Fabelhaftes Einhorn (original) (raw)
Es gab dereinst ein Tier, so edel und so makellos rein, dass es der Jungfrau Maria gewidmet wurde. Wollte man es fangen, floh es schnell wie der Wind in die Weiten der Wüsten, in die hinein ihm niemand zu folgen vermochte. Aber das Wundersamste an diesem Tier war das lange Horn auf der Stirn, vor dem sich sogar der Löwe in Acht nehmen musste. Große Kräfte waren in diesem Horn verborgen. Wer es erlangen konnte, war gefeit gegen das Gift der tödlichsten Schlangen und anderes mehr. So einzigartig war dieses Horn, dass das Tier danach benannt worden war: Einhorn.
Um 400 v. Chr. beschrieb Ktesias, Leibarzt am persischen Hof, das Einhorn: "So groß wie ein Pferd oder größer, mit weißem Körper, rotem Kopf und blauen Augen. Das lange Horn sei an der Wurzel weiß. Das Einhorn sei sehr schnell und kräftig, und man könne es nicht lebend fangen." Der Römer Claudius Aelianus (170-235 n. Chr.) präzisierte etwa 600 Jahre später: "Das Horn sei spiralig gedreht und in der Mitte schwarz. Die Wildheit des Einhorns könne durch weiblichen Einfluss gezähmt werden. In der Paarungszeit wird es gesellig." Immer wieder kommt das Einhorn in der Bibel vor, so in den Büchern Mose und in den Psalmen.
Ein Tier, das es nicht gibt, kann das Einhorn also schwerlich (gewesen) sein. Zu präzise wirken zumal die alten Beschreibungen in der Naturgeschichte des Aristoteles. Erst im Mittelalter verwandelt es sich in ein mythisches Wesen, das sein Horn friedlich in den Schoß der Gottesmutter legt. Konrad Gesner kehrte in der frühen Neuzeit zu den Quellen zurück. In seinem "Thierbuch" bildete er 1669 ein Pferd mit gespaltenen Hufen ab, das auf der Stirn ein gedrehtes Horn trägt. Nun gewann die zoologische Betrachtung die Oberhand. Sie gipfelte in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Zuordnungen, wie sie etwa Johannes Lennis, Professor am Josephinum in Hildesheim, in seiner "Synopsis der drei Naturreiche", einem "Handbuch für höhere Lehranstalten und für alle, welche sich wissenschaftlich mit Naturgeschichte beschäftigen wollen" von 1844 vorgenommen hatte. Er schreibt darin: "Dem Residenten der ostindischen Compagnie zu Nepaul, Herrn Hogdsen, gelang es von einem gestorbenen Einhorn aus der Menagerie des Rajah von Nepaul die vollständige Haut mit dem noch auf dem Schädel sitzenden Horne zu erhalten, welche er an die wissenschaftliche Gesellschaft von Calcutta einsandte und dadurch alle Zweifel löste. Das Einhorn lebt in der Provinz Dzeng in Tibet, ist scheu u. wild, röthlich, unten weißlich u. hat nur e i n sehr spitzes, schwarzes, aufrechtes Horn auf der Stirn (wie es im Wappen der Engländer abgebildet wird) u. den schlanken Bau der Antilopen, weshalb man es Antilope monoceros nannte."
Doch so präzise das auch klingen mag, man wird das Einhorn heute nirgendwo mehr in der Fachliteratur über Säugetiere finden. Längst ist es wieder zum Fabeltier zurückgestuft worden!
Umso munterer feiert es Urständ in Filmen wie "Das letzte Einhorn", in zahllosen Abbildungen und Nachbildungen. Man könnte es geradezu als Indikator für die so wechselvolle Zuwendung der Menschen zum Mystischen betrachten: Nach der anfänglich natürlichen Einstufung im Altertum verlor das Einhorn nach und nach seine Realität und mutierte im Mittelalter vollends zum Fabelwesen. Mit der Aufklärung setzte seine Profanisierung ein und die Zoologie des 18. und 19. Jahrhunderts machte aus dem Tier eine Antilope aus Tibet. Als sich herausstellte, dass dem nicht so ist, büßte das Einhorn seine reale Existenz wieder ein. Rainer Maria Rilke widmet ihm ein Gedicht, das wie ein Nachruf darauf klingt. Und so wurde es im 20. Jahrhundert wiederum zum Fabeltier. Für eine ernsthafte naturwissenschaftliche Fragestellung eignet es sich nicht mehr. Oder vielleicht doch? Was war das Einhorn wirklich?
