Gutes Gehalt, aber keine Freude an der Arbeit: Soll Herr W. den Job wechseln? (original) (raw)

Aufgrund der Corona-Pandemie, der Klimakrise, der wirtschaftlichen Lage und des Ukraine-Kriegs haben viele begonnen, ihren Job und ihre Arbeitsbedingungen gründlich zu hinterfragen. Erfüllt mich die tagtägliche Arbeit? Was brauche ich eigentlich, um effektiv, zielführend und mit Freude arbeiten zu können? Das hat sich auch Herr W. gefragt.

Herr W.* ist 46 Jahre alt und Lebensmitteltechniker in einem großen Unternehmen. Seit 13 Jahren arbeitet er für die gleiche Firma, kennt alle Produkte und Abläufe, konnte zwischenzeitlich aufsteigen und wird von seinen Kolleg*innen für seine offene und hilfsbereite Art geschätzt. Auch er findet das Verhältnis zu seinen Kolleg*innen klasse, einige kennt er schon seit seinem Beginn in der Firma.

Während der Corona-Pandemie war Herr W. viel in Kurzarbeit. Das war für ihn zunächst sehr ungewohnt und auch ein wenig beängstigend. Die letzten Jahre hatte er quasi durchgearbeitet, oft auch viel Stress und Ärger und in der Woche wenig Zeit zum Durchschnaufen. Und damit auch wenig Zeit für sich. Auf einmal musste er lernen, wie es ist, morgens nicht wie gewohnt zur Arbeit zu fahren und einen strukturierten Tagesablauf vor sich zu haben.

Mit immer mehr Abstand zu seiner Arbeit fing Herr W. an, darüber nachzudenken, was sein Job ihm eigentlich bedeutete und was ihm zu seinem beruflichen Glück noch fehlte. Wollte er so die nächsten Jahre weiterarbeiten? War er in seinen Fähigkeiten genug gefordert? Empfand er noch Freude an seinen Projekten? Herr W. merkte, dass er lange wie in einem Hamsterrad gearbeitet und sich immer erschöpfter und hilfloser gefühlt hatte.

Als er und seine Kolleg*innen wieder in die Firma konnten, besserte sich seine Stimmung nicht. Er kam immer mehr ins Grübeln und merkte, dass er alleine nicht weiterkommen würde mit seinem Gedankenchaos. Denn eigentlich war er doch zufrieden gewesen. Was war los? Schließlich rief Herr W. bei uns an und vereinbarte einen Termin.

Reinhild Fürstenberg

Reinhild Fürstenberg ist Gesundheitswissenschaftlerin, systemische Beraterin und Familientherapeutin. Das von ihr geleitete Fürstenberg Institut aus Hamburg berät Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter, wie sie psychische Belastungen reduzieren, Veränderungen gesund gestalten und die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben verbessern können. Für den stern berichtet die Expertin in loser Folge von Fällen aus ihrer Beratung - und erklärt, was wir daraus lernen können.

© Verena Reinke

Zu viel Arbeit, zu wenig Sinn

Beim ersten Treffen ist Herr W. sichtlich aufgeregt. Die Beraterin fragt erstmal in Ruhe nach: Was genau stört Herrn W. an seiner Arbeit und was ist ihm für die Zukunft in seinem Job wichtig? Woher kommen die Zweifel? Es kommt heraus, dass Herr W. immer mehr das Gefühl hat, seine Arbeit mache keinen Sinn. Tagein tagaus Routine - es fehlt ihm Inspiration und Herausforderung. Dazu macht er viel zu viele Überstunden, fühlt sich oft viel zu zahlengetrieben und gestresst, was sich auch auf sein Privatleben auswirkt. Auch der Schichtdienst macht ihm zunehmend zu schaffen. Er fühlt sich nicht mehr wohl. Gleichzeitig macht ihm der Gedanke, jetzt den Job zu wechseln, große Angst. Vor allem, wenn er an die vielen steigenden Kosten und die zunehmenden Krisen, die die Welt zurzeit auf Trab halten, denkt. Er findet keinen Ausweg und kriegt sich nicht sortiert.

Herr W. soll sich nun einmal vorstellen, wie seine ideale Arbeit aussehen könnte. Er denkt sofort an ein kleines, familiäreres Unternehmen, was sich vielleicht mit Bioprodukten auseinandersetzt und spannende, neue Artikel auf den Markt bringt. Vielleicht auch vegetarische und vegane Alternativen herstellt. Oder spezielle Nahrung für Kranke. Er sieht viele Möglichkeiten. Und möchte etwas bewegen und bewirken.

