Vom Mythos zum Logos Vom Mythos zum Logos (original) (raw)

Caspar Hauser: oder vom Mythos zum Logos

ist eine Verkörperung des Menschen und des Menschengeschlechts. In seinem Leben und Schicksal liegt der ganze Grund, aber auch der ganze Abgrund des menschlichen Daseins. In Caspar Hauser zeigt sich die Natur von ihrer archaischen, animalischen Seite, als unorganische Natur des Menschen, als die reine natura naturans, die sich selber blind überlassen wird. Caspar Hauser degradiert deshalb zum Tier, weil ihm alle Zivilisation des Menschen fehlt, ihm untersagt wird. In Caspar Hauser wird auf der anderen Seite sichtbar, wie zerbrechlich alle menschliche Kultur und Zivilisation ist, und wie notwendig alle Elemente der Zivilisation des Menschen je sind für den Prozeß er Menschwerdung des Menschen. In ihm verkörpert sich alle Pädagogik, also alle Erziehung des Menschengeschlechts, alle Aufklärung im weitesten Sinne, alle Psychologie, alle Kultur der Arbeit und des Wissens. Selbst die Evolution des menschlichen Körpers, seine Organik, seine Motorik liegen in Caspar Hauser verborgen und offenbar zugleich. Als man diesen 20jährigen Jungen in einem quasi enthumanisierten Zustande fand, offenbarten sich alle Möglichkeiten der kulturellen Katastrophe, in der die gesamte Menschheit steht und immer schon stand. Alle Kriege, alle Formen der Destruktion schauen aus ihm. Die Deformationen in ihm sind abgrundtief. Caspar Hauser konnte weder lesen noch schreiben, er war motorisch auf dem Stande des Embryos oder noch weiter darunter. Er war in seiner emotionalen Kultur, in seinem sensuellen Wesen, in seiner Psycho-Motorik weit unter dem Tierreich. Soweit und so tief kann der Mensch, ja kann die gesamte Menschheit fallen. Alle Kultur und alle Zivilisation hängen immer am Abgrunde, alles Wesen ist immer auch Nicht-Wesen. Caspar Hauser zeigt alle Relativität des menschlichen Daseins, und er straft alle Automatisierung von Technik, von Wissen, von Emotion, von Physiognomie Lügen, die sich bieder und selbstgenügsam ins Dasein setzen. Alles was der Mensch ist und alles, was er tut, muß durch einen langen, durch einen schweren Prozeß der Zivilisation, des Lernens hindurch. Caspar Hauser zeigt in seiner Individuation das Wesen der Gattung auf, und zeigt darin aber ebenso sein unhintergehbares individuelles Wesen auf. Wenn das eine Wesen vergeht, vergeht auch das andere Wesen. Ein jedes Allgemeine, das aus derart deformierten Besonderem besteht, ist selber deformiert. Eine jede Gesellschaft, die den Menschen nicht in einer umfassenden Form, in einer umfänglichen Art und Weise erzieht, bildet und formt, geht notwendig zugrunde. Der Grund allen Lebens, auch der Natur selber, ist immer auch ein Abgrund. Und alle Zivilisation, alle Technik, alle Wissenschaft und auch alle Philosophie partizipieren immer an diesem Abgrund, ja sie leben immer selber am Abgrund. Caspar Hauser zeigt, wie sehr und wo auch unsere heutige Zivilisation da steht, wo er damals stand, als man ihn fand. In seiner Sprache, die nicht existierte, in seiner Motorik, die nicht existierte existieren wir alle. Auch dann, wenn wir zu den Sternen fliegen: der Abgrund lauert immer in uns. Der tiefe Grund liegt immer in uns. Alles Hohe wird immer hinabgezogen. Aller Geist liegt immer selber im Schoße der Natur. Der Mythos selber ist immer ein Teil des Logos und umgekehrt ist aller Logos immer selber ein Teil des Mythos. Gerade die Hybris, der Diebstahl nach Oben, die fällt am ehesten in sich zusammen. Etwas vom Kapitalismus und seinen Krisen zeigt sich darin. Der "reine Fortschritt" nach unbegrenztem Geld und Reichtum ist selber ein Irrsinn. Gut, daß es Caspar Hauser gibt. Denn in ihm wird dieser Abgrund alles Falschen sichtbar und offenbar.

Der mythische Grund des Logos

Werbik, Hans (Hg.): Das Verhältnis von Philosophie und Psychologie, 2020

The relation between mythos and logos is one of the central controversial points of the philosophical discourse from the ancient beginnings. In the passing of history the philosophy as representation of the logos has accentuated the contradiction to the mythos. Today it is also required to specify the dependence of the logos on the mythos. Here psychoanalysis can make an important contribution. Freud himself recognized a tight conjunction between the unconscious and the mythos. Lèvi-Strauss and Lorenzer took this discussion further, even if they criticize Freud at crucial points. From this psychoanalytic perspective, the mythos is described as the unconscious cause of the logos and so an important margin of philosophy will be revealed.

