StGH Niedersachsen – NdsStGHE 1, 335 – Verfassungsbeschwerde – Sitzzuteilungsverfahren (20.09.1977) (original) (raw)
Urteil
vom 20. September 1977
– StGH 1/77 –
in der Verfassungsrechtssache
des Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages Herrn Bernhard K. und weiterer 52 Landtagsabgeordneter
– Bevollmächtigte: Rechtsanwalt Dr. Gottfried Mahrenholz, Sackmannstraße 24 in 3000 Hannover 91, Rechtsanwalt Dr. Helmut Tellermann, Auf dem Spanne 12 A in 3008 Garbsen 1 –
wegen
Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 36 Absatz 2 und 3 des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des NKWG vom 15. Juni 1977 (Nds. GVBl. S. 177).
Entscheidungsformel:
§ 36 Absatz 2 und 3 des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes (NKWG) in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des NKWG vom 15. Juni 1977 (Nds. GVBl. S. 177) ist mit der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung vereinbar.
Das Land Niedersachsen hat den Antragstellern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
I.
Der Niedersächsische Landtag (LT) hat am 24. Mai 1977 das Fünfte Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes (NKWG) beschlossen. Das unter dem 15. Juni 1977 ausgefertigte und am 21. Juni 1977 (Nds. GVBl. Nr. 20 S. 177) verkündete Änderungsgesetz ist nach seinem Art. IV am 22. Juni 1977 in Kraft getreten. Es modifiziert in wesentlichen Punkten die nach dem NKWG a. F. bisher maßgebend gewesenen Wahlgrundsätze und das Verfahren für die Zuteilung der im Wahlgebiet zu vergebenden Sitze. Daneben ist die Höchstzahl der Wahlbezirke (jetzt als „Wahlbereiche“ bezeichnet), in die größere Wahlgebiete einzuteilen sind, zum Teil herabgesetzt worden. Insoweit gilt nunmehr folgende Regelung:
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Die (kommunalen) Vertreter werden künftig nicht mehr nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Listenwahl, sondern nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt; außerdem hat der Wähler jetzt zur Gemeindewahl und zur Kreiswahl nicht, wie bisher, nur je 1 Stimme, sondern jeweils 3 Stimmen (Art. 1 Nr. 2 aaO). Die Gültigkeit der Stimmabgabe wird nicht dadurch berührt, daß der Wähler weniger als 3 Stimmen abgibt (Art. 1 Nr. 6 Buchst. b und c aaO). Andererseits hat der Wähler die Möglichkeit, seine Stimmen zu kumulieren – d. h. einem Bewerber bis zu 3 Stimmen zu geben – oder auch seine Stimmen Bewerbern verschiedener Wahlvorschläge zu geben (panaschieren). An die Reihenfolge, in der die Bewerber innerhalb eines Wahlvorschlags aufgeführt sind, ist er dabei nicht gebunden.
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Für die Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschläge ist in den §§ 36 und 37 NKWG die Berechnungsweise von dem bisherigen d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren auf das System Hare-Niemeyer umgestellt worden (Art. I Nrn. 10 und 11 aaO). Das Höchstzahlverfahren ist in § 36 Abs. 2 NKWG a. F. dahin beschrieben: „Die im Wahlgebiet zu vergebenden Sitze werden den Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern in der Reihenfolge der Höchstzahlen zugeteilt, die sich durch Vollrechnung, Halbteilung, Drittelung usw. ergeben.“
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Der die Verteilung der Sitze im Wahlgebiet mit einem Wahlbereich regelnde § 36 NKWG lautet in seinen maßgebenden Absätzen 2 und 3 wie folgt:
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„(2) Die im Wahlgebiet zu vergebenden Sitze werden auf die Wahlvorschläge entsprechend dem Verhältnis der Zahl der auf den einzelnen Wahlvorschlag entfallenen Stimmen zur Stimmenzahl aller Wahlvorschläge verteilt. Dabei erhält jeder Wahlvorschlag zunächst so viele Sitze, wie sich für ihn ganze Zahlen ergeben. Sind danach noch Sitze zu vergeben, so sind sie in der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile, die sich bei der Berechnung nach Satz 1 ergeben, auf die Wahlvorschläge zu verteilen. Bei gleichen Zahlenbruchteilen entscheidet das Los.
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(3) Erhält bei der Verteilung der Sitze nach Absatz 2 der Wahlvorschlag einer Partei oder Wählergruppe, auf den mehr als die Hälfte der Stimmenzahl aller Wahlvorschläge entfallen ist, nicht mehr als die Hälfte der insgesamt zu vergebenden Sitze, so sind die nach Zahlenbruchteilen zu vergebenden Sitze abweichend von Absatz 2 Satz 3 und 4 zu verteilen. In diesem Fall wird zunächst dem in Satz 1 genannten Wahlvorschlag ein weiterer Sitz zugeteilt; für die danach noch zu vergebenden Sitze ist wieder Absatz 2 Satz 3 und 4 anzuwenden.“
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Nach dem gleichen Verfahren erfolgt gemäß § 37 Absatz 2 und 3 NKWG die Zuteilung der Sitze in Wahlgebieten mit mehreren Wahlbereichen.
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Art. II aaO bestimmt, daß dieses Gesetz – unbeschadet der Regelungen des Absatzes 2, der im wesentlichen Nach- und Wiederholungswahlen betrifft – erstmals für Wahlen anzuwenden ist, die nach dem 30. September 1977 stattfinden.
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Das NKWG in der nunmehr geltenden Fassung ist aufgrund des Art. 111 aaO unter dem 20. Juli 1977 im Nds. GVBl. Nr. 27 S. 267 bekanntgemacht worden.
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II.
Die Antragsteller halten die Regelungen des § 36 Abs. 2 und 3 NKWG für unvereinbar mit den Artikeln 2 und 44 Abs. 2 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung (LV). Mit Schriftsatz vom 24. Juni 1977, der am 27. Juni 1977 bei dem Staatsgerichtshof eingegangen ist, haben sie ein Normenkontrollverfahren eingeleitet, in dem sie die Feststellung der Nichtigkeit des § 36 Abs. 2 und 3 NKWG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des NKWG begehren. Sie beantragen
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1. festzustellen, daß § 36 (2) und (3) des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes (NKWG) in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des NKWG wegen Unvereinbarkeit mit Art. 2 und Art. 44 (2) der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung nichtig ist;
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2. anzuordnen, daß ihnen die notwendigen Auslagen zu erstatten sind.
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Zur Begründung führen sie aus: Durch das in § 36 Abs. 2 NKWG gewählte Verfahren für die Zuteilung der Sitze werde nicht sichergestellt, daß auf den Wahlvorschlag, der die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten habe, stets auch die absolute Mehrheit der Sitze entfalle. Ein Wahlsystem, das eine solche Möglichkeit nicht ausschließe, sei wegen Verstoßes gegen das Demokratiegebot des Art. 2 LV verfassungswidrig. Es treffe daher entgegen der Ansicht der Landesregierung nicht zu, daß das Proportional-Verfahren als solches auch nach Auffassung der Antragsteller mit der Verfassung vereinbar sei. Zwar stehe dem Gesetzgeber ein Spielraum bei der Auswahl zwischen verschiedenen Wahlsystemen zu. Daraus ergebe sich aber nichts für die Bewertung der verschiedenen Spielarten des Verhältniswahlrechts. Es komme vielmehr nur darauf an, ob das Wahlsystem, für welches der Gesetzgeber sich entschieden habe, den Verfassungsgrundsätzen zur Wahl genüge. Das sei bei der Sitzverteilung nach § 36 Abs. 2 NKWG aber nicht der Fall. Der Korrektur des nach dieser Vorschrift möglichen, auch vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnisses, daß auf einen Wahlvorschlag trotz absoluter Mehrheit der Stimmen nicht die absolute Mehrheit der Sitze entfalle, diene die Regelung des Absatzes 3, die jedoch ebenfalls zwingende Wahlgrundsätze verletze, da sie von der Systematik des Absatzes 2 abweiche und deshalb willkürlich sei. Auf das quantitative Ausmaß der Korrektur des Systems Hare komme es, auch wenn dieses nur gering sei, für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit nicht an, da in jedem Fall der Grundsatz der Wahlgleichheit in der Verhältniswahl verletzt werde. Ein Wahlgesetz, das einen Teil der Wählerstimmen – und sei es auch nur in seltenen Fällen und in begrenzter Zahl – nicht werten wolle, sei verfassungswidrig. Auch die Landesregierung räume ein, daß § 36 Abs. 3 NKWG zu Abweichungen von der formalen Wahlgleichheit führe, wenn sie von einer „begrenzten Differenzierung des Erfolgschancenwertes bei einem geringen Teil der Reststimmen“ spreche. Diese Regelung habe darüber hinaus zur Folge, daß eine gleiche Anzahl von Stimmen bei der durch die genannte Vorschrift begünstigten Partei doppelt gewichtet werde. Ein Wahlgesetz, das zu staatspolitischen Zwecken in bestimmten Fällen Stimmen überhaupt nicht oder mehrfach gewichtet und entgegen den Regeln des gewählten Verhältniswahlsystems einer Partei ein Mandat zugesprochen habe, sei bisher weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum ernsthaft erörtert worden. Mit den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht Differenzierungen beim Erfolgswert der Stimmen für zulässig gehalten habe, sei die hier in Frage stehende Regelung nicht vergleichbar. Den vom Bundesverfassungsgericht gewürdigten Fällen der Durchbrechung der „radikal-egalitären Wahlrechtsgleichheit“ sei gemeinsam gewesen, daß es dort keinen anderen Weg gegeben habe, diese Fälle grundsatzkonform zu lösen. Nur in diesem Sinne habe das Bundesverfassungsgericht von „zwingenden” Gründen gesprochen. Im vorliegenden Fall werde der Grundsatz der Wählergleichheit dagegen durchbrochen, um den Gesetzgeber aus einer durch das gewählte Wahlsystem provozierten Normenkollision der Verfassung (Gleichheit gegen Demokratiegebot) herauszuführen. Bei solchen sich nicht zwangsläufig ergebenden, sondern erst durch die Wahl des Proportionalsystems herbeigeführten Kollisionen stehe es nicht im Ermessen des Gesetzgebers, den Widerspruch zugunsten des einen und zu Lasten des anderen Verfassungsprinzips zu lösen. Vielmehr müsse er durch seine Entscheidungen verhindern, daß es überhaupt zu solchen Kollisionen kommen könne.
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Nach § 36 Abs. 3 NKWG würden nicht in klar abgrenzbarer Weise bestimmte Kategorien von Wählerstimmen gebildet, sondern es werde hier innerhalb der je für 2 Parteien abgegebenen Stimmen differenziert. Der Wähler könne nicht wissen, ob er gerade mit seiner Stimme für diejenige Partei, die nach dieser Vorschrift ein Mandat abgeben müsse, zu den Betroffenen gehöre, d. h. ob seine Stimme im Ergebnis wirklich gezählt worden sei. Die in den angegriffenen Bestimmungen gewählte Systematik führe ohne zwingenden Grund zu einer Nichtbeachtung der Wählergleichheit. Wie das System d’Hondt zeige, lasse sich das Ziel, dem Wahlvorschlag, der die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt habe, stets auch die Majorität in der Vertretungskörperschaft zu verschaffen, auch ohne eine solche Beeinträchtigung erreichen. Durch das jetzt gewählte Verfahren werde dieses Ergebnis dagegen auf eine nicht verfassungsgemäße Weise erzielt, weil eine nicht bestimmte Anzahl von Stimmen nach § 36 Abs. 3 NKWG unterschiedlich gewichtet werde. Darin liege aber ein Verstoß gegen die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen nach Art. 44 Abs. 2 LV. Zu diesem Ergebnis seien auch österreichische Rechtswissenschaftler in einem vergleichbaren Fall gelangt. Ein Wahlgesetz für das Burgenland habe bestimmt, daß Restmandate auf die Parteien in der Reihenfolge der Höhe ihrer Gesamtstimmenzahl zu verteilen seien. Dazu sei in Rechtsgutachten ausgeführt worden, daß „solche Prämiensysteme nicht nur ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz wären, sondern in klarer Weise dem Verhältniswahlsystem widersprächen“. Ferner sei dem dort vorgesehenen Verteilungssystem entgegengehalten worden, der Entwurf schaffe, indem er außer der Wahlzahl noch andere Kriterien der Mandatszuweisung heranziehe, innerhalb eines Ermittlungsverfahrens verschiedene Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit unter den Wahlparteien und sei schon deshalb verfassungswidrig, und es widerspreche auch dem Grundsatz der Verhältniswahl, wenn im zweiten Ermittlungsverfahren partiell ein „verschleiertes“ Mehrheitswahlrecht eingeführt werde. Die Regelung des § 36 Abs. 3 NKWG verstoße ferner gegen die Gleichheit des Zählwertes der Stimmen, da so viele Stimmen einer Partei nicht gezählt würden, wie der Partei mit der absoluten Mehrheit der Stimmen fehlten, um nach der Systematik des Absatzes 2 aaO auch die Mehrheit der Mandate zu erhalten. Außerdem werde hierdurch der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verletzt. Denn bei einer von § 36 Abs. 2 Satz 3 und 4 abweichenden Verteilung der nach Zahlenbruchteilen zu vergebenden Sitze würden die für die Wahlvorschläge mit höheren Zahlenbruchteilen abgegebenen Stimmen um den ihnen zukommenden Erfolg gebracht werden. Schließlich verstoße die angegriffene Regelung auch gegen den Grundsatz der passiven Wahlgleichheit. Bei Anwendung der Bestimmung des § 36 Abs. 3 bestehe nämlich die Möglichkeit, daß ein Bewerber, der eine größere Anzahl von persönlichen Stimmen erhalten habe und dem deshalb nach Abs. 2 Satz 3 ein Mandat zustehen würde, nunmehr so behandelt werde, als hätte er nur eine weit geringere Anzahl von Stimmen erhalten. Da nach alledem die für die verschiedenen Parteien abgegebenen Stimmen für deren Wahlerfolg nicht das gleiche Gewicht hätten, werde zudem auch die Wettbewerbsgleichheit der Parteien verletzt.
