Internationale Härte (original) (raw)

Der Ball für die WM heißt Teamgeist. Er wird zu Billiglöhnen hergestellt und kommt aus einer abgelegenen Fabrik in Thailand. Der stern blickte hinter Werkstore, die normalerweise verschlossen sind.

Ein Ball ist für Adidas nicht einfach nur ein Ball. Drei Jahre lang haben Ingenieure des Sportkonzerns geforscht, um zur WM einen Fußball herzustellen, der besser sein soll als alle Bälle, die es je gab. "Teamgeist" heißt der neue, seine Außenhaut besteht nur noch aus 14 Kunststoff-Einzelteilen und nicht mehr aus 32 Fünf- und Sechsecken. Die Teile werden verklebt, was den Ball komplett wasserabweisend macht. Er eiert nicht im Flug, prallt präzise zurück und verliert selbst nach 3500 Schüssen gegen eine Stahlplatte kaum an Luftdruck. Adidas-Marketing-Mann Christian Kaminski will sogar glauben machen, dass dieser Ball "eine um 30 Prozent höhere Trefferquote" habe.

Mehr als zehn Millionen WM-Bälle will Adidas dieses Jahr verkaufen: Die billigeren Versionen werden in China und Pakistan produziert. Der Original-Teamgeist aber, der weltweit zum Preis von 110 Euro in den Regalen liegt und mit dem die Mannschaften bei der WM kicken, wird ausschließlich von Arbeitern der Firma Molten in Thailand hergestellt.

Die Fabrik liegt hundert Kilometer südlich von Bangkok im "Siracha Saha Group Industrial Park". Hinter der Schranke erstreckt sich tatsächlich ein Park: Palmen säumen die breite Straße, Gärtner rechen die Kieselsteine auf den Wegen, Springbrunnen plätschern. Nach etwa einem Kilometer beginnt das Werkgelände von Molten. Ein graues Eisentor rollt langsam zur Seite. Die Firma gehört Japanern; Yasuo Okino, der Direktor, trägt den gleichen hellblauen Arbeitsanzug wie die Arbeiter in den Produktionshallen. Okino sagt, dass Molten hier nur Bälle herstellt: Fußbälle, Handbälle, Basketbälle, Rugbybälle, fünf Millionen Bälle pro Jahr, ein Zehntel davon im Auftrag von Adidas. Der Rest wird unter eigenem Namen weltweit vertrieben.

Die meisten Arbeiter sind Frauen

Yasuo Okino zeigt stolz die hellen, sauberen Produktionshallen: Rund 1000 Arbeiter sind hier beschäftigt, 80 Prozent davon Frauen. "Frauen sind geschickter", sagt der japanische Direktor. In der Halle, in der der WM-Ball produziert wird, ist es noch heißer als im Freien, wo das Thermometer 30 Grad misst. Neonlicht erleuchtet den Raum, der Boden sieht aus wie in einer Turnhalle, es riecht nach Klebstoff. Arbeiterinnen stehen in Gruppen an den Maschinen. Erst werden die Einzelteile der Ball-Außenhaut ausgestanzt, dann die WM-Logos aufgemalt. Später werden sie unter Hitze gerundet. Zehn Frauen sitzen in einer Reihe an Nähmaschinen, um die Innenhaut, die so genannte Karkasse, zusammenzunähen. Die 18-jährige Anusorn Tappa sagt, dass sie jeden Tag etwa 100 Karkassen schaffe. Andere Arbeiterinnen schieben diese später in die Außenhülle und verkleben sie.

Saard Chartmontri ist einer der wenigen Männer in der Ballproduktion. Der 23-Jährige arbeitet seit Anfang des Jahres hier, zuvor war er Wehrpflichtiger in der thailändischen Armee. Saard bedient eine Pumpe und füllt die Karkasse mit Luft. Er verdient 40 Cent in der Stunde. "Es ist leicht, eine Arbeit wie diese zu finden", sagt er. Sein Tagesverdienst von 3,40 Euro liegt nur 14 Cent höher als der staatliche Mindestlohn.

Saards Eltern leben im Nordosten Thailands, er schickt ihnen gelegentlich Geld. Selbstverständlich werde er sich die WM im Fernsehen anschauen, sagt Saard, auch wenn Thailand sich nicht qualifiziert habe. Saards Frau Orasa, 19, arbeitet nur wenige Schritte von ihm entfernt. Sie schiebt die schwarzen Einzelteile des Balls, die wie auf einem Kuchenblech vor ihr liegen, in einen Ofen. Vor kurzem war Orasa noch auf einer Hühnerfarm beschäftigt, jetzt kann sie immerhin mit ihrem Mann in derselben Fabrik arbeiten. Die beiden schuften meist 60 Stunden pro Woche. Morgens beginnt die Arbeit um 7.30 Uhr, abends endet sie mit Überstunden meist gegen 18 Uhr, dazwischen ist eine Stunde Mittagspause. Auch etwa jeden zweiten Samstag läuft die Produktion. Er sei aber froh, so viel arbeiten zu können, sagt Saard, schließlich könnten sie dadurch etwas Geld zurücklegen. "Wir wollen sparen für die Zeit, wenn wir ein Baby bekommen."

