Eine Ulknudel sieht anders aus (original) (raw)

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Eine Ulknudel sieht anders aus

Veröffentlicht am 13.11.2011Lesedauer: 5 Minuten

Der Journalist Jürgen Worlitzhat einen lange vergessenen Bilderschatz aus dem Nachlass von Helga Feddersen wiederentdeckt. Wie er dazu kam und was die Fotos zeigen, schreibt er hier

Ein eigenwilliger Duft-mix aus Kellermief und abgelagerter Schminke durchzieht seit ein paar Tagen meine Diele. Er strömt aus einem Dutzend halb offener Kartons und Koffern, die jahrelang, vergessen in einem dunklen Verlies, ihr Dasein fristeten. Der Inhalt ist spannend und kurios - ein bunter Wirrwarr aus Kostümen, Theaterutensilien, privaten Fotos und Aktenordnern. Gehört hat dies alles Helga Feddersen (1930-1990) und ihrem Mann Olli Maier (1945-2011). Die Sachen sind der letzte Rest zweier turbulenter Künstlerleben.

Aus einer Kiste quellen paillettenbestickte Korsagen heraus. Ich weiß noch: In ihnen sind Revuegirls im Hamburger Theater am Holstenwall über die Bühne gehüpft. Obenauf liegt ein Kunstperlengeflecht, das Helga Feddersen in dem Stück "Arme Millionäre" als Kopfzier trug. Als ich tiefer stöbere, stoße ich auf einen kleinen gelben Blechkoffer mit Disney-Motiven. Ihn schwenkt die Schauspielerin auf dem Cover ihres Buches "Hallo, hier ist Helga!" dem Leser entgegen.

Untergestellt hatte Helgas Witwer Olli Maier die Sachen in meinem Keller. Wir kannten uns aus meiner Zeit als Lokalreporter in Schleswig-Holstein. Ich hatte Helga und ihn mehrfach in ihren Häusern in Ellerdorf bei Rendsburg und in Nieblum auf Föhr besucht. Er kochte dann Kaffee, sie Tee. Ich wählte Kaffee, musste dann aber stets noch den Friesentee probieren. Beim Plausch führte Helga gern den Krimskrams vor, den sie in Antiquitätenläden erstanden hatte: silberne Blechkännchen, kleine Kühe aus Porzellan oder schöne Gläser.

Einmal zog sie ein stoffbezogenes Kästchen aus einer Kommode hervor. "Das bin ich als lütte Deern", sagte sie und fächerte Kinderfotos auf dem Tisch auf. Einige Bilder verdeckte sie diskret. "Das ist nicht für Sie, junger Mann." Dass diese Schatulle mit ihrem ganz persönlichen Inhalt nach ihrem Tod in meinem Bad Segeberger Bungalowkeller landen würde, hätte sie sich damals nicht in kühnsten Träumen vorstellen können. Doch als Olli Maier 1996 mit reichlich Geld auf dem Konto für elf Jahre nach Mallorca entschwand, fragte er mich, ob er wohl alles das, was nicht in seinen Umzugswagen passte, bei mir lassen könnte. Warum nicht, Platz hatte ich genug.

Zum Dank dafür schenkte er mir beim Abschied Helgas streng gehütete Stoffschatulle, voll mit uralten Fotos. "Lass uns mal ein Buch draus machen", meinte er mit vielsagendem Blick. Maier meinte damit nicht die zu Herzen gehenden Bilder, die Helga als Kind, fein herausgeputzt im Familienkreis zeigen, auch nicht die mit schüchternem Antlitz in ihrem Bühnenausweisen von 1949/50 und auch nicht die, auf denen sie als frisches junges Mädchen voller Lebenslust in die Zukunft schaut. Nein, er dürfte dabei an die Fotos gedacht haben, die seine Frau mir damals diskret vorenthalten hatte, weil zu intim.

Es sind Bilder, die eine Saite von ihr zum Klingen bringen, die keiner bisher kannte. Ich vergesse die schrille Ulknudel, ebenso die Schauspielerin mit Talent zur Dramatik und erst recht die spleenige Hausfrau, die mich zum Tee nötigte. Plötzlich sehe ich eine Helga Feddersen vor mir, die ganz Frau ist - bildschön, sinnlich, verführerisch! "Auszieh'n" hieß zwar eine Schlager-Persiflage von ihr, privat aber war das Ausziehen für sie kein Jux. Sie zelebrierte es mit Hingabe und Hang zur Perfektion. Sogar fotografieren ließ sie sich in sexy Pose.

"Ganz ohne" durfte Helga nur ihr erster Mann, der Dramaturg Götz Kozuszek, mit seiner Kamera verewigen. Er gönnte sich dann stolz von seinen leicht verwackelten Strand-Schnappschüssen Vergrößerungen im Format 7 mal 10 auf Chamois-Papier. Drei davon waren in einer Labortüte versteckt.

"Götz war sehr lustbetont", verriet mir Olli Maier. Der Bitte, seinen Kartons und Kisten Asyl zu gewähren, war ich seinerzeit gern nachgekommen, weil unser Kontakt da längst eng war. Mit geschäftlichem Hintergrund: Ich jobbte nicht mehr als Lokaljournalist, sondern als Adelsexperte fürs Fernsehen und fürs Radio, er wiederum mischte in meiner Blaublut-Liga mit, führte er doch nach einer Skandaladoption den Namen "Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen".

Nach seinem Umzug nach Mallorca, ebenso wie später nach seiner Heimkehr nach Deutschland 2007, plante Olli Maier, die bei mir lagernden Unterlagen aus dem Theater am Holstenwall in Ruhe durchzuforsten. Die Bühne hatte ihm und Helga gehört. Mit Stücken wie "Perle Anna" spielten beide dort Hunderttausende ein und wurden zu einem der schillerndsten Paare der Hamburger Society. Bis - ja bis das Theater pleite ging, weil Helga, vom Krebs gezeichnet, nicht mehr auftreten konnte.

Zum Sichten der Akten kam es nicht mehr. "Prinz Olli" starb am 6. Januar dieses Jahres mit 65 in Berlin einen schnellen Herztod - rund 20 Jahre nach Helga Feddersen. Mit ihr war er 15 Jahre befreundet, fünf Jahre verlobt und einen Tag verheiratet. Sie hatte ihm auf dem Sterbebett das Jawort gegeben.

Alles, was der Witwer noch von seiner Frau besaß, wurde jetzt zusammen mit seinem eigenen Hausstand kurz vor Helgas 21. Todestag am 24.November in Stuttgart versteigert und somit in alle Welt verstreut. Seine Erben hatten kein Interesse daran: "Wir haben keinen Bezug zu Helga Feddersen und dem turbulenten Leben unseres Vetters."

Geschlossen erhalten bleibt somit nur der Helga-Nachlass bei mir. Was daraus wird? Keine Ahnung. Etliches wird entsorgt, einiges sicher auch archiviert - vielleicht für eine Dokumentation über eine Künstlerin mit Ausnahmetalent, die es verdient hat, in Erinnerung zu bleiben, so wie ihr Bruder Hans in Schönschrift 1947 ins Poesiealbum schrieb: "Wie der Kiel dem stürmenden Meere, trotze auch Du den Stürmen der Zeit".