"Ein so makabres wie verlogenes Puppentheater": So kommentiert die Presse Putins Rede am "Tag des Sieges" (original) (raw)

Im Schatten von Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin mit einer Militärparade und einer Ansprache in Moskau den Sieg über Nazi-Deutschland vor 77 Jahren gefeiert. So bewertet die Presse Putins Rede auf dem Roten Platz.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat für seinen Krieg gegen die Ukraine die Angegriffenen selbst und die Nato verantwortlich gemacht. In seiner Ansprache bei der Moskauer Militärparade zum Jahrestag des Sieges über den Nationalsozialismus sagte er am Montag, das westliche Militärbündnis habe über die Jahre eine "absolut nicht hinnehmbare Bedrohung" geschaffen, gegen die sich Russland nun präventiv wehre. Anders als im Westen teils befürchtet, verkündete der Kreml-Chef keine Teil- oder Generalmobilmachung oder anderweitige Ausweitung der von ihm so bezeichneten "militärischen Spezial-Operation".

Putin warf der Ukraine und der Nato vor, "eine Invasion unserer historischen Gebiete" geplant zu haben, darunter der 2014 von Russland annektierten Krim-Halbinsel und der mehrheitlich russischsprachigen Donbass-Region in der Ostukraine. Auch strebe Kiew nach der Atombombe. Russland habe daher keine andere Wahl gehabt, als präventiv zu agieren. Der Ukraine-Einsatz sei "die einzig richtige Entscheidung" für ein "souveränes, starkes und unabhängiges Land".

![Wladimir Putin in Begleitung von Sergej Schoigu nach der Parade anlässlich des "Tag des Sieges" ](https://image.stern.de/31842858/t/Pl/v4/w960/r1.7778/-/wladimir-putin-schoigu.jpg "Wladimir Putin in Begleitung von Sergej Schoigu nach der Parade anlässlich des "Tag des Sieges" ")

Die Pressestimmen zur Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin

"Badische Zeitung" (Freiburg): "Angesichts ausbleibender Erfolge an der Front schien der "Tag des Sieges" für Russlands Präsidenten diesmal eher ein lästiger Pflichttermin zu sein. Selbst die Parade auf dem Roten Platz geriet mit der angeblich wetterbedingt abgesagten Luftschau eher zu einer Demonstration militärischer Unzulänglichkeit als Stärke. Kommen Putin Zweifel? Wenn, dann würde er es wohl nie eingestehen. Den Befehl zum Angriff auf die Ukraine verteidigt er als alternativlos. Doch der Kreml spielt den Russen keine heile Welt mehr vor, Putin sprach sogar über tote und verwundete Soldaten. Ein Kurswechsel aber deutet sich nicht an. Weder hat Putin den Krieg durch eine offizielle Kriegserklärung oder Mobilmachung eskaliert, noch einen Weg zu seiner Beendigung aufgezeigt. Durchhalten, weiter kämpfen, das bleibt die Parole."

"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg): "Markiert dieser 9. Mai also so etwas wie eine Wende im Krieg in der Ukraine? Absolut nicht. Putin wird nicht klein beigeben, weshalb am anderen Ende Europas, in Straßburg, der französische Präsident Macron bereits mahnte, Russland dürfe nicht als gedemütigter Verlierer aus diesem Großkonflikt herausgehen. Eine Botschaft, die eher an die USA, als an die Europäer gerichtet war. Dass Macron an dem Tag darauf hinweist, an dem Putin infamerweise der Nato die Schuld am Kriegsausbruch zuweist, war ganz sicher kein Zufall. An der Opferrolle der Ukrainer ändern übrigens beide Sichtweisen nichts."

Militärparade in Moskau

Waffenshow am 9. Mai: Putins Propaganda-Festspiele zum 77-jährigen Sieg über Nazi-Deutschland

"Kölner Stadt-Anzeiger": "Putins hemmungslose Verdrehung der Tatsachen ist ein schäbiger Versuch, die eigenen Untaten dem Gegner zuzuweisen, um gesichtswahrend aus der Katastrophe zu kommen. Als habe nicht Moskau monatelang seine Truppen an der Grenze zur Ukraine für den Überfall auf den Nachbarstaat zusammengezogen, behauptet der Kriegsherr, er habe sich vergeblich um Dialog mit dem bedrohlichen Westen bemüht.

