Friedrich Merz entgleitet die Kontrolle über die CDU (original) (raw)

Der Parteichef spekuliert über Kooperationen mit der AfD auf kommunaler Ebene – und erntet in der CDU Fassungslosigkeit. Steht die Union vor der Führungsfrage?

Friedrich Merz hat mit neuen Aussagen zur AfD seine Partei in eine heftige Strategiedebatte gestürzt und die Diskussion über seine Führungsqualitäten wieder aufflammen lassen. Der CDU-Vorsitzende deutete im Sommerinterview mit dem ZDF einen möglichen Tabubruch an, indem er über eine punktuelle Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen Partei spekulierte.

Merz betonte, es werde "keine Beteiligung der AfD an einer Regierung geben", bezog den Ausschluss jeglicher Zusammenarbeit jedoch nur auf die Bundes- und Landesebene sowie das Europäische Parlament. Zur Situation auf kommunaler Ebene sagte er: "Wir sind doch selbstverständlich verpflichtet, demokratische Wahlen zu akzeptieren. Und wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiterarbeiten kann."

29. Juni 2023,06:22

CDU-Parteichef Friedrich Merz beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg

Merz' Aussagen sorgten noch am Sonntagabend auch unter führenden Christdemokraten für Fassungslosigkeit und teils emotionale öffentliche Distanzierungen.

"Die AfD kennt nur Dagegen und Spaltung. Wo soll es da ZUSAMMENarbeit geben?", twitterte Kai Wegner, Berlins Regierender Bürgermeister in offenkundigem Kontrast zu den Äußerungen des Parteivorsitzenden. "Ob Ortschaftsrat oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten sind Rechtsradikale IMMER Feind!", twitterte die CDU-Vize-Bundespräsidentin Yvonne Magwas.

"Das ist nicht erträglich", schrieb der frühere CDU-Ministerpräsident im Saarland, Tobias Hans in Richtung Merz. "Das hier ist eine schleichende Verwässerung von Parteitagsbeschlüssen nach Wahlerfolgen der extremen Rechten. Wehret den Anfängen!"

Die Vorsitzende der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz schrieb: "Keine Zusammenarbeit mit der #noafd - egal auf welcher Ebene! Die Partei und ihre menschenverachtenden & demokratiefeindlichen Inhalte bleiben die gleichen, egal auf welcher Ebene. Keine Relativierung, keine Verharmlosung, sondern klare Kante gegen Rechtsextremisten!"

Im Osten erhält Merz auch Beifall

Der vom Vorsitzenden losgetretene Streit könnte für die Union kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen. Pünktlich zu den anrollenden Landtagswahlkämpfen in Hessen und in Bayern präsentiert sich die CDU in größter Unordnung.

Seit Monaten versucht Merz, den wachsenden Druck durch die AfD zu kontern, schafft es dabei aber immer weniger, den Eindruck einer klaren Linie zu vermitteln. Erst unlängst tauschte er seinen Generalsekretär aus – auch um eine Debatte über seine eigene Zukunft zu beenden. Jetzt droht diese ebenso wieder aufzuflammen wie eine Diskussion darüber, ob die Brandmauer-Strategie gegenüber der AfD noch zeitgemäß ist.

Der lange Kampf gegen Merkel: Das politische Leben von Friedrich Merz in Bildern

erz gratuliert Angela Merkel zur Wahl als neue Parteivorsitzende

Im April 2000 gratuliert Merz Angela Merkel zur Wahl als neue Parteivorsitzende, links daneben steht der damalige Generalsekretär Ruprecht Polenz. Merz war im Februar zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Der bisherige Amtsinhaber Wolfgang Schäuble war aufgrund der Spendenaffäre beide Posten zurückgetreten - es schlug die Stunde von Merz und Merkel.

© Roberto Pfeil / DPA

In dieser Frage scheint die Partei gespaltener denn je. Gerade der liberale Flügel der Partei drängt angesichts der deutlich an Zulauf gewinnenden AfD auf eine noch schärfere Abgrenzung. In ostdeutschen Landesverbänden gibt es angesichts der politischen Realitäten hingegen zunehmend Rufe nach einer differenzierteren Herangehensweise, einzelne Kommunalpolitiker und Landtagsabgeordnete der CDU werben dort dafür, das Zusammenarbeitsverbot zumindest teilweise aufzubrechen.

So dankte die Brandenburger Bundestagsabgeordnete Jana Schimke Merz für die "Punktsetzung" und schrieb auf Twitter: "Sollen künftig der Neubau von Schulen, die Sanierung von Straßen oder der Kreishaushalt abgelehnt werden, weil der Chef der Landkreisverwaltung oder des Rathauses von der AfD ist?"

