Logos und Krisis (original) (raw)
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Vom Mythos zum Logos Vom Mythos zum Logos
Alle Geschichte geht vom Mythos zum Logos. Alle Natur, alles "Leben" birgt immer beides: Mythos und Logos. Mythos und Logos sind nicht streng geschieden. Sondern in allem Mythos ist Logos bereits. Und alles ist immer ein permanenter Übergang von Mythos in Logos. Auch das Bewußtsein, die Idee, der Begriff partizipieren am Mythos. Auch Arbeit, die bewußtes Tun ist, die bewußte Verwandlung der anorganischen Natur in organische Natur ist, die natura naturans in natura naturata verwandelt, partizipiert am Mythos. Der Traum, das Unbewußte partizipieren am Mythos. Selbst das Licht der Sonne ist ein Teil der Finsternis. So wie alles Licht immer Teil ist der Dunkelheit/Finsternis. Es gibt weder ein "absolutes Licht", noch gibt es eine "absolute" Dunkelheit/Finsternis. Alles ist immer nur Wechsel und Übergang des einen ins andere. Ein Entweder-Oder ist nicht. E Ein "Schwarz-Weiß", ein "Entweder-Oder" gibt es nicht.
In: gráphein. Für Hans-Joachim Lenger – Eine Anthologie, Hamburg: Materialverlag 2022, S. 233-244.
Was hält in einer Welt der tiefen Krise, die ohne Totalität und innere Folgerichtigkeit auskommen muss, so etwas wie einen Zusammenhang aufrecht ? Gilles Deleuze zufolge sind es »Klischees, sonst nichts. Nichts als Klischees, überall Klischees. .. « Klischees werden von ihm als »Fertigmeinungen« und »sensomotorisches Ausweichverhalten« charakterisiert bzw. als »Schemata affektiver Natur«. Es gibt »psychische Klischees« ebenso, wie es »physische« gibt, zum Beispiel »vorgefertigte Wahrnehmungen, Erinnerungen, Phantasmen.« Aber auch »virtuelle Klischees« greifen um sich, solche, die nicht einmal mehr reproduziert werden müssen, um sich zu aktualisieren. »Nach Bergson«, so Deleuze in seiner Kino-Studie Das Zeit-Bild. Kino 2, »nehmen wir die Sache oder das Bild [ image ] nie vollständig wahr; wir nehmen immer weniger wahr, nämlich nur das, was wir-aus wirtschaftlichen Interessen, ideologischen Glaubenshaltungen und psychologischen Bedürfnissen-wahrzunehmen bereit sind. Wir nehmen also normalerweise nur Klischees wahr.«
Werbik, Hans (Hg.): Das Verhältnis von Philosophie und Psychologie, 2020
The relation between mythos and logos is one of the central controversial points of the philosophical discourse from the ancient beginnings. In the passing of history the philosophy as representation of the logos has accentuated the contradiction to the mythos. Today it is also required to specify the dependence of the logos on the mythos. Here psychoanalysis can make an important contribution. Freud himself recognized a tight conjunction between the unconscious and the mythos. Lèvi-Strauss and Lorenzer took this discussion further, even if they criticize Freud at crucial points. From this psychoanalytic perspective, the mythos is described as the unconscious cause of the logos and so an important margin of philosophy will be revealed.
ἦ θαύµατα πολλά, καί πού τι καὶ βροτῶν φάτις ὑπὲρ τὸν ἀλαθῆ λόγον δεδαιδαλµένοι ψεύδεσι ποικίλοις ἐξαπατῶντι µῦθοι.
Caspar Hauser: oder vom Mythos zum Logos
ist eine Verkörperung des Menschen und des Menschengeschlechts. In seinem Leben und Schicksal liegt der ganze Grund, aber auch der ganze Abgrund des menschlichen Daseins. In Caspar Hauser zeigt sich die Natur von ihrer archaischen, animalischen Seite, als unorganische Natur des Menschen, als die reine natura naturans, die sich selber blind überlassen wird. Caspar Hauser degradiert deshalb zum Tier, weil ihm alle Zivilisation des Menschen fehlt, ihm untersagt wird. In Caspar Hauser wird auf der anderen Seite sichtbar, wie zerbrechlich alle menschliche Kultur und Zivilisation ist, und wie notwendig alle Elemente der Zivilisation des Menschen je sind für den Prozeß er Menschwerdung des Menschen. In ihm verkörpert sich alle Pädagogik, also alle Erziehung des Menschengeschlechts, alle Aufklärung im weitesten Sinne, alle Psychologie, alle Kultur der Arbeit und des Wissens. Selbst die Evolution des menschlichen Körpers, seine Organik, seine Motorik liegen in Caspar Hauser verborgen und offenbar zugleich. Als man diesen 20jährigen Jungen in einem quasi enthumanisierten Zustande fand, offenbarten sich alle Möglichkeiten der kulturellen Katastrophe, in der die gesamte Menschheit steht und immer schon stand. Alle Kriege, alle Formen der Destruktion schauen aus ihm. Die Deformationen in ihm sind abgrundtief. Caspar Hauser konnte weder lesen noch schreiben, er war motorisch auf dem Stande des Embryos oder noch weiter darunter. Er war in seiner emotionalen Kultur, in seinem sensuellen Wesen, in seiner Psycho-Motorik weit unter dem Tierreich. Soweit und so tief kann der Mensch, ja kann die gesamte Menschheit fallen. Alle Kultur und alle Zivilisation hängen immer am Abgrunde, alles Wesen ist immer auch Nicht-Wesen. Caspar Hauser zeigt alle Relativität des menschlichen Daseins, und er straft alle Automatisierung von Technik, von Wissen, von