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Ohne die verfassungswidrige Korrektur durch § 36 Abs. 3 NKWG genüge das vom Gesetzgeber in Abs. 2 gewählte System der Mandatsverteilung jedoch nicht dem Demokratiegebot des Art. 2 LV, da es das Mehrheitsvotum der Wahlbürger nicht ausnahmslos in Mehrheitsverhältnisse in der Vertretungskörperschaft umsetze. Die Stellungnahme der Landesregierung zu dieser Frage sei widersprüchlich. Während sie einerseits die Regelung des Absatzes 3 als „eine verfassungsrechtlich zulässige, wenn nicht sogar gebotene Ergänzung“ des Verfahrens nach § 36 Abs. 2 NKWG bezeichne, halte sie andererseits die dort vorgesehene Verteilung der Sitze nach dem Hare’schen Verfahren auch dann für verfassungsgemäß, wenn sich die verfassungsrechtlich möglicherweise sogar „gebotene“ Ergänzung durch Abs. 3 als nichtig erweisen sollte. Im übrigen seien die zur Stützung des – unmodifizierten – Hare’schen Verfahrens vorgebrachten Argumente nicht verfassungsrechtlicher, sondern wahlrechtspolitischer Natur. Von der Wahlrechtskommission beim Bundesminister des Innern und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 34, 81 ff.) seien gegen das Hare’sche Verfahren nur deshalb keine Bedenken erhoben worden, weil der nach diesem Verfahren mögliche Umkehreffekt nicht bekannt gewesen sei. Ohne diese allerdings entscheidende Auswirkung wäre die Entscheidung für d’Hondt oder Hare verfassungsrechtlich neutral. Wegen der durch den Umkehreffekt möglichen Verletzung des Art. 2 LV sei es für die verfassungsrechtliche Beurteilung unerheblich, daß sich nach dem Hare’schen Verfahren etwas geringere Differenzen zwischen den auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenden Mandaten und dem prozentualen Anteil der für sie abgegebenen Stimmen an der Gesamtstimmenzahl ergäben. Ein möglicher weiterer verfassungsrechtlicher Einwand gegen § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG liege schließlich darin, daß durch diese Vorschrift in unzulässiger Weise ein Element des Mehrheitswahlrechts in das Verhältniswahlsystem eingeführt werde, da hiernach die Restsitze nach dem Gesichtspunkt der Mehrheitswahl verteilt würden.
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III.
Dem Landtag und der Landesregierung ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Der Landtag hat keine Stellungnahme abgegeben. Die Landesregierung hält den Antrag für nicht begründet. Sie führt im wesentlichen aus:
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Das in § 36 NKWG festgelegte Wahlschlüsselverfahren nach Hare sei, wie auch die Antragsteller einräumten, als solches nicht verfassungswidrig. Dieses Verfahren werde durch die Regelung des Abs. 3 in verfassungsrechtlich zulässiger, wenn nicht sogar gebotener Weise ergänzt. Die wegen vermeintlicher Nichtigkeit der letzteren Vorschrift aus dem Demokratieprinzip hergeleiteten Bedenken der Antragsteller auch gegen die Regelung des Abs. 2 seien daher gegenstandslos.
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Der Grundsatz der Wahlgleichheit, der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine konkrete Ausprägung gefunden habe, lasse dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Auswahl zwischen verschiedenen Wahlsystemen. Weder die Vorläufige Niedersächsische Verfassung noch das Grundgesetz hätten sich für ein bestimmtes Wahlsystem entschieden. Der Landesgesetzgeber hätte deshalb ohne Verstoß gegen die Wahlgleichheit auch das reine Mehrheitswahlrecht einführen können. Ihm stehe es daher erst recht frei, unter den verschiedenen Formen der Verhältniswahl eine Entscheidung zu treffen. Bei der Verhältniswahl könne der Grundgedanke, daß für jede Partei die Anzahl der Mandate der Anzahl der Stimmen proportional sein solle, nicht vollständig, sondern immer nur annäherungsweise verwirklicht werden, da nur ganze und keine gebrochenen Mandate verteilt werden könnten. Das von Hare entwickelte und in § 36 Abs. 2 NKWG übernommene Annäherungsverfahren sei von der vom Bundesminister des Innern eingesetzten Wahlrechtskommission als „reines Verhältniswahlrecht“ gewertet worden, für das sich der Gesetzgeber bei einer Neuordnung des Wahlrechts entscheiden könne. Diese Auffassung sei vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 11. Oktober 1972 bestätigt worden, in dem es das in § 42 des Rheinland-Pfälzischen Landeswahlgesetzes in der Fassung vom 12. Januar 1959 verankerte Wahlschlüsselverfahren nach Hare als ein System der Verhältniswahl gewertet habe, gegen das sich unter dem Blickpunkt der Wahlrechtsgleichheit grundsätzliche Einwände nicht erheben ließen. Dieser Aussage könne nicht entgegengehalten werden, die Verfassungsbeschwerden hätten sich in jenem Verfahren nur gegen den für nichtig erklärten § 42 Abs. 3 Satz 2 aaO gerichtet, der Wahlvorschläge, deren Stimmenzahl den Wahlschlüssel nicht erreicht habe, von der Verteilung der Mandate ausgeschlossen habe. Denn das Bundesverfassungsgericht habe den Verfassungsbeschwerden der durch diese Bestimmung benachteiligten Bewerber nur stattgeben können, wenn das Wahlsystem ohne die beanstandete Klausel verfassungsgemäß gewesen sei. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das in § 36 Abs. 2 NKWG vorgesehene Verfahren ließen sich auch nicht daraus herleiten, daß das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Verfahren im Beschluß vom 22. Mai 1963 zum Höchstzahlverfahren nach d’Hondt ausgeführt habe, es bestehe Einigkeit darüber, daß es – bei beweglichen Wahlquotienten – ein exakteres, praktisch durchführbares System, das zu gerechteren Ergebnissen führen würde, nicht gebe. Diese verfassungsrechtliche Bestätigung des Höchstzahlverfahrens enthalte schon dem Wortlaut nach kein Verdikt über andere Verfahren der Verhältniswahl. Gegen das Hare-Verfahren könne sie sich auch deshalb nicht richten, weil dieses im Gegensatz zum Höchstzahlverfahren gerade keinen beweglichen, sondern einen festen Wahlquotienten kenne. Auch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 15. Februar 1961 sei nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 36 Abs. 2 NKWG zu stützen. In dieser Entscheidung sei lediglich die Verpflichtung des Gesetzgebers verneint worden, anstelle des Höchstzahlverfahrens das Verfahren nach Hare einzuführen. Soweit zur Begründung ausgeführt worden sei, das Höchstzahlverfahren führe zwar nicht zu völlig proporzgerechten Ergebnissen, die Ergebnisse nach dem Hare-Verfahren seien aber noch unbilliger, liege darin ebenfalls keine verfassungsrechtliche Verwerfung des Wahlschlüsselverfahrens. Denn der Verfassungsgerichtshof habe selbst betont, daß der Begriff der Verhältniswahl eine Fülle von Berechnungsarten decke und die verschiedensten Gestaltungsmöglichkeiten für die Ausschöpfung des Proporzes gebe, zu denen auch das Hare-Verfahren gehöre, und abschließend festgestellt, daß der Grundsatz der Wahlgleichheit den Gesetzgeber nicht zur Anwendung des exaktesten und praktikabelsten Verfahrens zwinge.
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Die Beurteilung anhand von Beispielen, welches Verfahren zu einer gerechteren Verteilung der Mandate führe, sei politisch wertender Natur und verfassungsrechtlich nicht determiniert. Selbst die genaueste Verrechnungsmethode könne keine absolute Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen schaffen. Auch nach dem Höchstzahlverfahren bestehe die Möglichkeit grober „Mißrepräsentation“. So brauche unter Umständen die größte Partei nur die Hälfte der Stimmen für ein Mandat aufzubringen, die eine kleinere Partei hierfür benötige. Im Einzelfall könne sie bei einer Beteiligung von x Parteien (x minus 1) Sitze mehr erhalten, als ihr nach genauer prozentualer Auswertung zustehen würden. Die Gesamtabweichung von den exakten Proportionalzahlen sei beim Höchstzahlverfahren größer als beim Hare-Verfahren. Das letztere Verfahren werde damit der Absicht gerechter, den Erfolgswert der Einzelstimme zu sichern. Es vermeide auf der anderen Seite mit großer Sicherheit den dem Höchstzahlverfahren eigentümlichen und aus der Sicht des Demokratieprinzips nicht unbedenklichen Effekt, daß eine Partei ohne die Mehrheit der Stimmen die Mehrheit der Mandate erhalte, wie dies bei der Kommunalwahl in Niedersachsen vom 3. Oktober 1976 immerhin in 6 Fällen geschehen sei.
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Das Höchstzahlverfahren begünstige unstreitig große Parteien und entfalte die Nebenwirkung einer Sperrklausel zu Lasten der Parteien und Wählergruppen, die nicht wenigstens die niedrigste Höchstzahl erreichten. Diese Wirkung fehle dem Hare-Verfahren, das nur insofern zu einer gewissen Begünstigung kleiner Parteien führen könne, als eine Partei durch eine Spaltung in zwei Teile unter Umständen die Zahl ihrer Mandate erhöhen könne. Dem stehe jedoch gegenüber, daß beim Höchstzahlverfahren zwei Parteien durch ihren Zusammenschluß bei unveränderter Stimmenzahl ein Mandat gewinnen könnten.
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Die vergleichende Erörterung extremer Grenzfälle dürfe im übrigen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die unterschiedlichen Auswirkungen des Höchstzahlverfahrens und des Hare-Verfahrens in der Praxis begrenzt seien. Wie eine Modellrechnung zeige, hätten bei der Kommunalwahl vom 3. Oktober 1976 beide Verfahren in 29 von insgesamt 59 Wahlgebieten zu übereinstimmenden Ergebnissen bei der Verteilung der Mandate geführt. In den übrigen 30 Wahlgebieten wäre es insgesamt nur bei 32 Sitzen zu Verschiebungen gekommen, wobei sich für jede Partei oder Wählergruppe die Veränderung auf allenfalls ein Mandat beschränkt hätte.
