Putins Offensive im Donbass läuft besser, als wir denken – aber eine Waffe könnte ihn stoppen (original) (raw)
Krieg in der Ukraine Putins Offensive im Donbass läuft besser, als wir denken – aber eine Waffe könnte ihn stoppen
So sieht Novotoshkivske nach russischen Beschuss aus. Der Ort liegt bei Luhansk im umkämpften Sjewjerodonezk-Dreieck.
© Urainische Streitkräfte / PR
Nichts Neues an der Donbass-Front – so scheint es, doch tatsächlich will Putins neuer General Alexander Dwornikow die ukrainischen Truppen zermalmen. Um zu bestehen, braucht Kiew neue Waffen – doch Panzer würden nicht helfen.
Am 27. April ging ein Jagdkommando der ukrainischen Armee mit dem Panzerkiller Javelin in dem Orekhovo in den Einsatz. Bei ihnen zwei freiwillige US-Veteranen. Doch aus den Jägern wurden Gejagte, eine Beobachtungsdrohne der Russen bemerkte das Kommando und auf ihre Position wurden ein paar Schuss abgegeben. "Dumme" Munition, die nicht von einem Laser geleitet wurde, aber dennoch wurden die Soldaten verletzt, als sie von der Deckung eines Hauses zum anderen eilten. US-Journalisten, die sich westlich von Charkow der Front näherten, wurden von ihren ukrainischen Begleitern dringend ermahnt, stets unter dem schützenden Dach des Waldes zu bleiben und keineswegs ins Freie zu gehen. Auch hier kreisten russische Drohnen und sobald sie ein Ziel erkennen, schlägt die Artillerie zu.
Auf den ersten Blick sieht Putins Donbass-Offensive ziemlich unspektakulär aus. Den Russen gelingen keine tiefen Einbrüche. In immerhin zehn Tagen konnten sie keinen echten Kessel bilden und auch keine der zentralen Städte erobern – die im Übrigen weit, weit kleiner sind als Charkow oder Kiew. Nur ein paar Siedlungen, deren Namen im Westen noch niemand gehört hat, wechselten den Besitzer. Man kann sich fragen: So will Putin die Ukraine erobern?
10. April 2022,18:52
Abnutzungskrieg
Doch die Antwort ist: Ja und das könnte sogar klappen. Putins neuer Befehlshaber General Alexander Dwornikow fährt eine radikale "No Risk"-Strategie. Er wagt keine raumgreifenden Angriffe, keine Durchbrüche, seine Truppen bewegen sich mit der Geschwindigkeit von Schildkröten, wenn sie sich überhaupt bewegen. Was aber, wenn das nicht nur Unfähigkeit ist, sondern Absicht? Die Donbass-Offensive hat nicht das Ziel, Gebiete zu "befreien" – wie es der Kreml verkündet – primäres Ziel ist es, die ukrainische Armee zu vernichten. Und das kann man mit "ukrainische Soldaten töten" übersetzen.
Dwornikow sagt man nach, in Syrien die Methoden der mittelalterlichen Belagerung mit modernen Mitteln reaktiviert zu haben. So weit ist er in der Ukraine noch nicht, denn tatsächlich hat er keine Städte oder Gebiete wirklich eingeschlossen. Derzeit greift der General auf eine Strategie des Ersten Weltkrieges zurück, die "Blutmühle" – wie in der Schlacht um Verdun. Entlang der Frontlinie muss keine Bewegung herrschen, es sollen nur Soldaten sterben. Eigene Verluste sind einkalkuliert, der Trick dabei ist es, dass der Gegner größere Verluste erleidet.
28. April 2022,15:06
Offensive möglichst ohne Bewegung
Also vermeidet Dwornikow alle kühnen Operationen und Bewegungen. Er vertraut darauf, dass die russische Armee vor allem durch die Artillerie eine höhere Feuerkraft besitzt als die Truppen Kiews. Das gegnerische Gebiet wird mit Drohnen – darunter wertvollen Kampfdrohnen aber vermutlich auch jede Menge billige Beobachtungsdrohnen – überwacht. Die eigenen statischen Stellungen werden mit einem dichten Wall aus Luftverteidigung geschützt. Sobald ein Ukrainer in diesem Gebiet aus seinem Versteck kommt, soll er erkannt und beschossen werden. Gleichzeitig hindert Dwornikow die Ukrainer, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Dazu muss er ihre schwere Artillerie ausschalten, durch Feuerüberfälle und indem er den Nachschub in dieses Gebiet abwürgt. Um den Transport zu erschweren, greifen die Russen im ganzen Land Eisenbahnlinien und Brücken an. Hinzu kommt, dass das Netz an Straßen und Eisenbahnlinie zum Kampfgebiet auf der ukrainischen Seite recht dünn ist, während die Russen ihren Nachschub auf Eisenbahnlinien verlagern können. Der deutlichste Vormarsch an dieser bewegungsarmen Offensive zielt dann auch auf eine zentrale Nachschubstraße.