Kaum noch eigene Produktionsstätten

Adidas ist nach Nike der größte Sportartikelkonzern der Welt. Das Unternehmen, dessen Zentrale in Herzogenaurach in Bayern liegt, verfügt weltweit über so gut wie keine eigenen Produktionsstätten mehr. Fast alle von Adidas verkauften Sportartikel werden in billigen Zulieferbetrieben rund um den Globus hergestellt. Allein in Asien arbeiten mehr als 416.000 Menschen für Adidas.

Dabei ist es für den Konzern nicht ganz ungefährlich, seine Turnschuhe und Bälle nur noch von Zulieferbetrieben zu beziehen. Vor acht Jahren, vor der Fußball-WM in Frankreich, berichtete etwa der chinesische Dissident Bao Ge, dass Adidas-Fußbälle in Straflagern bei Shanghai hergestellt werden - er selbst habe das erlebt. Gleichzeitig gab es Berichte über Kinderarbeit in den Fabriken Pakistans, in denen die meisten Bälle weltweit produziert werden. Adidas erklärte später, dass in den angeprangerten Fabriken illegale Kopien hergestellt würden. Fürs Image waren diese Berichte dennoch eine Katastrophe. Deshalb beschloss der Konzern 1998, eigene Arbeitsstandards zu formulieren, die alle Zulieferbetriebe einhalten müssen, wenn sie weiter Aufträge bekommen wollen.

Bei Molten in Thailand hängen diese Adidas-Standards nun im Eingang des Verwaltungsgebäudes gerahmt an der Wand: auf Englisch, Thailändisch und Japanisch - damit auch die Manager sie lesen können. Für Westeuropäer klingen diese "Standards of Engagement" wie Regeln aus dem Frühkapitalismus. Sie schreiben etwa vor, dass Adidas-Geschäftspartner keine Sklaven oder Zwangsarbeiter beschäftigen dürfen. "Geschäftspartner dürfen keine Kinder unter 15 Jahren beschäftigen", heißt es dort und weiter: "Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einschließlich Überstunden darf 60 Wochenstunden nicht überschreiten." Außerdem haben "Geschäftspartner ihren Mitarbeitern den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn zu bezahlen". Und sogar: "Ein Geschäftspartner darf seine Mitarbeiter nicht daran hindern, legale Vereinigungen zum Aushandeln von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu bilden."

Standards werden kontrolliert

35 Adidas-Mitarbeiter besuchen weltweit die Zulieferbetriebe und kontrollieren, ob die Standards eingehalten werden. Am größten ist das für Asien zuständige Team, dem der Neuseeländer Bill Anderson, 45, vorsteht. Anderson gibt sich als offener, leutseliger Typ, der sagt, dass er sich weniger als Polizist denn als Berater der Betriebe verstehe. "Die 60-Stunden-Woche lässt sich zum Beispiel besser durchsetzen, wenn ich der Firma zeige, wie sie ihren Produktionsprozess effektiver gestalten kann." Wie ein Gewerkschafter argumentiert auch Anderson, dass zufriedene Mitarbeiter am produktivsten sind. "Zu Weihnachten gab es beispielsweise in ganz Vietnam einen großen Streik. Von den 38 Betrieben, die dort für Adidas arbeiten, haben aber nur zwei gestreikt." Für Anderson ein Zeichen, dass die Arbeitsbedingungen in den vietnamesischen Adidas-Zulieferfabriken besser seien als im Durchschnitt. So sei es auch in den anderen Ländern.

Wirklich? Insgesamt fertigen in Asien 389 Betriebe für Adidas. 207 davon hat Bill Andersons Truppe im Jahr 2005 besucht. Bei 137 der 207 Betriebe wurden aber Verstöße gegen die "Standards" entdeckt, zum Teil so schwerwiegend, dass dem Betrieb die Auflösung der Zusammenarbeit angekündigt wurde, fänden nicht umgehend Verbesserungen statt. Einer Firma in Malaysia wurde der Vertrag gekündigt, weil sie die Pässe ihrer ausländischen Arbeiter einbehielten und diese damit abhängig machte. Andersons Zahlen bedeuten immerhin, dass auch acht Jahre nach Formulierung der Standards fast zwei Drittel der kontrollierten Adidas-Zulieferer dagegen verstoßen.