"Ein deutliches Zeichen für den wachsenden Druck auf den russischen Präsidenten"

"Die Glocke" (Oelde): "Aufschlussreich an der Rede des russischen Präsidenten war allein das Unausgesprochene. Glücklicherweise ordnete der Kreml-Chef keine Teil- oder Generalmobilmachung an, wie sie von westlichen Beobachtern befürchtet worden war. Auch von einem Krieg statt einer "Spezial-Operation" sprach er nicht. Außerdem verzichtete er auf vollmundige Siegesparolen. Ein Beleg dafür, dass der russische Vormarsch deutlich schlechter verläuft als von Putin erwartet und die Bilanz des bisherigen Krieges für ihn ernüchternd ausfällt. Schließlich ließ die Würdigung der im Ukrainekrieg gefallenen Soldaten in seiner Rede aufhorchen. Dass Putin die Verluste am "Tag des Sieges" offen einräumte, ist ein deutliches Zeichen für den wachsenden Druck auf den russischen Präsidenten."

"Münchner Merkur": "Putin liebt es, das Unerwartete zu tun, sich als Meister der Überraschungen zu inszenieren. Es gehört zum Mythos des Mannes, der zu allem fähig sein will und seine Gegner dadurch in Angst versetzt. Gemessen daran ist sich der Kreml-Chef bei seiner Propagandashow zum 9. Mai mal wieder treu geblieben: kein Wort von der Ausrufung des "totalen Krieges" oder der Generalmobilmachung, die insbesondere die selbst ernannte deutsche "Friedensfraktion" um Alice Schwarzer schon für ausgemachte Sache gehalten hatte. Stattdessen tischte er seinen Landsleuten wieder das Märchen von den Nazis in der Ukraine auf, die es zu besiegen gelte wie einst Hitler-Deutschland. Putin muss nicht mehr mobil machen. Sein Ziel, Teile der westlichen Gesellschaften in Panik zu versetzen und kapitulationsbereit zu stimmen, hat er, besonders in Deutschland, bereits erreicht."

Wladimir Putin, Alexander Lukaschenko und Dmitri Rogosin

"Leipziger Volkszeitung" : "In seiner Rede auf dem Roten Platz schob Russlands Präsident Wladimir Putin dem Westen Expansionsgelüste zu, die Moskau mit einem "Präventivschlag" habe stoppen müssen, er bezichtigte die Ukraine, alte Menschen im eigenen Land getötet zu haben, und legte seinen Kriegsfokus auf die Region Donbass. Eine solche Rede ist schwer erträglich. Aber zumindest hat Putin entgegen vielen Erwartungen etwas nicht getan: Er hat der Ukraine nicht offiziell den Krieg erklärt und keine Generalmobilmachung angekündigt und nicht von einem dritten Weltkrieg gesprochen. Es ist bitter, dass man schon darüber froh sein muss."

"Pforzheimer Zeitung": "Putins Rede war eindeutig zweideutig. Sie hinterlässt Spielraum zur Interpretation. Und das ist auch so gewollt. Er spricht von einem 'Präventivschlag', der sein Einmarsch in die Ukraine gewesen sei. Schließlich habe die Nato Berater und Waffen in die Ukraine geschickt, jenes Land, das Putin geringschätzig und zugleich besitzergreifend Kleinrussland nennt. Seine Rede zum 9. Mai war feindselig genug, auch wenn sie keine neue Eskalation enthielt. Das spart sich der Kreml-Herrscher auf. Putin ist ein Kriegspräsident. Und das wird er bis zu seinem Ende auch bleiben."

"Nordbayerischer Kurier" (Bayreuth): "Und doch macht das Moskauer Spektakel Hoffnung: Die vielen in der Ukraine gefallenen russischen Soldaten, noch mehr Verwundete, lassen sich nicht mehr vor der Öffentlichkeit verbergen: Putin hat sie in seiner Rede erwähnt. Und so bestätigt, was die Frauen der Union der Komitees der Soldatenmütter Russland nicht müde werden, zu erzählen: Unsere Söhne sterben in einem ebenso sinnlosen wie völkerrechtswidrigen Krieg. Mit jeder Begräbnisfeier finden sie Gehör bei vielen Russinnen und Russen."

