ANJA OSIANDER, Der Fall Minamata. Bürgerrechte und Obrigkeit in Japan nach 1945 (original) (raw)

Zivilgesellschaft als staatliche Veranstaltung? – Eine Spurensuche im Japan vor 1945 –

2012

Es ist die Absicht, in dieser Darstellung die Möglichkeiten und Grenzen des Engagements jener japanischer Gruppen in dem vom Staat vorgegebenen institutionellen Rahmen des Vereinsrechts vor 1945 zu skizzieren, soweit es sich um Aktivitäten handelt, die als zivilgesellschaftliche interpretiert werden könnten, und anhand eines ausgewählten Beispiels zu zeigen, dass die Wurzeln der japanischen Zivilgesellschaft weiter zurückreichen, als ihr gelegentlich in der Forschung zugestanden wird. Mithin versteht sich dieser Diskussionsbeitrag als zweifaches Plädoyer: (1) Als ein Plädoyer für die nachhaltigere Berücksichtigung historischer Prozesse in der politikwissenschaftlichen Forschung zu Japan. So erweist sich beispielsweise die oft zitierte These von der Entstehung oder „Geburt“ der japanischen Zivilgesellschaft nach dem Hanshin-Awaji-Erdbeben vom 17. Januar 1995, respektive durch die Verabschiedung des NPO-Gesetzes 1998 bzw. eine mutmaßliche zivilgesellschaftliche Unterentwicklung mit ihrem sehr auf die juristischen Rahmenbedingungen ausgerichteten Focus als gleichermaßen beständig wie nachhaltig falsch bzw. ahistorisch. Dies gilt in gleicher Weise für die Wahrnehmung des Jahres 1945 als zivilgesellschaftliche Wasserscheide. Folglich bedarf es offenbar einer intensiveren Berücksichtigung historischer Entwicklungen, um derartigen beispielhaften Fehlinterpretationen einer geschichtslosen und gleichsam gesichtslosen politikwissenschaftlichen Forschung vorzubeugen. Dies mag dann mit einer – zweifelsohne auch kritischen – Neubewertung der Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlicher Entwicklungen im Japan vor 1945 mit deren besonderen – geistesgeschichtlichen, strukturellen wie rechtlichen – Rahmenbedingungen und Artikulationsmöglichkeiten spezifischer Interessen einhergehen. Zugleich versteht sich dieser Text (2) als ein Plädoyer für historische Analysen auf der Basis einer nicht normativ überhöhten Zivilgesellschaftstheorie. Die einseitige Betonung des Demokratisierungspotentials der Zivilgesellschaft als normativer Ordnung scheint Formen der vor allem auf die Stützung bzw. Bestätigung des Herrschaftssystems zielenden Partizipationsansprüche und -bestrebungen, als einer für diese Phase der japanischen Geschichte prototypischen Variante zivilgesellschaftlichen Engagements, zu verdecken. Dies schließt dann unter Berücksichtigung von Zeit und Raum auch zeitgenössische Auseinandersetzungen ein, die keineswegs immer völlig konflikt- und gewaltfrei Einzelaktionen der Machthaber, keinesfalls aber die Gesamtkonzeption ihrer Herrschaftsausübung oder das inhaltliche Design der Herrschaftspraxis in ihren Kernbereichen zum Gegenstand einer gelegentlich durchaus auch scharfen Kritik hatten. Ein seiner normativen Bestandteile „entkleideter“ Zivilgesellschaftsbegriff ließe, gleichermaßen als Erweiterung der gängigen Analysekriterien, in diesem Kontext differenziertere Aussagen über die Rolle und die Handlungsspielräume der Untertanen, die zugleich auch immer Staatsbürger waren, und somit über die Qualität der Staat-Bürger-Beziehungen in historischer Perspektive im Japan vor 1945 zu.

Sprotte, Maik Hendrik/​ Schölz, Tino (Hg.): Der mo­bi­li­sierte Bürger? Aspekte ei­ner zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Partizipation im Japan der Kriegszeit (1931-​1945).

Formenwandel der Bürgergesellschaft - Arbeitspapiere des Internationalen Graduiertenkollegs Halle-​Tôkyô, Nr. 6, 2010