Emotion, von Physiognomie Lügen, die sich bieder und selbstgenügsam ins Dasein setzen. Alles was der Mensch ist und alles, was er tut, muß durch einen langen, durch einen schweren Prozeß der Zivilisation, des Lernens hindurch. Caspar Hauser zeigt in seiner Individuation das Wesen der Gattung auf, und zeigt darin aber ebenso sein unhintergehbares individuelles Wesen auf. Wenn das eine Wesen vergeht, vergeht auch das andere Wesen. Ein jedes Allgemeine, das aus derart deformierten Besonderem besteht, ist selber deformiert. Eine jede Gesellschaft, die den Menschen nicht in einer umfassenden Form, in einer umfänglichen Art und Weise erzieht, bildet und formt, geht notwendig zugrunde. Der Grund allen Lebens, auch der Natur selber, ist immer auch ein Abgrund. Und alle Zivilisation, alle Technik, alle Wissenschaft und auch alle Philosophie partizipieren immer an diesem Abgrund, ja sie leben immer selber am Abgrund. Caspar Hauser zeigt, wie sehr und wo auch unsere heutige Zivilisation da steht, wo er damals stand, als man ihn fand. In seiner Sprache, die nicht existierte, in seiner Motorik, die nicht existierte existieren wir alle. Auch dann, wenn wir zu den Sternen fliegen: der Abgrund lauert immer in uns. Der tiefe Grund liegt immer in uns. Alles Hohe wird immer hinabgezogen. Aller Geist liegt immer selber im Schoße der Natur. Der Mythos selber ist immer ein Teil des Logos und umgekehrt ist aller Logos immer selber ein Teil des Mythos. Gerade die Hybris, der Diebstahl nach Oben, die fällt am ehesten in sich zusammen. Etwas vom Kapitalismus und seinen Krisen zeigt sich darin. Der "reine Fortschritt" nach unbegrenztem Geld und Reichtum ist selber ein Irrsinn. Gut, daß es Caspar Hauser gibt. Denn in ihm wird dieser Abgrund alles Falschen sichtbar und offenbar.
Wiederholung und Widerstand - Zeichnung als Krisis
2012
T.H.: Die Formulierung Handigkeit der Zeichnung geht zuruck auf eine eikones Summer School, die das Verhaltnis von Zeichnen, Sehen und Denken, oder auch die Disposition von Auge, Hand und Geist zum Inhalt hatte. Wahrend dieser Summer School im September 2011 haben wir viel uber Dieter Roth und das Thema der Beidhandigkeit und Reversibilitat gesprochen, etwa in Roths beidhandig gestaltetem Kunstlerbuch Trophies. [1] Dieses Kunstlerbuch war eine echte Trophae fur unser Thema.
2010
Schon der gemeinsame griechische Wortstamm krinein (scheiden, sondern, trennen) verweist auf die inhärente Verknüpfung von Krise und Kritik. Während das griechische krisis Entscheidung, Ausschlag, Trennung bedeutet und somit den Aspekt der Veränderung in sich trägt, bezeichnet krites den Richter und deutet auf Urteilsfähigkeit. Krise und Kritik stehen folglich in enger Beziehung zueinander: Jede Krise nährt Kritik und bedarf ihrer, um sie generierende Problematiken, Widersprüche, Konflikte ebenso wie Potenziale notwendigen Wandels aufzuzeigen. Die Haltung der Kritik charakterisiert Foucault als "Kunst nicht dermaßen regiert zu werden" (Foucault 1992, 12). Was aber bedeutet es angesichts der Vielzahl zu konstatierender gesellschaftlicher Krisen, nicht dermaßen, nicht auf diese Weise regiert zu werden? Diese Frage, die nicht zuletzt die nach dem "guten Leben" impliziert, bezieht der vorliegende Beitrag vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise und ihrer Folgen auf Erwerbsarbeit als zentralen, Lebensverhältnisse unmittelbar bestimmenden gesellschaftlichen Regulationsmodus. In Form einer von der Finanzkrise ausgehenden skizzenhaften "Genealogie der Krisen" zeigt der Beitrag die Krise des gegenwärtigen, wesentlich auf Erwerbsarbeit beruhenden Systems von Regierung auf, vor deren Hintergrund "nicht dermaßen regiert zu werden" schließlich zu einer Frage des Überlebens kristallisiert. Ausgangspunkt bildet hierbei Foucaults Begriff der Regierung, der eine Form von Machtausübung bezeichnet, die Individuen durch die Produktion von Wahrheit 1 anleitet, lenkt, führt und so zu Subjekten formt. Regierung umfasst Foucault folgend die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, durch welche Menschen gelenkt werden, sowie sämtliche Prozeduren, Techniken und Methoden, welche die Lenkung von Menschen untereinander gewährleisten (Foucault 1996, 119). Als "Führung der Führungen" zielt sie auf das Verhalten der Menschen. Foucault unterscheidet hierbei unter anderen Herrschafts-von Selbsttechniken. Selbsttechniken ermöglichen es Individuen, mit eigenen Mitteln auf ihre Körper oder ihre Psyche einzuwirken. Sie sind nicht bloßer Ausdruck von Herrschaftstechniken, sie ergänzen oder verstärken sich nicht zwangsläufig, doch bedingen sie sich wechselseitig ebenso wie sie aufeinander einwirken. Mit Regierung verbindet sich folglich nicht bloße Unterwerfung oder Beherrschung von Subjekten, sondern vielmehr deren Hervorbringung. Diese Konzeption von Regierung ermöglicht nicht nur, das Zusammenwirken politischer und ökonomischer Regulation zu erfassen, sondern auch deren Zwangs-und Freiheitskomponenten, wie sie Erwerbsarbeit charakterisieren.