Logos und Krisis

2017

Die existenzanalytische Sinntheorie von Viktor E. Frankl ist in der Literatur auch unter der Bezeichnung 'Dritte Wiener Schule der Psychotherapie' bekannt geworden. Frankl selbst charakterisiert seinen Ansatz mit den beiden Ausdrücken 'Existenzanalyse' und 'Logotherapie' und untermauert damit den von ihm begründeten therapeutischen Ansatz um eine philosophisch eigenständig entwickelte Anthropologie. Im Kern besagt die Logotheorie, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Anlagen oder seiner kulturellen Herkunft aus einer einzigen Lebensquelle Kraft schöpft, nämlich aus der Sinnhaftigkeit seiner Existenz. Die Existenz des Menschen ist um den Sinn zentriert, und der Mensch lebt von diesem Zentrum her. Darum wird er psychisch krank, wenn dieses Zentrum – zum Beispiel durch eine Krise – frustriert wird. Fehlt dem Menschen in solchen Situationen der Zugang zum Sinn, dann braucht er eine sinnzentrierte Unterstützung, neben einer womöglich therapeutischen auch eine ...

Arbeit am Mythos – Arbeit mit dem Mythos

Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 2014

Drawing on Ulrich Hoffmann's study, the paper critically discusses its methodical attempt to fathom the ›mythicity‹ of Arthurian literature in all the different dimensions of the texts: the diachronic history of the subject matter and its synchronic contextualization, form and content. Consistent with current approaches of medieval cultural studies, the article suggests emphasizing how mythic traditions are used to narrativize historically relevant topics (›work with myth‹) rather than observing the ongoing process of their adaptation in a diachronic perspective (›work on myth‹).

Vom Mythos zum Logos? Hadesfahrten und Jenseitsreisen bei den Griechen, in: Unterwelten. Modelle und Transformationen (hg. v. Joachim Hamm und Jörg Robert), Würzburg 2014, 31–58.

Die Frage, was mit uns nach dem Tod geschieht, spielt derzeit nicht nur in der Diskussion um Organspenden und in der Hirnforschung eine zentrale Rolle, auch Vertreter sämtlicher großer Weltreligionen streiten mit Experten aus der Medizin, Neurophysiologie und Biologie darum, ob es überhaupt so etwas wie eine menschliche Seele gibt und inwiefern diese nach dem körperlichen Tod des Menschen fortbestehen kann. Zugleich haben Figuren wie Untote, Wiedergänger und Vampire auf dem belletristischen Buchmarkt ebenso wie in TV-Serien Hochkonjunktur und bedienen als Wandler zwischen der Welt der Lebenden und der Toten ein offenbar uraltes anthropologisches Bedürfnis. Und auch Menschen, die dem Tod näher als andere kamen, die etwa zeitweise hirntot waren, im Koma lagen oder anderweitige Nahtoderfahrungen machten, berichten regelmäßig bestimmte Phänomene einer Art von Seelenreise, die in ihrer Ausformung wesentlich durch individuelle Erlebnisse wie kulturelle Prägungen bedingt sind. Diese seltenen, sporadischen und meist sehr persönlichen Einblicke in die Welt des Todes haben von jeher die Phantasie der Menschen beflügelt und so natürlich auch die der alten Griechen. Deren Dichter und Denker formulieren visionär unterschiedlichste Ansichten über den Tod und erzählen nicht selten von großen Einzelnen, denen es gelungen ist, für kurze Zeit in den Hades, nach griechischer Vorstellung das Totenreich oder Jenseits, einzudringen und lebendig wieder herauszukommen. Im Folgenden liegt das Augenmerk hauptsächlich auf zwei traditionsbildenden, ganz unterschiedlichen Hadesfahrern: Der erste (1.) ist Odysseus, der Protagonist des homerischen Epos Odyssee. Odysseus ist in der abendländischen Literatur der erste Jenseitsreisende (Odyssee: um 700 v. Chr.). Seine Fahrt ins Totenreich steht im Kontext vieler gefährlicher Abenteuer, die er auf seiner zehnjährigen Heimreise von Troia nach Ithaka erlebt. Seine ‚Hadesfahrt' wirkt vor allem strukturell traditionsbildend, d.h. fortan finden sich in fast allen späteren antiken Epen Hadesfahrten

Der Tenor. Mythos - Geschichte - Gegenwart

Der Tenor. Mythos - Geschichte - Gegenwart, hrsg. von Corinna Herr, Arnold Jacobshagen und Thomas Seedorf (Musik - Kultur - Geschichte, Bd. 8), Würzburg (Königshausen & Neumann) 2017, 253 S.