![Weltkriegsgedenken in Moskau: "Ein so makabres wie verlogenes Puppentheater": So kommentiert die Presse Putins Rede am "Tag des Sieges"](https://image.stern.de/31842980/t/-_/v4/w960/r1.7778/-/09-putin-behauptet--westen-bereite-eine-invasion-russlands-vor-6305818754112-1.jpg "Weltkriegsgedenken in Moskau: "Ein so makabres wie verlogenes Puppentheater": So kommentiert die Presse Putins Rede am "Tag des Sieges"")

Keine Kriegserklärung oder Generalmobilmachung – dafür beschuldigt Putin den Westen, Russland angreifen zu wollen

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"Ein so makabres wie verlogenes Puppentheater"

"Reutlinger General-Anzeiger": **"**Putin rechtfertigt den Einmarsch ins Nachbarland nach dem Motto: Wer ist schuld? Die andern! In diesem Fall die übergriffige Nato, die sich immer weiter gen Osten ausdehne, und die Nazi-verseuchte Ukraine, die prorussische Separatistengebiete gewaltsam zurückerobern wolle. Diese Argumentation folgt dem klassischen Muster der Täter-Opfer-Umkehr und inszeniert die "Spezialoperation" in der Ukraine als Fortsetzung des 'Großen Vaterländischen Krieges' gegen das Dritte Reich. Wer gegen das Böse kämpft — so die Logik — ist der Gute; die historische Glorie färbt auf die aktuelle Aktion ab. Ob Putins Schönrednerei die Russen überzeugt? Auch sie dürften gemerkt haben, dass die versprochenen Erfolge ausbleiben. Putins Schuss ist nach hinten losgegangen. Entsprechend musste die Siegesfeier ohne Verkündung eines neuen Sieges auskommen."

"Nordwest-Zeitung" (Oldenburg): "Die Uniformen waren wie immer makellos, der Paradeschritt so gleichmäßig wie seit 77 Jahren. Und doch: Mehr als in jedem anderen Jahr war diese Parade auf dem Roten Platz in Moskau ein so makabres wie verlogenes Puppentheater. Allerdings war es auch eines, unter dessen militärischem Flitter Drohungen erkennbar waren. Es war eine Aufführung, in der Wladimir Putin deutlich machte, wie er seinen Krieg zu führen gedenkt. Kein Zufall und ein deutliches Signal an den Westen war die Präsenz zweier Atomwaffenträger. Daneben rollte das Feinste, das Russlands Waffenschmieden zu bieten haben, etwa die Panzerhaubitze "Koalizija", das Gegenstück zur deutschen Panzerhaubitze 2000, die jetzt in die Ukraine geliefert wird. Das Signal ist deutlich: Wir machen weiter. Wir haben noch mehr zu bieten, und am Ende auch eine nukleare Option.

"Badische Neueste Nachrichten" (Karlsruhe): "Putins Rede zeichnet den Russen den weiteren Weg der verschärften Konfrontation vor und schwört das Land zugleich auf harte Zeiten und große Opfer ein. Die polarisierende und zynische Sichtweise des Autokraten in Moskau erinnert an die militante sowjetische Rhetorik aus der Zeit des globalen Konflikts zweier Blöcke, der Nato und des Warschauer Paktes. Lässt Putin seinen Worten Taten folgen, blicken wir im ungünstigsten Fall einer möglichen Neuauflage des Kalten Krieges in Europa entgegen. Ob seine Ansagen praktische Konsequenzen für den Angriffskrieg in der Ukraine haben werden, bleibt ungewiss. Die Rede am Tag des Sieges lässt die Absicht der russischen Führung erkennen, die separatistischen Gebiete im ukrainischen Osten zu annektieren. Das wird für Putin womöglich aber nicht genug sein."

"Nürnberger Zeitung": "Wie soll sich die Ukraine gegen einen übermächtigen Gegner helfen, der über Atomwaffen verfügt, wenn nicht mit Hilfe aus dem Westen? Der Aggressor heißt Putin, da helfen noch so viele historisch schiefe Begründungen nicht. Die von Putin beklagte wachsende "Russophobie" im Westen hat er sich selber zuzuschreiben. Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat das Vertrauen in die Friedfertigkeit Russlands ständig abgenommen. Zu Recht, wie sich zeigt."

mad DPA AFP

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