Das Einhorn war ein echtes Tier
Das Einhorn existiert(e). Daran lässt sich schwerlich zweifeln. Zu genau sind schon die alten Angaben. Eine einfache zoologische Diagnose führt ebenso zum richtigen Tier, wie der Raum, in dem es lebte, dazu passt. Dieser lässt sich geografisch mit dem östlichen Nordafrika, Arabien und dem Vorderen Orient umfassen; einer Zone also, in der bis in die Zeit der Griechen und Römer auch noch Löwen vorkamen. Die in den wesentlichen Beschreibungen der Antike enthaltenen Kennzeichen führen wie ein zoologischer Bestimmungsschlüssel auf die richtige Spur. Beim Einhorn handelte es sich zweifellos um ein Huftier. Aber weil die Hufe gespalten waren, gehörte es nicht zu den Pferden, den Einhufern, sondern zu den Paarhufern und als Hornträger zur Familie der Rinderartigen. Das lange, spießartige Horn mit auffällig ringelartigen Querwülsten verweist auf die Großantilopen und darin auf die Gruppe der sogenannten Pferdeböcke. Größe, Fellfarbe und die Form der Hufe ordnen das Einhorn der Gattung der Oryx-Antilopen zu. Zu diesen hatte es Johannes Lennis Mitte des 19. Jahrhunderts also ganz folgerichtig gestellt. Er führte drei Arten von Oryx-Antilopen an, nämlich den südafrikanischen Gems- oder Spießbock, die ostafrikanische Beisa-Antilope und die Milchweiße Antilope Arabiens.
Der Spießbock kommt wegen der geografischen Entfernung nicht in Betracht. Doch zur Beisa-Antilope in Lennis Darstellung passen die alten Beschreibungen: "Hörner gerade, Körper isabellfarbig, Hirschgröße. Nicht vorige (die Arabische oder Milchweiße Oryx), sondern diese, erst kürzlich wieder aufgefundene Art, soll der wahre, auf egyptischen und nubischen Denkmälern so oft und als einhörnig dargestellte Oryx der Alten sein. Zu dieser rechnete man auch das früher für fabelhaft gehaltene Einhorn. ... Allein obige Antilope hat zwei Hörner, ..., auch ist es nicht wahrscheinlich, dass die Egypter ein Thier so oft auf ihren Denkmälern verstümmelt dargestellt hätten." Aufgrund dieser Überlegungen und im Hinblick auf die Nachrichten aus der ostindischen Compagnie verwirft er nun die Oryx und siedelt das Einhorn im Hochland von Tibet an. Die zweite Art seiner Auflistung, die Arabische Oryx, hätte allerdings den alten Beschreibungen noch sehr viel besser entsprochen: "Körper milchweiß, Hals u. Nase rostbräunlich; Hirsch-größe. Arabien."
