Wenn der Arbeitsplatz unsicher ist: So gehen Sie gegen Ängste an (original) (raw)

Sehen Sie im Video: "Wir sind am Ende" – Tätowiererin über den Corona-Protest #IhrMachtUnsNackt.

Unter dem Slogan Ihr macht uns nackt haben viele Tätowierer blankgezogen. Was steckt hinter der Aktion und wer macht hier eigentlich wen nackt?

Die Aktion ist ein stiller Protest. Wir wollten damit zeigen, dass wir am Ende sind, mehr oder weniger am Ende sind. Uns fehlen einfach die finanziellen Mittel, um weiterzumachen, um durchzuhalten.

Uns werden Hilfen versprochen, die leider nicht ankommen oder nur sehr schleppend ankommen. Wir sind nackt, weil es einfach mehr Aufmerksamkeit erregt. Hätten wir die Schilder allein hochgehalten, während wir angezogen sind, wäre es wahrscheinlich nicht so durch die Medien gegangen, wie jetzt mit der Nacktheit.

Wie erfolgreich war dann eure Aktion? Wie waren die Reaktionen?

Mir persönlich gegenüber eigentlich durchweg positiv. Also ich habe viel positives Feedback bekommen. Sie fanden super, dass wir die Initiative ergriffen haben, um auf diese Situation aufmerksam zu machen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt, bevor es diese Aktion gab, hat irgendwie keiner wirklich darüber gesprochen. Durch diese Aktion haben wir Aufmerksamkeit bekommen und die Leute fand es einfach mutig. Mutig, dass wir blankziehen, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. Auf anderen Plattformen gab es natürlich auch Kritik. Klar, damit musste man rechnen. Aber an sich eigentlich sehr positiv.

Nimm uns bitte mal mit in deine Situation. Seit wann habt ihr geschlossen? Und was bedeutet das für dich – finanziell, aber auch psychisch?

Wir haben geschlossen seit dem 1. November 2020. Es ist einfach mies. Also zu meiner Lage: Ich habe den Laden, den Laden jetzt hier. Den habe ich erst im März aufgemacht – bzw. hätte ich ihn im März aufmachen können. Da kam der erste Lockdown. Wirklich öffnen konnte ich erst im Mai. Das heißt, ich habe letztes Jahr nur fünf Monate gearbeitet. Dann mussten wir es wieder schließen. Jetzt haben wir Februar, seitdem kein Cent verdient. Das ist schon ziemlich belastend. Man hat natürlich Rücklagen, aber die sind ja eigentlich nicht dafür gedacht, dass man einen Laden finanziert, der seit fünf Monaten. Leer steht, obwohl man arbeiten will, darf man es nicht. Ich bin Alleinverdiener. Ich muss den Laden komplett alleine bezahlen. Ich habe die Miete, die Nebenkosten, die Versicherung. Alles läuft weiter. Noch habe ich Reserven, aber die sind irgendwann aufgebraucht.

Es wurden ja umfangreiche Corona Hilfen versprochen. Was ist da angekommen bei dir? Und reicht das aus?

Es reicht null. Also die November-Hilfe wurde beantragt, direkt als man sie beantragen konnte von einem Steuerberater. Der erste Teil davon. Es gab nur zwei Abschlagszahlungen. Was schon mal nicht so toll war dann mit der Hälfte von 75 Prozent. Da konnte man nicht viel schaffen. Die erste Hälfte kam im Dezember, die zweite Hälfte kam dann im Februar – also die Hälfte von 75 Prozent im Februar hat mir natürlich null gebracht. Bis dahin bin ich schon soweit in Vorkasse gegangen. Die Dezember-Hilfe ist noch gar nicht gekommen. Und weil ich glaube, dass es noch etwas länger dauern wird mit dem Lockdown, werde ich jetzt auch die Neustart-Hilfe beantragen. Wann sie allerdings kommt, ist, das steht in den Sternen.

Die Corona-Lage in Deutschland ist ja weiter angespannt. Deswegen gibt es auch so harte Maßnahmen, so harte Corona-Regeln. Wie viel Verständnis hast du dafür?

Ja, im Moment lässt mein Verständnis so ein bisschen nach. Allein die Sache das Friseursalsons öffnen dürfen, ist schon wieder so ein. Es trifft halt echt auf Unverständnis, weil wir einfach einen viel höheren Hygienestandard haben als Friseure. Sie haben nach uns geschlossen und dürfen vor uns wieder öffnen. Das lässt halt irgendwie so ein bisschen Frust aufkommen. Man fühlt sich halt irgendwie vergessen. Und Maßnahmen hin oder her, irgendwann ist einfach mal genug. Was will man noch machen? Ich meine, man kann einkaufen gehen, man kann dann ab März wieder zum Friseur gehen. Warum nicht auch zum Tätowierer.

Geht Tätowieren mit Sicherheitsabstand oder ist das gar nicht möglich?

Doch das ist möglich, wenn man den entsprechenden Laden dafür hat. Ich hab den jetzt. Man kann man auf jeden Fall Abstand wahren. Wir können unsere Masken tragen. Wir können Faces tragen. Wir können alles tragen, was vorgeschrieben wird. Wir können mindestens genauso viel Abstand halten wie ein Friseur.

Siehst du dich und deine Branche in ihrer Existenz bedroht?

Ja, absolut. Wir wissen es nicht. Haben die Leute überhaupt noch Geld? Geld, Zeit und Lust in Tätowierungen zu investieren. Wollen Sie nicht lieber, wenn man wieder reisen darf, erstmal reisen und alles machen, was man sonst nicht durfte? Bleibt da überhaupt noch Geld von Tätowierer übrig? Also ich denke schon, dass es sehr schwierig für uns wird.

Was muss sich deiner Meinung nach ändern? Welche Perspektive erhoffst du dir – vielleicht auch von der Politik?

Von der Politik würde ich mir wünschen, dass Tätowierer einfach mal anders wahrgenommen werden. Wir sind nicht nur Leute, die irgendwelche Bildchen auf der Haut verewigen. Wir sind genauso wichtig wie alle anderen. Wir sorgen z.B. dafür, dass Leute Ereignisse verarbeiten mit ihren Tattoos. Wir betreiben sowas Ähnliches wie ein bisschen Seelsorge. Schöne Ereignisse werden verewigt oder nicht so schöne. Keine Ahnung. Wenn Leute ihr Haustier verlieren, verewigen wir es auf der Haut. Sie haben es für immer dabei. Ich würde sagen, dass hier definitiv mehr Seelsorge stattfindet als bei einem Friseur. Dort hat man genauso Small-Talk wie bei uns, aber bei uns werden tatsächlich Geschichten einfach für immer verewigt auf den Leuten und das bedeutet einfach viel mehr als frischgeschnittene Haarspitzen.

Was erwartest du? Was die Motive angeht in den nächsten Monaten? Weil du sagst, da werden auch schlimme, aber auch positive Ereignisse verarbeitet. Jetzt haben wir Corona. Was wird gestochen in nächster Zeit?

Ja, das bleibt spannend. Ich hoffe mal nicht so viele Corona-Motive. Den Virus oder Klopapierrollen würde ich jetzt ungern tätowieren lassen. Ich hoffe natürlich schöne Dinge. Also nicht nur traurige Sachen, weil Leute ihre Existenzen verloren haben. Ich hoffe einfach, dass Leute Lust haben auf schöne Motive.