Die Kunstfigur (original) (raw)
Erst viel bewundert, dann viel gescholten. Jetzt, im Angesicht ihres 100. Geburtstages, erscheint die umstrittene Filmemacherin und Fotografin fast schon wie ein höheres Wesen, jenseits von Gut und Böse. Die Zeitgenossen haben ihren Frieden mit der Jubilarin gemacht, das Wort von der "Riefenstahl-Renaissance" ist Allgemeingut geworden. Zweifel, ob Riefenstahl in der Geschichte der Bildmedien einen bedeutenden Einfluss ausübte, haben spätestens die neunziger Jahre zerstreut.
Etliche ihrer Filme sind auf Video, später auf DVD erschienen, die Fotobücher über die Nuba erlebten ebenso wie die "Memoiren" Neuauflagen. Für Oktober ist bei Taschen, wo mit "Fünf Leben" schon ein opulenter Bildband erschien, Riefenstahls Afrika-Buch angekündigt. Passend zu ihrem 100. Geburtstag am 22. August wird es ein Großformat von höchster Druckqualität sein, ein coffee table book zum stattlichen Subskriptionspreis von 1250 Euro.
Während ihre Fotos auf dem Kunstmarkt deutlich an Wert gewinnen, Künstler ihr Leben als Thema entdecken, während Werbung, Fotografie und Film die "Riefenstahl-Ästhetik" zitieren, nähert sich das gesicherte Wissen um Person, Karriere und Werk seiner endgültigen Gestalt. In der letzten Dekade erschienen in Deutschland mehr interessante Veröffentlichungen über Riefenstahl als in allen Jahrzehnten zuvor.
Fiktionen
Auffallend ist zunächst das Auftreten Leni Riefenstahls als Kunstfigur - sie wird Protagonistin diverser Texte, was immer ein untrügliches Zeichen von Popularität ist. Bei Thea Dorn, in ihrem später auch als Theaterstück aufgeführten Hörspiel "Marleni - Preußische Diven blond wie Stahl", darf sie ihren Anfangsmonolog sprechen, während sie die Fassade eines Pariser Hauses hinaufklettert. Der verbale Schlagabtausch zwischen "Marlene" und "Leni" fällt witzig, ordinär, oft trivial aus, ein Patchwork aus Klischees über zwei Diven. Die von Männern geführte, zum Idealimage der verführerischen Frau gestylte Ikone Marlene - konfrontiert mit der Männer führenden, ihr Ideal wesentlich in der Ikone des "Führers" stilisierenden Leni. Letztere ist hier die dankbarere Rolle.
Irrlichternder noch wirkt das Zitat in Detlev Meyers schmalem Band "Sind Sie das Fräulein Riefenstahl?" von 1997. Meyer lässt in erlesener Prosa die Assoziationen spielen. "Von filigraner Anmut sind wir, und waren eben noch monströs und bombastisch. Ein Hochamt hatten wir zelebriert in einem Dom aus Licht, eine rauschhafte Messe für die von Fanatismus und Anbetungssucht ausgemergelte Jugend." Was war und was ist, das ist scheinbar so weit auseinander wie Grazie als gespielte Lebensform und ein "atavistisch behaarter Reichssportwart". Die bei Meyer titelgebende Frage verwandelt die Welt, aus Blasiertheit wird Gewissheit. Auch eine Replik auf Susan Sontags Bemerkung, die faschistische Ästhetik erfreue sich in der schwulen Subkultur besonderer Wertschätzung.
Peggy Phillips dagegen macht Riefenstahl zu ihrer Erinnerungsfigur. "Two Women Under Water" beschreibt die Faszination, die von der über 80 Jahre alten, mit Charme und Fitness für sich einnehmenden Teilnehmerin einer Tauchexpedition im Roten Meer ausgeht. Eine bewundernswert agile Person - oder Hitlers "best press agent", wie einer der anderen Taucher bitter anmerkt? Phillips Buch, eine Mischung aus Urlaubsreportage und Reminiszenzen einer in Hollywood geschulten Autorin, ist tatsächlich, wie der Untertitel anzeigt, eine Beichte, wenn auch besonderer Art. Die Schlüsselszene beschreibt, Erinnerung oder Fantasie, wer will das entscheiden, den Blick auf die an Sauerstoffmangel leidende Tauchpartnerin. Für Hilfe wäre Zeit, auch Luftvorrat ist genug, doch die Erzählerin beginnt ihren Aufstieg allein. Sie muss, sie wird aber eine Entscheidung treffen.