Reich wird man nicht

Molten gehört nicht dazu. Dennoch reicht es für die Arbeiterinnen der Fabrik auch nur zu einem bescheidenen Leben. Tipkesorn Jadnok, 19, etwa arbeitet zehn Stunden am Tag. Abends fährt sie mit dem Bus nach Hause, sie wohnt in einer kleinen Stichstraße im Ort Siracha. Es ist ein Häuserblock mit Einzimmerwohnungen auf drei Stockwerken. Tipkesorn wohnt im zweiten Stock. Der Raum ist gefliest, die Wand hellgrün. An der Decke des 15 Quadratmeter großen Zimmers hängt eine Neonröhre. Tipkesorn fing vor acht Monaten in der Fabrik an, ein Cousin arbeitet ebenfalls hier.

Mit ihren Überstunden kommt die junge Frau auf einen Lohn von 100 Euro im Monat. Davon zahlt sie 24 Euro für Miete, 30 bis 40 Euro schickt sie nach Hause, weil ihre in der Landwirtschaft arbeitende Mutter noch weniger hat. Die Busfahrt in den Norden zu ihrer Mutter würde zehn Stunden dauern. Seit sie bei Molten arbeitet, hat sie das nicht einmal geschafft. Tipkesorn klagt nicht über ihre Arbeitsbedingungen, nur wenn sie hört, dass der WM-Ball, den sie herstellt, im Laden 110 Euro kostet, findet sie die Löhne, die sie bekommen, "nicht besonders fair".

Vor einem Jahr wählten die Arbeiter von Molten eine eigene Vertretung: das Wohlfahrtskomitee. Es besteht aus sieben Mitgliedern, Vorsitzender ist Supasit Nganibunkam, 34, der bereits auf erste Erfolge hinweist, die das Komitee erzielt habe: "Früher mussten schwangere Frauen unter den gleichen Bedingungen wie alle arbeiten. Seit vergangenem Jahr dürfen sie sitzen und kommen nicht mehr mit Chemikalien in Berührung." Supasit zeigt einen Tisch am Eingang der Werkhalle, um den ein Dutzend Schwangere sitzen.

Schwangere dürfen sitzen

Die 28-jährige Rattanapohn, im achten Monat schwanger, sagt, dass sie nach der Geburt sechs Wochen lang Geld vom Staat bekomme und sechs weitere Wochen von Molten. Danach wolle sie wieder in der Ballproduktion arbeiten. Ihr Baby werde sie dann zu ihren Eltern bringen, die im Norden wohnen, 650 Kilometer entfernt. Dort wächst bereits ihr achtjähriger Sohn auf. Rattanapohn schafft es nur einmal im Jahr, ihn zu besuchen. Auch sie beklagt sich nicht. Wie die meisten Arbeiterinnen wirkt sie, als ob sie ihr Schicksal freundlich hinnimmt.

Mehr als 300 Beschäftigte in der Fabrik sind Leiharbeiter. Sie tragen nicht die hellblauen Arbeitsanzüge von Molten, sondern dunkelblaue Poloshirts mit den Namen ihrer Verleihfirmen: J&T, Medi Plus, URT oder S.P.B. "Diese Arbeiter erhalten nur den Mindestlohn und keine medizinische Zusatzversorgung oder Nachtschichtzuschläge", sagt Supasit Nganibunkam vom Wohlfahrtskomitee. Er fordert, dass zumindest jene ehemaligen Leiharbeiter, die Molten übernommen hat, statt ihres Tageslohns einen Monatslohn bekommen, "denn nur wer Monatslohn bekommt, bekommt auch dann Lohn, wenn er krank ist".

Neuer Ball fürs Endspiel

Punkt zwölf Uhr mittags strömen die Arbeiter ins Freie zum Mittagessen. Die Kantine besteht aus einem überdachten Platz im Freien mit Holztischen. Über Lautsprecher erklingt thailändische Musik. Auch die japanischen Manager gehen zum Essen in die Kantine. Mit ihnen am Tisch sitzt Adidas-Manager Eril Haesra im offenen weißen Hemd. Er isst, wie alle, gebratenen Reis mit Shrimps und erzählt, dass der bisher bekannte WM-Ball nur bis zum Halbfinale gespielt wird, im Endspiel hat der Teamgeist dann nichts mehr verloren. Dafür wird, streng geheim, bei Molten ein neu designter Ball produziert.

Seit 1970 zahlt Adidas Millionen an die Fifa dafür, dass bei Weltmeisterschaften nur noch mit Adidas-Bällen gekickt werden darf. Allein der Werbevertrag von 2007 bis 2014 kostet 350 Millionen Euro. Der Extraball fürs Endspiel ist nur eine weitere Spitze in diesem Marketingkampf um die WM. "Fußball ist kein Spiel", sagt Haesra und lacht schallend. "Es ist Big Business!"

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Markus Grill