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Es treffe auch nicht zu, daß sich die in § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG vorgesehene Verteilung der restlichen Mandate in der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile als systemwidrige Einführung eines Elements der Mehrheitswahl darstelle. Das Bundesverfassungsgericht habe vielmehr in dem genannten Beschluß vom 11. Oktober 1972 § 42 Abs. 4 Satz 1 des Rheinland-Pfälzischen Landeswahlgesetzes in der Fassung vom 12. Januar 1959, der eine entsprechende Verteilung der verbleibenden Restsitze vorgesehen habe, für verfassungsmäßig erachtet. Wenn der Gesetzgeber sich für das Verhältniswahlsystem entscheide, so unterwerfe er sich damit dem prinzipiellen Gebot des gleichen Erfolgswerts jeder Wählerstimme. Damit sei ihm indessen eine Verbindung der Verhältniswahl mit Elementen der Mehrheitswahl nicht verwehrt, wie sie bei der personalisierten Verhältniswahl und den anderen Mischsystemen geschehe. Unzulässig sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur eine sachwidrige Vermengung von Wahlsystemen. Die Vorschrift des § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG stelle jedoch keinen Systembruch dar und übernehme nicht in strukturwidriger Weise das Prinzip der Mehrheitswahl. Es sei vielmehr allen Wahlquotientenverfahren systemimmanent, daß sie in der Regel nicht zu einer restlosen Verteilung der Sitze führten, weil die erste Zuteilungsrechnung kaum jemals nur ganze Zahlen ergeben werde. Von den für die Verteilung der restlichen Sitze entwickelten Verfahren sei die Zuteilung entsprechend den höchsten Zahlenbruchteilen am gerechtesten. Sie komme der Erfolgsgleichheit am nächsten, weil der höchste Zahlenbruchteil eines Wahlvorschlags auch der höchsten noch nicht verwerteten Reststimmenzahl entspreche. Diesem Zuteilungsverfahren könne auch nicht entgegengehalten werden, daß dabei Zahlenbruchteile und damit Reststimmen verloren gingen. Denn dies sei bei allen Wahlsystemen der Fall. Das Gebot des grundsätzlich gleichen Erfolgswerts jeder Wählerstimme verlange deshalb nicht mehr als eine gleiche Erfolgschance nach Maßgabe des jeweiligen Wahlsystems. Bei der Behandlung der Zahlenbruchteile gehe es darum, welche Parteien und Wählergruppen die restlichen Sitze erhielten, die nicht voll durch Stimmen abgedeckt seien. Daß dabei eine Partei für ihre Reststimmen einen Sitz erhalte, eine andere jedoch nicht, sei wahlsystematisch unvermeidlich. In dem Verfahren nach § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG hätten alle Parteien unabhängig von ihrer Größe die gleiche Chance, auf die höchste Zahl von Reststimmen ein zusätzliches Mandat zu gewinnen.
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Auch die in § 36 Abs. 3 NKWG vorgesehene Modifikation, durch welche der beim Hare-Verfahren theoretisch mögliche „Umkehreffekt“ ausgeschlossen werde, daß eine Partei trotz absoluter Stimmenmehrheit nicht die absolute Mehrheit der Mandate erreiche, verstoße nicht gegen Art. 44 Abs. 2 LV. Der praktische Anwendungsbereich dieser Vorschrift sei äußerst begrenzt, da der „Umkehreffekt“ beim Hare-Verfahren wesentlich seltener eintrete als der gegenteilige „d’Hondt-Effekt” beim Höchstzahlverfahren. Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen am 3. Oktober 1976 wäre der „Umkehreffekt“ in keinem Fall aufgetreten, während der „d’Hondt-Effekt“ in 6 Wahlgebieten wirksam geworden sei. Inhaltlich gehe es dabei immer nur um einen einzigen Sitz, der durch Reststimmen bereits teilweise „belegt” sei. Ohne die in § 36 Abs. 3 vorgesehene Modifikation könnten das Demokratieprinzip und die Legitimationswirkung der Wahl ernstlich beeinträchtigt werden. Zu den fundamentalen Grundsätzen der Demokratie gehöre das Mehrheitsprinzip. Der im demokratischen Prinzip wurzelnden Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit entspreche es deshalb, daß ein Wahlsystem eine absolute Stimmenmehrheit auch in eine entsprechende Mehrheit der Mandate umsetze. Diese Forderung ergebe sich auch aus der Legitimationsfunktion der Wahl, die verlange, daß das Volk möglichst großen Einfluß auf die Zusammensetzung der Volksvertretung habe. Ob der Gesetzgeber hierdurch verpflichtet gewesen sei, den nach dem Hare-Verfahren möglichen Umkehreffekt auszuschließen, könne offenbleiben. Dagegen spreche, daß hier in Gestalt der Wahlgleichheit und des Demokratieprinzips gleichrangige Verfassungsgrundsätze in einen Widerstreit gerieten, dessen Ausgleich in den Wertungsspielraum des Gesetzgebers falle. Der Gesetzgeber sei jedoch zumindest berechtigt gewesen, in diesem Fall dem Demokratieprinzip den Vorrang zu geben. In § 36 Abs. 3 NKWG habe er die Differenzierung des Erfolgschancenwerts nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so gering wie möglich gehalten. Die Gleichheit des Zählwerts werde durch diese Vorschrift entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht berührt. Vielmehr erhalte die Partei mit der absoluten Stimmenmehrheit im Falle eines „Umkehreffekts“ auf ihren Zahlenbruchteil lediglich vorab einen – die Mehrheit der Mandate sichernden – Sitz zu Lasten der Partei mit dem geringsten Zahlenbruchteil, der andernfalls noch für die Zuteilung des letzten Restsitzes ausgereicht hätte. Diese begrenzte Differenzierung des Erfolgschancenwerts bei einem geringen Teil der Reststimmen halte sich in den Schranken des allgemeinen Gleichheitssatzes. Sie benachteilige keine bestimmte Partei, sondern stelle allein auf die Größe des Zahlenbruchteils ab. Es sei auch sachgerecht, zugunsten der Partei mit der absoluten Stimmenmehrheit den geringsten Zahlenbruchteil von der Verteilung eines Restsitzes auszuscheiden, weil diesem Zahlenbruchteil die geringste Zahl an Reststimmen entspreche.
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In diesem Verfahren liege schließlich auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Dieser Grundsatz verlange, daß sich die Zurechnung der abgegebenen Wählerstimmen auf die Wahlbewerber von der Stimmabgabe an ohne Zwischenschaltung eines von dem Wähler verschiedenen Willens vollziehe. Das sei hier der Fall, da die Mandate gemäß § 36 Abs. 3 NKWG auf der Grundlage des Wahlsystems ausschließlich nach dem Inhalt des Wählerwillens zugeteilt würden.
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Da ein Verstoß gegen das Prinzip der Wahlgleichheit nicht vorliege, seien auch die Erfolgschancen der Parteien gleich. Eine Verletzung der Chancengleichheit der Parteien komme daher nicht in Betracht. Ebenso entfalle damit eine Verletzung der auf die Bewerber bezogenen passiven Wahlgleichheit.
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B.
I.
Nach Art. 42 Abs. 1 Nr. 2 LV entscheidet der Staatsgerichtshof bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Landesrecht mit dieser Verfassung. Im vorliegenden Fall kommen als Prüfungsmaßstab für die Vereinbarkeit des § 36 Abs. 2 und 3 NKWG mit dem Landesrecht Art. 2 und 44 Abs. 2 LV in Betracht. Auf die Wirksamkeit dieser Vorschriften als geltendes Landesverfassungsrecht ist es ohne Einfluß, daß sie fast wörtlich den Artikeln 20 Abs. 2 und 3, 28 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG entsprechen. Dies hat der Staatsgerichtshof für Art. 44 LV bereits in seinem Zwischenurteil vom 15. Februar 1973 (Nds. MBl. 1973, 385 = DVBl. 1973, 310) entschieden. Im übrigen ist durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 1974 (BVerfGE 36, 342) klargestellt worden, daß inhaltsgleiche landesverfassungsrechtliche Vorschriften – auch soweit es sich dabei nicht um Bestimmungen im Sinne des Artikel 142 GG handelt – nicht durch Art. 31 GG gebrochen werden.
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Nach Art. 42 Abs. 2 Nr. 2 LV sind für das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle ein Viertel der Abgeordneten oder das Landesministerium antragsberechtigt. Dem Landtag gehören 155 Abgeordnete an. Den vorliegenden Antrag haben 53 Abgeordnete gestellt. Damit ist die Antragsberechtigung gegeben.
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Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 35 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof (StGHG) vom 31. März 1955 (Nds. GVBl. Sb. I S. 17), geändert durch Gesetz vom 20. Februar 1974 (Nds. GVBl. S. 112), sind erfüllt. Denn die Antragsteller machen geltend, daß die am 22. Juni 1977 in Kraft getretene Vorschrift des § 36 Abs. 2 und 3 NKWG wegen sachlicher Unvereinbarkeit mit den Artikeln 2 und 44 Abs. 2 LV nichtig sei.
28
II.
Ausgangspunkt für die Prüfung der Frage, ob die in § 36 Abs. 2 und 3 NKWG festgelegte, von den Antragstellern angegriffene Berechnungsweise für die Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschläge den Bestimmungen der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung entspricht, ist Art. 44 Abs. 2 LV. Nach dieser Vorschrift muß das Volk in den Gebietskörperschaften eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der Staatsgerichtshof anschließt, ist davon auszugehen, daß es sich bei dem hier angesprochenen Grundsatz der Wahlgleichheit – ebenso wie in Art. 38 Abs. 1 GG – um einen Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes handelt, und daß deshalb ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit der Wahl stets zugleich auch eine Verletzung des Art. 3 GG enthält (BVerfGE 1, 208, 242; 4, 31, 39; 6, 84,91; 11, 266, 271 und 351, 360; 12, 10, 25; 13, 1, 12; 24, 300, 340; 28, 220, 225; 34, 81, 98; 41, 399, 413). Der Grundsatz der gleichen Wahl unterscheidet sich jedoch vom allgemeinen Gleichheitssatz durch seinen stärker formalisierten Charakter, durch den gewährleistet werden soll, daß jedermann sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben kann (BVerfGE 13, 243, 246; 28, 220, 225; 34, 81, 98). Für Differenzierungen besteht daher nur ein eng bemessener Spielraum. Eine Einschränkung des Grundsatzes der Wahlgleichheit durch den Gesetzgeber bedarf deshalb besonderer und zwingender Rechtfertigungsgründe, an die ein strenger Maßstab anzulegen ist (BVerfGE 1, 208, 249; 28, 220, 225; 34, 81, 99). Als einen solchen Grund hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise das Bestreben des Gesetzgebers anerkannt, durch Einführung einer Sperrklausel, die jedoch nicht zu hoch bemessen werden darf, der Zersplitterung der Parlamente entgegenzuwirken (BVerfGE 34, 100).
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Durch die Bezugnahme auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes in Art. 2 Abs. 2 LV wird auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 GG inhaltlicher Bestandteil des Landesverfassungsrechts. Da es sich bei dem Grundsatz der Wahlgleichheit jedoch um einen speziellen Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) und damit auch des Art. 2 Abs. 2 LV handelt, scheidet die letztere Vorschrift als selbständiger Prüfungsmaßstab für das vorliegende Normenkontrollverfahren aus.
30
Dem Grundsatz der Wahlgleichheit ist bei der Verhältniswahl nur genügt, wenn den abgegebenen Stimmen sowohl Zählwertgleichheit als auch Erfolgswertgleichheit zukommt (BVerfGE 1, 208, 244 ff.; 6, 104, 111; 7, 63 <70>; 11, 351, 360, 362; 13, 243, 246; 16, 130 <139>; 24, 300, 340; 34, 81, 99 f.). Zählwertgleichheit ist gegeben, wenn jeder nach den allgemeinen Vorschriften Wahlberechtigte die gleiche Stimmenzahl besitzt und wenn er seine Stimme wie jeder andere Wahlberechtigte abgeben darf (BVerfGE 34, 81, 99). Die Erfolgswertgleichheit setzt voraus, daß jede gültig abgegebene Stimme ebenso mitbewertet wird wie jede andere Stimme (BVerfGE 1, 208, 246; 7, 63 <70>; 16, 130 <138 f.>; 34, 81, 99). Bei der Verhältniswahl muß der Gesetzgeber die Gleichheit des Erfolgswerts soweit sicherstellen, wie dieses Wahlsystem es zuläßt (BVerfGE 1, 208, 245). Danach darf dem einzelnen Wähler nicht aus Gründen, die in seiner Person liegen, ein verschieden starker Einfluß auf das Wahlergebnis eingeräumt werden (BVerfGE 1, 208, 243). Im Gegensatz zum Mehrheitswahlrecht, für das es einen gleichen Erfolgswert vom Grundsatz her nicht geben kann (BVerfGE 1, 208, 244), unterliegt der Gesetzgeber, wenn er sich für das Verhältniswahlrecht entschieden hat, damit dem prinzipiellen Gebot, jeder Wählerstimme den gleichen Erfolgswert zu sichern, weil dieses Gebot die spezifische Ausprägung der Wahlrechtsgleichheit für das Verhältniswahlsystem darstellt (BVerfGE 1, 208, 246 f.; 6, 84, 90; 11, 351, 362; 34, 81, 100). Der Umstand, daß der Gesetzgeber sich im Rahmen seines Ermessens auch für das Mehrheitswahlrecht hätte entscheiden dürfen, gestattet ihm nicht, innerhalb des Verhältniswahlsystems die Erfolgswertgleichheit beliebig zu durchbrechen (BVerfGE 1, 208, 246). Vielmehr muß er in diesem Fall das Wahlsystem so ausgestalten, daß er den Anteil der Sitze in der Vertretungskörperschaft in möglichst genaue Obereinstimmung mit dem Stimmenanteil bringt, der auf die verschiedenen Wahlvorschläge entfällt (BVerfGE 1, 208, 248).
