Fernández Castro, Johanna: Kulturübersetzung als interaktive Praxis. Die frühe deutsche Ethnologie im Amazonasgebiet (1884–1914) (original) (raw)

Kulturübersetzung als interaktive Praxis Die frühe deutsche Ethnologie im Amazonasgebiet (1884–1914)

2020

Zwischen der kulturellen Praxis ethnographischer Repräsentation und der postkolonialen Metapher einer Aushandlung mit »dem Anderen« vermittelt das stark theoretisierte Konzept der Kulturübersetzung – doch wie lässt sich dies empirisch fassen? Anhand deutscher Ethnographien im Amazonasgebiet um 1900 identifiziert Johanna Fernández Castro in ihrer translations- und kulturwissenschaftlichen Analyse Praktiken der Wissensproduktion, der Sprachvermittlung und der materiell-kulturellen Aneignung als konstitutive Elemente der Kulturübersetzung. Die aktive Rolle lokaler Akteur*innen, die sich am Prozess der Wissensproduktion über ihre eigene Kultur im Kontext extrem asymmetrischer Beziehungen beteiligten, untermauert den interaktiven Charakter dieser Übersetzungspraxis.

Literatur und Grenzkulturen: Amazonien und Pampa

2010

Die Region, die wir als Lateinamerika kennen, besteht bekanntlich aus vielfältigen Kulturräumen. Ein Teil dieser Region ist Brasilien, das sich allerdings gleichzeitig deutlich von ihr unterscheidet und deshalb manchen bis heute wie eine Insel erscheint, die von zwei großen Flüssen, die einem gigantischen See entspringen, begrenzt wird. 1 Die Ausweitung und Konsolidierung seiner nicht atlantischen Grenzen sind nicht nur die Folge des beständigen "Zuges nach Westen" der "Bandeirantes", sondern im Süden, im La Plata-Raum, auch das Ergebnis von Kriegen und im Norden der Erfolg diplomatischer Verhandlungen. Seit ihrer Anerkennung durch internationale Verträge haben sich diese Grenzen als stabil erwiesen, dabei sind sie jedoch porös und durchlässig. Wie alle Grenzen trennen und vereinen sie, da Teile Brasiliens mit Teilen der Mehrzahl anderer südamerikanischer Länder unterschiedliche transnationale Räume bilden, comarcas culturais (kulturelle Regionen), um den Begriff und das Konzept von Ángel Rama zu verwenden (Rama 1974: 48-71). Zwei dieser Regionen, die Pampa, Region der Kälte und der sogenannten "trockenen Grenze", und Amazonien, Region der Hitze und der Feuchtigkeit, stellen geographisch wie auch historisch und kulturell extreme Pole der "heimatlichen Erde" dar. Die geographische Distanz sowie die topographischen, historischen und kulturellen Differenzen zwischen diesen Extremen verhindern jedoch nicht, dass es gleichzeitig bedeutende Ähnlichkeiten zwischen beiden gibt. Das grenzenlose Gebiet Amazoniens genauso wie die unendliche Weite der Pampa-darauf hat schon Ana Pizarro aufmerksam gemacht-besitzen "Kerne symbolischer Produktivität, die dadurch wirksam werden, dass sie 1 Gemeint sind die Flusssysteme des Paraguay und des Amazonas, obwohl sie natürlich mit den politischen Grenzen nicht übereinstimmen. Die Theorien der "Insel Brasilien" und ihrer Abspaltungen vom kolonialen Brasilien im 19. und 20. Jahrhundert, die sich auf die geographische Vorstellung naturgegebener geopolitischer Grenzen und Raumaufteilung stützt-von den Grenzverträgen bis zur Gründung von Brasília im Herzen der Hocheben-hat zur Herausbildung einer nationalen Identität entscheidend beigetragen (Magnoli 1997).

Eine Geschichte – Zwei Perspektiven. Ein Forschungsprojekt zu kulturspezifischen Übersetzungsfunktionen des „exotisch Fremden“ am Beispiel der pazifischen Nordwestküste.

Jahrbuch Preussischer Kulturbesitz, Band XLVII, Berlin: 318-335., 2011

Die Sammlungsbestände des Ethnologischen Museums bilden in mehrfacher Hinsicht einen Spiegel interkultureller Phänomene des Zusammenwachsens unserer Welt. Dem Aspekt des Wechsels der Erzählperspektive und der Vielfalt der Stimmen kommt in der wissenschaftlichen Arbeit und Ausstellungspraxis des Museums daher eine zentrale Rolle zu. Zur Erforschung komplexer »Geschichten« eignen sich in ganz besonderem Maße die umfangreichen Sammlungen von der Nordwestküste Amerikas, da sie bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in größerem Umfang nach Berlin gebracht wurden, um hier einen Überblick über die angeblich "vom Auslöschen bedrohten Völker" zu bezeugen. Diese Sammlungen bieten darüber hinaus Voraussetzungen für die kooperative Entwicklung neuer Präsentationsformen mit Künstlern, Künstlerinitiativen sowie den so genannten source communities dieser Region, da auf aktive lokale Netzwerke zurückgegriffen werden kann. Sie stehen im Zentrum des Forschungsprojekts »Eine Geschichte – Zwei Perspektiven«, das im Rahmen der Erarbeitung eines Gesamtkonzepts des Ethnologischen Museums zur Präsentation seiner Sammlungen im Humboldt-Forum angeregt und von 2009 bis 2012 gemeinsam mit dem John-F.Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin durchgeführt wurde.