Film
Literatur spielt Möglichkeiten durch, Filmgeschichte möchte nach Möglichkeit wissen, wie es wirklich war. Mit manchem Werk wird sie schneller fertig als mit anderen. So stand in den siebziger und achtziger Jahren "Triumph des Willens" im Mittelpunkt des Interesses, verleiteten Hollywood zum Zitat. Seither dient "Olympia", Riefenstahls perfektester Film, am häufigsten als Vorbild.
Sein immenser Erfolg schon nach der Uraufführung, aber auch sein Nachruhm verdanken sich dem Zusammenspiel von Kamera, Schnitt und Musik - und nicht zuletzt der Tatsache, dass politischer Gehalt Form geworden war. Angelsächsische Autoren tun sich dabei leichter, Bewunderung zu bekunden, ohne die kritische Würdigung der propagandistischen Funktion des Films zu vernachlässigen. Cooper C. Graham, dessen jetzt wieder aufgelegter, detaillierter Studie "Leni Riefenstahl and Olympia" alle, die sich intensiv mit diesem Film beschäftigten, viel verdanken, hat das kürzlich in einer Studie zur Marathonsequenz noch einmal bewiesen. Eine Hommage an die künstlerische Zusammenarbeit von Riefenstahl und dem Komponisten Herbert Windt ist das, die auf Einbettung in den zeitgenössischen Kontext nicht verzichtet.
Auch Taylor Downing, der 1992 für die "Film Classics" des British Filminstitute den "Olympia"-Band beisteuerte, hält schon aus professioneller Erfahrung nichts von Relativierung ästhetischer Qualität. Selbst Autor dokumentarischer Sportfilme, bleibt ihm Riefenstahls Film das wohl beste Beispiel des Genres, zugleich aber in Propagandazwecke eingebunden wie kein zweites. Weder Downing noch Graham weichen der Frage aus, ob es sich um faschistische Ästhetik handele, tendieren aber zu skeptischen Antworten. Was ist dem Wettkampf geschuldet, was einer Auffassung der damaligen Zeit - und was dem Nationalsozialismus? Sie argumentieren ganz ähnlich, identifizieren die Propagandaabsichten, bürden dem Film aber nicht auf, was schon im Ereignis lag.
Hilmar Hoffmanns "Mythos Olympia", 1993 mit Blick auf die später kläglich gescheiterte Olympiabewerbung Berlins veröffentlicht, widmet Riefenstahls Film einen Gutteil seiner Argumentation. Sorgfältig legt er die nationalsozialistische Strategie, die Spiele und ihre Rituale teils umzugestalten, teils neu zu besetzen, bloß. Das "grandiose Täuschungsmanöver", an dem der Film zweifelsohne teilhatte, und das "Konzept einer faschistischen Ästhetik" verschmelzen ihm zu einem Generalvorwurf. Eine Reihe von Irrtümern, zusammen mit einer "starken" Wortwahl ("formalistische Überblendung", "usurpierender Schwenk"), lassen den Eindruck entstehen, Faszination solle hier quasi exorziert werden. Hoffmann hat mit seiner Kritik durchaus nicht Unrecht, beschädigt sie aber, wo er vom Film spricht und eine Erfahrung unterdrückt.
Daniel Wildmann dagegen fragt in "Begehrte Körper" "nach dem Ort der jüdischen Körper" in "Olympia", verstanden als ein Konstrukt, das von der Ideologie dem "arischen Körper" strikt entgegengesetzt wurde. Seiner Überzeugung nach verschlägt die Darstellung der Erfolge schwarzer Athleten in diesem Film wenig, da der "schwarze Körper" für die Ideologie nicht als der Hauptfeind gegolten habe. Auch bei seiner Untersuchung ist die Sequenz vom Marathonlauf zentral, doch nimmt sie das, was Graham als ästhetische Innovation beschreibt, als ideologische Deformation. "Jeder jüdische Teilnehmer und jede jüdische Teilnehmerin der Olympischen Spiele wird als jüdischer Körper im Film unsichtbar gemacht", resümiert Wildmann, Riefenstahl nehme die ",Endlösung' als Fluchtpunkt im Imaginären vorweg".