31
Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die Regelungen des § 36 Abs. 2 und 3 NKWG unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.
32
1. Es gibt kein System der Verhältniswahl, welches für die Verteilung der Sitze die absolute Erfolgswertgleichheit garantiert. Sowohl das d’Hondt’sche Höchstzahlverfahren als auch das vom Gesetzgeber in § 36 Abs. 2 NKWG gewählte Hare’sche Verfahren gewährleisten die Erfolgswertgleichheit der abgegebenen gültigen Stimmen nur mit Einschränkungen.
33
Beide Systeme können, wenn auch in verschiedenen Richtungen, vor allem in Grenzfällen zu Ergebnissen führen, die nicht unerheblich von der Erfolgswertgleichheit abweichen. Bei dem d’Hondt’schen Verfahren wirkt sich dies dahin aus, daß ein nicht unerheblicher Teil der Stimmen ohne Erfolgswert bleiben kann, während sich bei dem Hare’schen Verfahren Unstimmigkeiten zwischen dem Verhältnis der für die einzelnen Wahlvorschläge abgegebenen Stimmen und dem Verhältnis der auf diese Vorschläge entfallenden Sitze ergeben können. Die dem d’Hondt’schen Verfahren anhaftenden Mängel werden, weil sie systemimmanent und daher unvermeidbar sind, von der Rechtsprechung auch unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswertgleichheit bei der Verhältniswahl als verfassungskonform angesehen.
34
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 15. Februar 1961 (VerfGH 14, 24) zwar die Auffassung vertreten, daß ein exakteres, praktisch durchführbares System, das zu gerechteren Ergebnissen als das d’Hondt’sche Verfahren führen würde, nicht vorhanden sei. Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum übernommen (BVerfGE 16, 130 <144>). Daraus folgt aber noch nicht, daß allein das d’Hondt’sche Verfahren dem Erfordernis der Erfolgswertgleichheit genügt und jedes andere Verfahren aus verfassungsrechtlichen Gründen zu verwerfen wäre. Vielmehr führt auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof (aaO S. 25) dazu aus, daß der Grundsatz der Wahlgleichheit nicht ohne weiteres zur Anwendung des mathematisch exaktesten und praktikablen Verfahrens zwinge. Dem erwähnten obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts läßt sich für diese Frage nichts entnehmen. Denn dort ging es nur um die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens nach d’Hondt und nicht des Hare’schen Verfahrens.
35
Die Frage, ob der Gesetzgeber ohne Verletzung des Grundsatzes der Wahlgleichheit auch ein anderes als das d’Hondt’sche Berechnungsverfahren wählen kann, läßt sich auch nicht anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die Voraussetzungen beantworten, unter denen im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes Abweichungen vom Prinzip der Erfolgswertgleichheit zulässig sind. Denn diese Rechtsprechung bezieht sich nur auf systemfremde Durchbrechungen der Verhältniswahl, wie etwa auf Sperrklauseln oder auf das Erfordernis einer bestimmten Zahl von Unterschriften für einen Wahlvorschlag, und nicht auf die Zulässigkeit systemimmanenter Disproportionen der einzelnen Zählsysteme. Das gilt auch für den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 1972 (BVerfGE 34, 81, 100), der sich nicht mit der grundsätzlichen Zulässigkeit des Systems Hare auseinandersetzt, sondern lediglich eine Abänderung dieses Systems wegen Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärt hat, die sich als zusätzliche Sperrklausel auswirkte und über den gesetzlichen Mindestsatz von fünf v. H. hinaus einen Stimmenanteil bis zu 7,69 v. H. für die Erringung eines Sitzes notwendig machte.
36
In der genannten Entscheidung vom 15. Februar 1961 (aaO S. 22) hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof seine Auffassung, das von Hare entwickelte Verhältniswahlsystem führe gegenüber dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren zu unbilligeren Ergebnissen, u. a. anhand eines von Cahn (Das Verhältniswahlsystem in den modernen Kulturstaaten, 1909, S. 313) gebildeten Beispiels begründet. Danach sind bei 3 zu vergebenden Sitzen 30 000 gültige Stimmen abgegeben worden, die sich wie folgt auf insgesamt 3 Wahlvorschläge verteilen:
A: 15000
B: 9000
C: 6000.
37
Nach dem Hare’schen Verfahren entfällt auf jeden Wahlvorschlag ein Sitz, während nach dem d’Hondt’schen Verfahren der Wahlvorschlag A 2 Sitze, der Wahlvorschlag B 1 Sitz und der Wahlvorschlag C keinen Sitz erhalten würde. Die Unbilligkeit des Ergebnisses nach dem Hare’schen Verfahren wird darin gesehen, daß auf den Wahlvorschlag C die gleiche Anzahl von Sitzen entfällt wie auf den Wahlvorschlag A, obwohl der letztere gegenüber dem Wahlvorschlag C die zweieinhalbfache Zahl von gültigen Stimmen erhalten hat.
38
Dieses Beispiel stellt jedoch einen Extremfall dar, der sich – wie noch zu zeigen sein wird – auch zu Lasten des d’Hondt’schen Verfahrens bilden läßt, um die Grenzen der Proporzgerechtigkeit des letzteren Systems aufzuzeigen. Schon die Veränderung des vorstehenden Beispiels um nur eine Stimme führt nach dem durch die Regelung des § 36 Abs. 3 NKWG modifizierten Hare’schen Verfahren zu dem gleichen Ergebnis wie nach dem d’Hondt’schen Verfahren, wie die folgende Berechnung zeigt:
39
Von insgesamt 30 000 Stimmen entfallen auf den
Wahlvorschlag A: 15 001
Wahlvorschlag B: 9 000
Wahlvorschlag C: 5 999.
40
Es erhalten dann nach beiden Verfahren der
Wahlvorschlag A: 2 Sitze
Wahlvorschlag B: 1 Sitz
Wahlvorschlag C: keinen Sitz.
41
Wandelt man das ursprüngliche Beispiel in der anderen Richtung um eine Stimme ab, so daß auf den
Wahlvorschlag A: 14 999
Wahlvorschlag B: 9 000
Wahlvorschlag C: 6 001
Stimmen entfallen, dann erhalten nach dem Hare’schen Verfahren die Wahlvorschläge A bis C jeweils einen Sitz, wahrend sich nach dem d’Hondt’schen Verfahren für den Wahlvorschlag A 2 Sitze, den Wahlvorschlag B 1 Sitz und den Wahlvorschlag C kein Sitz errechnen würden.
42
Nach dem d’Hondt’schen Verfahren würde hier der Wahlvorschlag A die absolute Mehrheit der Sitze erhalten, obwohl auf ihn nicht die absolute Mehrheit der Stimmen entfallen ist. Dagegen erhalten bei Anwendung des Verfahrens nach Hare die Wahlvorschläge B und C, auf die zusammen die absolute Mehrheit der Stimmen entfallen ist, auch die absolute Mehrheit der Sitze.
43
Bei der Bewertung dieser Beispiele ist im übrigen zu berücksichtigen, daß es so gut wie ausgeschlossen ist, 3 Sitze auf 3 Wahlvorschläge proportional völlig gerecht zu verteilen. Schon aus diesem Grunde sind gewisse Abweichungen vom Prinzip der Erfolgswertgleichheit unvermeidbar. So spricht beispielsweise das d’Hondt’sche Verfahren in dem Ausgangsbeispiel des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs den auf den Wahlvorschlag C entfallenen 6000 Stimmen überhaupt keinen Erfolgswert zu. Das kommt einer Sperrklausel von 20 v. H. gleich. Dieses Ergebnis ist nicht unbedenklich, wenn man berücksichtigt, daß das Bundesverfassungsgericht eine indirekte Sperrklausel, die sich bei einer bestimmten Modifikation des Hare’schen Verfahrens ergab und bis zu 7,69 v. H. reichte, aus diesem Grunde für verfassungswidrig erklärt hat (BVerfGE 34, 81).
44
Welche Mängel auch dem d’Hondt’schen Verfahren anhaften, wird besonders deutlich in folgendem Beispiel:
45
Von insgesamt 30 000 abgegebenen gültigen Stimmen entfallen auf den
Wahlvorschlag A: 15 000
Wahlvorschlag B: 7 501
Wahlvorschlag C: 7 499.
46
Nach dem d’Hondt’schen System ergibt sich folgende Sitzverteilung:
Wahlvorschlag A: 2 Sitze
Wahlvorschlag B: 1 Sitz
Wahlvorschlag C: kein Sitz.
47
Die auf den Wahlvorschlag C entfallenen 25 % der gültigen Gesamtstimmen bleiben hiernach ohne jeden Erfolgswert. Das d’Hondt’sche Verfahren wirkt sich in diesem Fall als 25 %-ige Sperrklausel aus.
48
Diese Beispiele erweisen, daß beide Verfahren auf Grund der ihren Systemen anhaftenden Unzulänglichkeiten vor allem in Grenzfällen nicht in der Lage sind, die anzustrebende Erfolgswertgleichheit jeder abgegebenen gültigen Stimme in vollem Umfang zu verwirklichen. Mit ihnen läßt sich deshalb nicht die Auffassung belegen, das Hare’sche Verfahren verletze den Grundsatz der gleichen Wahl, weil es nicht in dem gleichen Umfang wie das d’Hondt’sche Verfahren die Erfolgswertgleichheit der abgegebenen gültigen Stimmen gewährleiste. Diese Erkenntnis wird auch durch die weiteren in der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 15. Februar 1961 (aaO S. 23 f.) angeführten Beispiele erhärtet. In dem Fall, daß 6 Sitze zu vergeben und 1500 gültige Stimmen abgegeben sind, von denen auf den
Wahlvorschlag A: 500
Wahlvorschlag B: 375
Wahlvorschlag C: 150
Wahlvorschlag D : 475
entfallen, erhalten nach dem Hare’schen System der
Wahlvorschlag A: 2 Sitze
Wahlvorschlag B: 1 Sitz
Wahlvorschlag C: 1 Sitz
Wahlvorschlag D: 2 Sitze,
während sich nach dem d’Hondt’schen Verfahren folgende Verteilung ergeben würde:
Wahlvorschlag A: 2 Sitze
Wahlvorschlag B: 2 Sitze
Wahlvorschlag C: kein Sitz
Wahlvorschlag D: 2 Sitze.
49
Es bedeutet keine Verletzung des Grundsatzes der Erfolgswertgleichheit, wenn in diesem Fall nach dem Hare’schen Verfahren auf die Wahlvorschläge B und C je ein Sitz entfällt, während bei der Verteilung nach dem verfassungsrechtlich als unbedenklich anerkannten d’Hondt’schen Verfahren der Wahlvorschlag B 2 Sitze und der Wahlvorschlag C keinen Sitz erhalten würde. In dem gewählten Beispiel entfällt auf je 250 Stimmen 1 Sitz. Davon fehlen – bezogen auf den 6. Sitz – dem Wahlvorschlag B 50 % und dem Wahlvorschlag C 40 %. Unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswertgleichheit liegt es deshalb sogar näher, diesen Sitz dem Wahlvorschlag zuzuteilen, dessen Reststimmen der für einen Sitz durchschnittlich benötigten Stimmenzahl am nächsten kommen. Das Ergebnis der Verteilung nach dem Hare’schen Verfahren ist daher auch in diesem Beispielfall jedenfalls nicht unbillig. Weniger zu befriedigen vermag dabei allerdings der Umstand, daß das Verhältnis der Sitze zwischen den Wahlvorschlägen B und C nicht dem Verhältnis der auf sie entfallenen Stimmen entspricht. Dieser Mangel ist jedoch unvermeidbar, wenn man nicht einer größeren Zahl von Stimmen, die in dem vorliegenden Beispiel 10 v. H. der gültigen Gesamtstimmen beträgt, von vornherein jeden Erfolgswert absprechen will.