Maik Hendrik SPROTTE 23 "Sich um die Versehrten und Hinterbliebenen im Geiste echter Mütter und Schwestern kümmern" -Wohlfahrtsorganisationen für Kriegsopfer unter besonderer Berücksichtigung des Patriotischen Frauenverbandes Tino SCHÖLZ 35 Zur (un)freiwilligen Beteiligung der Frauen an der Wehraktivität -Die Frauenvereinigung zur Landesverteidigung (Kokubō fujin-kai) 1931-1945 YANAGIHARA Nobuhiro 45 Für wen engagieren sich Bürger? -Das "System der Armenpfleger" (hōmen iin seido) im Fünfzehnjährigen Krieg HIRAMATSU Hideto 51 Cui bono? -Die Kampagne zum Ausbau des Kashihara-Schreins für die Feierlichkeiten zur "2600-jährigen" Reichsgründung 1940 Jan SCHMIDT 63 Autoreninformation 77 7 ZIVILGESELLSCHAFT UND KRIEG IN JAPAN -EINE EINLEITUNG Maik Hendrik SPROTTE & Tino SCHÖLZ Wir freuen uns, mit der vorliegenden Publikation zeitnah die um Fußnoten erweiterten und leicht überarbeiteten Vorträge dokumentieren zu können, die als Elemente ein Panels unter dem Titel "Der mobilisierte Bürger? -Aspekte einer zivilgesellschaftlichen Partizipation im Japan der Kriegszeit (1931-1945)" auf dem 14. Deutschsprachigen Japanologentag an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Oktober 2009 präsentiert und diskutiert wurden. Die Untersuchung der Frage, ob sich im Japan vor 1945 Elemente eines wie auch immer gearteten bürgergesellschaftlichen Handelns bzw. zivilgesellschaftlicher Strukturen identifizieren lassen, stellt sich für uns als ergebnisoffener Prozess dar. Gleichwohl scheint es geboten, die heuristische Tragfähigkeit dieses für die demokratischen Gesellschaften der Gegenwart intensiv diskutierten wissenschaftlichen Konzepts in seiner möglichen historischen Dimension für Japan auszuloten. 1 Hierzu soll das vorliegende Arbeitspapier beitragen und einen Diskussionsprozess in dieser Richtung anstoßen. Im Zentrum unseres Interesses steht dabei, welche Bereiche sich für eine mögliche Analyse eignen. Angesichts der ereignisgeschichtlichen Entwicklung im japanischen In-und Ausland während des gewählten Untersuchungszeitraums, namentlich des Fünfzehnjährigen oder Asiatisch-Pazifischen Krieges (jūgonen sensō 十五年戦争 / Ajia Taiheiyō sensō アジア・太平洋戦争) zwischen dem Mandschurischen Zwischenfall 1931 (Manshū jihen 満 州 事 変 ) und der Niederlage Japans im August 1945, erscheint eine weitere Vorbemerkung geboten, um Missverständnissen vorzubeugen: Wir verfolgen weder die Absicht, mit positiv konnotierten normativen Begriffen wie "Bürger-" oder "Zivilgesellschaft" oder "bürgergesellschaftliches Engagement" einer Relativierung oder Verharmlosung des Leids der Kriegsjahre das Wort zu reden, noch einer Trivialisierung oder gar Ästhetisierung der Ereignisse jener Zeit Vorschub 1 Vgl. unter der inzwischen nahezu unüberschaubaren Fülle an Publikationen beispielsweise Adloff, Frank (2005): Zivilgesellschaft. Theorie und politische Praxis.

Einleitung: Ein neues Japan? Politischer und sozialer Wandel seit den 1990er Jahren

Die Sondernummer der Zeitschrift Asiatische Studien versammelt eine Auswahl der Beiträge aus den Sektionen Ethnologie, Politik und Soziologie sowie dem Forum zur sozialwissenschaftlichen Japanforschung am Japanologentag 2012, welcher Ende August an der Universität Zürich durchgeführt wurde. Als übergreifendes Thema der drei Sektionen wurde im Call for Papers die Frage nach dem sozialen und politischen Wandel im gegenwärtigen Japan und den ihm zugrunde liegenden Triebkräften formuliert. Um den zeitgeschichtlichen Kontext dieser Fragestellung zum gegenwärtigen Japan zu verstehen, gilt es vorerst auf das Bild Japans seit dem Platzen der Spekulationsblasen im Aktien- und Immobilienmarkt in den frühen 1990er Jahren einzugehen, wie es sich aus Sicht westlicher, aber auch vieler japanischer Medienbeobachter darstellt.

Eine Kohärente Japanische Menschenrechts - Politik : Schlüssel Zu Politischem Profil , Prestige Und Potential (Nicht Nur) in Asien

JAPANSTUDIEN - Jahrbuch des Deutschen Instituts für Japanstudien der Philipp Franz von Siebold Stiftung. München: Iudicium -Verlag, 1998

Japan, größter Entwicklungshilfegeber der Welt und wichtiger Beitragszahler der UNO (United Nations Organization), möchte auch politisch an Profil und Gestaltungspotential gewinnen. Ein Beispiel dafür ist sein Streben nach einem ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat. Die Unterstützung der Staaten in der Region ist für Japan in dieser Frage unerläßlich. Die hohen Entwicklungshilfeleistungen Japans an asiatische Länder tragen zwar zu einer positiven Grundhaltung in dieser Frage bei. Dennoch gibt es auch entscheidende Hinderungsgründe, die bei den Nachbarn in Asien Vorbehalte hervorrufen und sie an den Motiven zweifeln lassen, die der japanischen Politik zugrundeliegen. Die Erinnerungen an die japanischen Kriegsverbrechen, die bis in die 1990er Jahre durch verbale Entgleisungen hochrangiger japanischer Politiker lebendig gehalten werden, gehören dazu. Zweifel werden auch durch den Umgang der japanischen Regierung mit Entschädigungsleistungen an die sogenannten „Trostfrauen“ und dem Prob...

WORTWEIT – DIE WELT VON ÔBA MINAKO

Ôba Minako is one of the most important writers of postwar Japanese literature. Her experience of world war II as an eyewitness and of living abroad for many years led to a paradox combination of rootlessness and the attempt to readjust when she returned to Japan in 1970. The characters of her novels reflect these issues. This paper discusses Ôbas recent attempts in interweaving the multiple layers of past and present experience creating narratives of a rich yet lucid texture.