So will sich Deutschland gegen Hochwasser und Hitze wappnen (original) (raw)

Ein Haufen Sandsäcke liegt vor Häusern im Überschwemmungsgebiet in Süddeutschland

Gegen die Fluten: Sandsäcke sind wohl nicht die Dauerlösung, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen

© Wolfgang Maria Weber / Imago Images

Im Juli tritt das Klimaanpassungsgesetz der Ampel-Regierung in Kraft. Strategien gibt es in Ländern und Kommunen aber schon seit Langem. Haben sie auch etwas gebracht? Eine Bestandsaufnahme.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Bäche zu reißenden Flüssen, Straßen zu schlammigen Pfaden, Wohnhäuser zu Ruinen wurden. 2021 ereignete sich im Ahrtal eine Katastrophe, wie sie Deutschland noch nie erlebt und wahrscheinlich auch nicht erwartet hat. Fast zwei Jahre später ist die Region in Rheinland-Pfalz immer noch damit beschäftigt, sich von dem Trauma zu erholen. Unterdessen findet in Süddeutschland die nächste Wetterkatastrophe statt: Dauerregen hat Teile des Saarlandes, Baden-Württembergs und Bayerns geflutet. Existenzen werden innerhalb weniger Tage fortgespült, die Betroffenen sind verzweifelt, aus Berlin reist das politische Who-is-Who ins Katastrophengebiet. Nur wofür?

Seit Jahren mahnen Forscher weltweit, dass der menschengemachte Klimawandel Extremwetterereignisse begünstigt und Naturkatastrophen verschärft. Die Fluten in Deutschland zeigen, dass auch die Bundesrepublik vor den Folgen der Erderwärmung nicht gefeit ist. Doch gelernt haben Bund und Länder aus der Ahrtal-Katastrophe zu wenig. Ein Konzept, um künftigen Überschwemmungen vorzubeugen, gibt es in Rheinland-Pfalz bis heute nicht. Auch in Süddeutschland fehlen solche Maßnahmen und Pläne. Im Onlinedienst X kursieren sogar Gerüchte, wonach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf Drängen des Koalitionspartners Freie Wähler beim Hochwasserschutz gespart haben soll.

15. Mai 2022,17:32

Erderwärmung 1,5 Grad: Regen fällt auf trockenen Boden

Anfang des Jahres verkündete die Ampel-Regierung unter dem selbsternannten Klimakanzler Olaf Scholz das Klimaschutzgesetz aufweichen zu wollen. Wenig überraschend kommt der Expertenrat der Bundesregierung in seinem aktuellsten Bericht nun zu dem Schluss, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 verfehlen wird und schon jetzt die Zielvorgaben der Europäischen Klimaschutzverordnung nicht einhalten kann.

So passen sich die Bundesländer an den Klimawandel an

Die Liste der Versäumnisse ist lang. Doch Berlin weiß: Ohne langfristige Maßnahmen geht es auch in Deutschland nicht. Deshalb hat die Ampel-Koalition ein Klimaanpassungsgesetz beschlossen. Damit verpflichtet sie sich, messbare Ziele und eine Umsetzungsstrategie vorzulegen. Das Gesetz soll noch dieses Jahr in Kraft treten und richtet sich auch an die Länder. Aber wie sie sich anpassen, bleibt ihnen selbst überlassen.

"Es gibt noch keine verbindlichen Ziele und Zeiträume, in denen Anpassungsmaßnahmen umgesetzt werden müssen", kritisiert Diana Rechid vom Climate Service Center Germany (Gerics). Die Klimawissenschaftlerin leitet die Abteilung Regionaler und lokaler Klimawandel und weiß: Deutschland hat viele Möglichkeiten, sich besser auf die zu erwartenden Klimaänderungen vorzubereiten. "Aber in der praktischen Umsetzung herrscht noch großer Nachholbedarf."

Das zeigt auch die Suche nach Strategiepapieren der Länder zur Anpassung an den Klimawandel. Mit Ausnahme des Saarlandes liegt für jedes Bundesland mindestens seit 2009 ein solcher Strategiekatalog vor, der wiederholt überarbeitet wurde. Brandenburg, das trockenste der Länder, stellte seine Ideen 2021 fertig – und ist damit das letzte Bundesland, das ein Papier zur Anpassung an den Klimawandel erarbeitet hat. In Schleswig-Holstein und Hamburg wird seit ein paar Jahren an einer Neuauflage getüftelt. Ob das Saarland noch an einem Papier arbeitet, ist unklar. Bisher gibt es lediglich Pilotprojekte, um Methoden zur Starkregenvorhersage zu entwickeln. Eine entsprechende _stern_-Anfrage ließ das zuständige Ministerium unbeantwortet.

Vielleicht braucht es das aber auch gar nicht, denn dass die Konzepte den beschworenen Erfolg bringen, lässt sich bisher nicht belegen. Zumindest die Flut im Ahrtal oder die Überschwemmungen in Süddeutschland konnten die Katastrophen weder verhindern noch abschwächen. Viele Papiere sind mittlerweile veraltet. Das Konzept für Sachsen-Anhalt wurde zuletzt 2019 aktualisiert. Bremen hat seine Ideen in einem Dokument aus dem Jahr 2018 gesammelt, Bayerns Strategiepapier stammt aus dem Jahr 2016 und Baden-Württemberg überarbeitet derzeit sein Dokument von 2015.

Wie stark sind die Bundesländer vom Klimawandel betroffen?