In den Details entspricht die Arabische Oryx, wissenschaftlich als Oryx leucoryx bezeichnet, tatsächlich dem Einhorn sehr gut: Weißer Körper, "rotes" Gesicht, blaue, also tiefgründig spiegelnde Augen, so groß wie ein Pferd (ein kleines Araberpony), dunkle Beine, ausgeprägt pferdeartige, gleichwohl gespaltene Hufe, die Schnelligkeit und die Ausdauer, die Lebensweise und auch, dass es schwer oder kaum zu fangen ist. Tatsächlich verteidigen sich die kräftigen Oryx-Antilopen mit ihren meterlangen Hornspießen recht erfolgreich gegen Löwen. Wie bei Antilopen und Gazellen üblich, werden die Böcke zur Fortpflanzungszeit weniger vorsichtig und nähern sich mit hochgezogenen Lippen "flehmend" den brünstigen Weibchen ihrer Art (auch anderen, wenn diese weibliche Sexualdüfte verströmen). Die nordostafrikanische Oryx wird über 200 Kilogramm schwer, die Arabische bleibt kleiner. Beide Arten waren den alten Ägyptern so gut bekannt, dass sie diese häufig und zoologisch ganz richtig auf Reliefs darstellten. Auch "einhörnig", nämlich genau in Seitenansicht, bei der sich beide Hörner überlagern, zumal diese tatsächlich sehr eng stehen und bei der Beisa-Oryx im Extremfall über zwei Meter lang werden können. Anders als sonst üblich entwickeln nämlich bei diesen Antilopen die Weibchen längere und kräftigerer Hörner als die Männchen. Als gefährliche, durchaus tödliche Waffe setzen sie ihre Hornspieße gegen Feinde ein und verteidigen so zumeist erfolgreich ihr Junges. Die Böcke hingegen wenden die Spieße nicht gegeneinander. Sie drücken mit ihnen, Kopf an Kopf, von der Seite und messen so ihre Kräfte, ohne in der Regel einander Verletzungen zuzufügen. Dass es dennoch im Eifer des Gefechts immer wieder vorkommt, dass dabei ein Horn abbricht, ist bekannt. Auf diese natürliche Weise entsteht ein "Einhorn". Somit führt die zoologische Spurensuche gegenwärtig, wie schon vor 200 Jahren, zu einem eindeutigen Ergebnis. Die Arabische Oryx mag zwar zu klein erscheinen, um sich allein für das historische Einhorn zu qualifizieren. Ihre Spießhörner stehen eng und sind schwach nach rückwärts gebogen. Aber die nahe verwandte nordostafrikanische Beisa-Oryx mit besonders langen, geraden Spießen, die westlich des Roten Meeres lebt, ist mit über 200 Kilogramm Gewicht erheblich größer. Sie vereinigt gleichfalls die wichtigsten Eigenschaften des Einhorns in sich. Nur Gesichts- und Beinfärbung passen besser zur Arabischen Oryx. In der Sahara schließt sich die dritte Form an, die Säbel-Oryx oder Säbelantilope. Bei dieser sind die Hörner deutlich nach hinten gebogen. Auch sie ist auf den altägyptischen Reliefdarstellungen zu finden. Somit sollte das Einhorn eigentlich seit dem 18. Jahrhundert kein Rätsel mehr sein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit waren mit diesem Tier die Oryx-Antilopen gemeint. Die Beschreibung von Ktesias passt am besten zur Arabischen Oryx. In Persien war Ktesias dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet dieser Oryx nachbarschaftlich nahe. Denn es deckte damals praktisch die ganze Arabische Halbinsel ab, reichte bis Syrien, an den Libanon und an den Rand des Sinai. Die größere Beisa-Oryx Afrikas kam in jenen Zeiten noch an den Rändern des Alten Reiches der Ägypter vor. In der Genauigkeit der alten Beschreibungen spiegeln sich die unmittelbaren Kenntnisse über die Oryx-Antilopen. Spätestens um die Zeitenwende gingen sie verloren. Später scheint die Feststellung, dass es sich beim Einhorn um Oryx-Antilopen gehandelt hatte, zu "gewöhnlich" gewesen zu sein, um glaubhaft zu wirken. Das fabelhafte Einhorn war den Menschen eine zu große Besonderheit. Die Diagnose, dass es sich "nur" um eine große Antilope gehandelt hat, reichte offenbar selbst unserer Zeit nicht als Erklärung für das "Phänomen Einhorn". Warum aber machte man schon in der Antike so viel Aufheben von diesem Tier? Weshalb mutierte es im Mittelalter zu einer so besonderen Allegorie? Warum "nährten sie die Möglichkeit, dass es sei", wie es Rilke in seinem Gedicht ausdrückt?