Deutsche in Brasilien und Argentinien. Die Anfänge einer ethnolinguistischen Forschung in Brasilien und Argentinien im 19. Jahrhundert. Indigene Sprachen, Varietäten und Forschungsvernetzung.

Es soll in dem Beitrag gezeigt werden, wie die frühe ethnolinguistische Forschung im Spannungsfeld zwischen der Verfügbarkeit von Quellenmaterial (in staatlichen oder oft privaten Sammlungen, in Argentinien vor allem in der von Pedro de Angelis, verzeichnet in einem Apéndice; in Brasilien in der Kaiserlichen Sammlung), der Erstellung von Abschriften (vom brasilianischen Kaiser Pedro II in Auftrag gegeben im Fall eines Guarani-Manuskripts mit Dialogen aus der Privatsammlung des preußischen Botschafters im La Plata-Raum Gülich), oder der Förderung von Forschung und Edition (vor allem in brasilianischen Zeitschriften, den Anais der Nationalbibliothek und der Revista des kaiserlich geförderten Instituto historico e geografico in Rio) langsam entsteht. Anhand einiger zentraler, meist vergessener Figuren, darunter auch einigen deutschen Linguisten wie Julius Platzmann oder den Sprachlehrern von Pedro II (Karl Friedrich Henning, später Christian Friedrich Seybold) bzw Sammlern (wie den preußischen Botschafter im La Plata-Raum Friedrich von Gülich) soll herausgearbeitet werden, wie sich in den Ländern im 19.Jhdt. Netzwerke entwickelten, die vor dem Beginn einer Feldforschung vor allem versuchten, historische Materialien aus der Kolonialzeit zu beschaffen. In Argentinien gelangten die Manuskripte über den Verkauf von Angelis in private Sammlungen von Bartolmomé Mitre oder Rafael Trelles (später Enrique Peña), viele sind bis heute nicht ediert. Sobald sie vorliegen, werden sie unser Wissen um das weltliche Leben in den Reduktionen auf eine neue Quellengrundlage stellen.

Eine Ethnologin im Panthéon

2017

Die biblio-biographische Skizze stellt eine der interessantesten und faszinierendsten Gestalten der franzosischen Ethnologie des 20. Jahrhunderts einem deutschsprachigen Publikum vor. Germaine Tillion (1907-2008) – seit zwei Jahren als einzige Ethnologin ins Pariser Pantheon aufgenommen – hat in den 1930er Jahren bei Marcel Mauss Ethnologie studiert und fast sechs Jahre Feldforschung im algerischen Aures betrieben. Kurz nach Ausbruch des 2. Weltkriegs kehrt sie nach Frankreich zuruck und wird eines der Grundungsmitglieder der Resistance-Zelle am Musee de l’Homme. 1942 wird sie verhaftet und ins Frauenkonzentrationslager Ravensbruck deportiert. Dort dokumentiert sie Leid und Verbrechen mit ethnographischer Akribie und veroffentlicht nur wenige Monate nach ihrer Befreiung und dem Ende des Krieges die erste (und einzige) „ethnographische“ Innensicht eines KZ. Nach gut anderthalb Jahrzehnten uberwiegend politischer Arbeit kehrt sie in den 1960er Jahren in die Ethnologie zuruck und versu...

Von “Herrenmenschen” und “Waldmenschen”. Die „Deutsche Amazonas-Jary- Expedition“ von 1935 bis 1937 nach Brasilien. (2011)

Der Zoologe und Geograph Otto Schulz-Kampfhenkel unternahm in den 1930er-Jahren medienwirksam inszenierte Expeditionen nach Afrika und an den Amazonas. Im "Dritten Reich" avancierte er zum Südamerika-Experten der SS und deklarierte die Eroberung der "letzten weißen Flecken" der Erde für "Großdeutschland" als sein Lebensziel. Als Leiter eines militärischen Sonderkommandos und Beauftragter für erdkundliche Forschung gelangte er in geheimen Missionen an die Fronten des Zweiten Weltkrieges in Nordafrika und Europa. Historiker, Ethnologen, Zoologen und Medienwissenschaftler untersuchen diese bizarre Person und ihre schillernde Karriere im Schnittfeld von Wissenschaft, Medien, Politik und Militär.

Peter, Claudia (2018): Ethnografie im Modus der Zeugenschaft, in: Hitzler, R./Klemm, M./Kreher, S./ Poferl, A./ Schröer, N. (Hg.): Herumschnüffeln - aufspüren - einfühlen. Ethnographie als 'hemdsärmelige' und reflexive Praxis, Essen: oldib, S. 251-264

2018

Dieser Beitrag ist der erste Teil eines neuen methodischen Ansatzes, den ich gegenwärtig entwickle: - wenn man qualitative Forschung betreibt, die sensitive Themen berührt, - wenn man als Forschende selbst in Grenzsituationen während des Forschens gerät oder als Ethnografin in solchen Situationen anwesend ist, die für die beforschten Personen Grenzsituationen darstellen, dann tritt neben der epistemischen Funktion von Funktion auch die ethische Dimension hervor. Man ist als Forschende involviert und dennoch nicht direkt betroffen. Diese Art von Forschung bezeichne ich deshalb als Sozialforschung im Modus der Zeugenschaft. In diesem Beitrag skizziere ich, wie die Anwesenheit im Feld zeugentheoretisch als Bezeugung verstanden werden kann. Ein anderer Beitrag von 2018 ist der zweite Teil dieser Skizze, in dem ich dann näher darauf eingehe, auf welche Weise anders und verändert dann über die Forschung zu schreiben ist, sich also Darstellungskonventionen ändern müssen, wenn man die Forschende als (Sekundär)Zeugin versteht.