Hoffnung in dunklen Zeiten und ein folgenreicher Talkshow-Auftritt: Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern (original) (raw)

stern-Chefredakteur Hoffnung in dunklen Zeiten und ein folgenreicher Talkshow-Auftritt: Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern

Der aktuelle stern Titel

Der neue stern blickt in die Ukraine und stellt sich aktuellen Fragen rund um die Auswirkungen des Angriffskriegs durch Russland

© stern

"Wie kann dieser Krieg enden?", fragt der stern in seiner neuesten Ausgabe. Gregor Peter Schmitz über Friedenszenarien und Hass im digitalen Zeitalter.

Es gibt Bücher, die muss man lesen. Es gibt Bücher, die will man lesen. Und dann gibt es Bücher, die liest man, etwa weil sie im Schulkanon stehen – und will sie danach immer wieder lesen. "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque ist für mich so ein Buch. Es handelt von Paul Bäumer, ein paar Jahre älter nur, als ich bei meiner ersten Lektüre war, voll naiver Leidenschaft in den Ersten Weltkrieg gezogen, rasch zum Tier geworden, kurz vor Ende des Krieges tödlich getroffen, "an einem Tag, der so ruhig und so still war, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden".

Die Nazis haben diesen Roman gehasst, Kriegstreiber jeglicher Couleur auch. Fast alle, die den Krieg kannten, haben das Buch geliebt. Gerade ist es neu verfilmt worden, nicht besonders gut, der Film wirkt streckenweise wie James Bond im Schützengraben, doch den Schrecken des Krieges zeigt er eindringlich. Neunmal wurde er für den Oscar nominiert, wohl auch wegen des Zeitpunkts. Man könnte einige Szenen einfach neben aktuelle Bilder aus der Ukraine schneiden und würde kaum einen Unterschied erkennen.

08. Februar 2023,06:19

Ivan Krastev

Ein Jahr Ukraine-Krieg

Niemand, der dieses Buch gelesen hat, kann danach ernsthaft sagen, Krieg sei die Lösung für irgendetwas. Das ging mir ganz genauso. Und doch ertappe ich mich gerade bei Sätzen wie: Der Krieg muss verlängert werden, etwa durch Waffenlieferungen an die Ukraine. Das sagt der Verstand, denn ein Frieden jetzt würde unsägliches Leid für ukrainische Bürger bedeuten, würde den Aggressor Putin belohnen – da liegt die Parallele weniger beim Ersten Weltkrieg als beim Kampf gegen Hitler im Zweiten Weltkrieg. Aber was sagt das Herz, wenn man solche Sätze ausspricht? Seit fast einem Jahr leben wir in Kriegszeiten. Auch wenn wir wissen, dass eine Lösung vielleicht ferner ist denn je, müssen wir darüber nachdenken, wie dieser Konflikt enden könnte. Das im Kopf zu behalten ist keine Kapitulation und keine Verharmlosung der Aggression. Es hilft uns, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Ein Jahr Krieg, das heißt auch: ein Jahr menschliches Leid. Dank Spenden von Leserinnen und Lesern konnte die Stiftung stern bislang mit über einer Million Euro den betroffenen Menschen helfen. In Deutschland verteilten wir etwa gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk 2400 Schulranzen samt Grundausstattung an geflüchtete Jungen und Mädchen, um ihnen die Ankunft im neuen Alltag etwas zu erleichtern. Neben der Arbeit mit größeren Hilfsorganisationen wie Caritas und Care ist es uns wichtig, kleinere Organisationen zu unterstützen, deren Arbeit unsere Reporterinnen und Reporter erleben konnten. Ein Beispiel dafür ist die ukrainische Organisation "Proliska". Helfen Sie uns, weiter zu helfen.

12. Februar 2023,08:11

Ralf Stegner

Digitaler Hass

Vorige Woche war ich Gast in der Talksendung "Markus Lanz". Es ging, nach der schrecklichen Messerattacke von Brokstedt, um das Thema Migration. Ich erlaubte mir – bei aller Kritik an der Tat und an Migrationsversäumnissen – den Hinweis, keineswegs alle Migranten seien potenzielle Gewalttäter, es gebe auch statistisch keine Gewaltexplosion in Deutschland. Danach brach ein digitaler Hass-Sturm über mich herein, gipfelnd in dem Satz, man wünsche mir, "wirklich ernst, dass es dich oder deine Familie mal persönlich treffe". Andere freuten sich auf ein "Tribunal und den Tag der Abrechnung für alle Feinde Deutschlands".

Welchen Hass viele "Nicht-Bio-Deutsche" bei uns ertragen müssen jeden Tag, kann ich mir nach dieser Erfahrung immer noch nicht vorstellen. Aber leider erahnen.

Herzlich Ihr,

Gregor Peter Schmitz

Erschienen in stern 07/2023