Benötigt die Wissenschaftsgeschichte „Moderne“ als metaphorische Begrifflichkeit der Ordnung historischen Denkens? (original) (raw)

Irgendwann nie modern gewesen sein - Zur Zeitstruktur situierten Wissens

2020

Ausgehend von einem Bericht aus dem 18. Jahrhundert über indigene Heilverfahren der Chiquitos fragt der Beitrag nach einer adäquaten Haltung gegenüber zunächst fremden Wissenspraktiken, ohne in eine koloniale Geste zu verfallen, und weiter: Welche narrativen Strategien und Tricks gilt es zu kultivieren, um Praktiken, die innerhalb einer modernen Epistemologie keinen Platz haben, zu beschreiben, ohne sie zu disqualifizieren? Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie, Donna Haraways Plädoyer für partiale Perspektiven und Isabelle Stengers' Ökologie der Praktiken bieten Anknüpfungspunkte, um gegen die Trennung von Natur und Kultur in der Geschichte der Moderne zu argumentieren. Vor diesem Hintergrund könne begonnen werden, dekoloniale Gegenerzählungen ernst zu nehmen und das moderne Paradigma zu »zermürben«.

Biographie und „modernisierte Moderne“: Überlegungen zum vorgeblichen „Zerfall“ des Sozialen

2000

Zusammenfassung Der folgende Beitrag beschaftigt sich mit Prozessen der „Biographisierung“ im Laufe der Moderne. Dabei wird besonders die biographiegenerierende Funktion der Institutionen untersucht. Ihre Bedeutung beim Entstehen biographischer Reflexivitat in der fruhen Moderne scheint heute durch eine Krise ihrer Funktion als biographische „Stichwortgeber“ abgelost worden zu sein. Die Pointe des Beitrags besteht daher in der Forderung einer neuen Art „institutioneller Selbstreflexivitat“. Abstract The following essay deals with processes of ‘biographising’ in modernised societies. Particular attention is paid to the function of institutions in generating biographies. Their significance for the emergence of biographical reflexivity in early modern times seems today to have declined as a result of a crisis of their function as biographical ‘watch-words’. The focal point of the article is the call for a new kind of ‘institutional self-reflexivity’.

Die Wissenschaften in der Geschichte der Moderne: Antrittsvorlesung, Wien, 2. April 1998

1999

Sowohl Goethes Faust als auch sein Vorgänger, Marlowes Dr. Faustus, waren kPine modernen "\i\Tissenschaftler, sondern-wie ihr historisch belegter Prototyp , Georg von Heidelberg-Magier und Astrologen. Doch ist der faustische Pakt mit all seinen vormodernen, sogar biblischen Assoziationen zur klassischell Versinnbildlichung der Verstricku11ge11 von vVissenschaft und Macht in der :. vroderne geworden. Wie ist es dazu gekommen? Im Folgenden möchte ich Ergebnisse und Fragestellungen der neueren "\i \Tissensd1aftsgeschichtsschreibuug auf ihre Bedeutung für eine allgemeine Geschichte der Modeme hin umrißartig thematisieren. Dabei geht es nicht allein um das Ensemble kultureller Umbrüche um 1900, für das sich der Terminus ,die Moderne' als Kollektivsingular eingebürgert hat. Es handelt sich vielmehr um einen Versuch, die unterschiedlichen Rollen der vVissenschaften im vielscliichtigen Prozeß der Modernisierung zu bestimmen und das Verhältnis dieser Entwicklungen zu ,der Modeme', hier verstanden als Komplex von Denk-und St ilinhalten, näher zu bestimmen. Gewöhnlich sieht man die Anfänge der Moderne, was die Wissenschaften betrifft, in der Entstehung der neuen Naturphilosophie im 17. und ihrer Durchsetzung und Übertragung auf die Moralphilosophie und Staatslehre im 18. Jahrhundert. Gleichwohl werden viele Beispiele der folgenden Analyse aus dem 19. Jahrhundert kommen, denn in dieser Zeit wurde die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Infrastruktnr vollendet, die die neue Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts zu einer lebensgestaltenden Wirklichkeit werden ließ. 1 Gemeint sind die institutionellen Strukturen des modernen universitären, außeruniversitären und industriellen Forschungsbetriebs, das Ensemble von zuneh-me11cl normierten Ausbildungs-und Forschungspraktiken sowie das Netzwerk l Andrcw Cunningham u.

Die deutsche Geschichtswissenschaft und die Moderne

Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur

For decades German historiography was rather reluctant to develop its own concept of modernity. It started to do so only once people began to feel ›post-modern‹, i.e., once people felt that modernity had come to an end. This article presents six versions of an historical theory of modernity, the last theory being the only one sufficiently complete and complex to meet the task.