Die Besonderheit der Oryx
Für eine vertiefte Analyse des Phänomens Einhorn ist es nötig, das später Hinzugefügte vom Ursprünglichen zu trennen. Tatsächlich hat man dem Einhorn einiges angedichtet, als man es als reales Tier nicht mehr kannte. So etwa die Wirkung seines pulverisierten Horns. Es sollte Wasser entgiften und Schlangenbisse heilen können. Diese dem Horn des Einhorns zugeschriebene Eigenschaft stammt jedoch von einem anderen "Einhorn", nämlich vom Indischen Panzernashorn, das Albrecht Dürer in seinem bekannten Bild so meisterhaft und naturgetreu abgebildet hatte. Zu Pulver zerriebenes Nashornhorn, das nur aus Horn besteht und keinen Knochen im Innern trägt, erzeugte wohl eine ähnliche Wirkung wie heutzutage Aktivkohlepulver. Die Hornsubstanz (Keratin) bindet Stoffe, die giftig wirken können, physikalisch durch die sogenannte Adsorption. Zu Zeiten, in denen Vorkoster für die Herrschenden unabdingbar waren, weil sie stets versuchter Giftmorde gewahr sein mussten, war ein derartiges Pulver sicherlich Gold wert. Und mit Gold wurde es auch aufgewogen. Die Panzernashörner waren jedoch schon im Mittelalter so selten, dass dem "Mittel" ganz von selbst ein entsprechend hoher Wert zukam. Daher wurde auch gefälscht, und das vom "echten Einhorn" stammende Pulver musste vom falschen, dem Stoßzahn des Narwals, unterschieden werden. Diesen brachten Seefahrer aus dem hohen Norden nach Europa, als die mittelalterliche Erwärmung des Klimas das Nordmeer befahrbar werden ließ. Wikinger, vielleicht auch schon die Basken, dürften die Hauptlieferanten dieses Stoßzahn-Einhorns gewesen sein. Der Nähe Schottlands zum Nordmeer gemäß, gelangte dieser Zahn ins Wappen und drückte damit den Konflikt Schottlands mit England aus. Da der Wal als Träger dieses "Horns" nicht bekannt (gegeben worden) war, wurde der schraubig gedrehte Narwalzahn im Wappen dem pferdeartigen Einhorn auf die Stirn gesetzt.
Einen anderen Weg hatte das mystisch verwandelte Einhorn in der höfischen Zeit des Mittelalters genommen. Versetzt in den geschlossenen (Paradieses)Garten, dem Hortus conclusus, ruhte es friedlich und legte sein Horn in den Schoß der Jungfrau (Maria). Das Weiß des Tieres drückte die Reinheit aus, so wie es der Mythos will und wie es im Weißen Hirsch (mit dem Kreuz auf der Stirn) Ausdruck gefunden hat. Weiß bedeutete nicht nur rein, sondern auch zahm und friedlich; auf jeden Fall aber edel. Ob das lange, spitze Horn dabei im Verborgenen auch phallischen Charakter hatte, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls befindet sich das mittelalterliche Einhorn eingefriedet im schönen Garten. Es ist also gezähmt und lebt in Gefangenschaft. Hierin verbirgt sich der Hinweis auf die viel früheren Zeiten im alten Ägypten und worum es damals, vor rund 3000 Jahren eigentlich gegangen wäre. Die Darstellungen zeigen, was damals wirklich vor sich ging: um Zähmung und Domestikation. Alle drei in der weiteren Umgebung Ägyptens vorkommenden Oryx-Antilopen-Arten sind auf Reliefdarstellungen nämlich nicht nur eindeutig als solche zu erkennen, sondern auch in ihrer Funktion dargestellt. Sie sollten Haustiere werden! Neben den echten Haustieren Rind, Schaf und Ziege treten die Oryx-Antilopen auf, nicht als Jagdtiere. Sie werden gefangen vorgeführt oder als Tribut nach Ägypten gebracht. Die Darstellungen deuten sogar Zuchtversuche an, weil Alttiere mit Jungen gezeigt worden sind. Ganz offensichtlich ging es in jenen Zeiten, als die Oryx noch Antilope und nicht zum Fabelwesen Einhorn verändert worden war, darum, sie zu domestizieren. Es blieb bei den Versuchen. Das ursprüngliche Einhorn wurde kein Haustier.
