Von der Bundesliga in die fünfte Liga - das ist Liebe (original) (raw)
Vor kurzem war Dragan Trkulja ausnahmsweise mal wieder glücklich. Er hat mit seinen Ulmern in der Vorbereitung auf die Saison gegen 1860 München gespielt. Zwar hat das ungleiche Duell mit 1:7 ein schlechtes Ende genommen, doch das Ehrentor war von ihm - und Lorants Löwen haben ihn als alten Kumpel begrüßt.
"Wir waren im selben Hotel", sagt er, "und die kannten mich noch - das hat gut getan." Wenigstens für einen Tag ist der Torjäger Trkulja aus der trostlosen Gegenwart wieder in die guten Zeiten geflüchtet.
Bundesliga. Seine Augen glänzen, wenn er davon erzählt. Wie er beim Heimaturlaub in Jugoslawien von den Nachbarn bewundert wurde, "weil die mich aus dem Fernsehen kannten". Und überhaupt dieses tolle Drum und Dran, der Rummel, die Autogrammstunden, "und jeden Tag Stapel von Fanpost". Vergessen. Vorbei. Der letzte Brief ist lang her. "Es ist alles traurig", sagt Trkulja.
Dragan Trkulja, 36 Jahre, sitzt kopfschüttelnd auf der Sonnenterrasse der "Jahn-Gaststätte" neben dem Donaustadion und blickt über das Trainingsgelände des SSV Ulm 1846. "Alles wunderbar, schön, erstklassig", sagt er, "und nun das." Am Samstag geht die Saison los - in Heidenheim. So ein Lokalderby ist normalerweise ein Knüller, aber dass sich die Ulmer keine zwei Jahre nach ihren großen Derbys gegen den VfB Stuttgart mit dem Sportbund Heidenheim herumschlagen müssen, ist bitter - es ist nämlich die fünfte Liga. "Verbandsliga Württemberg", sagt Trkulja. Auch er begreift das Unbegreifliche nicht; diesen tiefsten Absturz, den der deutsche Fußball je gesehen hat. Bis Mai vergangenen Jahres waren die Ulmer als Favoritenschreck eine Bundesligabereicherung. Mit viel Pech sind sie abgestiegen, und die Lawine war nicht mehr zu stoppen.
Diesen Juni folgte der Abstieg aus Liga zwei - und wegen des leeren Geldbeutels gab es für die Regionalliga keine Lizenz. In der Oberliga hätten die Ulmer, gegen die ein Insolvenzverfahren läuft, zwar spielen können, hätten aber als Zwangsabsteiger von vornherein festgestanden - und treten deshalb freiwillig in der Verbandsliga an. "Mit jungen Leuten", sagt Trkulja, "und mit mir." Er ist der einzige bekannte Überlebende der Tragödie. So preiswert wie das Tagesessen in der "Jahn-Gaststätte" - Kalbsgulasch, Spätzle und Salat für 8,90 Mark - ist Ulms neue Mannschaft. Alles Jungs aus der zweiten Mannschaft, die aus der Landesliga aufgestiegen ist. Denn anders als bei Fortuna Düsseldorf, wo Rocksänger Campino mit seinen "Toten Hosen" in der Not mit einer Millionenspende rüberkam, herrscht in Ulm tote Hose. Schon flüchten auch die Talente. Die B-Jugend, die Trkulja letztes Jahr nebenher noch trainiert hat, hat die zwei Besten soeben an den FC Bayern und den VfB Stuttgart verloren.
Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Selbst der Trainerjob von Trkulja ruht. Stunde null - auch für den Star von einst. Nach dem Abstieg hat er sich arbeitslos gemeldet. Er ist kein Berufsfußballer mehr, sondern Amateur, wie alle. Selbstständig will er sich machen, "einen Toto-Lotto-Laden aufmachen" mit seiner Frau Dragica. "Ich habe", sagt Trkulja, "ja keine Millionen verdient." 1992 ist er gekommen, vom FK Becej, seinem Heimatklub. Und hat die Ulmer mit ungefähr 130 Toren aus der Oberliga nach oben geschossen - mit dem Trainer Ralf Rangnick im Rücken sind ihm die entscheidenden 15 in der Zweitligasaison 1998/99 gelungen, "obwohl ich zwei Monate verletzt war", wie er sagt, und über Nacht war Ulm erstklassig.
Warum der nächste Trainer, Martin Andermatt, in der Bundesliga kaum auf ihn setzte? Ein Schulterzucken. Trkulja: "Immer wieder werden dieselben Fehler gemacht. Ein Verein ist plötzlich oben und kauft wahllos Verstärkungen. Und wenn's nicht klappt, wird weiter wild gekauft, und irgendwann bricht das Chaos aus. Wie bei uns vollends letzte Saison."
Neue Trainer, neue Stürmer, Ende der Kameradschaft, Ende des Traums. "Mit Rangnick", schwört er, "wären wir heute noch in der Bundesliga." Ralf Rangnick trainiert jetzt Hannover 96, und in einem Benefizspiel zu Gunsten der Ulmer hat er die neulich 4:1 besiegt. Anschließend haben sie die Erinnerungen an ihr gemeinsames Wunder aufgefrischt, das seinerzeit im Grunde damit begann, dass der gute Dragan bei einem Spiel auf der Bank ungeniert eine Zigarette paffte, was das regionale Fernsehen dummerweise übertrug.
"Ich musste mich anschließend notgedrungen mit ihm über die Funktion eines Idols unterhalten", sagt Rangnick, "worauf er das Rauchen aufgegeben hat." Trkulja raucht auch jetzt nicht, obwohl er im Ulmer Fußballwahnsinn ohne eine Zigarette zum Festhalten fast nervlich zu Grunde geht. Er ist in dieser Mischung aus Untergang und Chaos froh über jedes Trainingscamp für Jugendliche, zu dem er gelegentlich eingeladen wird - und wenn er mit seinem Toto-Lotto-Altstarteam bei Vereinsfesten kickt, mit Helmut Haller, Guido Buchwald oder Buffy Ettmayer, "das tut gut".
Der Rest tut weh. Wie vergeht so ein Tag? "Ich sitze zu Hause im Garten und warte aufs Training."
Denn das Training ist jetzt erst abends um halb sieben, weil die Jungs tagsüber alle arbeiten - einer sogar noch hinterher. Nachtschicht.
Fünfte Liga. Ein anderes Leben, eine andere Welt - die der Amateure. Für diese fremde Welt hat Trkulja sich entschieden, weil man mit 36 als Profi nicht mehr von Real Madrid träumt und er mit der Frau und den Kindern in Ulm Wurzeln geschlagen hat - der Sohn ("Viele sagen, er ist ein großes Talent") stürmt in der E-Jugend jetzt schon wie der Alte.
"Ich hänge an Ulm, und hier bleibe ich", sagt Trkulja. "Ich habe hier immer mit Herz gespielt, anders als viele, die wegen des plötzlichen Geldes kamen." Und die jetzt, wo das Geld weg ist, auch wieder weg sind.
"Trkulja ist in Ulm ein kleiner Volksheld", erzählt uns der Kollege von der lokalen "Südwestpresse", und bei den Spielen belohnen die 35 Fanklubs, die dem Kollaps zum Trotz noch intakt sind, den wohl treuesten Torjäger des deutschen Fußballs mit huldigenden Sprechchören - er ist ihr lebendes Souvenir für ein paar unvergessliche Jahre, und das hilft auch ihm.
"2000 Zuschauer sollen in Heidenheim kommen", sagt er und freut sich doch schon ein bisschen aufs neue Derby. "Für ein paar Tore", verspricht Dragan Trkulja seinen untröstlichen Ulmern, "bin ich in der fünften Liga noch gut."