50
Entsprechendes gilt auch für das weitere Beispiel, in dem 8 Sitze zu vergeben sind und von den 5 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 1000
Wahlvorschlag B: 2600
Wahlvorschlag C: 400
Wahlvorschlag D: 410
Wahlvorschlag E: 590
Stimmen entfallen. Nach dem d’Hondt’schen Verfahren würde sich folgende Sitzverteilung ergeben:
Wahlvorschlag A: 2 Sitze
Wahlvorschlag B: 5 Sitze
Wahlvorschlag C: kein Sitz
Wahlvorschlag D: kein Sitz
Wahlvorschlag E: 1 Sitz.
51
Es bleiben danach insgesamt 810 Stimmen ohne Erfolgswert. Zu Lasten des Wahlvorschlags D wirkt sich hierbei das d’Hondt’sche Verfahren wie eine 8,2 %-ige Sperrklausel aus.
52
Dagegen würde sich das Ergebnis nach dem in § 36 Abs. 2 und 3 NKWG festgelegten Verfahren wie folgt darstellen:
Wahlvorschlag A: 1 Sitz
Wahlvorschlag B: 5 Sitze
Wahlvorschlag C: kein Sitz
Wahlvorschlag D: 1 Sitz
Wahlvorschlag E: 1 Sitz.
53
In diesem Beispiel entfällt im Durchschnitt auf je 625 Stimmen 1 Sitz. Dem Wahlvorschlag A fehlen 250 und dem Wahlvorschlag D 215 Stimmen zu einem (weiteren) vollen Sitz. Es ist deshalb unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswertgleichheit durchaus vertretbar, den restlichen Sitz dem Wahlvorschlag zuzuteilen, dessen Reststimmenzahl den geringsten Abstand zu der für einen Sitz erforderlichen durchschnittlichen Stimmenzahl aufweist.
54
Diese Beispiele, die sich beliebig erweitern ließen, bestätigen den Satz, daß es kein System der Verhältniswahl gibt, welches die absolute Erfolgswertgleichheit garantiert. Die verschiedenen Systeme weichen mit unterschiedlicher Tendenz vom Ideal der Erfolgswertgleichheit und damit vom Grundsatz der gleichen Wahl ab. Während das d’Hondt’sche System grundsätzlich für die größeren Parteien günstiger ist als für die kleineren Parteien (Hans Meyer, Wahlsystem und Verfassungsordnung, 1973, S. 170 f.) und auf diese Weise bei den großen Parteien Mißverhältnisse zwischen den Stimmenzahlen und der Zahl der auf sie entfallenden Sitze vermeidet, wird das Hare’sche Verfahren dem Erfolgswert der für die kleinen Parteien abgegebenen Stimmen besser gerecht. Es bewirkt ferner, daß der Anteil der Sitze, welche die erfolgsreichste Partei erhält, annähernd genau dem Anteil der auf sie entfallenen Stimmen entspricht. Dagegen kann nach dem d’Hondt’schen Verfahren die stärkste Partei mehr Sitze erhalten, als ihrem prozentualen Stimmenanteil entspricht, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:
55
Bei 21 zu vergebenden Mandaten verteilen sich die 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen wie folgt auf 5 Wahlvorschläge:
Wahlvorschlag A: 13 000
Wahlvorschlag B: 6 000
Wahlvorschlag C: 3 000
Wahlvorschlag D: 2 300
Wahlvorschlag E: 700.
56
Nach dem Hare’schen Verfahren würde sich folgende Sitzverteilung ergeben:
Wahlvorschlag A: 11 Sitze
Wahlvorschlag B: 5 Sitze
Wahlvorschlag C: 2 Sitze
Wahlvorschlag D: 2 Sitze
Wahlvorschlag E: 1 Sitz.
57
Das Verhältnis der auf die Wahlvorschläge K und E entfallenden Sitze beträgt hiernach 11:1, während sich das Verhältnis der für die Wahlvorschläge A und E abgegebenen Stimmen auf 18,57:1 beläuft. Während für den Wahlvorschlag E bereits 700 Stimmen einen Sitz ergeben, erbringen für den Wahlvorschlag A erst jeweils rd. 1 181 Stimmen einen Sitz.
58
Diese Disproportion würde bei der Verteilung der Sitze nach dem d’Hondt’schen Verfahren vermieden. Danach würden sich die Sitze wie folgt verteilen:
Wahlvorschlag A: 12 Sitze
Wahlvorschlag B: 5 Sitze
Wahlvorschlag C: 2 Sitze
Wahlvorschlag D: 2 Sitze
Wahlvorschlag E: kein Sitz.
59
Dafür ergibt sich hier jedoch eine andere Erfolgswertungleichheit, da den 700 für den Wahlvorschlag E abgegebenen Stimmen überhaupt kein Erfolgswert zukommt. Außerdem entfallen auf den Wahlvorschlag A bei 52 v. H. der abgegebenen Stimmen rd. 57 v. H. der zu vergebenden Sitze. Bei der Verteilung nach dem Hare’schen Verfahren entspricht dagegen das Verhältnis der Sitze mit 52,38 v. H. fast genau dem Verhältnis der erhaltenen Stimmen von 52 v. H.
60
Solche systemimmanenten Abweichungen vom Prinzip der Erfolgswertgleichheit sind, wie die angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, verfassungsrechtlich nie beanstandet worden, obwohl sich die Frage ihrer Zulässigkeit für das d’Hondt’sche System in zahlreichen Verfahren und in dem Beschluß vom 11. Oktober 1972 (BVerfGE 34, 81) auch für das System Hare gestellt hat. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit von Abweichungen vom Grundsatz der Erfolgswertgleichheit beziehen sich ausschließlich auf systemfremde Differenzierungen. Sie lassen sich daher für die verfassungsrechtliche Bewertung systemimmanenter Abweichungen nicht ohne weiteres heranziehen. Denn es bedarf besonderer Rechtfertigung, wenn eine nach einem Verhältniswahlsystem mögliche Erfolgswertgleichheit dadurch korrigiert wird, daß die Sitze nicht nach dem Verhältnis der Stimmen verteilt werden, und es ist wegen der darin liegenden Abweichung vom Grundsatz der Wahlgleichheit geboten, in einem solchen Fall besonders strenge Anforderungen zu stellen. Ist dagegen nur zu entscheiden, welche der systemimmanenten Abweichungen von der Erfolgswertgleichheit hingenommen werden sollen, so steht der Gesetzgeber nicht vor der Frage, ob solche Abweichungen unter dem Gesichtspunkt der Wahlgleichheit verfassungsrechtlich zulässig sind. Denn sie sind unabhängig davon, für welches Verfahren man sich entscheidet, mit jedem Verhältniswahlsystem zwangsläufig verbunden. Der Gesetzgeber hat vielmehr zu entscheiden, in welcher Richtung er eine unvermeidbare Abweichung in Kauf nehmen will. Für diese Entscheidung sind ihm verfassungsrechtliche Grenzen nicht gesetzt. Wenn das Bundesverfassungsgericht bei systemfremden Durchbrechungen der Erfolgswertgleichheit klar abgrenzbare Kriterien fordert, so läßt sich dies jedenfalls auf die Beurteilung systemimmanenter Abweichungen von der Erfolgswertgleichheit nicht übertragen. Das zeigt sich an den systemimmanenten Abweichungen vom Prinzip der Erfolgswertgleichheit, die sich nach dem verfassungsrechtlich nicht beanstandeten d’Hondt’schen Verfahren ergeben. Zur Erläuterung mag das folgende Beispiel dienen:
61
Bei 21 zu vergebenden Sitzen entfallen von 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 12 560
Wahlvorschlag B: 7 000
Wahlvorschlag C: 3 050
Wahlvorschlag D: 2 390.
62
Nach dem d’Hondt’schen Verfahren erhalten
Wahlvorschlag A: 11 Sitze
Wahlvorschlag B: 6 Sitze
Wahlvorschlag C: 2 Sitze
Wahlvorschlag D: 2 Sitze.
63
Wandelt man dieses Beispiel dahin ab, daß der Wahlvorschlag D 254 Stimmen weniger erhält, die stattdessen zusätzlich auf den Wahlvorschlag A entfallen, so würde diese Stimmenverschiebung die Verteilung der Sitze unberührt lassen.
64
Diese 254 Stimmen in dem vorstehenden Beispiel haben somit weder für den Wahlvorschlag A noch für den Wahlvorschlag D einen Erfolgswert. Sie sind aber auch nicht klar abgrenzbar. Die Wähler, die für den Wahlvorschlag D gestimmt haben, wußten in diesem Fall weder vorher, ob gerade ihre Stimme Erfolgswert haben würde, noch ist für sie nachträglich erkennbar, ob ihre Stimme zu denen gehört, denen Erfolgswert zukam, oder zu den anderen 254 Stimmen, die auf den Erfolg keinen Einfluß hatten.
65
Nach alledem sind klar abgrenzbare Kriterien für Differenzierungen des Erfolgswertes kein Maßstab, an dem die unterschiedlichen Systeme der Verhältniswahl gemessen werden können. Denn an solchen Kriterien fehlt es allen Systemen, soweit sie immanent von der Erfolgswertgleichheit abweichen.
66
2. Auch soweit § 36 Abs. 2 NKWG die Verteilung von Restmandaten regelt, handelt es sich nicht um systemfremde Differenzierungen des Erfolgswertes.
67
Eine Verteilung der Restsitze nach den gleichen Grundsätzen, wie sie gemäß § 36 Abs. 2 NKWG für die Verteilung der auf ganze Zahlen entfallenden Sitze gelten, ist nicht möglich. Denn bei einer Multiplikation der nicht verbrauchten Stimmenreste der einzelnen Wahlvorschläge mit der Zahl der noch zu vergebenden Restsitze und Teilung des Ergebnisses durch die Gesamtzahl aller Reststimmen würde das Ergebnis genau den Bruchzahlen entsprechen, die nach der Verteilung der auf die ganzen Zahlen entfallenden Sitze verbleiben. Bei dem Hare’schen Verfahren muß daher zwangsläufig für die Verteilung der Reststimmen eine andere Berechnungsmethode angewendet werden als für die Verteilung der Sitze auf ganze Zahlen. Die in § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG gewählte Methode wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht nur dann zu beanstanden, wenn sie sich als Durchbrechung des Verhältniswahlsystems darstellen oder sonst in unzulässiger Weise den Grundsatz der Erfolgswertgleichheit verletzen würde.
68
Nach d’Hondts Ansicht (vgl. Cahn aaO S. 314) enthält das Hare’sche System, soweit es die Verteilung der Restsitze nach den größten Zahlenbruchteilen vorsieht, eine versehentliche Anwendung der Prinzipien der alten Majoritätswahl auf das Verhältniswahlsystem. Er sieht in der Zuweisung der Restmandate an die Gruppen mit den größten Bruchteilen eine willkürliche, dem alten Mehrheitswahlsystem entlehnte Methode. Dem ist entgegenzuhalten, daß überwiegend nicht nur ein Restmandat, sondern mehrere zu verteilen sind. Das Restverteilungsschema des § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG entspricht daher allenfalls einem Zweier- oder Dreierwahlkreissystem. Ob das Dreierwahlkreissystem dem Mehrheits- oder dem Verhältniswahlsystem zugerechnet werden muß, ist umstritten (Nachweise bei Hans Meyer, Wahlsystem und Verfassungsordnung, 1973, S. 188; siehe auch Vogel-Nohlen, Wahlen in Deutschland, 1971, S. 37; ferner Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Auflage 1976, S. 18 f. und 26, der die Wahlen in Dreierwahlkreisen dem Verhältniswahlsystem zurechnet). Die Auffassung, daß es sich bei dem Dreierwahlkreissystem um eine Mehrheitswahl handelt, kann aber nur darauf gestützt werden, daß dieses System mit abgeschlossenen Wahlkreisen arbeitet (vgl. Hans Meyer aaO). Das ist aber nach der in den § 36, 37 NKWG festgelegten Regelung gerade nicht der Fall, da die Verteilung der Restsitze hier einheitlich für das gesamte Wahlgebiet nach dem Verhältnis der Zahlenbruchteile erfolgt. Dieser Regelung liegt somit ein Verhältnissystem zugrunde; sie ist daher keine systemfremde Differenzierung.
69
Für die Verteilung der Reststimmen wären zwar auch andere Verhältnissysteme denkbar. In Betracht käme beispielsweise das Restteilungsverfahren, bei dem die Reststimmen nach dem d’Hondt’schen System verteilt werden (Vogel-Nohlen aaO, S. 52). Die Auswirkungen dieses Verfahrens werden am folgenden Beispiel ersichtlich:
70
Bei 21 zu vergebenden Sitzen entfallen von den 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 9 514
Wahlvorschlag B: 8 313
Wahlvorschlag C: 3 872
Wahlvorschlag D: 2 721
Wahlvorschlag E: 580.
