Sitzzuteilung nach Hare/Niemeyer (original) (raw)
Das Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen
Bezeichnungen
- Hamilton-Verfahren, Hare/Niemeyer- oder Niemeyer-Verfahren
- Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten, Verfahren der größten Reste
- Quotientenmethode mit Restausgleich nach größten Bruchteilen
- Verfahren der mathematischen Proportion, Mathematisches Proportionsverfahren
- largest remainder
- Vinton’s method of 1850
nach:
- Alexander Hamilton (1755–1804), amerikanischer Politiker
- Samuel F. Vinton (1792–1862), amerikanischer Politiker
- Thomas Hare (1806–1891), Jurist, London
- George Pólya (1887–1985), Schweizer Mathematiker
- Horst F. Niemeyer (1931–2007), Professor für Mathematik, RWTH-Aachen
Beschreibung
Das Verfahren ist ein Quotenverfahren, die Sitze werden in zwei Schritten zugeteilt:
1. Schritt: Grundverteilung
Die Stimmen der Parteien werden durch die Gesamtstimmenzahl aller Parteien (ohne ungültige Stimmen und Enthaltungen) dividiert und mit der Gesamtsitzzahl multipliziert (= Quote). Der abgerundete Teil der Quote wird als Sitzzahl direkt zugeteilt.
2. Schritt: Restsitzverteilung
Die Restsitze werden in der Reihenfolge der größten Nachkommateile der Quoten den Parteien zugeteilt. Haben mehr Parteien einen gleichen Nachkommateil, als noch Sitze zu vergeben sind, wird in der Praxis beispielsweise gelost (§ 6 Abs. 2 Satz 5 Bundeswahlgesetz [BWahlG]: vom Bundeswahlleiter zu ziehendes Los) oder in Reihenfolge der Stärke der Parteien zugeteilt (Wahl der Duma).
Dabei kann die Restsitzverteilung so angepasst werden, dass eine Partei mit (mehr als) der Hälfte aller Stimmen einen Restsitz immer dann erhält, wenn sie ohne diesen Sitz nicht die Mehrheit im Parlament hätte (z. B. Mehrheitsklausel § 6 Abs. 6 BWahlG).
Eigenschaften
- Fehlende Konsistenz
- Quotenbedingung wird erfüllt (Idealrahmen)
- Mehrheitsbedingung kann mit Mehrheitsklausel erfüllt werden
- Keine Partei wird der Größe nach bevor- oder benachteilt
(in den meisten Fällen ergibt sich eine identische Verteilung beim Verfahren Sainte-Laguë)
Paradoxien
- Alabama-Paradoxon (Sitzzuwachs-Paradoxon)
Bei Erhöhung der Gesamtsitzzahl bei gleicher Stimmenverteilung, kann eine Partei einen Sitz verlieren. - New State Paradox (Neue-Partei-Syndrom)
Durch das Streichen einer Partei mit Ihren Stimmen und Sitzen, kann eine andere Partei Sitze verlieren oder gewinnen. - Population Paradox (Populations-Paradoxon, Wählerzuwachs-Paradoxon)
Bei einem anderen Wahlergebnis kann eine Partei A trotz Stimmengewinnen einen Sitz verlieren und gleichzeitig eine Partei B trotz Stimmenverlusten einen Sitz gewinnen.
Geschichte/Anwendung
Das Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen mit Mehrheitsklausel ersetzte in § 6 Bundeswahlgesetz (in der Fassung vom 8. März 1985 und gültig ab 16. März 1985) das Verfahren d’Hondt. Erstmals angewendet wurde es bei der Bundestagswahl am 25. Januar 1987.
Am 24. Januar 2008 beschloss der Deutsche Bundestag den Umstieg vom Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) auf das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë). Zum ersten Mal angewendet wurde das „neue“ Verfahren bei der Bundestagswahl im Jahr 2009.
Links
- Paradoxien in Quotenverfahren
- Die Verfahren nach Sainte-Laguë und d’Hondt
- Übersicht über Divisorverfahren
- Linkliste zum Thema Sitzzuteilungsverfahren
- Anschauliche Darstellung verschiedener Stimmenverrechnungsverfahren
- BVerfG, Beschluss vom 24.11.1988, 2 BvC 4/88 (BVerfGE 79, 169)
- StGH Niedersachsen, Urteil vom 20.09.1977, StGH 1/77 (NdsStGHE 1, 335)