Laubenpieper Franke, Claudia Pechstein und der Leistungswille (original) (raw)
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Laubenpieper Franke, Claudia Pechstein und der Leistungswille
Veröffentlicht am 19.12.2002Lesedauer: 4 Minuten
Peter Stützer im Gespräch
Leistung. Das ist sein Lieblingswort. In jeder Form. Er referiert über den Leistungswillen. Erklärt die Leistungsansprüche. Erhöht den Leistungsdruck. Joachim Franke (62) sagt auch: „Leistung zahlt sich aus.“ Meint damit allerdings nicht sich, wo kämen wir denn da hin? Meint seine Sportler. Claudia Pechstein war dieser Tage so zu sehen: Schwarzer Anzug auf nackter Haut, Busen statt Bluse, verklärtes Lächeln, Sektglas in der Hand. Fotopose zum Werbevertrag mit der weltgrößten Sektkellerei Schloss Wachenheim („Faber“), die Marke heißt: „Light live“. Sekt ohne Alkohol. Das Leben ist gerecht, sagt Franke.
Ist es das? Claudia Pechstein (vier Mal Gold) ist Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin aller Zeiten. Doch sie hat vor der Kamera nicht die Talente einer Anni Friesinger. Das Glamourgirl sahnt ab, die Pechstein hat schon diesen wegweisenden Namen. Doch sie hat, ihr Segen, diesen Mann: Joachim Franke (acht Mal Gold) ist der erfolgreichste Eisschnelllauftrainer der Welt. Er hat seit 1976 immer Olympiamedaillen nach Hause gebracht, insgesamt 17 Stück. Stramme Leistung. Aber: Hat sie sich ausgezahlt?
„Materiell sicher nicht“, sagt Franke. Am Wochenende, bei den deutschen Mehrkampf-Meisterschaften in Inzell, haben die Millionen schnelle, kräftige Beine. Der grauhaarige Mann am Rand ist allenfalls reich an Erfahrung. Er hat Uwe-Jens Mey nach oben gebracht und Olaf Zinke und Andre Hoffmann und Monique Garbrecht und die Pechstein. Bis 1994 gab es bei Gold auch für den Trainer 10 000 Mark, danach wurden die Prämien gestrichen.
Franke beklagt sich nicht, würde er nie tun. Er hat Anfang Oktober vom Bundespräsidenten Johannes Rau das Bundesverdienstkreuz gekriegt. Eine Ehre, doch von der Ehre kann er sich nichts kaufen. Er versucht einen Scherz: „Ich dachte, damit kann man wenigstens die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos benutzen.“ Pustekuchen. Stattdessen auf dem Beipackzettel Anleitungen zur ordentlichen Tragensweise des Ordens bis zur Androhung von Bußgeld: „Wenn ich Ihnen das Ding jetzt aus Jux leihe und sie werden damit erwischt, dann bin ich dran.“
Das nimmt Joachim Franke als Gegebenheit wie das Leben. Er ist einer der strenggescheitelten Sorte. War zunächst Paradestürmer beim 25-maligen DDR-Meister Dynamo Weißwasser, Eishockey, 116 Länderspiele, danach Trainer von Weißwasser. 1972 wurde er zum medaillenträchtigeren Eisschnelllauf befohlen. Der Marschbefehl führte ihn nach Berlin, gewollt oder nicht. Er wurde, auch das passt, Mitglied der „Forschungsgruppe Zusätzliche Leistungsreserven im DDR-Sport“.
Seine Welt ist heute nicht mehr die gleiche, seine Sportart schreibt sich mittlerweile mit drei „l“, doch wo sie ihn vor 30 Jahren hingesetzt haben, da ist er noch heute: der gleiche Plattenbau an der Frankfurter Allee, die gleiche Drei-Raum-Wohnung, er zahlt Miete an die Hohenschönhausener Wohnungsgesellschaft, nach der Wende wurde wenigstens mal renoviert. Warum er da nie rauskam?
Die Kinder, die Enkel, die Freunde, die Gewohnheit. Und er ist ein Laubenpieper. In Biesenthal, 35 Kilometer weit draußen, hat Franke seinen Garten. „Meinen Freiraum“, sagt er. Kaffee und Kuchen, Grillwürstchen und Bier, das ganze Programm. Sitzen und reden, Rasenmähen. Kleingärtner ist er nicht, aber auch kein Faulenzer. Er nennt das so: „Die passive Gestaltung ist nicht meine Welt.“
Womit wir am Ende der Erfolgsgeschichte Franke wären. Im Februar, nach Pechsteins viertem Olympia-Gold, hat er den Abschied für März angekündigt. Im Januar ist EM in Heerenveen, im Februar Mehrkampf-WM in Göteborg, im März Einzel-WM in Berlin. Und dann soll Schluss sein? Das Gespräch erlebt plötzlich eine längere Pause. Dann sagt Franke: „Um es mal diplomatisch zu sagen: Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, zu dem man sich mit dieser Frage auseinandersetzen darf.“
Noch eine Pause. Wichtige Wettkämpfe stehen an. Er trägt die Verantwortung für eine hochkarätige Athletin. „Und da dürfen nicht die geringsten Zweifel aufkommen, nur, weil ich im Februar mal eine Aussage getätigt habe.“ Klartext: Franke bleibt Claudia Pechstein erhalten. Vielleicht nicht bis Olympia 2006 in Turin, aber erst mal.
Franke ist kein Mann der großen Worte. Selbst das sogenannte „Zickenduell“ Friesinger gegen Pechstein habe er ohne Emotion und aus der Distanz verfolgt. Sagt er. Nicht mal einen Rat hat er gegeben. „Reden wäre da überflüssig.“ Wie er das Covergirl Friesinger findet? „Was soll ich jetzt sagen, ohne einen Stockfehler zu machen?“
Die Zeit regelt das und die Preise werden schon gleichmäßig verteilt. Leistung zahlt sich aus, fast hätte das Credo wenigstens einmal auch für ihn gegolten. 2000 wollten ihn die Amerikaner holen, für richtig dickes Geld. Aber Franke hat abgesagt. „Aus meiner konservativen Haltung heraus habe ich mich für die sichere Seite entschieden.“ Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Der Garten wartet schon. Und Joachim Franke wird Vorträge über sein Lieblingsthema halten: die Willensleistung. Über die eigene sagt er kein Wort.