In freier Natur aber verschwanden alle drei Arten rasch aus dem Bereich des klassischen Altertums unserer Geschichte. Die Arabische Oryx wurde auf den Süden der Arabischen Halbinsel zurückgedrängt, wo sie im Oman in jüngster Vergangenheit in der freien Natur ausgerottet wurde, aber aus Zoonachzuchten in unserer Zeit wieder ausgewildert werden konnte. Die Beisa-Oryx zog sich bis jenseits von Äthiopien zurück in die Halbwüsten von Nordkenia und Somalia. Die Säbelhorn-Oryx entging in fernen Einöden der Sahara knapp der vollständigen Ausrottung und zählt auch gegenwärtig noch zu den akut bedrohten Säugetierarten.
Am Rückgang waren allerdings weniger die Menschen als das Klima schuld. Vor rund zweieinhalb Jahrtausenden ließ eine große Klimaveränderung weite Teile der Arabischen Halbinsel, des Vorderen Orients und die Sahara austrocknen. Aus früherem Savannenland sind Wüsten geworden. Die Oryx verlor mit diesem natürlichen Vorgang zwar große Teile ihrer ehemaligen Verbreitung, aber als Spezialisten für Halbwüsten konnten diese großen Antilopen sehr wohl in entlegenen, den Menschen nicht oder nur äußerst schwer zugänglichen Gebieten die Jahrtausende bis in unsere Zeit überleben.
In dieser Fähigkeit steckt nun auch die ganz große Besonderheit dieser Antilopen. Ideale Haustiere wären sie für Hirtennomaden geworden, hätte man sie zähmen und domestizieren können. Denn die Oryx kann wochen-, mitunter sogar monatelang ohne Wasser auskommen. Sie erzeugt aus dem dürren Futter, das sie in den Halbwüsten aufnimmt, bei der Verwertung in ihrem Körper so viel sogenanntes Stoffwechselwasser, dass sie nicht zur Tränke muss wie Rinder und Schafe oder Ziegen. Die Nomaden wären mit Herden von Oryx-Antilopen weitgehend unabhängig von den Oasen gewesen. Anspruchslose Tiere, so groß wie Hirsche oder wie kleine Rinder, die sich außerdem selbst gegen Löwen verteidigen und denen lange Wege durch die Halbwüsten nichts hätten anhaben können, was wären das für großartige Haustiere gewesen! Eigenschaften von Kamelen und Rindern, aber auch von mit scharfen Lanzen bewaffneten Wächterhirten hätten sie in sich vereinigt. Niemand und nichts vermochte ihnen in die lebensfeindlichen Wüsten zu folgen, in die sich sie bei Gefahr zurückzogen. Weit weniger abhängig vom Wasser zu sein hätte die große Freiheit für die Nomaden bedeutet. Gutes Fleisch hätten diese Nutztiere geboten und auch Milch, wenn die Muttertiere kalbten.
Doch die Natur der Oryx war gegen die Domestikation; die Zähmung des Wundertieres ist misslungen. Was für ein Kult aber wurde - und wird - um das Rind betrieben. Vergöttert hatten es die alten Ägypter und den Stierkopf zum ersten Buchstaben des Alphabets werden lassen. Gegenwärtig wiegen die eineinhalb Milliarden Rinder, die es auf der Erde gibt, weit mehr als alle Menschen zusammen. Die Erde ist ein Planet der Rinder. Im Vergleich dazu hat das mystifizierte Einhorn nur einen bescheidenen Platz in der Kulturgeschichte eingenommen.
Josef H. Reichholf, geboren 1945 in Aigen am Inn, ist seit 1977 Professor für Naturschutz in München und u. a. Präsidiumsmitglied des WWF Deutschland