Die binäre Opposition der NS-Ideologie, von der Analyse aufgenommen, unterscheidet nicht zwischen Ereignis und filmischer Repräsentation, hat allerdings am Beispiel des Hochsprungs der Frauen ein eindrückliches Beispiel. Die deutsche Teilnehmerin Elfriede Kaun, schließlich Gewinnerin der Bronzemedaille, ist im Film privilegiertes Objekt der Kamera. Wildmann zufolge deshalb, weil sie mit 1,60 jene Höhe überspringt, die deutscher Rekord ist - ein Rekord, gehalten auch von der deutschen Jüdin Gretel Bergmann, die unmittelbar vor Beginn der Spiele aus der deutschen Mannschaft ausgeschlossen wurde.
Wo Wildmann in "Olympia" Bejahung, sogar Forcierung der NS-Ideologie sieht, interpretieren zwei Autoren einen anderen Riefenstahl-Film als symbolischen Widerstand. Helma Sanders-Brahms (in ihrem Aufsatz "Tyrannenmord") und Robert von Dassanowsky (in seinem Essay "Whereever you may run, you can not escape him") entdeckten diese Qualität durchaus überraschend an "Tiefland". Das Schicksal der Hauptfigur mit jenem der Darstellerin parallelisierend, wird in ihrer Perspektive aus einem Kampf um eine Frau ein Tyrannenmord, aus dem Konflikt einer Frau zwischen zwei Männern ein Selbstbekenntnis der Regisseurin zur Verstrickung in das NS-System. Die beabsichtigte Rettung Riefenstahls sieht außerordentlich großzügig über Bekanntes hinweg: Riefenstahls oft bekundete, weit in die Kriegsjahre hineinreichende Verehrung Hitlers, die vom "Führer" garantierte Finanzierung des Films - unerwähnt und nicht bedacht. Der Einsatz internierter Sinti und Roma als Komparsen - relativiert. Die Kontinuität des Projektes, bereits 1934 begonnen, wegen Krankheit abgebrochen - verschwiegen. Die Konstruktion einer reuigen Künstlerin ignoriert alle Umstände der Produktion. Ein zu hoher Preis, gemessen an der Möglichkeit besseren Wissens.
Karriere
Jüngere Biografien klären hinlänglich, was über Riefenstahls Karriere zu sagen ist, wobei Audrey Salkelds "Portrait of Leni Riefenstahl" die beste englischsprachige Darstellung ist. Obwohl sie nur Sekundärquellen heranzieht und deswegen oft auf die unzuverlässigen "Memoiren" ausweicht, meidet sie meist unkritische Würdigungen. Den ästhetischen Rang des Werkes jedoch nimmt sie selten in den Blick. Darin jedenfalls ähneln ihr zwei jüngst fast gleichzeitig erschienene deutsche Biografien, die explizit versuchen, der Legende zu widersprechen. Beiden gelingt dies materialreich und gut belegt. Die sozusagen klassischen Themen, die jeder Korrektur der Legende aufgegeben sind, stehen im Zentrum beider Bücher: Die Finanzierung von Riefenstahls Filmen durch Partei und Staat, ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Diktatur, die Beziehungen zu Nazi-Größen wie Goebbels und Streicher. Alles, was Riefenstahl später schöngefärbt oder vollkommen verzeichnet dargestellt hat, findet sich hier richtig gestellt. Auch jene beiden Ereignisse, die nach 1945 durch Presseberichte bekannt wurden und die mit dem Tenor der Rechtfertigung - nichts gewusst und nichts Böses getan zu haben - am wenigsten zu vereinbaren waren, finden detaillierte Darstellung. Es handelt sich um das Massaker im polnischen Konskie, eines der ersten Kriegsverbrechen der Wehrmacht Anfang 1939, dessen Augenzeugin Riefenstahl wurde, und die Zwangsverpflichtung vieler später in Konzentrationslagern ermordeter Sinti und Roma als Komparsen für "Tiefland".