71
Nach der Verteilung der auf ganze Zahlen entfallenden Sitze gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 und 2 NKWG verbleiben hier 3 Restsitze. Davon würden nach dem Restteilungsverfahren auf den Wahlvorschlag A 2 Sitze und auf den Wahlvorschlag B 1 Sitz entfallen. Bei der Verteilung der Restsitze nach § 36 Abs. 2 Satz 3 erhalten dagegen die Wahlvorschläge A, B und E jeweils einen (weiteren) Sitz. Nach dem Restteilungsverfahren würde also der Wahlvorschlag A zu Lasten des Wahlvorschlages E einen Sitz mehr erhalten.
72
Für die Verteilung der Restsitze käme ferner ein modifiziertes Restteilungsverfahren nach d’Hondt in Betracht, bei dem die Reststimmen jeweils durch die um eins erhöhte Zahl der bereits zugeteilten Sitze dividiert werden und die restlichen Sitze auf die höchsten Quotienten entfallen. Dieses Verfahren würde in dem vorstehenden Beispiel zu dem gleichen Ergebnis führen wie die Verteilung der Restsitze nach § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG.
73
Bei der Entscheidung darüber, nach welchem dieser möglichen Verfahren die Restsitze verteilt werden sollen, unterliegt der Gesetzgeber keinen verfassungsrechtlichen Beschränkungen. Eine Beschränkung läßt sich insbesondere nicht aus dem Gebot der Wahlgleichheit in Art. 44 Abs. 2 LV herleiten. Denn unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswertgleichheit führt das Restteilungsverfahren nach d’Hondt, bei dessen Anwendung in dem vorstehenden Beispiel auf den Wahlvorschlag A 9 Sitze entfallen würden, obwohl der Quotient mit 7,9917 unter der Zahl 8 liegt, nicht zu einer proportional genaueren Berücksichtigung des Stimmenverhältnisses als die Verteilung nach § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG oder als ein Restteilungsverfahren nach der modifizierten Methode d’Hondt, bei denen die Zahl der möglichen Sitze durch die nächsthöhere ganze Zahl begrenzt wird. Nach alledem kann das System der Reststimmenverteilung, für das sich der Gesetzgeber in § 36 Abs. 2 Satz 3 entschieden hat, nicht als systemwidriger Obergang zum Mehrheitswahlsystem gewertet werden, da es zu einem systemimmanent errechneten Ergebnis führt. Die Verteilung der Restsitze erfolgt damit innerhalb eines Verhältniswahlsystems.
74
3. Das Verteilungsverfahren nach § 36 Abs. 2 NKWG kann zwar in Grenzfällen zu dem Ergebnis führen, daß eine Partei, auf welche die absolute Mehrheit der Stimmen entfallen ist, dennoch nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhält. Während nach dem Hare’schen Verfahren innerhalb eines begrenzten Bereichs nicht auszuschließen ist, daß eine Partei, welche die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hat, nicht auch die absolute Mehrheit der Sitze bekommt, besteht nach dem Verfahren d’Hondt innerhalb eines größeren Bereichs die Möglichkeit, daß eine Partei, ohne daß auf sie die absolute Mehrheit der Stimmen entfallen ist, dennoch die absolute Mehrheit der Sitze erhält. Diese Möglichkeit ist zwar auch bei der Verteilung nach dem Hare’schen Verfahren nicht völlig ausgeschlossen, sie ergibt sich dort aber wesentlich seltener, wie an folgenden Beispielen ersichtlich wird:
75
Bei 21 zu vergebenden Mandaten entfallen von den 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 12 560 = 50,24 %
Wahlvorschlag B: 7 000
Wahlvorschlag C: 3 050
Wahlvorschlag D: 2 390.
76
Bei einer Verteilung nach § 36 Abs. 2 NKWG erhält der Wahlvorschlag A 10 Sitze, der Wahlvorschlag B 6, der Wahlvorschlag C 3 und der Wahlvorschlag D 2 Sitze. Auf den Wahlvorschlag A würde danach trotz absoluter Stimmenmehrheit nicht die Mehrheit der Mandate entfallen.
77
Der umgekehrte Effekt ergibt sich für das d’Hondt’sche Verfahren für den Fall, daß sich bei 21 zu vergebenden Mandaten die 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen wie folgt verteilen:
Wahlvorschlag A: 12 460 = 49,84 %
Wahlvorschlag B : 6 300
Wahlvorschlag C: 3 050
Wahlvorschlag D: 2 390
Wahlvorschlag E: 800.
78
Es entfallen dann auf den Wahlvorschlag A 11 Sitze, den Wahlvorschlag B 6, den Wahlvorschlag C 2, den Wahlvorschlag D ebenfalls 2 und auf den Wahlvorschlag E kein Sitz. Somit erhält der Wahlvorschlag A, obwohl auf ihn nicht die absolute Mehrheit der Stimmen entfallen ist, dennoch die absolute Mehrheit der Sitze. Dieses Ergebnis würde bei einer Verteilung nach § 36 Abs. 2 NKWG vermieden. Danach würden auf den Wahlvorschlag A 10 Sitze, den Wahlvorschlag B 5, den Wahlvorschlag C 3, den Wahlvorschlag D 2 und den Wahlvorschlag E 1 Sitz entfallen.
79
Indessen kann in Grenzfällen auch die Verteilung nach dem Hare’schen Verfahren zu einer absoluten Mehrheit der Sitze ohne absolute Stimmenmehrheit führen, wie folgendes Beispiel zeigt:
80
Bei 21 zu vergebenden Mandaten entfallen von den 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 12 203
Wahlvorschlag B: 9 821
Wahlvorschlag C: 2 679
Wahlvorschlag D: 297.
81
Danach entfallen auf den Wahlvorschlag A 11 Sitze, den Wahlvorschlag B 8, den Wahlvorschlag C 2 und den Wahlvorschlag D kein Sitz.
82
Damit ist der Grenzpunkt aufgezeigt, bis zu dem es bei einer Verteilung der Sitze nach § 36 Abs. 2 NKWG möglich ist, daß eine Partei ohne die absolute Mehrheit der Stimmen dennoch die absolute Mehrheit der Sitze erhalten kann. Hätte in dem vorstehenden Beispiel der Wahlvorschlag A nur eine Stimme weniger erhalten und an einen der anderen Wahlvorschläge abgegeben, so würden auf ihn nur 10 Sitze entfallen. Der Grenzpunkt liegt daher in dem Beispielsfall bei 48,812 %.
83
Bei Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens kann diese Disproportionalität dagegen noch bei einem Stimmenanteil von 45,84 % eintreten, wenn sich beispielsweise bei 21 zu vergebenden Mandaten die 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen wie folgt verteilen:
Wahlvorschlag A: 11 460
Wahlvorschlag B: 9 376
Wahlvorschlag C: 3 124
Wahlvorschlag D: 1 040.
84
Es würden dann auf den Wahlvorschlag A 11 Sitze, den Wahlvorschlag B 8, den Wahlvorschlag C 2 und den Wahlvorschlag D kein Sitz entfallen.
85
Bei einer Verteilung nach dem Hare’schen Verfahren würde dagegen der Wahlvorschlag A zugunsten des Wahlvorschlags D, auf den dann 1 Sitz entfiele, nur 10 Sitze erhalten.
86
Der Fall, daß eine Partei die absolute Mehrheit der Sitze erhält, ohne die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht zu haben, kann hiernach beim Verfahren d’Hondt wesentlich häufiger auftreten als bei dem Hare’schen Verfahren, bei welchem sich die Möglichkeit einer solchen Disproportionalität in wesentlich engeren Grenzen hält.
87
Anhand der vorstehenden Beispiele wird deutlich, daß beide Verfahren mit Nachteilen behaftet sind, die sich aus dem jeweiligen System zwangsläufig ergeben und daher nur durch Rückgriffe auf ein anderes Verteilungssystem korrigiert werden könnten. Es läßt sich auch nicht sagen, daß die Vorteile des einen oder des anderen Verfahrens ganz augenscheinlich gegenüber den jeweiligen systemimmanenten Nachteilen überwiegen. Der Staatsgerichtshof ist daher der Auffassung, daß es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen bleibt, welche der mit beiden Verfahren verbundenen Nachteile er in Kauf nehmen will. Er hält § 36 Abs. 2 NKWG, der dem System Hare folgt, für verfassungsmäßig.
88
4. An der Verfassungsmäßigkeit der in § 36 NKWG getroffenen Regelung der Sitzverteilung ändert es nichts, daß der niedersächsische Gesetzgeber in Abs. 3 das Hare’sche System modifiziert hat. Auch § 36 Abs. 3 NKWG verletzt nicht den Grundsatz der Wahlgleichheit.
89
a) Die Frage, ob durch diese Vorschrift die Erfolgswertgleichheit in unzulässiger Weise eingeschränkt wird, läßt sich nur anhand der Ergebnisse beurteilen, zu denen ihre Anwendung führt.
90
Durch die in Frage stehende Regelung soll die bei Verteilung der Sitze nach § 36 Abs. 2 NKWG in relativ seltenen Grenzfällen mögliche Disproportionalität ausgeglichen werden, daß ein Wahlvorschlag trotz absoluter Mehrheit der Stimmen nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhält. In dem bereits angeführten Beispiel, wonach bei 21 zu vergebenden Sitzen und 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den Wahlvorschlag A 12 560, den Wahlvorschlag B 7 000, den Wahlvorschlag C 3 050 und den Wahlvorschlag D 2 390 Stimmen entfallen, wird diese Korrektur dadurch erreicht, daß der Wahlvorschlag A, auf den 50,24 % der gültigen Stimmen entfallen sind, nunmehr auch mit 11 Sitzen die absolute Mehrheit der Mandate erhält. Dabei geht der 11. Sitz zu Lasten des Wahlvorschlages C, auf den jetzt nur noch 2 Sitze entfallen.
91
Diese Korrektur zugunsten des Wahlvorschlages A führt zwar zu Disproportionen an anderer Stelle, da das Verhältnis der Sitze zu den Stimmen für den Wahlvorschlag C jetzt 1:1525 gegenüber 1:1017 bei einer Verteilung nach § 36 Abs. 2 NKWG beträgt. Verfassungsrechtliche Bedenken lassen sich aber aus dieser Korrektur der Proportionen zu Lasten des Wahlvorschlages C schon deshalb nicht herleiten, weil auch eine Verteilung der Sitze nach dem d’Hondt’schen Verfahren zu dem gleichen Ergebnis führen würde. Auch nach diesem als verfassungsgemäß anerkannten Verfahren würde sich also dieselbe Disproportion zu Lasten des Wahlvorschlages C ergeben.
92
Größere Disproportionen gegenüber dem Verfahren nach d’Hondt treten auch dann nicht auf, wenn kleinere Gruppen beteiligt sind, die wegen ihrer geringen Stimmenzahl nach diesem Verfahren nicht zum Zuge kommen würden, während sie bei dem Verteilungsverfahren nach § 36 Abs. 2 und 3 NKWG noch einen Sitz erhalten. Dies wird am folgenden Beispiel deutlich: Bei 21 zu vergebenden Mandaten entfallen von den 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 12 560 = 50,24 %
Wahlvorschlag B: 6 300
Wahlvorschlag C: 3 050
Wahlvorschlag D: 2 390
Wahlvorschlag E: 700.
93
Nach § 36 Abs. 2 und 3 NKWG erhalten der Wahlvorschlag A 11 Sitze, der Wahlvorschlag B 5, der Wahlvorschlag C 2, der Wahlvorschlag D ebenfalls 2 und der Wahlvorschlag E 1 Sitz. Die durch Abs. 3 erfolgte Korrektur, die erst dem Wahlvorschlag A zur absoluten Mehrheit der Sitze verhilft, geht hier ebenfalls zu Lasten des Wahlvorschlages C, der den zweithöchsten Zahlenbruchteil erreicht hat. Bei einer Verteilung nach dem d’Hondt’schen Verfahren würden sich in diesem Beispielsfall für den Wahlvorschlag A 11 Sitze, den Wahlvorschlag B 6, den Wahlvorschlag C 2, den Wahlvorschlag D ebenfalls 2 und den Wahlvorschlag E kein Sitz ergeben. Die Zahl der Sitze für die Wahlvorschläge A und C würden auch hier mit dem Ergebnis nach § 36 Abs. 2 und 3 NKWG übereinstimmen. Die Abweichungen hinsichtlich der Wahlvorschläge B und E beruhen dagegen nicht auf der Korrektur durch § 36 Abs. 3 NKWG, sondern auf der Verteilung nach Abs. 2, bei der anders als bei dem d’Hondt’schen Verfahren auch Wahlvorschläge mit einem verhältnismäßig geringen Stimmenanteil noch berücksichtigt werden.