Hat die Moderne einen normativen Gehalt? Zur Möglichkeit einer kritischen Gesellschaftstheorie unter Kontingenzbedingungen. In: Berliner Journal für Soziologie 11, 2001, S. 59-78

Möglichkeit einer kritischen Gesellschaftstheorie unter Kontingenzbedingungen* Das Projekt einer kritischen Gesellschaftstheorie steht und fällt seit ihren Anfängen mit der Begründung ihres normativen Standpunktes, der den Hintergrund far eine kritische Gesellschaftsdiagnose bereitstellt. Vor der Soziologie war dieser Standpunkt insofern unproblematisch, als die moderne Gesellschaft mehrere normative Diskurse pflegte, mit denen sie ihren normativen Gehalt zu rekonstruieren versuchte. Die soziologische Entdeckung der Kontingenz hat demgegenüber den Zweifel genährt, dass ein solches Projekt einer kritischen Gesellschaftstheorie unter Kontingenzbedingungen überhaupt möglich ist. Kontingenz und normative Begründung scheinen sich spätestens seit Weber auszuschließen. Adornos kritische Theorie hat versucht, dieses Problem durch zwei widerstreitende Argumente zu lösen: durch ein geschichtsphilosophisches und ein erkenntniskritisches. Das geschichtsphilosophische ist von Habermas in eine Diskurstheorie transformiert worden, während das erkenntniskritische zwar Eingang in die postmodeme Gesellschaftstheorie Baumans gefunden hat, aber durch eine anthropologische Lesart entschärft wurde. Der am Schluss des Aufsatzes vorgeschlagene Weg der Neufassung einer Begründung kritischer Gesellschaftstheorie versucht dagegen zu zeigen, dass sich aus einer erkenntniskritischen Argumentation eine normative Konsequenz ziehen lässt: Die erkenntniskritisch aufgezeigte Unbegründbarkeit von Normen ist dann nicht !anger ein Argument gegen eine kritische Gesellschaftstheorie. Sondem sie zeigt, inwiefern sich die Unbegründbarkeit als normativer Gehalt der modernen Gesellschaft verstehen lässt.

Das Spannungsfeld zwischen Herders Geschichtsphilosophie und Kants Vernunft- Architektonik hinsichtlich der Frage nach einer Grundlegung der neuen Wissenschaften: Eine Rekonstruktion

Herder: From Cognition to Cultural Science., 2016

Herders und Kants Reaktionen auf die Herausforderung der kopernikanischen Wende jeweils mit einer Geschichtsphilosophie und einem transzendentalen Projekt sollen hier im Hinblick auf ihre jeweiligen philosophisch-anthropologischen Überlegungen. Aber die Möglichkeit von wissenschaftlicher Menschen- und Welterkenntnis untersucht werden. Nach Herder soll die Geschichtsschreibung von der Pluralität der Welten ausgehen und komparativistisch soll sie die Singularität jeder Welt untersuchen. Geschichtsphilosophie setzt die ontologische Annahme einer Totalität der Welt voraus, und insofern untersucht sie die genetische Evolution des Kulturen-Universums. Im ersteren sehe ich Herders entschiedenen Beitrag zur Herausbildung der modernen Kulturwissenschaften; im letzteren das kritisch-universalistische Potential seiner Philosophie. Kant lokalisiert den Forschungsbereich der Anthropologie, deren Sache Menschen- und Weltkenntnis ist, innerhalb der transzendentalen Systemarchitektonik, insofern sie nur aufgrund der Einheit der Subjektivität als Wissenschaft möglich ist. Das schränkt den Bereich jener Erscheinungen ein, die als Gegenstände wissenschaftlicher Erfahrungen gelten können. Dies erklärt auch z.T. Kants Polemik gegen Herders Geschichtsphilosophie. Dementsprechend verfährt Kant bei seiner musterhaften Beschreibung der Tischgesellschaft – anders als Herders Methoden, indem er Merkmale dieser Situation benennt, von ihnen abstrahiert, um herauszuarbeiten, was den Menschen zu einem solchen macht.

