Aufmarsch mit Fackeln in Berlin – deshalb ist der Zapfenstreich umstritten (original) (raw)

Militärische Abschieds-Zeremonie Aufmarsch mit Fackeln in Berlin – deshalb ist der Zapfenstreich umstritten

Soldaten in Uniformen stehen mit Fackeln in der Dunkelheit

Mitte Oktober wurde der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr in Berlin mit einem Großen Zapfenstreich gewürdigt. Die Zeremonie gilt als besondere Ehrung der Bundeswehr

© Christophe Gateau / dpa

Wenn die Bundeswehr Kanzlerin Angela Merkel am Abend mit dem Großen Zapfenstreich verabschiedet, weckt das auch mulmige Assoziationen. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Ritual?

"Jetzt ist Zapfenstreich" – als Kind hat den Spruch wohl so ziemlich jeder von seinen Eltern gehört. Übersetzt heißt er: "Ab ins Bett."

Damit ist schon beinahe die ursprüngliche Bedeutung des Wortes erklärt. Denn mit einem Zapfenstreich wurden einst Soldaten ins Bett geschickt – und vor allem davon abgehalten, mehr Alkohol zu trinken. Die Männer sollten am nächsten Tag fit und kampfbereit sein.

Der Zapfenstreich ist nur einer von vielen Begriffen, die aus dem Militärjargon den Weg in die deutsche Alltagssprache gefunden haben, wie beispielsweise eine Ausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden anschaulich erklärt. Beinahe ein halbes Jahrtausend benutzen wir diesen Begriff schon.

Früher wurden Söldner per Zapfenstreich aus der Kneipe geschickt

Seinen Ursprung hat er im 16. Jahrhundert. Damals, so erklärt es beispielsweise die Bundeswehr selbst, entwickelte sich ein Brauch. Es war eine Zeit, in der Armeen in Europa teils aus Landsknechten bestanden, also aus zu Fuß kämpfenden Söldnern. Deren Vorgesetzte beendeten abends den Ausschank von Alkohol in den Wirtshäusern, indem sie an die Zapfen, also die Zapfhähne der Bier- und Weinfässer, Kreidestriche malten. Die Markierungen signalisierten: Ab jetzt wird kein Alkohol mehr verkauft und nicht mehr getrunken. In manchen Erklärungen zu der Tradition heißt es auch, dass die Chefs der Truppen mit ihren Säbeln auf die Zapfen schlugen – als hörbares Signal dieser "Sperrstunde".

Aus dieser Praxis entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte akustische – vor allem musikalische – Signale, die noch heute in Armeen weltweit verwendet werden, um die Nachtruhe einzuläuten, auch bei der Bundeswehr.

Karl Lauterbach

Parallel dazu entstanden militärische Abschieds-Zeremonien, die außer dem Namen nichts mehr mit der soldatischen Nachtruhe aus historischen Zeiten zu tun hatten. Der Große Zapfenstreich der Bundeswehr hat also eine lange Geschichte.

Es ist wohl die bekannteste Zeremonie der Bundeswehr. Ihr Ablauf ist streng festgelegt, sie dauert etwa eine Stunde, darf nur zu ganz besonderen Anlässen veranstaltet werden und versteht sich als die höchste Form der militärischen Ehrerweisung.

Großer Zapfenstreich nur für sehr feierliche Anlässe

Den Großen Zapfenstreich gibt es also nicht besonders oft – ist er doch Jubiläen vorbehalten oder wichtigen Anlässen. Die Afghanistan-Rückkehrer etwa wurden diesen Herbst vor dem Reichstagsgebäude in Berlin damit geehrt. Scheidende Bundespräsidenten und Verteidigungsminister bekommen ihren Zapfenstreich – und Bundeskanzler und Bundeskanzlerinnen, wie an diesem Donnerstagabend Angela Merkel.

Angela Merkel

Für einen Großen Zapfenstreich muss es dunkel sein – denn das Entzünden von Fackeln gehört zwingend dazu. Doch vor allem die Fackeln im nächtlichen Berlin wecken unter Kritikern der Zeremonie immer wieder die Assoziation an den Nationalsozialismus. Denn die Nazis waren bekannt für pompöse und furchteinflößende Symbolik mit Feuer und großen Aufmärschen.

Es ist tatsächlich so, dass die Wehrmacht im Nationalsozialismus den Großen Zapfenstreich veranstaltete – allerdings setzten die Nazis damit auch eine militärische Tradition fort, die es schon in Preußen und in der Kaiserzeit gab und die über Jahrhunderte nicht groß hinterfragt wurde. Die militärische Symbolik kam dem Hitler-Regime vermutlich sehr gelegen. Bilder von Massenaufmärschen während der Nazi-Diktatur haben sich bis heute ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.

In der jungen Bundesrepublik wuchs die Kritik an Militär-Ritualen

Kein Wunder, dass nach 1945 der Große Zapfenstreich in die Kritik geriet – obwohl sich die Bundeswehr heute ausdrücklich darauf beruft, dass die aktuelle Zeremonie im frühen 19. Jahrhundert entstand – zur Zeit der Befreiungskriege, als viele Länder in Europa die Herrschaft Napoleons abschütteln wollten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam in Deutschland der Anti-Militarismus Auftrieb – von der Kritik an der Wiederbewaffnung Deutschlands bis hin zu den Studentenprotesten der 1960er Jahre. Die Rolle der Bundeswehr wurde hinterfragt und damit auch ihre Rituale.

Stabsmusikkorps der Bundeswehr

Doch der Große Zapfenstreich wird auch von vielen Politikern verteidigt – sie sehen darin ein Signal des Respekts vor der Armee, die heute in gefährliche Einsätze weltweit geschickt wird. Und sie betonen, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, also nur von den Volksvertretern überhaupt in Einsätze geschickt werden kann.

Angela Merkel wünschte sich einen Hit von Nina Hagen

An diesem Abend wird die scheidende Kanzlerin Merkel mit dem Großen Zapfenstreich geehrt – und der Ablauf wird, wie immer streng ritualisiert und sehr feierlich sein. Die Anzahl der beteiligten Soldaten – inklusive 74 Fackelträgern – ist bis ins Detail geregelt. Auf das "Locken" der Spielleute folgt der Auftritt des Musikkorps und der berittenen Truppen, dann das Gebet und die Nationalhymne. Auch Merkel durfte sich Musik aussuchen, die bei ihrem Abschied gespielt werden soll. Sie entschied sich unter anderem für einen DDR-Hit "Du hast den Farbfilm vergessen" von Nina Hagen. Beim Großen Zapfenstreich geht an diesem Abend also auch ein bisschen der Punk ab.

Quellen: Bundeswehr.de, "Welt.de", Militärhistorisches Museum der Bundeswehr

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