94
Das Wahlsystem des § 36 Abs. 2 und 3 NKWG schließt hiernach den Mangel des d’Hondt’schen Verfahrens, daß ein Wahlvorschlag, welcher die absolute Mehrheit der Stimmen nicht erreicht hat, die absolute Mehrheit der Sitze erhält, weitgehend aus und vermeidet zugleich den Mangel des Hare’schen Verfahrens, wonach in bestimmten Grenzfällen ein Wahlvorschlag trotz absoluter Mehrheit der Stimmen nicht die absolute Mehrheit der Sitze bekommt. Dieses Ergebnis läßt sich nur erreichen, wenn eine Disproportion an anderer Stelle (in den angeführten Beispielsfällen zu Lasten des Wahlvorschlages C in Kauf genommen wird. Da, wie gezeigt, das d’Hondt’sche Verfahren keine absolute Erfolgswertgleichheit zu gewährleisten vermag, aber trotzdem als verfassungskonform gilt, ist die Regelung des § 36 Abs. 3 NKWG unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswertgleichheit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
95
b) Die Vorschrift des § 36 Abs. 3 NKWG enthält entgegen der Auffassung der Antragsteller auch keinen die Wahlgleichheit verletzenden Systembruch.
96
Zwar verdrängt die dort getroffene Regelung die Berechnung nach der Proportion der Zahlenbruchteile und stellt stattdessen auf das Verhältnis der auf den erfolgreichsten Wahlvorschlag entfallenen Stimmen zu den auf ihn entfallenden Sitzen ab. Dies ist jedoch kein verfassungswidriger Systembruch. Selbst die Übernahme von Elementen eines fremden Wahlsystems hat das Bundesverfassungsgericht nur dann beanstandet, wenn diese Elemente der Grundstruktur des Systems, für das sich der Gesetzgeber prinzipiell entschieden hat, fremd sind (BVerfGE 11, 351, 362). In der genannten Entscheidung ist unter dem Gesichtspunkt der Systemfremdheit die Übernahme von Elementen der Mehrheitswahl in ein Verhältniswahlsystem mit der Begründung mißbilligt worden, daß ein Gesetzgeber, der sich für die Verhältniswahl entschieden habe, damit dem prinzipiellen Gebot der Erfolgswertgleichheit unterliege. Daraus ist zu schließen, daß bei einem Verhältniswahlsystem ein verfassungswidriger Systembruch nur dann vorliegt, wenn er zu einer vermeidbaren Erfolgswertungleichheit führt. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn bei der Regelung des § 36 Abs. 3 NKWG geht es nicht darum, die Erfolgswertgleichheit in vermeidbarer Weise aufzuheben oder einzuschränken, sondern um die Abwägung der Vor- und Nachteile von unvermeidbaren Erfolgswertungleichheiten. Der Gesetzgeber hatte bei seiner Entscheidung, ob er das Hare’sche Verfahren übernehmen wollte, darüber zu befinden, ob das nach diesem Verfahren nicht auszuschließende Ergebnis und die darin liegende Erfolgswertungleichheit in Kauf genommen werden sollten, daß ein Wahlvorschlag trotz absoluter Mehrheit der Stimmen nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhält, oder ob dieser Mangel dadurch vermieden werden sollte, daß in diesen Fällen der Wahlvorschlag, auf den die absolute Mehrheit der Stimmen entfallen ist, zu Lasten eines anderen Wahlvorschlages einen zusätzlichen Sitz erhält. Eine solche Abwägung unvermeidbarer Ungleichheiten ist von der Sache her geboten. Die Entscheidung für den einen oder anderen Weg ist nicht deshalb verfassungskonform, weil sie systemgerecht ist, und nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie das System durchbricht. Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung der gesetzgeberischen Entscheidung kann nicht die starre Konsequenz sein, mit der ein bestimmtes Wahlsystem durchgehalten wird, sondern nur, ob die Entscheidung von vernünftigen, sachgerechten und nicht willkürlichen Erwägungen getragen ist. Das trifft auf die Entscheidung des Gesetzgebers, dem Wahlvorschlag, welcher die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hat, auch die absolute Mehrheit der Sitze zu geben, aber zu. Da dieses Ziel nur zu Lasten eines anderen Wahlvorschlages zu erreichen war, der ohne diese Regelung aufgrund der Verteilung nach § 36 Abs. 2 Satz 3 NKWG einen (weiteren) Sitz erhalten hätte, hält sich diese auf Ausnahmefälle beschränkte, dem Demokratiegebot Rechnung tragende Korrektur in den Grenzen, innerhalb derer Abweichungen vom prinzipiellen Wahlsystem, die der Vermeidung anderer Disproportionen dienen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.
97
c) Auch aus dem von den Antragstellern geltend gemachten Gesichtspunkt, § 36 Abs. 3 NKWG bilde keine klar abgrenzbaren Kategorien von Wählerstimmen, läßt sich nicht die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung herleiten. Dem Kriterium der klar abgrenzbaren Kategorien kommt, wie oben ausgeführt, eine eigene verfassungsrechtliche Bedeutung nur dann zu, wenn es darum geht, eine Durchbrechung des Verhältniswahlsystems in Richtung der Mehrheitswahl auf ihre Zulässigkeit zu prüfen, also etwa Sperrklauseln oder das Erfordernis einer bestimmten Zahl von Unterschriften für einen Wahlvorschlag. In § 36 Abs. 3 geht es dagegen um Korrekturen innerhalb der Verhältniswahl. Bei solchen Korrekturen ist für die Forderung nach klar abgrenzbaren Kategorien von Wählerstimmen kein Raum. Bei einem Verfahren, durch welches etwa das nach d’Hondt mögliche Ergebnis korrigiert wird, daß ein Wahlvorschlag ohne die absolute Mehrheit der Stimmen dennoch die absolute Mehrheit der Sitze erhält, ließe sich beispielsweise ebenfalls nicht sagen, welche der für diesen Wahlvorschlag abgegebenen Stimmen nicht gezählt werden, um das gewünschte Ergebnis – nämlich die Vermeidung der absoluten Mehrheit der Sitze – zu erreichen. Dennoch steht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Systems außer Zweifel, mit dem sich dieses nach d’Hondt unvermeidbare Ergebnis ausschließen ließe, etwa dadurch, daß die Verteilung der Sitze nach dem Hare’schen Verfahren erfolgt oder daß beide Verfahren kombiniert werden, um die unterschiedlichen systemimmanenten Schwächen dieser Verfahren aufzuheben oder zu mildern. Auch bei solchen Korrekturen ist es für den Wähler nicht erkennbar, ob gerade seine Stimme zum Erwerb eines Mandats beigetragen und daher den gleichen Erfolgswert wie die anderen Stimmen gehabt hat. Solche Ungewißheiten ergeben sich im übrigen sogar bei Anwendung des unkorrigierten Verfahrens nach d’Hondt, da auch in diesem Fall für den Wähler nicht erkennbar wird, ob seine Stimme für die Zuteilung eines (weiteren) Sitzes mit ausschlaggebend gewesen ist. Dabei handelt es sich um eine zwangsläufige Folge der systemimmanenten und daher unvermeidbaren Erfolgswertungleichheit innerhalb der Verhältniswahl; sie ist deshalb ebenso wenig vermeidbar wie diese Ungleichheit selbst.
98
Daß sich die mit der Anwendung des § 36 Abs. 3 NKWG verbundene Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit grundsätzlich auch bei Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens ergeben kann, zeigen die oben unter 2. gebrachten Beispiele. Dieses Verfahren erweckt nur deshalb den Anschein, daß die Erfolgswertgleichheit sämtlicher Stimmen gewährleistet sei, weil dort die Verteilung der Sitze ohne Systemwechsel erfolgt. In Wahrheit sind jedoch Ungleichheiten, wie sie die Antragsteller bezüglich des Verfahrens nach § 36 Abs. 3 NKWG beanstanden, in dem d’Hondt’schen System selbst enthalten.
99
Es trifft schließlich auch nicht zu, daß nach § 36 Abs. 3 NKWG Wählerstimmen einer Partei doppelt gezählt werden. Es wird vielmehr das Ergebnis der Verteilung nach Abs. 2 Satz 3 NKWG nur so korrigiert, daß die Partei, welche die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht hat, auch die absolute Mehrheit der Sitze erhält. Bei dieser Berechnung wird jede Stimme nur einmal gezählt. Der Anschein einer doppelten Zählung eines Teils der Stimmen entsteht lediglich dadurch, daß zwischen der Berechnung nach § 36 Abs. 2 und nach Abs. 3 NKWG ein Wechsel stattfindet.
100
d) Die nach § 36 Abs. 3 NKWG vorzunehmende Korrektur beschränkt sich auf die Fälle, in denen _ein_Wahlvorschlag trotz absoluter Mehrheit der Stimmen sonst nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhalten würde. Für den Fall, daß zwei Wahlvorschläge zusammen trotz absoluter Mehrheit der auf sie entfallenen Stimmen nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhalten, ist eine solche Korrektur dagegen nicht vorgesehen. Diesen Gruppen wäre es deshalb, obwohl sie zusammen die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben, nicht möglich, eine Mehrheitskoalition zu bilden. Auch hierin liegt jedoch keine Verletzung der Wahlgleichheit.
101
Vorab ist zu dieser Frage zu bemerken, daß sich auch nach dem d’Hondt’schen Verfahren eine solche Benachteiligung von Gruppen, die zu koalieren beabsichtigen und auf die zusammen die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entfallen ist, ergeben kann, ohne daß dieses Ergebnis als verfassungswidrig angesehen wird. Denn auch hier ist nicht gewährleistet, daß auf diese Gruppen stets die absolute Mehrheit der Sitze entfällt, wie folgendes Beispiel zeigt:
102
Bei 21 zu vergebenden Sitzen entfallen von den 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 12 460
Wahlvorschlag B: 10 400
Wahlvorschlag C: 2 140.
103
Obwohl hier auf die Wahlvorschläge B und C zusammen 50,16 % der Stimmen entfallen sind, erhalten sie nach d’Hondt (9 + 1) nur 10 von insgesamt 21 Sitzen.
104
Im übrigen ist die Beschränkung des § 36 Abs. 3 NKWG auf den Fall, daß ein Wahlvorschlag die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat, unter dem Gesichtspunkt der Wahlgleichheit auch deshalb nicht zu beanstanden, weil die Einbeziehung mehrerer Gruppen in diese Regelung den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verletzen würde. Denn in diesem Fall wäre nicht auszuschließen, daß das Wahlergebnis davon abhängen würde, aus welchen von mehreren denkbaren Gruppierungen sich die Koalition zusammensetzt, wie aus folgendem Beispiel ersichtlich wird:
105
Bei 21 zu vergebenden Sitzen entfallen von den 25 000 abgegebenen gültigen Stimmen auf den
Wahlvorschlag A: 8 600
Wahlvorschlag B: 8 400
Wahlvorschlag C: 4 170
Wahlvorschlag D: 3 095
Wahlvorschlag E: 735.
106
Bei der Verteilung nach § 36 Abs. 2 NKWG entfallen danach auf den Wahlvorschlag A 7 Sitze, den Wahlvorschlag B 7, den Wahlvorschlag C 3, den Wahlvorschlag DP ebenfalls 3 und auf den Wahlvorschlag E 1 Sitz. Die Wahlvorschläge A und C haben zusammen 51,08 % und die Wahlvorschläge B und C zusammen 50,28 % der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten. Die Partei C könnte daher, sofern auch in diesen Fällen die Regelung des § 36 Abs. 3 eingreifen würde, sowohl mit der Partei A als auch mit der Partei B eine Mehrheitskoalition bilden. Von ihrer Entscheidung für die eine oder die andere Partei würde es dann abhängen, welchem Wahlvorschlag zu Lasten des Wahlvorschlages D mit der zweithöchsten Zahl von Reststimmen der für die absolute Mehrheit benötigte Sitz zuzuteilen wäre. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verbietet jedoch, daß das Wahlergebnis von einer anderen Willensentscheidung als der der Wähler abhängt. Deshalb ist es nicht möglich, die Regelung des § 36 Abs. 3 auch auf Koalitionen auszudehnen. Die aufgezeigten unterschiedlichen Folgen schließen vielmehr eine Gleichbehandlung aus.