Lutz Kinkel konzentriert sich in seinem Buch "Die Scheinwerferin" auf die Jahre 1933 bis '45. Man merkt dem Buch gelegentlich den Unmut über Riefenstahls so beharrlich vorgetragene, von Fakten offensichtlich nicht zu erschütternde Version an. Jürgen Trimborns Biografie ist breiter angelegt, legt jedoch ebenfalls unverkennbar den Schwerpunkt auf die Karriere im Nationalsozialismus. Vor allem die Episode um den "Sondertrupp Riefenstahl", mit dem wohl ein Filmprojekt über den Krieg gegen Polen verbunden war, ist bei ihm breiter und auf neue Aktenfunde gestützt dargestellt.
Der Anspruch, eine vollständige Biografie zu schreiben, verweist allerdings auch ihn vor allem im ersten Teil sehr oft auf die "Memoiren" Riefenstahls, was gelegentlich zu seltsamen Ergebnissen führt. So scheint Trimborn davon auszugehen, Riefenstahl habe bei den Olympischen Spielen 1932 den siebten Platz im Abfahrtslauf belegt. Dazu hätte sie im Februar allerdings in Lake Placid sein müssen. Der biografische Ansatz beleuchtet nur gelegentlich, welche Funktion die Filme zu erfüllen vermochten. Hier greift Trimborn hilfsweise zu Paraphrasen anderer Autoren. Doch enthalten sein Buch und das von Lutz Kinkel fast alles, was wir je über Riefenstahl als Person in Erfahrung bringen wollten.
Versuche
Nicht die Person allein allerdings fesselt so nachhaltig das Interesse der Öffentlichkeit. Das Werk, und zwar sowohl die Filme wie die Fotos, ist interessanter und herausfordernder als ihre Urheberin. Die Provokation, die von Riefenstahls hartnäckiger Wiederholung ihrer Legende ausgeht, ist, gemessen an jener, die ihre Werke bereithalten, dann doch nur ein Ärgernis. Insofern nimmt der Band "Leni Riefenstahl" zur Ausstellung des Potsdamer Filmmuseums eine umfassendere Perspektive ein. Gesucht wird eine Haltung zu Riefenstahl, die von Distanz ausgeht. Das kann, wie in Georg Seeßlens "Tanz den Adolf Hitler", durchaus in eine kompromisslose Abrechnung führen, gespeist nicht zuletzt vom beliebigen Zitieren in der Populärkultur. Es kann auch, wie bei Karin Wieland in ihrem Aufsatz "Die Letzte" ("Merkur" Nr. 620), in die Formel führen, Riefenstahl sei das "Medium der Deutschen", in dem sie eine liebende und traurige Erinnerung an den "Führer" besäßen. Es sind Versuche, das Phänomen Riefenstahl zu begreifen, ohne sich auf das Niveau der Legende zu begeben, lohnend im Wagnis, sich dem Nachruhm zu stellen.
Rainer Rother ist Autor einer vielbeachteten Leni-Riefenstahl-Biografie. Sie erschien im Henschel-Verlag, Berlin. (286 S., 15 E.)
* Thea Dorn: Marleni. Verlag der Autoren, Frankfurt a. M., 98 S., 11 E.
* Taylor Downing: Olympia. BFI, London. 96 S., $ 12,95.
* Lutz Kinkel: Die Scheinwerferin. Europa, Hamburg. 380 S., 26,90 E.
* Peggy Phillips: Two Women under Water. Fithian Press, Santa Monica. 208 S., $12,95.
* Georg Seeßlen: Tanz den Adolf Hitler. Edition Tiamat, Berlin. 189 S., 14 E.
* Angelika Taschen (Hg.): Fünf Leben. Taschen, Köln. 336 S., 30 E.
"Leni Riefenstahl". Taschen, Köln. 580 S., Subspr. 1250 E.
* Jürgen Trimborn: Leni Riefenstahl. Aufbau, Berlin. 500 S., 25 E.
* Daniel Wildmann: Begehrte Körper. Königshausen & Neumann, Zürich. 160 S., 15,50 E.