Wer kann die Kriegsmaschine füttern?
Logistik wird diese Kämpfe entscheiden. Artillerie gehört nicht nur zu den schweren Waffen, sie entwickelt auch einen ungeheuren Hunger nach Material, wenn sie täglich benutzt wird. Manpads und Javelins kann man mit einer Handvoll Sprinter-Transportern ins Kampfgebiet bringen. Doch ganze Batterien schwerer Artillerie kann man so nicht füttern.
Dwornikows Kalkül: Sobald Kiew in der Kampfzone weitreichende schwere Artillerie nicht mehr massiv einsetzen kann, sind die ukrainischen Truppen wehrlos dem russischen Beschuss ausgesetzt. Die russischen Kanonen nehmen ihre Stellungen systematisch aus Entfernungen von 15, 20 oder 30 Kilometer unter Beschuss und bleiben selbst außer Reichweite. An der tödlichen Effizienz dieser Methode ändert sich auch dann nichts, wenn es ab und an gelingt, doch eine Drohne über die russische Front zu bringen.
06. Mai 2022,10:09
Das Ergebnis sieht man auf den Aufnahmen der umkämpften oder eroberten Siedlungen: Kein Haus überlebt den Beschuss, sie werden komplett zerstört. Im Idealfall werden die Siedlungen nicht gestürmt, sondern die Russen marschieren ein, wenn die Ukrainer die unhaltbaren Stellungen aufgeben. Häufig ist das aber gar nicht nötig. Denn Kiew will keinen Raum im Donbass aufgeben. Aus russischer Sicht ist das ideal: Die russische Armee muss gar nicht verlagern, wenn Kiew immer neue Soldaten in die Todeszone schickt. Und die Truppen dort sind häufig bei Weitem nicht so ausgestattet, wie auf den Videos, die Kiew verbreitet. Die ukrainischen Kommandosoldaten und die Angehörigen der umstrittenen Freiwilligenformationen sind komplett modern und nach westlichen Standards eingekleidet und ausgerüstet. Anders sieht das bei den einfachen Truppen im Donbass aus. Gruppen die sich ergeben, besitzen häufig nur eine Bewaffnung aus Sowjetzeiten, Body-Armor trägt nur ein Teil der Kämpfer. Viele sind mit einem "Räuberzivil" bekleidet. Einzelne Uniformstücke werden mit privater Kleidung ergänzt. Auch an Stiefeln scheint es zu mangeln.
Leichte Waffen helfen nicht
Dass Problem für den Westen: Gegen diese Art der Kriegsführung helfen "leichte Waffen" nur bedingt. Insbesondere Panzerabwehrraketen und Manpads können nur an den wenigen Stellen eingesetzt werden, an denen die russischen Streitkräfte tatsächlich vorrücken. Was helfen könnte, wären Kampfdrohnen größerer Reichweite und schwere Artillerie.
Stalin nannte die Artillerie übrigens die "Göttin des Krieges". Kanonen die über genauso mächtige Kaliber verfügen wie die der russischen Seite, die aber smarter und wirksamer sind. Es wird viel über die Lieferung von Kampfpanzern und gepanzerten Fahrzeugen diskutiert. Hier steht aber zu befürchten, dass die Panzer auf Kiewer Seite genauso zu Zielscheiben für Antipanzerraketen und Drohnen werden wie die Russen-Panzer. Sie würden hohe Verluste erleiden, ohne entscheidende Wirkung zu erzielen. Schwere Artillerie würde Dwornikows Strategie im Kern treffen, vor allem dann, wenn die Systeme größere Reichweite - etwa durch Spezialmunition – erzielen als die russischen Gegenstücke. Dann könnte die Lage sich umdrehen und die Ukraine aus sicherer Entfernung die Stellungen des Gegners unter Feuer nehmen, während die russischen Streitkräfte sie nur mit riskanten Lufteinsätzen angreifen könnten. Doch dazu müssten moderne Systeme wie die Panzerhaubitze 2000 oder die Werfer der Mars-Familie in großen Zahlen geliefert werden und es müssten kontinuierlich große Menge an Munition in die Kampfgebiete kommen. Die Produktion von reichweitensteigernder Munition müsste sofort gesteigert werden. Die USA haben das Problem erkannt, Sie liefern zwar nicht das modernste Gerät, aber immerhin gleich 90 155 mm Haubitzen mit 184.000 Geschossen.