„Die Perlenfischer“: Wim Wenders inszeniert die Oper, die ihn rettete (original) (raw)
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„Die Perlenfischer“
Wim Wenders inszeniert die Oper, die ihn rettete
Veröffentlicht am 25.06.2017Lesedauer: 5 Minuten
Wenders verbindet mit „Die Perlenfischer“ die Erinnerung an seine Rettung aus tiefer Depression, als er in Amerika „Hammett“ drehteQuelle: dpa
An der Berliner Staatsoper lassen Daniel Barenboim und Jürgen Flimm gerne Filmregisseure inszenieren. Jetzt war Wim Wenders dran. Mit der Oper „Die Perlenfischer“, die ihn einst zum Weinen brachte.
Beschreiben Sie eine typische Wim-Wenders-Filmszene: „Früher Abend in San Francisco. Letzte Sonnenstrahlen schaffen es durch die halb geschlossenen Jalousien der Bar. Am Tresen steht ein einsamer Cowboy, äh, deutscher Filmregisseur von seinem leeren Whiskyglas auf und wirft eine Münze in die Jukebox. Müde dreht sich der Ventilator. Plötzlich erfüllt der innige Operngesang zweier Männer den Raum, die in seligen Terzen von einem goldenen, mit Blüten übersäten Tempel schwärmen. Der Regisseur weint.“
Berühmtheiten machen berühmter
So ähnlich erzählt es Wim Wenders selbst, wenn er über seine Leidenschaft für George Bizets frühe Oper „Die Perlenfischer“ spricht, deren berühmtestes Stück, eben jenes Kerle-Duett, ihn 1978 bei den zunächst erfolglosen Vorarbeiten für „Hammett“ tröstete. 39 Jahre später durfte er dieses Werklein jetzt an der Berliner Staatsoper inszenieren. Weil er berühmt ist. Und weil deren Musikdirektor Daniel Barenboim und sein Intendant Jürgen Flimm, Waldorf und Statler der lokalen Musikszene, gern mit älteren Berühmtheiten zusammenarbeiten. Weil dann noch mehr Berühmtheit auch auf ihre Berühmtheit abfällt.
Vor allem, wenn diese Filmregisseure sind. Percy Adlon durfte sich an Donizettis „Liebestrank“ versuchen, Doris Dörrie an „Così fan tutte“, Bernd Eichinger griff gleich nach „Parsifal“. Zum Glück haben alle schnell wieder mit dem Nebenjob aufgehört, und Terrence Malick, Entdecker der US-Kinolangsamkeit, hat gar nicht erst angefangen. Sonst würden wir da heute noch sitzen.
Eine Bar mit einem Classic-Wurlitzer also. So erzählte es Wenders jedem, der es vorab hören wollte. Und es waren viele. Denn bei Promis in der Oper bekommen die Medien regelmäßig Schnappatmung. Die Bar und die Box, sie könnten für Wenders auch nur eine Szene aus einem vergessenen Kinofilm sein, sentimental und mythisch, oder wohlmöglich als Hommage mit vielen verehrungsvollen Zitaten gut erfunden.
Sie wäre jedenfalls ein wunderbarer Anfang für eine Oper über eine wunderbare Männerfreundschaft, die – natürlich wegen einer Frau – gleich einigen Belastungen ausgesetzt sein wird und die sich in ein sonnen- wie sariglühendes Ceylon von gestern träumt. Weil die Oper so etwas eben kann. Und sich nicht mal dafür rechtfertigen muss.
Immerhin eine Rarität
Vor einigen Jahren, im 3-D-Enthusiasmus nach seinem hinreißenden Pina-Bausch-Film, da hätte Wim Wenders, mit einem Bayreuther „Ring“-Auftrag in der Tasche, am liebsten das komplette Festspielhaus in ein Filmstudio verwandelt: MGM-Wagner! Mehr Stars als am Opernhimmel! Das war technisch und finanziell nicht möglich. Jetzt aber, in Berlin, da bleibt der 71-Jährige ganz brav und zeigt einfach nur, was in dem dürftigen Libretto der lange vergessenen Bizet-Oper steht.
Natürlich sind wir Wenders sehr dankbar, dass er sich für sein Operndebüt nicht den x-ten „Tristan“ oder „Rigoletto“ in der Stadt aufhalsen wollte, sondern eine Rarität in das Staatsopern-Repertoire gedrückt hat. Netter Mann! Ein kleiner Bizet, vier Protagonisten, überschaubarer Chor, zwei Spielstunden lang. Mehr nicht.
