Der Minister und die Nazi-Vorfahren: "Habeck geht transparent mit seiner Familiengeschichte um" (original) (raw)

NS-Vergangenheit Der Minister und die Nazi-Vorfahren: "Habeck geht transparent mit seiner Familiengeschichte um"

Habek Portrait

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf seiner Delegationsreise in Peking

© Friedrich Bungert / Picture Alliance

Spät, aber immerhin: Nachdem der grüne Vizekanzler Robert Habeck zum ersten Mal über seine Nazi-Vorfahren redete, fordert ein Historiker mehr Ehrlichkeit in der Vergangenheitsdebatte.

Die "Bunte" bezeichnete es als "düsteres Familiengeheimnis", was ihr Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bestätigte: Seine Ahnen waren führende Nationalsozialisten, der Urgroßvater galt als Freund von Propagandaminister Joseph Goebbels. Nach der Veröffentlichung gab es Kritik: Habeck hätte früher über seine Vorfahren reden müssen. Wir sprachen darüber mit Jens-Christian Wagner, dem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora.

Herr Wagner, Robert Habeck hat zuletzt offenbart, dass sein Urgroßvater und sein Großvater führende Nazis waren. Überrascht?
Warum? Er hat das offenbar von sich aus in einem Interview thematisiert. Wenn jetzt einige von Skandal reden, halte ich das für völlig überzogen. Robert Habeck geht transparent mit der Geschichte seiner Familie um – und hat, wie ich finde, auch die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Ansonsten gilt: Man kann niemanden für die Taten seiner Vorfahren verantwortlich machen. Aber man kann jeden dafür verantwortlich machen, wie er sich dazu verhält.

Die Vorwürfe zielen vor allem darauf, dass Habeck sich erst jetzt äußerte. Ist da nicht etwas dran?
Diesen Teil der Kritik kann ich nachvollziehen. Von außen betrachtet lässt sich zu der Einschätzung gelangen, dass er seine Ahnen früher zum Thema hätte machen sollen. Doch vor so einer Entscheidung steht ein sehr persönlicher Prozess, der bei jedem anders verläuft. Ich zum Beispiel habe den Umstand, dass meine beiden Großväter Nazis waren, eher nebenbei auf Tagungen angesprochen und nicht offensiv vor mir hergetragen.

21. April 2024,15:39

Portrait Barbara Brix (braune Haare) und Yvonne Cossu-Alba (graue Haare) 

Immerhin haben Sie es gesagt. Und Sie sind nicht der Vizekanzler.
Aber ich leite eine NS-Gedenkstätte. Letzten Endes sind wir alle aufgefordert, uns kritisch mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen – und ebenso mit der eigenen Familiengeschichte. Für mich zeigt die Aufregung darüber, dass ein Vizekanzler NS-belastete Vorfahren hat, vor allem wieder eines: Es gibt eine Schieflage in unserer Erinnerungskultur.

Welche Schieflage denn?
Die Mehrheit der Menschen leugnet die nationalsozialistischen Verbrechen nicht mehr. Aber sie glaubt immer noch, dass es in der eigenen Familie vor allem Opfer und keine Täter gegeben habe. Dieses verzerrte Selbstbild ist durch viele Studien belegt.

Der Jenaer Geschichtsprofessor Jens-Christian Wagner ist seit Oktober 2020 Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

Der Jenaer Geschichtsprofessor Jens-Christian Wagner ist seit Oktober 2020 Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

© Markus Schreiber / AP

Nun hat die Mehrheit aber auch nicht wie Habeck einen SS-Brigadeführer als Uropa.
Das stimmt. Walter Granzow, so hieß ja dieser Urgroßvater, war als Brigadeführer der SS, NSDAP-Ministerpräsident in Mecklenburg-Schwerin und Reichstagsabgeordneter auf jeden Fall ein hoher NS-Funktionär…

… und gehörte als Freund von Goebbels zum inneren Führungskreis um Hitler?
Das kann ich nicht beurteilen. Die Freundschaft zu Goebbels, die offenbar auch eine verwandtschaftliche Basis hatte, ist jedenfalls bemerkenswert. Und auch Habecks Großvater Kurt Granzow war als Obersturmführer der SA ganz sicher nicht bloß ein Mitläufer.

22. Juni 2024,08:15

Eingang zum früheren Konzentrationslager Dachau

Glauben Sie, dass die Debatte um NS-Vergangenheit ein Jahr vor dem 80. Jahrestag des Kriegsendes einen neuen Schub erhält?
Ich würde es mir wünschen, vor allem bezüglich der politisch aufgeladenen Frage, was die NS-Zeit mit uns selbst zu tun hat. Der frühere AfD-Vorsitzende Alexander Gauland bezeichnete ja die NS-Verbrechen als "Vogelschiss" in 1000 Jahren deutscher Geschichte. Und der EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah sonderte im vorigen Sommer ein Video ab, im dem er sinngemäß sagte: Krieg’ mal raus, was Oma, Opa, Uroma und Uropa alles Tolles gemacht haben, denn die waren keine Verbrecher…

Was ja stimmt, wenn man die Mitgliedschaft in der SS nicht als etwas Verbrecherisches definiert.
Richtig. Für Krah ist bekanntlich nicht jeder SS-Mann automatisch ein Krimineller. Dieser nackte Geschichtsrevisionismus der AfD, der NS-Verbrechen relativiert: Das bleibt der eigentliche Skandal.