Bei den teils mehrere hundert Seiten langen Dossiers handelt es sich überwiegend um Vorschläge und Ideen ohne rechtliche Verpflichtungen. Das ist umso problematischer, weil die Länder offenbar sehr genau wissen, wie sich die Erderwärmung auf ihr jeweiliges Land auswirkt. Zumindest ist in den Strategiepapieren eindeutig aufgeschlüsselt, ob eine Region künftig eher mit Dürren oder Überschwemmungen rechnen muss. Die Erkenntnisse basieren auf Ergebnissen und Auswertungen von Klima- und Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) oder von Beobachtungsprogrammen der Länder.

Insgesamt müssen sich alle Regionen in Deutschland auf weiter steigende Temperaturen und Starkregenereignisse einstellen, sagen Meteorologen und Klimaforscher. "Die mittlere Jahrestemperatur wird in ganz Deutschland weiter ansteigen – mehr oder weniger stark je nach weltweiten Klimaschutzmaßnahmen", betont Rechid. Allerdings würden die Schwellwerte für Sommer- (25 Grad Celsius) und Hitzetage (30 Grad Celsius) im Süden des Landes schon jetzt deutlich häufiger überschritten als im Norden. Das hängt einerseits mit der Verteilung von Land- und Wassermassen zusammen. Über Gewässern erhitzt sich die Luft langsamer, deshalb sind die Ausgangstemperaturen in Norddeutschland grundsätzlich etwas niedriger. Die Zahl besonders heißer Tage wird demnach verglichen mit dem Süden verzögert ansteigen.

Die Grafik des Deutschen Wetterdienstes zeigt die Entwicklung der Hitzetage in Deutschland seit 1993

Seit den frühen 1990er Jahren ist die Zahl der heißen Tage mit einer Höchsttemperatur von mindestens 30 Grad gestiegen. Besonders häufig werden die Werte mittlerweile in Ostdeutschland und im Südwesten erreicht

Legende: blau: 0 Hitzetage, grün bis gelb: zwei bis zwölfe Hitzetage, rosa bis rot: 14 bis 26 Hitzetage

© Deutscher Wetterdienst

Weniger eindeutig verhält es sich bei den Niederschlägen. Die Daten der DWD-Messstationen und Klimamodelle für Deutschland zeigen zwar, dass extreme Niederschläge häufiger werden. "Allerdings handelt es sich dabei um eine Tendenz, die in vielen Fällen noch nicht signifikant ist", betont DWD-Wissenschaftler Frank Kaspar. Die Starkregenauswertungen aus dem Radarnetzwerk stehen der Behörde erst seit 2001 für das gesamte Bundesgebiet zur Verfügung – der Zeitraum ist nach Einschätzung des Physikers zu kurz, um eindeutige Schlüsse zu ziehen. Belastbare Bewertungen seien mit diesen Daten erst in einigen Jahren möglich. Klimamodelle zeigten aber schon jetzt, dass Extremwetterereignisse zunehmen.

Jährliche Niederschlagshöhe in Deutschland im Referenzzeitraum 1961–1990

Deutschlandweit fallen durchschnittlich 789 Liter pro Quadratmeter und Jahr. Im Nordosten und der Mitte des Landes sind die Werte mit unter 600 l/m2 am niedrigsten, in den höheren Lagen der Alpen und
des Schwarzwaldes mit über 1500 l/m2 am höchsten.

© Deutscher Wetterdienst

Deutliche Unterschiede zwischen den Regionen gibt es allerdings bei der Betroffenheit. Wie gravierend die Schäden bei Überschwemmungen sind, hängt von den Gegebenheiten im Gelände ab. Wissenschaftler sprechen auch von "topografischer Gliederung". Als das Ahrtal 2021 nach Starkregen in den Fluten versank, gab es auch in der Uckermark in Ostdeutschland ähnlich starke Regenfälle. Während das Wasser in Rheinland-Pfalz allerdings durch die hügelige Landschaft Richtung Tal schoss und von den versiegelten Böden behindert wurde, versickerte es in Ostdeutschland in den sandigen Böden. Im norddeutschen Flachland verteilen sich die Wassermassen dagegen weiträumig und vor allem dann, wenn sich der Boden schon vollgesogen hat.

06. April 2024,08:16

Erderwärmung: Je mehr Landflächen, desto höher die Temperaturen

Kann sich Deutschland noch an den Klimawandel anpassen?

Wie stark ein Land unter den Folgen des Klimawandels leidet, hängt allerdings auch davon ab, ob ein Land politisch und finanziell ausgerüstet ist. In politisch zerrütteten Staaten und armen Ländern leiden die Menschen stärker unter der Erderwärmung als beispielsweise in reicheren Industrienationen, weil unter anderem das Geld für Anpassungsmaßnahmen fehlt.

In Ländern wie Deutschland mangelt es derweil vor allem am politischen Willen, um die nötigen Maßnahmen umzusetzen. Klimaforscherin Rechid plädiert deshalb für mehr gesetzliche Regelungen. Einen Vorreiter gibt es immerhin schon: Nordrhein-Westfalen ist seit 2021 das erste und bisher einzige Bundesland, das ein Klimaanpassungsgesetz verabschiedet und damit alle öffentlichen Entscheidungsträger dazu verpflichtet hat, die Folgen der Erderwärmung bei Planungen zu berücksichtigen.

Quellen: Climate Service Center, Klimaanpassungsstrategien der Länder, Deutscher Wetterdienst, Bundesumweltministerium