107
Bei Anwendung des d’Hondt’schen Verfahrens würden in dem letzten Beispiel auf den Wahlvorschlag A 8 Sitze, den Wahlvorschlag B ebenfalls 8, den Wahlvorschlag C 3, den Wahlvorschlag D 2 und auf den Wahlvorschlag E kein Sitz entfallen. Danach würde eine Koalition sowohl der Gruppen A und C als auch der Gruppen B und C über die Mehrheit der Sitze verfügen. Diese Verteilung geht hier jedoch zu Lasten der Wahlvorschläge D und E und bestätigt die Erkenntnis, daß das d’Hondt’sche Verfahren grundsätzlich die Gruppen mit den geringsten Stimmenanteilen benachteiligt. Wenn dieses Ergebnis durch die Entscheidung für das Verfahren nach § 36 Abs. 2 NKWG vermieden werden soll – eine Entscheidung, die, wie oben dargelegt, innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt –, so ist es nicht möglich, zugleich auch einer Koalition, welche die absolute Mehrheit der Stimmen nur knapp erreicht hat, in jedem Fall auch die absolute Mehrheit der Sitze zu gewährleisten. Dieser Zielkonflikt kann nur in dem einen oder anderen Sinne entschieden werden. Keine der möglichen Entscheidungen ist unvernünftig, sachfremd oder willkürlich. Daher ist die Entscheidung nicht verfassungsrechtlich vorbestimmt, sondern der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen.
108
5. Bei dem Verfahren der Sitzverteilung nach § 36 Abs. 2 NKWG kann es vorkommen, daß eine Gruppe nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhält, obwohl auf sie mehr Stimmen entfallen sind als auf die übrigen in der Wahlkörperschaft vertretenen Gruppen zusammen. Auch hierin liegt jedoch kein Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze.
109
Zur Erläuterung dieser Auswirkungen mag das Ergebnis der Kommunalwahl vom 3. Oktober 1976 in der kreisfreien Stadt Braunschweig dienen. Dort waren 57 Sitze zu vergeben. Von den 178 087 abgegebenen gültigen Stimmen entfielen auf die
SPD: 88 898
CDU: 73 570
FDP: 14 166
DKP: 956
KBW: 497.
110
Aufgrund der Verteilung nach d’Hondt erhielten die SPD 29 Sitze, die CDU 24 und die FDP 4 Sitze, während auf die DKP und den KBW keine Sitze entfielen. Die SPD, auf welche die Mehrheit der insgesamt für die im Rat der Stadt Braunschweig vertretenen Parteien abgegebenen Stimmen entfallen ist, hat danach auch die absolute Mehrheit der Sitze erhalten.
111
Bei einer Verteilung der Sitze nach § 36 Abs. 2 NKWG wären dagegen auf die SPD 28 Sitze, die CDU 24 und die FDP 5 Sitze entfallen, während die DKP und der KBW ebenfalls keinen Sitz erhalten hätten. Trotz ihrer Stimmenmehrheit gegenüber den auf die CDU und die FDP entfallenen Stimmen hätte die SPD in diesem Fall nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhalten. Eine Korrektur nach § 36 Abs. 3 NKWG würde nicht stattfinden, da auf die SPD mit 49,9 % nicht die absolute Mehrheit aller abgegebenen Stimmen entfallen ist.
112
Dieses Beispiel zeigt zwar, daß die Verteilung der Sitze nach dem d’Hondt’schen Verfahren dem Verhältnis der Stimmen, die auf die in der Wahlkörperschaft vertretenen Parteien entfallen sind, genauer entspricht. Dieser Umstand gibt aber keinen Anlaß, das Verfahren nach § 36 Abs. 2 NKWG als verfassungswidrig zu verwerfen, da den diesem Verfahren immanenten Nachteilen andererseits Vorzüge gegenüber dem Verfahren nach d’Hondt gegenüberstehen. Dies wird erkennbar, wenn man das vorstehende Beispiel geringfügig dahin abwandelt, daß sich die 178 087 abgegebenen gültigen Stimmen wie folgt verteilen:
SPD: 87 564
CDU: 74 000
FDP: 15 070
DKP: 956
KBW: 497.
113
Nach § 36 Abs. 2 NKWG würden in diesem Fall die SPD 28 Sitze, die CDU 24, die FDP 5 Sitze und die DKP sowie der KBW keinen Sitz erhalten. Nach d’Hondt würden dagegen auf die SPD 29 Sitze, die CDU 24, die FDP 4 Sitze und auf die beiden übrigen Gruppen ebenfalls kein Sitz entfallen. Bei der Verteilung nach d’Hondt erhielte die SPD somit die absolute Mehrheit der Sitze, obwohl auf sie nicht die Mehrheit der insgesamt für die im Rat vertretenen Parteien abgegebenen Stimmen entfallen würde. Dieses Ergebnis ist ebensowenig sachgerecht wie der umgekehrte Fall, daß eine Partei trotz einer Stimmenmehrheit im Verhältnis zu den übrigen in der Wahlkörperschaft vertretenen Parteien nicht die absolute Mehrheit der Sitze erhält. § 36 Abs. 2 NKWG vermeidet es deshalb mit gutem Grund. Beide Verfahren weisen mithin Vor- und Nachteile auch hier auf.
114
Als unangemessen könnte das Ergebnis der Verteilung nach § 36 Abs. 2 NKWG in dem Beispielsfall der Kommunalwahl vom 3. Oktober 1976 in der kreisfreien Stadt Braunschweig allenfalls dann angesehen werden, wenn es dort zu einer Koalition zwischen der CDU und der FDP kommen würde. Diese Koalition hätte dann nämlich die absolute Mehrheit der Sitze, obwohl auf die sie bildenden Parteien zusammen weniger Stimmen als auf die SPD entfallen sind. Wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Wahl darf jedoch, wie oben bereits ausgeführt, die Anwendung des der Übereinstimmung von absoluter Stimmen- und Sitzmehrheit dienenden § 36 Abs. 3 NKWG nicht von der Entscheidung einer Partei darüber abhängig gemacht werden, mit welcher anderen Partei sie koalieren will. Es ist daher kein unzulässiger Verstoß gegen die Wahlgleichheit, wenn § 36 Abs. 3 auf die Fälle beschränkt bleibt, in denen seine Anwendung den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nicht berührt.
115
Es ist auch nicht unvertretbar, einer Partei, welche nicht die absolute Mehrheit aller abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat, auch die absolute Mehrheit der Sitze zu versagen. Die Frage, ob er sich für ein solches Verfahren entscheiden will, liegt vielmehr innerhalb des Gestaltungsbereichs, der dem Gesetzgeber nach der Verfassung eingeräumt ist.
116
6. Auch die weiteren verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragsteller gegen § 36 Abs. 3 NKWG greifen nicht durch.
117
a) Die angegriffene Vorschrift verstößt entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit des Zählwertes. Die Zählwertgleichheit ist zwar eine unabdingbare Voraussetzung der Wahlgleichheit. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz liegt aber nur dann vor, wenn der Entscheidung der Wähler schon bei der Auszählung der Stimmen nicht in jedem Fall das gleiche Gewicht zukommt, d. h. wenn bereits bei der Abgabe der Stimmen Unterschiede gemacht werden, beispielsweise wenn ein Wähler im Gegensatz zu anderen Wählern mit mehreren Stimmen nur eine Stimme abgeben darf. Dagegen bedeutet es keinen Verstoß gegen die Zählwertgleichheit, wenn einer gewissen Anzahl von Stimmen bei der Verteilung der Mandate kein ausschlaggebendes Gewicht mehr zukommt. Dieser Umstand berührt vielmehr allein die Frage der Erfolgswertgleichheit. Nur auf diese Frage läuft deshalb der Einwand der Antragsteller hinaus, nach der Regelung des § 36 Abs. 3 NKWG würden bei einer Partei, die ohne den dort vorgesehenen Ausgleich einen (weiteren) Sitz erhalten würde, so viele Stimmen nicht gezählt, wie im jeweiligen Fall notwendig seien, um der Partei mit der absoluten Mehrheit der Stimmen auch zu dem für die absolute Mehrheit der Sitze notwendigen weiteren Mandat zu verhelfen. Insoweit ist oben aber bereits ausgeführt worden, daß in dieser Regelung kein verfassungswidriger Verstoß gegen die Gleichheit des Erfolgswertes liegt.
118
b) § 36 Abs. 3 NKWG verletzt ferner nicht den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Diesem Erfordernis ist genügt, wenn das Wahlverfahren so gestaltet wird, daß jede abgegebene Stimme einem bestimmten oder eindeutig bestimmbaren Wahlbewerber zugerechnet wird, ohne daß nach der Stimmabgabe noch eine Zwischeninstanz nach ihrem Ermessen Einfluß auf die Zurechnung der Stimmen und damit auf die Bestimmung der erfolgreichen Wahlbewerber nehmen kann.
119
Soweit die Antragsteller einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl geltend machen, laufen ihre Ausführungen darauf hinaus, daß die in der Ausgleichsregelung des § 36 Abs. 3 NKWG liegende Verletzung des Erfolgswertes mindestens so schwer wiege wie die nachträgliche Bestimmung der zum Zuge kommenden Wahlbewerber durch eine Zwischeninstanz. Sie machen damit geltend, daß ein Verstoß gegen die Erfolgswertgleichheit mindestens dasselbe Gewicht wie eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes habe. Daraus folgt aber nicht, daß in einem Eingriff in den Grundsatz der Erfolgswertgleichheit zugleich eine Verletzung des Unmittelbarkeitsprinzips liegt. Dieses Prinzip ist hier vielmehr nicht betroffen.
120
c) Soweit die Antragsteller einen Verstoß gegen den Grundsatz der passiven Wahlgleichheit darin sehen, daß bei Anwendung des § 36 Abs. 3 NKWG ein Wahlbewerber trotz des auf seinen Wahlvorschlag entfallenen größeren Zahlenbruchteils gegenüber einem Wahlbewerber mit einem geringeren Zahlenbruchteil nicht zum Zuge kommt, handelt es sich nicht um einen eigenständigen Verstoß gegen die passive Wahlgleichheit, sondern um eine zwangsläufige Folge der – hier zulässigen – Durchbrechung des Grundsatzes der Erfolgswertgleichheit, die deshalb verfassungsrechtlich nicht zusätzlich ins Gewicht fällt. Denn jede Abweichung vom Prinzip der Erfolgswertgleichheit, die sich auf die Verteilung der Mandate auswirkt, benachteiligt damit einen bestimmten Wahlbewerber. Die Frage, ob ein Wahlsystem die passive Wahlgleichheit verletzt, beurteilt sich deshalb in den Fällen, in denen die angenommene Verletzung des Grundsatzes der passiven Wahlgleichheit damit begründet wird, daß den abgegebenen Stimmen ein unterschiedlicher Erfolgswert beigelegt worden ist, nach den gleichen Kriterien, die für die Prüfung der Frage gelten, ob die vorgenommene Abweichung von dem Grundsatz der Erfolgswertgleichheit verfassungsrechtlich zulässig ist. Daß sich die in der Regelung des § 36 Abs. 3 NKWG liegende Abweichung von dem Prinzip der Erfolgswertgleichheit aber innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hält, ist oben bereits dargelegt.
121
d) Schließlich kommt auch der weiteren Rüge der Antragsteller, § 36 Abs. 3 NKWG verletze in verfassungswidriger Weise den Grundsatz der Wettbewerbsgleichheit der Parteien und Wählergruppen, keine eigenständige Bedeutung zu. Denn im Kern läuft diese Rüge ebenfalls nur auf eine – im Ergebnis nicht begründete – Beanstandung der partiellen Erfolgswertungleichheit hinaus, die sich nach dieser Vorschrift für einen Teil der auf den Wahlvorschlag abgegebenen Stimmen ergibt, auf welchen ohne die beanstandete Regelung ein (weiteres) Mandat entfallen würde.
122
Nach alledem ist § 36 Abs. 2 und 3 NKWG mit den Artikeln 2 und 44 Abs. 2 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung vereinbar. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 16 StGHG in Verbindung mit § 34 Abs. 3 BVerfGG.
123
Dörffler, Görres, Kowala
Dr. Borrmann, Dr. Göhmann ist an der Unterschrift verhindert – Dörffler, Würdemann
Wassermann, Dr. Henckel, Dr. Stalljohann