Rückendeckung erhielt Merz von seinem neuen Generalsekretär Carsten Linnemann, der kurzerhand zum Gegenangriff auf die politische Konkurrenz überging: "Dass ausgerechnet die SPD, die schon lange auf kommunaler Ebene mit der AfD stimmt, jetzt Empörung heuchelt, weil Friedrich Merz eine Selbstverständlichkeit betont hat, ist scheinheilig", sagte er der "Bild"-Zeitung.

In der CDU-Zentrale zeigte man sich verwundert über die harschen Reaktionen und verwies darauf, dass Merz bei einem kleinen Parteitag im Juni das Verbot einer Zusammenarbeit betont habe, dies jedoch schon damals nur auf gesetzgebende Körperschaften bezogen habe – die kommunale Ebene also ausgeklammert habe. Von einer Neupositionierung könne keine Rede sein.

Braucht es einen neuen AfD-Beschluss?

Auch andere Christdemokraten, die zu Merz‘ Team zählen, betonten, der Vorsitzende sei mitnichten vom gültigen Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU abgerückt, schließlich habe er für die Bundes- und Landesebene eine Zusammenarbeit selbstverständlich ausgeschlossen.

Tatsächlich lässt der Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der AfD einen gewissen Raum für Interpretation, weil er vom Ton her zwar klar ist, die kommunale Ebene aber nicht explizit thematisiert. So heißt es in dem vom Präsidium im Februar 2020 beschlossenen Passus generell: "Für die CDU Deutschlands gilt: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD – weder in direkter, noch in indirekter Form". Zur weiteren Erklärung hieß es schon damals einschränkend: "Gewisse Berührungspunkte lassen sich im parlamentarischen Alltag nicht vermeiden."

Auf diesen Passus verweisen nun auch Merz‘ Unterstützer. Der Parteichef selbst sagte auf die Frage, ob er die strikte Abgrenzung zur AfD nun etwas aufgebe: "Ich habe das nicht aufgegeben, aber wir sind verpflichtet, demokratische Wahlen anzuerkennen."

Viele in der CDU scheinen genau deshalb aber einen Dammbruch zu fürchten. Es mache einen Unterschied, ob man gewisse Berührungspunkte stillschweigend hinnehme oder Aussagen treffe, die sich wie ein Freibrief für eine Kooperation auf kommunaler Ebene verstehen ließen, heißt es.

Die Wucht, die Merz' Interview entfaltete, dürfte dann auch genau daran liegen: Es wirkt, als erkläre Merz die Kommunalpolitik, wo viele für die Bürgerinnen und Bürger wichtige Entscheidungen zustande kommen, zu einem legitimen Feld der Zusammenarbeit mit der extremen Rechten.

In der Parteispitze war am späten Sonntagabend von einer "Welle" gegen den Kurs des Vorsitzenden die Rede. Selbst Landesverbände, die bisher eng bei Merz waren, stellten sich umgehend gegen ihn. "Mit der offen rassistischen und zum Teil antisemitischen AfD wird es auf keiner Ebene eine Zusammenarbeit geben", erklärte etwa die Hamburger CDU.

Die CSU schweigt – noch

Interessant dürfte werden, wie sich die CSU positioniert, die sich mit Einlassungen bislang zurückhielt. Die Christsozialen kommen am Montagmorgen turnusgemäß in den Führungsgremien in München zusammen. Ruhig dürften die Sommerferien in der Union in keinem Fall werden.

Rufe, die eigene Haltung rasch zu klären, machen bereits die Runde – sei es per erneutem Beschluss der CDU-Spitze oder sogar einem Sonderparteitag. Die ersten Christdemokraten stellen den Unvereinbarkeitsbeschluss offen in Frage. "Die Beschlusslage der CDU entstand zu einer Zeit, wo an die heutigen Mehrheiten im Landkreis oder Rathaus nicht zu denken war. Rückgängig machen lässt sich das bekanntlich nicht", erklärte die Brandenburger Bundestagsabgeordnete Schimke.

Außenpolitiker Norbert Röttgen warnt hingegen vor einer Änderung der eigenen Beschlusslage gegenüber der AfD. "Mit einer solchen Partei kann es auf keiner Ebene eine Zusammenarbeit geben. Jeder, der das ändern will, muss dafür auf einem Bundesparteitag der CDU eine Mehrheit finden", erklärte er und fügte in Richtung Merz hinzu: "Bis dahin haben sich alle an die Beschlusslage zu halten."