machtübernahme Hitlers Herausgeber einer überparteilichen Zeitschrift gewesen, die SA nahm ihn deshalb später in Haft. Seiner Karriere beim Militär stand das allerdings nicht im Weg. In Berlin scharten er und seine Frau Libertas ab 1936 einige Freunde um sich – Journalisten, Schriftsteller, Künstler, viele von ihnen mit Nähe zum Kommunismus. Schulze-Boysen und Harnack verband die Sympathie für das wirtschaftliche Modell der Sowjetunion: Sie strebten die Abschaffung der Freien Marktwirtschaft in Deutschland zugunsten einer Planwirtschaft an. Gleichzeitig sollte das Reich aber auch offen gegenüber den anderen westeuropäischen Mächten bleiben.

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Warnung an die Sowjetunion

Trotz dieser Überschneidungen agierten die beiden Gruppen lange unabhängig voneinander. Sie halfen Verfolgten, verbreiteten regimekritische Flugblätter, sammelten Informationen, die sie an ausländische Vertreter weitergaben, und machten sich Gedanken darüber, wie ein Deutschland nach den Nazis aussehen könnte. Erst 1939 nahmen die Anführer Kontakt miteinander auf, es entwickelte sich eine lose Zusammenarbeit, an der rund 150 Mitglieder beteiligt waren.

Vor allem kämpften Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack dafür, den Zweiten Weltkrieg so bald wie möglich zu beenden. Dafür nutzten sie ihre Kontakte ins Ausland: Im Juni 1941 sollen sie der Sowjetunion Informationen übermittelt haben, wonach Hitler einen Angriff plante – obwohl Sowjets und Nazis damals offiziell noch Verbündete waren. Stalin jedoch glaubte der Warnung nicht. Nur vier Tage später begann der deutsche Überfall auf die Sowjetunion.

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Verhaftung und Hinrichtung

In der Heimat riefen Schulze-Boysen, Harnack und ihre Mitstreiter die Bevölkerung zum Widerstand auf. "Im Namen des Reiches werden die scheußlichsten Quälereien und Grausamkeiten an Zivilpersonen und Gefangenen begangen. Noch nie in der Geschichte ist ein Mann so gehasst worden wie Adolf Hitler. Der Hass der gequälten Menschheit belastet das ganze deutsche Volk", hieß es in einer Flugschrift mit dem Titel "Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk", die Schulze-Boysen 1942 verfasste. "Wir müssen endlich Schluss machen mit dem alten deutschen Irrglauben, der Staat sei ein höheres Wesen, dem man sich blind anvertrauen dürfe." Das Volk solle sich "gegen die Fortsetzung eines Krieges, der im besten Falle nicht Deutschland allein, sondern den ganzen Kontinent zum Trümmerfeld macht", wenden.

Der erhoffte Aufstand im eigenen Land blieb aus, stattdessen wurde den Widerstandskämpfern ihre Verbindungen nach Moskau zum Verhängnis. Die deutsche Funkabwehr stieß 1941 in einem abgefangenen sowjetischen Funkspruch auf die Namen der beiden. Darin wurden auch ihre Adressen genannt. Die "Sonderkommission Rote Kapelle" überwachte Schulze-Boysen und Harnack sowie andere Mitglieder ihrer Gruppen fortan genau. Am 31. August 1942 wurde Harro Schulze-Boysen verhaftet, eine Woche später auch Arvid und Mildred Harnack. Das gleiche Schicksal ereilte in den folgenden Monaten mehr als hundert Mitglieder ihrer Gruppe. Ihnen wurde "bezahlter Landesverrat" vorgeworfen.

Am 22. Dezember 1942 wurden Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack nach einem Urteil des Reichskriegsgerichts erhängt, eine Art der Hinrichtung, die bei den Nazis als besonders entehrend galt. Mit ihnen wurden auch elf andere Mitglieder der Gruppe hingerichtet. Darunter auch Libertas Schulze-Boysen, die Ehefrau von Harro Schulze-Boysen. Das Gericht hatte sie ursprünglich zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Hitler persönlich aber hob das Urteil auf und ordnete die Todesstrafe an. Mildred Harnack wurde im Februar 1943 enthauptet.

Quellen: Deutsches Historisches Museum / Bundeszentrale für politische Bildung / Gedenkstätte Plötzensee

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