Postmoderne - Über die Tauglichkeit eines Begriffs

16 1 Hassan, Ihab: »Postmoderne heute«, in: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hg. von Wolfgang Welsch. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1988, S. 56. das Verhältnis zur >Moderne< thematisiert. Auf ausgewählte Abgrenzungen zur Einschränkung des Bedeutungsspektrums von >postmodern< folgt das zweite Kapitel, im dem versucht wird die Begriffsgeschichte von >Postmoderne< zu rekonstruieren. Dieses Hintergrundwissen hilft insofern bei der späteren kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff, dass eine Rekonstruktion der Genese und Entwicklung der >Postmoderne< bereits wesentliche Charakteristika und Inkonsistenzen preisgibt, die im späteren Verlauf für die Argumentation relevant sein werden. Eine erste, an der Theorie orientierte Antwort auf die Frage nach der Akzeptanz des >postmodernen< Denkens in Deutschland rundet das Kapitel ab. Kapitel 3 befasst sich mit der >postmodernen< Literatur. Es wird beschrieben, wie eine >postmoderne< Literatur aussehen kann, wobei deutlich wird, dass Entscheidungen zwischen mehreren Optionen getroffen werden müssen, um das Objekt möglichst klar zu bestimmen. In diesem Zusammenhang werden die >postmodernen< Philosophen Lyotard und Welsch zusammen mit literaturwissenschaftlichen Standpunkten besprochen, weil durch die Differenzierung von der >postmodernen< Philosophie die >postmoderne< Literatur verständlicher dargestellt werden kann. Die achtziger Jahre sind ebenfalls die Hochzeit des >Postmoderne<-Diskurses in Deutschland. Die zwei ausgewählten Romane der deutschsprachigen Literatur Die Entdeckung der Langsamkeit und Das Parfum entstammen dieser Periode. In den Kapiteln 4 und 5 wird nach >postmodernen< Spuren in diesen beiden Büchern gesucht, weil angenommen wird, dass die deutschsprachige Literatur der >Postmoderne< zu dieser Zeit am deutlichsten hervortritt. Selbstverständlich wird kein Vergleich zwischen beiden Romanen angestrebt; es geht lediglich um eine Lektüre aus >postmoderner< Perspektive, die untersucht, wie die >Postmoderne< in der Praxis des Romans aussehen könnte. Im Übrigen wird auf die jeweilige Rezeption in der deutschen Literaturkritik geachtet. Abschließend wird in Kapitel 6 die Frage nach der Tauglichkeit und Pertinenz des Begriffs >Postmoderne< für die Literaturwissenschaft beantwortet. Außerdem wird aufgezeigt, welche Konsequenzen das Ergebnis für den Begriff, 19 2 Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne. erweist sich zwar als notwendig: "Aber erst das 20. Jh. erfüllt den Begriff des modernen Zeitalters in vollem Umfang (Hochmoderne), um diesen Höhepunkt in seinem späteren Verlauf eventuell auch bereits wieder zu überschreiten (Postmoderne)." 5 Durch eine solche Einstufung entstehen aber umgehend Missverständnisse um das Verhältnis der >Moderne< mit der >Postmoderne<. Die Absicht der >Postmoderne< sei es nämlich nie gewesen, mit der Moderne abzurechnen und sie zu überholen, um ein neues Zeitalter der Menschheit einzuläuten, wie Welsch es formuliert. 6 Baßler kommentiert den Stand der Diskussionen: "Die Debatte um Moderne versus Postmoderne hat in den letzten Jahren unverkennbar an Reiz verloren; […]." 7 Die >Postmoderne< sei nur im Modus der >Moderne< zu denken und die Frage, inwiefern die >Postmoderne< Teil der >Moderne< sei, nicht klar zu beantworten. 8 Die Debatte darüber, ob wir in einer >modernen< oder einer >postmodernen< Welt leben, verfehlt ihr Ziel aus mindestens zwei weiteren Gründen. Erstens setzt diese Debatte ein >modernes<, d.h. ein zeitlich lineares, Verständnis des Verhältnisses von ästhetischen Strömungen voraus, das auf Ablösung und Überholung beruht. Klinger unterstreicht die Verbundenheit von >moderner< Denkweise und dem Denken in Epochen: "[Die Moderne] betrachtet sich also nicht nur selbst als eine neue Epoche, sondern entdeckt, bzw. entwickelt den bis in die Gegenwart gültigen Begriff von Epoche. Die Moderne ist gewissermaßen die Epoche des Epochenbegriffs." 9 Verlässt man die moderne Denksphäre, verliert die Debatte also merklich an Kraft. Zweitens kommt hinzu, dass das in der Moderne offenbarte Wissen über den Konstruktionscharakter von kulturtheoretischen Begriffen nie eine selbst temporäre, den Naturwissenschaften ähnliche, Festlegung über die >Postmoderne< zulassen würde. 10 Überdies ist der Inhalt der >Postmoderne< in sämtlichen Bereichen der Kunst immer noch derart diffus, dass es unmöglich scheint, klar zwischen >Moderne< und 20 5 Klinger, Cornelia: »Modern/Moderne/Modernismus«, in: Ästhetische Grundbegriffe. Hgg.

Wissenschaftliche Zeitlichkeiten der Moderne im Spiegel des Anthropozäns, Universität Konstanz, 23.-25.09.2020

Mit der Ausrufung des Anthropozäns wurde der Moderne eine neue Zeitlichkeit eingeschrieben, die den Menschen in geologische Formationsprozesse einbettet und nichtmenschliche Zeitskalen in den Vordergrund rückt. Doch welche Wissenschaften autorisieren und produzieren dieses Zeitwissen überhaupt? Welche Konzeptionen von Zeit liegen dem Anthropozän zugrunde bzw. gingen ihm voraus? Diesen Fragen ging der von der Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, der Medizin und der Technik geförderte Online-Workshop nach. Sechs Präsentationen mit jeweils zwei Repliken sowie drei Keynotes explizierten die epistemischen Eigenlogiken und historischen Hintergründe modernespezifischer Denk-und Darstellungsweisen von Zeit an der Schnittstelle von Natur-, Lebens-und Geisteswissenschaften. Das Anthropozän galt dabei als gemeinsamer Ausgangspunkt und thematische Klammer, ohne dass die Beiträge sich darauf beschränkten. In den Diskussionen kamen verschiedene Begriffe, Medien und Skalen von Zeit zusammen.