Das sollte doch mit ein wenig Fantasie wie Profession zu wuppen sein. Zudem ist es ein Werk mit feinem Klangparfüm, zart, üppigsüß, schon beim Hörern verweht; von der Deutschen Oper zwar kürzlich einige Male konzertant gegeben, aber szenisch hier ewig nicht zu sehen. In Amerika genießt „Les Pêcheurs de Perles“ übrigens dank einer vielfach herumgereichten Inszenierung Kultstatus und hat sogar einen Begriff kreiert: „Barihunk“. Das ist ein gut aussehender Bariton, der mit seinen Reizen nicht geizt. Weil in Sri Lanka die Leute mit wenig am Leib rumlaufen, hatte die Regisseurin Franca Zambello dem dafür wie gemachten Nathan Gunn einst konsequent das Hemdchen verweigert. Und so eine neue, leckere Besetzungskategorie aufgelegt.
An der Staatsoper aber hat jetzt Daniel Barenboim so etwas wie die 14. Wagneroper in den hilflos kindlichen Bizet-Exotismen gefunden. Da rauschen und röhren des Meeres und der Liebe Wellen mit gar nicht himmlischen Längen, die Staatskapelle klebt kompakt zusammen. Das schwitzt, knallt und wälzt sich mühsam auf allerschwerstem Blechfundament dahin. Selbst die sonst so himmlischen Geigen haben einen eher strohig-schilfigen Abend.
Händefalten und Händeringen
Wim Wenders aber genoss offenbar eine gute, entspannte Probenzeit. David Reghar hat ein wenig glitzerndes Granulat als Strandersatz auf der weiten, leeren, schrägen Spielfläche verstreut. Hinten hängen schwarze Vorhänge, die sich bei wetter- wie emotional bedingten Stürmen effektvoll bauschen. Montserrat Casanova hat sich für ihre monochromen, dezent ethnischen Kostüme offenbar beim Yamamoto der späten Schlabber-Achtziger sowie bei den ebenfalls weit geschnittenen Anzügen inspirieren lassen, wie sie Wenders gern selbst trägt. Als einzige Farbe wurde Hennarot dramatisch üppig in den Chorhaaren und beim eifersüchtigen Zurga verteilt.
Im von Olaf Freese schlagschattenhaft dämmrig ausgeleuchteten Halbdunkel lässt Wenders sein Solistenkleeblatt generös gewähren. Jeder darf tun, was er möchte, und Sänger mögen einfach Händeringen am liebsten. Olga Peretyatko-Mariotti, die eine Brahmatempelpriesterin vorgibt zu sein, hat zudem noch ein graziöses Namaste-Händefalten drauf, wenn sie nicht gerade beschäftigt ist, mit ihrem Schleier als Schlafwandelschlossgespenst zu posieren.
Wenn das alles ausgereizt ist, dann senkt sich regelmäßig ein Portalschleier herab, über den dann filmisch das Meer schwappt, Palmenwedel schwanken und schöne Gesichter in Großaufnahme bedeutungsvoll blicken. Solches verdoppelt meist, was unten schon gesungen wird. Typischer Anfängerfehler eben.
Dieses Prinzip bewährt sich besonders bei den Arien. Gib es etwa Schöneres, als wenn ein Tenor wie der fein verknödelte Francesco Demuro (Nadir), der, wenn er aus der Maske rutscht, bisweilen einen penetrierenden Ton bekommt, einen bleichen Digitalmond ansingt? Olga Peretyatko-Mariotti ist bis auf kurze Verzierungsmüdigkeiten eine auch dramatisch glaubwürdig aufblühende Leïla.
Best-Ager gönnen sich Wellness
Am besten gefällt der wohlgerundete, aber auch bissfeste Bariton von Gyula Orendt. Als Oberpriester Nourabad spielt Wolfgang Schöne den Asia-Catweazle und haucht mit Reststimme.
Barenboim und Wenders: Zwei Best Ager machen sich einen wohlverdienten Wellness-Opernabend. Von den drei Dosas, den bioenergetischen Faktoren der Ayurveda-Lehre, würde man diese Premiere eindeutig dem Kapha-Typ zuordnen: „Menschen, die von der Kapha-Energie geprägt sind, wirken etwas schwerfällig und behäbig. Mit Kapha haben wir Zeit, die kleinen Schönheiten des Lebens zu genießen, sind zufrieden und lieben das Altbewährte.“