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Die Beraterin und Herr W. überlegen gemeinsam, was dieser vielleicht vermissen würde oder was Nachteile sein könnten, wenn er seinen sicheren und gut bezahlten Job aufgibt. Eventuell würde er nicht mehr so viel verdienen in einer kleinen Firma. Und er würde seine Kolleg*innen verlieren, mit denen er so eingespielt und vertraut ist. Die Beraterin fragt auch, ob er schon versucht hat, die bestehenden Probleme in der jetzigen Firma zu lösen und z.B. mit seiner Führungskraft zu besprechen. Und ob sich das Muster, eher der Situation zu entfliehen als die Jobprobleme erstmal innerhalb seines Unternehmens anzugehen, im neuen Job wiederholen könnte.

Herr W. überlegt und muss zugeben, dass er noch nicht wirklich probiert hat, seine Wünsche und Bedenken in seiner Firma anzusprechen. Die Zahlenproblematik und die oft wenig Sinn ergebenden Aufgaben wären zwar immer noch da, aber auch in einem kleinen Unternehmen könne das ja auftreten. Vom Regen in die Traufe? Herr W. ist unschlüssig. Er überlegt, ob nicht auch eine Selbständigkeit in Frage käme.

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Drei Aufgaben für Herrn W.

Die Beraterin gibt Herrn W. drei Aufgaben für das nächste Treffen mit: Zuerst rät diese ihm, offen und ehrlich mit seiner Führungskraft zu sprechen. Eventuell kann er mit seinen Stunden runtergehen, um ein wenig Stress aus dem Arbeitsalltag zu nehmen. Das kann er sich in Ruhe einmal durchrechnen. Er kann auch klären, ob er innerhalb des Unternehmens in die Abteilung wechseln kann, die neue Produkte entwickelt und in der mehr Kreativität gefragt ist. Herr W. soll auf keinen Fall einfach kündigen, da alte Muster und Verhaltensweisen am neuen Arbeitsplatz wiederkehren können.

Als Zweites empfiehlt ihm die Beraterin, aktuelle Jobangebote durchzuschauen. Dafür erarbeiten sie gemeinsam einen Kriterienkatalog, um zu prüfen, ob seine Bedürfnisse in den Stellenanzeigen zu finden sind: Wie ist das Team aufgestellt? Stimmt die Bezahlung? Ist die Arbeit sinnhaft und wie sind z.B. die Fahrtwege? Als dritten Punkt soll Herr W. das Thema der Selbständigkeit verfolgen und einen ersten, kleinen Businessplan erstellen. Hier ist die Aufgabe, konkreter zu werden und somit eine erste Vorstellung zu bekommen, was Selbständigkeit bedeuten kann.

Wichtig ist bei all den Gedanken, den 2. Schritt nicht vor dem 1. zu machen und sich gründlich zu sortieren. So kann Herr W. effektiv in die Sondierungsphase starten und seinen Ideen in Ruhe nachgehen. Wünsche und Impulse sollte man immer ernst nehmen, denn sie helfen dabei, sich weiter zu entwickeln und das ist immer gut und wertvoll. Nur nicht aus puren Emotionen heraus, sondern mit Bedacht und Planung.

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© Jens Büttner/ / Picture Alliance

Abschließend gibt die Beraterin ihm noch den Hinweis mit, zu überlegen, ob er den Sinn, den er auf der Arbeit vermisst, auch über ein Hobby finden kann. Manchmal lassen sich Interessen auch über den privaten Bereich abdecken. Zudem kann Herr W. überlegen, was sinnhafte Arbeit für ihn konkret bedeutet.

Herr W. und die Beraterin machen einen neuen Termin aus und sind gespannt, wie es für Herrn W. weitergehen wird und wofür er sich entscheidet. Herr W. sagt am Ende des Gesprächs, dass ihm einiges klargeworden ist und es ihm hilft, endlich konkret mit seinen Wünschen und Ideen zu werden. Beide Möglichkeiten – in seiner Firma zu bleiben oder eine Veränderung zu bewirken – scheinen ihm in diesem Moment gut und umsetzbar zu sein. Er wirkt zufrieden und weiß, dass er zwar handeln muss, gleichzeitig aber die freie Wahl hat, das Beste für sich und seine berufliche Zukunft rauszuholen.

Hier meine Tipps für Sie:

* Fallbeispiel aus der Beratungspraxis des Fürstenberg Instituts. Der Fall wurde mit dem Einverständnis des/der Betroffenen anonymisiert.