Überall Menschen! Die Tiere fliehen in die Nacht (original) (raw)
Nachtaktive Säugetiere Überall Menschen! Die Tiere fliehen in die Nacht
Dieser junge Hirsch lebt in Nord London und ist nur nachts aktiv.
© Jamie Hall / Getty Images
In der Frühzeit der Erde mussten sich die Säugetiere vor den übermächtigen Dinosauriern verbergen. Sie waren nur nachts aktiv. Heute vertreibt sie der Mensch, sie flüchten den Tag und suchen Zuflucht in der Nacht.
Tiere meiden den Menschen aus guten Gründen. Aber das wird immer schwieriger. 70 Prozent der Erdoberfläche werden inzwischen in irgendeiner Weise vom Menschen bestimmt, in menschenfreie Regionen auszuweichen, ist keine Alternative. Auf der ganzen Welt sind die Säugetiere daher auf einen anderen Trick verfallen, um ihren unsympathischen Verwandten aus dem Weg zu gehen: Sie schlafen tagsüber mehr und verlagern ihre Aktivitäten in die Nacht.
In den Städten ist das sofort plausibel, aber der Prozess lässt sich auch in der "Wildnis" nachweisen, das hat eine Studie der Zeitschrift "Science" herausgefunden ("The influence of human disturbance on wildlife nocturnality" Kaitlyn M. Gaynor, Cheryl E. Hojnowski1, Neil H. Carter, Justin S. Brashares). Selbst Kojoten, Elefanten und Tiger verändern demnach ihre Schlafgewohnheiten.
Die Herrschaft des Homo Sapiens
"Wir Menschen haben eine allgegenwärtige Schreckensherrschaft auf dem Planeten errichtet und wir treiben alle anderen Säugetiere zurück in die Nacht", sagte Kaitlyn Gaynor, die Leiterin der Studie. Dabei fallen Säugetiere nur in alte Gewohnheiten zurück. Die frühen Säugetiere, die in der Zeit der Dinosaurier lebten, waren ebenfalls nachtaktiv. "Dinosaurier waren eine allgegenwärtige, beängstigende Macht, und erst nach ihrem Aussterben kamen die Säugetiere ins Tageslicht", sagt Gaynor. "Die Arten haben sich seit Millionen von Jahren an die täglichen Aktivitäten gewöhnt, und jetzt treiben wir sie zurück in die Nacht. Vermutlich fördern wir so eine Art der natürlichen Auslese ", so Gaynor.
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© Vasily Fedosenko/Reuters
Für die Forschung wurden Daten über 62 Arten auf sechs Kontinenten ausgewertet. Der Mensch verwandelt die Tiere nicht in Vampir-Wesen, die ausschließlich nachts aktiv sind, seine Präsenz erhört die Nachtaktivität aber gewaltig. "Ein Tier, das seine Aktivität normalerweise gleichmäßig zwischen Tag und Nacht aufteilt, erhöht den Anteil an Nachtaktivität auf 68 Prozent, wenn das Tier menschlichen Störungen ausgesetzt ist. Das ist eine eindrucksvolle Steigerung."
Weitreichende Änderungen
Wie sich dieses Verhalten weiter auswirkt, ist noch unklar. "Wir beginnen gerade erst zu verstehen, wie diese Verhaltensänderungen ganze Ökosysteme beeinflussen", so Kaitlyn Gaynor von der Berkeley Universität. In der Nähe von Santa Cruz versuchen Kojoten, Wanderer und Radfahrer zu vermeiden. Mit der Nachtaktivität verändert sich der Speisezettel, weil sie mehr Beute machen, die ebenfalls nachts aktiv ist. Anstelle von tagaktiven Lebewesen wie Eichhörnchen und Vögeln fressen sie nun mehr nachtaktive Tieren wie Mäusen, Ratten und Kaninchen. Das gleiche Phänomen findet sich im Himalaja. Dort verschlafen die Tiger lieber den Tag, denn nachts können sie ungestört ihre gewohnten Pfade gehen.
Die Motivation der Tiere ist vielfältig und nicht unbedingt auf ein feindliches Verhalten der Menschen zurückzuführen. Wanderer können zum Beispiel die Beutetiere der Kojoten verjagen, sodass die Jagd am Tag sinnlos wird. Elefanten in Afrika gehen wie die Wildschweine in Europa vor: Sie werden von den Mais- und Getreidefeldern angezogen. Tagsüber halten sich dort Menschen auf, aber nachts können sich die Dickhäuter ungestört über die Felder hermachen.
Chance der Koexistenz
Es ist durchaus möglich, dass diese Prozesse sich noch weiter verstärkten. Ein weiterer Wissenschaftler, der an der Studie mitgearbeitet hat, will den Befund nicht negativ verstehen. An der Präsenz des Menschen kann man wenig ändern. "Ich bin Optimist. Das kann hier einen Weg zum Zusammenleben in einer ansonsten überforderten Landschaft geben." Auch Dr. Chris Carbone vom Institute of Zoology der Zoological Society of London sagte dem "Guardian", dass hier eine Chance läge, den Lebensraum von Tieren zu sichern, indem man die Zeiten menschlicher Aktivität etwa in städtischen Parkanlagen begrenzt.
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